Der italienische Komponist Umberto Giordano (1867-1948) zählt zu den bedeutendsten Vertretern des Verismo. Mit seiner 1896 uraufgeführten Oper Andrea Chénier erzielte er seinen Durchbruch. Sie ist noch heute international im Repertoire vertreten. An der Oper Frankfurt wurde sie zuletzt 1950 neu inszeniert, zudem gab es 2007 eine konzertante Aufführung. Sie basiert auf einem Textbuch von Luigi Illica, wie auch Giordanos 1903 uraufgeführte Oper Sibirien. Letztere wird diesen Sommer bei den Bregenzer Festspielen im Festspielhaus zu erleben sein (neben Madame Butterfly auf der Seebühne).
Die 1898 uraufgeführte Oper Fedora kann, wie Sibirien, durchaus als Rarität bezeichnet werden. Wobei es von ihr immerhin ab und an Neuinszenierungen gibt. So 2016 an der Königlichen Oper Stockholm. Dort setzte Regisseur Christof Loy das dramatische, dreiaktige Melodram subtil in Szene. Die Oper Frankfurt hat diese Produktion übernommen und zeigt sie mit eigener Besetzung.
Blick mit Distanz und mit viel Videodesign
Wie üblich arbeitete Christof Loy auch bei Fedora mit dem Bühnen- und Kostümbildner Herbert Murauer zusammen. Dieser schuf einen zunächst unspektakulär wirkenden Einheitsraum mit einer an Brokatstoff anmutenden violetten Tapete und üppigen goldenen Türrahmen. Es geht ja um eine Fürstin aus St. Petersburg, die sich im ersten Akt im Haus des Grafen Wladimir Andrejevich, Hauptmann der Garde, befindet. Die Rückwand dieses Salons ziert ein überdimensionaler goldener Wandrahmen. Auf ihn werden vor allem schwarz-weiß Nahaufnahmen der Titelfigur projiziert, sodass deren Gefühle und Stimmungen viel deutlicher als üblich zum Vorschein kommen. Gleichzeitig schlägt Loy damit eine Brücke zum Filmgenre, zu dem die leidenschaftliche Musik des Verismo ohnehin hervorragend passt.
Für die Szenen in Paris (2. Akt) und in einem Kurort im Berner Oberland (3. Akt) öffnet sich der Rahmen und gibt den Blick auf einen dahinterliegenden Raum mit der zum Empfang erschienenen Gesellschaft, einem Bergidyll und dem Inneren eines Chalets frei.
Die Ende des 19. Jahrhunderts spielende Handlung wurde dezent in die 1960er-Jahre verlegt, was sich vor allem im 3. Akt mit modernerem Interieur und Kleidung zeigt. Eine breite Treppe aus gebrauchten Europaletten verbindet provisorisch Salon und Rahmen.
Gleichwohl erzählt Loy die Geschichte aus einer gewissen Distanz, indem während der Ouvertüre und bei noch herabgelassenem Vorhang eine Videoprojektion die Hauptdarstellerin Nadja Stefanoff von ihrer Künstlergarderobe auf ihren Weg auf die Bühne begleitet (ebenso vor dem 3. Akt). Selten gab es derart viele Videoeinspielungen an der Oper Frankfurt wie hier bei Fedora. Sie wirken zu keiner Zeit aufdringlich und wirken stets passend. Und zudem täuschend echt (Videodesign: Velourfilm AB). Zudem sorgen kleinere Regieeinfälle für Aufmerksamkeit. So beobachtet Fedora einen zärtlichen Moment zwischen Basilio und Dimitri, den sie mit einem milden Blick kommentiert.
Nadja Stefanoff überragend in der Titelrolle
In der Titelrolle ist die Sopranistin Nadja Stefanoff zu erleben: Ein überragendes Debüt. Zwar ist sie erstmals zu Gast an der Oper Frankfurt, in der Region aber keine Unbekannte. Seit 2014 ist sie Ensemblemitglied am nahen Staatstheater Mainz und war dort u. a. in Der Freischütz, Manon Lescout, Adriana Lecouvreur und Norma zu erleben. Ab Donnerstag wird sie dort zusätzlich die Titelfigur in Haukur Tómassons Gudruns Lied verkörpern. Der Fürstin Fedora verleiht sie Eleganz und Grazie, aber auch tiefe Empfindungen und besticht mit sicher geführter und ausdrucksstarker Stimme. Der aus Chile stammende Tenor Jonathan Tetelman gibt einen vitalen und einfühlsamen Graf Loris Ipanow und erweist sich als würdiger Verismus-Interpret. Bei der besuchten Vorstellung erhielt er für die bekannteste Arie der Oper, „Amor ti vieta“, kräftigen Zwischenapplaus und einen lautstarken Bravo-Ruf. Vom Ensemble brillieren vor allem Bassbariton Nicholas Brownlee als französischer Diplomat De Siriex und die Sopranistin Bianca Tognocchi als Gräfin Olga Sukarew, deren einziger Lebenszweck das Vergnügen ist.
Selbst die vielen kleineren Rollen sind hervorragend besetzt, u. a. mit Bianca Andrew (in der Hosenrolle des Laufburschen Dimitri), Peter Marsh (Kammerdiener Desiré) und Michael McCown (Baron Rouvel). In der besuchten Vorstellung übernahm Kapellmeister Simone Di Felice die Rolle des Pianisten Boleslao Lazinski. In den wenigen und kurzen Chorpartien bringt sich der von Tilman Michael einstudierte Chor mit Begeisterung ein. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester verzaubert unter der Leitung des jungen italienischen Gastdirigenten Lorenzo Passerini mit einem glutvollen Spiel und sorgt damit auch für zahlreiche Gänsehautmomente.
Am Ende stirbt Fedora nicht in den Armen Ipanoffs wie es im Libretto steht, sondern geht einsam ab. Dazu passen die Schlussworte des jungen Savoyarden (Rocco Schulz vom Kinderchor) „… non torna più!“ (… kommt nicht mehr zurück!“) besser. Dann erscheint ein letztes Mal Fedoras Porträt als Projektion auf dem nunmehr wieder geschlossenen Bilderrahmen, Ipanoff blickt gebannt und betroffen zu ihr auf. Und das Publikum ist, wie er, betroffen von dieser intensiven Darbietung.
Lang anhaltender, intensiver Applaus.
Markus Gründig, April 22
Fedora
Melodramma in drei Akten
Von: Umberto Giordano
Text: Arturo Colautti (nach dem Drama Fedora von Victorien Sardou)
Uraufführung: 17. November 1898 (Mailand, Teatro Lirico)
Premiere / Frankfurter Erstaufführung: 3. April 22
Besuchte Vorstellung: 10. April 22
Musikalische Leitung: Lorenzo Passerini
Inszenierung: Christof Loy
Szenische Leitung: Anna Tomson
Bühnenbild und Kostüme: Herbert Murauer
Licht: Olaf Winter
Videodesign: Velourfilm AB
Chor: Tilman Michael
Dramaturgie: Thomas Jonigk
Besetzung:
Fedora: Nadja Stefanoff / Asmik Grigorian
Loris Ipanow: Jonathan Tetelman / Giorgio Berrugi
De Siriex: Nicholas Brownlee
Olga Sukarew: Bianca Tognocchi
Gretch: Frederic Jost
Dimitri: Bianca Andrew
Desiré: Peter Marsh
Baron Rouvel: Michael McCown
Cirillo: Thomas Faulkner / Anthony Robin Schneider
Borow: Gabriel Rollinson°
Lorek: Pilgoo Kang°
Nicola: Leon Tchakachow
Sergio: Lukas Schmidt
Michele: Damjan Batistić
Boleslao Lazinski (Pianist): Mariusz Kłubczuk / Simone Di Felice
Ein Junge: Samuel Preisenberger / Rocco Schulz
Basilio: Dominic Betz
Dr. Müller: Kobe Linder
Assistent des Kommissars: Lauritz Jordan
Ein Polizist: Lauritz Jordan
Wladimiro: Joakim Stephenson
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