kulturfreak.de Besprechungsarchiv Oper, Teil 15

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Spectacle Spaces

Oper Frankfurt (im Bockenheimer Depot)
Besuchte Vorstellung:
1. Januar 17

Mit Spectacle Spaces endet die Aufführungsserie heim:spiele, die in Kooperation von Oper Frankfurt und dem Ensemble Modern noch bis zum 5. Januar 17 im Bockenheimer Depot zu sehen ist. Nach The Cave und Music for 18 Musicians ist nun gewissermaßen als Höhepunkt Spectacle Spaces, ein Programm mit Musik von Maurice Kagel (1931-2008) und Martin Matalon (*1958) zu erleben. Die hier gespielten musikalischen Werke wurden speziell für die Verbindung von Artisten und Musik geschrieben. Und so sind bei dieser Aufführungsserie neben Musikern des Ensemble Moderns zwar keine Sänger beteiligt, dafür aber ein hochkarätiges internationales Artistenensemble. Unter der Regie von Knut Gminder und der Choreographie von Aleksei Uvarov trifft Varieté auf Moderne. Sie bescheren dem Publikum einen herausragenden Musiktheaterabend mit viel Artistik (auf höchstem Niveau).

CARAVANSERAIL im Rahmen von SPECTACLE SPACES
Oper Frankfurt (im Bockenheimer Depot)
Vladik Myagkostupov, Ensemble Modern und Musikalischer Leiter Franck Ollu, Walter Holecek
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Schon der Anfang des von Knut Gminder und Robin Witt konzipierten Programms ist ungewöhnlich. Für das eröffnende Morceau de concours von Maurice Kagel wird der Trompeter Valentin Garvie mit einem Hubwagen seitlich vor das Publikum positioniert. Er spielt, optisch hervorgehoben, aus der Höhe, während der Hornist Saar Berger auf der gegenüberliegenden Seite auf dem Boden steht. Der „Orchestergraben“, also die Fläche für die Musiker vor dem Publikum, ist dabei unbesetzt. Auf einen Vorhang werden oben aufgezeichnete Backstagebilder der Artisten projiziert. Sie schminken, dehnen und recken sich, streifen sich selbstverliebt durch das Haar und bereiten ihre Arbeitsmittel vor. Unterhalb dieser Bilder ist fortlaufend die Partitur zu sehen. Von ihr lesen auch die beiden Musiker ab. Besucher mit etwas Notenkenntnis haben dadurch einen Bonus, lassen sich doch so bei Kagels Werk, das wie ein Dialog der beiden Musiker wirkt, Noten, Tempi-, Tonstärken und Dynamikvorgaben bestens mitverfolgen. Die anderen Musiker stehen währenddessen sichtbar im linken Seitenschiff des Depots. Für den Dialog und die Musik haben sie keine Zeit. Zu sehr sind sie damit beschäftigt, ständig auf ihr Smartphone zu schauen. Was natürlich Teil der Inszenierung ist und auf unsere heutige Isoliertheit, nicht zuletzt durch die Social-Media-Apps, hinweist. Später wird diesem Gedanken ein gelebtes Miteinander aller gegenübergestellt.

Der Übergang zu Martin Matalons Carawanserail ist fließend, wie insgesamt das ganze Programm. Zunächst nehmen der Trompeter und der Hornist ihren Platz auf der Bühne ein. Dann tauschen die restlichen elf Musiker ihre Handys gegen ihr jeweiliges Musikinstrument und nehmen ebenfalls auf der Bühne platz. Und auch die Artisten treten nun vor. Sie tragen  Alltagskleidung. Agieren kurz vor dem Publikum, das sie behutsam aus dem nüchternen Hier und Heute in die zauberhafte Welt des Varietés führen. In diesem Programmteil sind ihre artistischen Fähigkeiten als famoses Schattenspiel zu sehen (Beleuchtungskonzept und Lichttechnik: Wiglev von Wedel), natürlich abgestimmt auf Matalons Carawanserail, das übrigens als Auftragskomposition der Oper Frankfurt entstanden und hier erstmals zu hören ist. Der Zuschauer wird dabei Teil dieser imaginären Reisegesellschaft, bei der sich abwechselnd jeder Artist mit einer kurzen Vorführung vorstellt. Ob der poetischen Ausführung, der kunstvollen Ausleuchtung und der guten Abstimmung mit der Musik, ist schon dieser Teil ein besonderes Erlebnis. Sei es das Spiel mit Feuer, die Artistik auf einem Luftring oder die Liebesgeschichte zwischen einer attraktiven Frau und einem Muskelprotz (die ihren finalen Kuss natürlich mit einem Selfie festhalten).

VARIÉTÉ im Rahmen von SPECTACLE SPACES
Oper Frankfurt (im Bockenheimer Depot)
Ensemble Modern und Musikalischer Leiter Franck Ollu sowie Internationales Artistenensemble
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Nach der Pause bilden Artisten und Musiker in dem dritten Programmteil, der den Höhepunkt des Programms darstellt, eine kongeniale Symbiose. Die musikalischen Klänge verbinden sich mit dem szenischen Geschehen.
Die Musiker, jetzt auf sieben reduziert, stehen seitlich auf der ansonsten weitestgehend freien Spielfläche, die Artisten, nun in eleganten Showkostümen, sind mitten unter ihnen. Bei der ca. 50-minütigen Aufführung von Maurice Kagels Variété (aus dem Jahr 1976) reagieren die Artisten nicht auf die Musik, sie gehen gewissermaßen eine Verbindung mit ihr ein (und agieren hier weniger als Solisten denn als eine homogene Gruppe). Gibt es einen solistischen Auftritt, wird dieser irritierend vorbereitet. Denn ein Artist rückt zwar zunächst in den Vordergrund, doch den eigentlichen Akt macht dann ein anderer. So wie auch die Musik immer wieder neue Wendungen bringt und nie verstörend klingt.
Die artistischen Vorführungen sind auf höchstem Niveau. Vergleichbares ist derzeit u.a. in der großen Show THE ONE des Berliner Friedrichstadt-Palasts zu sehen, wie Cyr-Wheel, Handakrobatik und Seilartistik. Hier im Bockenheimer Depot sorgen das IMAGINE-Duo (harmonisch am Cyr wheel, optisch verführend mit Sphere manipulation und kraftvoll an der als Laterne getarnten Pole Stange), Walter Holecek (mit wahnsinnige Einhandakrobatik in waagrechter Position und mit scheinbarer Leichtigkeit an Fliegetücher), Vladik Myagkostupov (Jonglage mit überaus agiler Körpersprache), Anna Roudenko (Kontorsion, als hätte sie kein Rückrat und am Luftring) und Rosannah Star (verführerisch und temporeich am Multicord).
Natürlich darf in einem Varieté ein Clown nicht fehlen. Tom Murphy („Physical Comedy“) gibt ihn mit starken Körpereinsatz, modern und macht selbst in Stars and Stripes-Unterhose oder im Hemd mit eingebranntem Bügeleisen, eine gute Figur.
Trotz aller optischen Highlights kommt die gut zugängliche Musik Kagels unter der Leitung von Franck Ollu (im korrespondierenden Zirkusdirektormantel) einnehmend zu Gehör.
Zum Schluss fallen alle bis auf den Akkordeonspieler auf der Bühne hernieder ( sie bleiben zusammen und gehen nicht getrennte Wege).

Die im Vorfeld erfolgte Ankündigung eines spektakulären Abends voller bereichernder Kontraste ist nicht übertrieben. Am Ende großer Jubel und Getrampel für diesen gelungenen nostalgischen Ausflug in die Moderne.

Markus Gründig, Januar 17


The Cave

Oper Frankfurt (im Bockenheimer Depot)
Besuchte Vorstellung:
3. Dezember 16

Als zweites Stück in der von der Oper Frankfurt und dem Ensemble Modern initiierten außergewöhnlichen Veranstaltungsreihe HEIM.SPIELE ist derzeit eine moderne Rarität zu erleben. Steve Reichs und Beryl Korots in den Jahren 1990-1993 entstandene Videooper The Cave (ein Auftragswerk der Wiener Festwochen). Das Wort Oper ist in diesem Zusammenhang allerdings nicht angebracht, dokumentarisches, multimediales Oratorium trifft es besser (bzw. die englische Bezeichnung „audio-visual music theatre work“).
Denn ein wesentliches Element einer Oper ist ein dramaturgischer Handlungsbogen. Diesen gibt es bei The Cave nicht. Vielmehr ist es eine musikalische und visuelle Show, bei der Gesprochenes zu Musik wird.

The Cave
Oper Frankfurt (im Bockenheimer Depot)
Synergy Vocals (hell gekleidet), Ensemble Modern und Musikalischer Leiter Brad Lubman (links)
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Der Titel nimmt Bezug auf die legendäre Höhle Machpela in Hebron, die für Juden, Christen und Moslems gleichermaßen eine heilige Stätte darstellt und schon seit langem aus festen Baukörpern besteht. Erzvater Abraham und seine Nachfahren sollen hier ihre letzte Ruhe gefunden haben. Doch wer war dieser Abraham und seine Nachfahren überhaupt? Reichs aus drei Teilen bestehendes Oratorium befragt hierzu Israelis, Palästinenser/Moslems und US-Amerikaner. Deren sehr unterschiedliche Antworten auf die stets gleichen Fragen werden auf fünf Bildschirmen gezeigt (vervielfältigt, simultan überlagert und zeitversetzt geschachtelt). Dazu gibt es Textausschnitte aus dem 1. Buch Moses und aus dem Koran.
In Anbetracht der inzwischen erfolgten technischen Weiterentwicklung der Videotechnik (vgl. z.B. die Videoprojektionen bei den Inszenierungen von Schöne neue Welt oder Schuld und Sühne im Schauspiel Frankfurt) haben diese dokumentarischen, patchworkartig angeordneten Bilder (Dias und Videoclips der Videokünstlerin Beryl Korots, der Ehefrau von Steve Reichs) einen nostalgischen Charme. Sie bieten darüber hinaus eine faszinierende weitere Ebene, die Verbindung mit der minimalistischen Musik von Steve Reich. Unter der akkuraten musikalischen Leitung von Brad Lubman spielt das Ensemble Modern und es singt das Ensemble Synergy Vocals (Joanna L’ Estrange, Micaela Haslan, Alastair Putt und Tom Bullard). Dabei kommen auch ganz gewöhnliche Gegenstände wie Computertastaturen und rhythmisches Klatschen zum Einsatz. Reichs Musik reagiert nicht nur auf das Gesprochene, die Musik folgt der Sprachmelodie, greift sie auf, intensiviert sie, verbindet sich mit ihr, wiederholt sie und führt sie weiter.
Sehr großer Zuspruch und viel Applaus.

Markus Gründig, Dezember 16


Der goldene Drache

Oper Frankfurt (im Bockenheimer Depot)
Besuchte Vorstellung:
3. Dezember 16 (1. Wiederaufnahme-Premiere)

kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Unter dem Titel „heim.spiele“ begann mit der Wiederaufnahme der Kammeroper Der goldene Drache eine außergewöhnliche Veranstaltungsreihe. Bei dieser präsentiert sich das international hoch geschätzte Ensemble Modern für einen Monat in seiner Heimatstadt in Kooperation mit der Oper Frankfurt (im Bockenheimer Depot, im Frankfurt LAB und im Opernhaus). Zu erleben werden auch zwei Erfolgsstücke des Komponisten Steve Reich: Music for 18 Musicians und die Video-Oper The Cave sein. Beim ab Silvester gespielten Varietéprogramm Spectacle Spaces wird die Musik Mauricio Kagels und Martin Matalons auf spektakuläre moderne Zirkuskunst treffen. Im Frankfurt LAB wird Hans Zenders Don Quijote de la Mancha in seiner Frankfurter Fassung uraufgeführt und bei der Happy New Ears Reihe im Opernhaus ertönen am 12. Dezember 16 Hans Zenders 33 Veränderungen über 33 Veränderungen (eine komponierte Interpretation von Beethovens Diabelli-Variationen). Zender feierte am 22. November seinen 80. Geburtstag und wird bei diesem Gesprächskonzert als Ehrengast anwesend sein.
So bietet die Veranstaltungsreihe „heim.spiele“ ein vielseitiges Programm für offene Augen und noch mehr offene Ohren.

Der goldene Drache
Oper Frankfurt
Auf der Bühne das Sängerensemble und vorne das Ensemble Modern mit Dirigent Hartmut Keil
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Peter Eötvös’ (* 1944) Der goldene Drache entstand als Auftragsproduktion des Ensemble Modern und der Oper Frankfurt und wurde im Juni 2014 im Bockenheimer Depot unter der Regie von Elisabeth Stöppler (inzwischen Hausregisseurin am Staatstheater Mainz) uraufgeführt. Im Sommer 2015 war diese Produktion zu Gast bei den Bregenzer Festspielen. Sie fußt auf dem gleichnamigen Theaterstück von Roland Schimmelpfennig (*1967). Weit vor der aktuellen Flüchtlingsproblematik, geht es um einen jungen Mann ohne Aufenthaltsgenehmigung und ohne Krankenversicherung, der schließlich tot in einen Fluss geworfen wird und, eingewickelt in einen großen Drachenteppich, den Weg zurück in seine Heimat finden soll. Ergänzend gibt es noch eine Fabel von einer fleißigen Ameise und einer lustigen, aber faulen Grille (Gleichnis für ein von Ausbeutung und Missbrauch geprägtes Schicksal). Peter Eötvös’ Musik ist klanglich sehr vielseitig. Es wird viel gesprochen und auch der Gesang ist sehr gut verständlich, was keine Selbstverständlichkeit ist (auf eine Übertitelung wurde auf Wunsch des Komponisten und des Regieteams verzichtet). Eötvös’ bezeichnet das Stück als Musiktheater, nicht als Oper (im klassischen Sinn).

Hermann Feuchters Bühne zeigt vor einem imposanten, mit reichlich LED-Lämpchen bestückten, Drachenbild ein buntes Sammelsurium von Alltagsgegenständen, das aussieht wie eine Bereitstellung für den Sperrmüll. Es stellt das China-Vietnam-Thai-Schnellrestaurant dar, in dem die Handlung spielt. Davor sind sechzehn Musiker des Ensemble Modern platziert und allein Ihnen bei ihrem differenzierten und akkuraten Spiel zuzuschauen (und zuzuhören), ist ein Besuch der Aufführung wert (Musikalische Leitung: Hartmut Keil, in weiteren Aufführungen auch Nikolai Petersen). Schon vor dem eigentlichen Beginn erzeugen sie mit Alltagsgegenständen aus der Küche ein zartes musikalisches Spiel.

Die 18 Rollen werden von lediglich fünf Sängern gegeben. Bariton Holger Falk, Mezzosopranistin Hedwig Fassbender und Tenor Hans-Jürgen Lazar sind bereits seit der Uraufführungsserie mit dem Werk vertraut. Neu hinzugekommen sind Ingyu Hwang (Tenor, Mitglied des Opernstudios) und Karen Vuong (Sopranistin). Die zahlreichen Rollenwechsel erfolgen ganz offensichtlich durch Tausch der Kleidung (wie ein Tüllröckchen und grüne Leggins für die Grille oder blaue Kostüme für die Stewardessen; Kostüme: Nicole Pleuler). Alle fünf agieren hervorragend miteinander, spielen und singen mit großer Intensität. Und diesbezüglich haben sie bei diesem virtuosen Musiktheater viel zu tun. Dass Gesprochenes wie Gesungenes besonders prägnant beim Publikum ankommt, liegt auch an den Mikroports die sie tragen und an der Klangregie von Norbert Ommer).

Sehr viel Applaus.

Markus Gründig, Dezember 16


La Bohème

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
2. Dezember 16 (11. Wiederaufnahme-Premiere)

kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Nirgendwo sonst als in der Oper stirbt es sich so herzzerreißend, Puccinis La Bohème ist der beste Beweis dafür. Und jetzt, in der kalten und dunklen Jahreszeit, ist das Schicksal der jungen Bohèmes in der Vorweihnachtszeit in Paris besonders gut nachzufühlen. An der Oper Frankfurt wurde jetzt die klassisch gehaltene Inszenierung von Alfred Kirchner aus dem Jahr 1998 wiederaufgenommen (die besuchte Aufführung war die 114. Vorstellung). Mit ihrem nur im Dunkeln spielenden äußeren Rahmen und den historisierenden Kostümen zeigt sie deutlich den großen Unterschied zwischen Wunsch und Realität (Bühnenbild und Kostüme: Andreas Reinhardt). Derzeit ist Puccinis Meisterwerk auch in Mainz und Wiesbaden auf den Spielplänen, ein vergleichender Besuch der unterschiedlichen Inszenierungen (und Besetzungen) ist durchaus zu empfehlen.

La Bohème
Oper Frankfurt
Mimi (Simona Mihai), Rodolfo (Liparit Avetisyan)
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

In Frankfurt gibt es bei dieser 11. Wiederaufnahme eine neue Mimi. Für die rumänisch-britische Sopranistin Simona Mihai ist dies gleichzeitig ihr Deutschland- und Rollendebüt. Mit ihrer jugendlichen Attitüde und ihrer zurückhaltend bis zerbrechlich wirkenden Art verkörpert sie die todkranke Nachbarin nahezu perfekt. Das fehlende Quäntchen innere Strahlkraft wird sicher von Aufführung zu Aufführung noch hinzukommen. Ihre innige Rolleninterpretation spiegelt sich auch im Gesang. Zart und fein beschwört sie Mimis Schicksal.
Dass Gegensätze sich anziehen, zeigt sich auch hier. Der Rudolfo des gebürtigen Armeniers Liparit Avetisyan (Jahrgang 1990) wirkt ihr gegenüber wesentlich ausgereifter, wobei die beiden ein authentisch wirkendes, wunderbares Paar abgeben. Wie ein alter Routinier beherrscht er die Bühne, schauspielerisch wie mit seiner leicht dunkel gefärbten Tenorstimme. Er ist Ensemblemitglied des Armenian National Academic Theatre of Opera and Ballet in Armensiens Hauptstadt Yerevan (Eriwan) und hat für die nächsten Monate Debüts in Berlin, Dresden, Hamburg, Straßburg und Sydney . Sein hier gegebenes Debüt an der Oper Frankfurt kann man nur als sehr geglückt bezeichnen.
Trotz agilen Spiels und schönen Stimmfarben kommt demgegenüber der Marcello des Bariton Jonathan Beyer nicht ganz so stark rüber. Eine feste Stütze geben die Ensemblemitglieder. Allen voran Bass Kihwan Sim als Colline, aber auch Björn Bürger als Schaunard und Franz Mayer als Vermieter Benoît.
Vom Opernstudio der Oper Frankfurt ist bei dieser Produktion die amerikanisch stämmige Sopranistin Alison King beteiligt. Bei der Soiree des Opernstudios am vergangenen Dienstag überzeugte sie bereits mit ihren hochdramatischen Ausbrüchen (mit der Arie „Qual fiamma avea nel guardo“ aus Leoncavallos Pagloacci). Als Musette ist sie hier schon ob des streng wirkenden schwarzen Kleides äußerlich scheinbar eingeschränkt (wie die Figur es auch von Seiten der Regie her ist). Mit großem mimischen Spiel und sicher geführter Stimme nimmt Alison King dennoch sehr für sich ein und so kann auch ihr Rollendebüt nur als sehr geglückt bezeichnet werden.
Der Chor der Oper Frankfurt (Einstudierung: Tilman Michael) ist bei dieser Oper nur im zweiten Akt beteiligt und steht dann, ebenso wie der Kinderchor (Einstudierung: Markus Ehmann), nicht gerade an vorderer Front. Klangschön wird dennoch gesungen. Demgegenüber bringt sich das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Dirk Kaftan (designierter Generalmusikdirektor der Oper Bonn und Chefdirigent des Beethoven-Orchesters) mitunter sehr viel vehementer ins Spiel.
Am Ende sehr viel Applaus für alle Beteiligte.

Markus Gründig, Dezember 16


Die Zauberflöte

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
27. November 16 (Wiederaufnahme-Premiere)

kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Eine riesige Schlange, ein vorbeifliegender Vogel, ein riesiger Schmetterling und wie aus dem nichts erscheinende und verschwindende Figuren machen deutlich, dass es nicht viel bedarf, schon gar nicht große spektakuläre technische Innovationen, um ein Publikum in Bann zu ziehen. Die klassischen Theaterzaubertricks funktionieren auch heute noch, beim jungen wie beim nicht mehr so jungen Publikum gleichermaßen. Dies war jetzt erneut zu erleben, bei der 153 (!) Vorstellung von Mozarts Zauberflöte in der Erfolgsinszenierung von Alfred Kirchner aus dem Jahre 1998, die an der Oper Frankfurt nun zum14. Mal wiederaufgenommen wurde. Neben Vincent Callara stattete der namhafte Künstler und Buchillustrator Michael Sowa (Mitarbeit beim Kinofilm Die fabelhafte Welt der Amélie) die in eine Traumwelt führende Bühnenbilder und Kostüme aus.

Die Zauberflöte
Oper Frankfurt
Königin der Nacht (Danae Kontora)
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Freilich ist eine gute Verpackung nicht alles und so trägt zum Erfolg natürlich auch die populäre Musik von Superstar Mozart gehörig dazu bei, wenn das Publikum am Ende quasi wie verzaubert ist. Auch wenn die Inszenierung nicht neu ist, die Besetzung hat sich in den zurückliegenden Jahren freilich geändert. Und auch bei dieser Wiederaufnahmeproduktion sind Sänger zu erleben, die hier ihr Rollen- oder Hausdebüt geben. Sie fügen sich trefflich mit den Erfahrenen zusammen. Zu Letzteren zählt Bariton Sebastian Geyer, der schon mit seinem großen schauspielerischen Talent weit herausragt. Sein Papageno („Der Vogelfänger bin ich“, „Ein Mädchen oder Weibchen“) ist überaus präsent und sprüht nur so vor Energie. Dem steht der Tenor Peter Marsh als schwarz geschminkter Monostatos nicht nach, auch er ist sehr agil, gesanglich wie in seinem Spiel.
Die gebürtige griechische Koloratursopranistin Danae Kontora war Mitglied des Opernstudios der Oper Frankfurt und ist seit dieser Spielzeit Ensemblemitglied der Oper Leipzig. Bei dieser Produktion ist sie als Königin der Nacht zu erleben, wie schon bei der vorherigen Wiederaufnahmeserie. Zudem hat sie diese Rolle zuletzt an der Komischen Oper Berlin, der Semperoper in Dresden und am Aalto-Musiktheater Essen gegeben. Ihre Koloraturen bei „O Zitt’re nicht, mein lieber Sohn“ und „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“ gelingen ihr mühelos. Mit seiner sonoren Baßstimme und seiner Erfahrung verkörpert Alfred Reiter einen erhabenen Sarastro („O Isis Und Osiris“ und „In Diesen Heil’gen Hallen“). Mit viel Spielfreude und gesanglich stark bringen sich die Sopranistin Alison King (vom Opernstudio), Ensemblemitglied und Mezzosopranistin Paula Murrihy und von der Staatsoper Stuttgart die Altistin Stine Marie Fischer als drei Damen ein. Das Publikum begeistern auch die drei Knaben: Chiara BäumlKassiopi Küpper und Lilli Trosien. Sie kommen vom Kinderchor der Oper Frankfurt, der damit sein hohes Niveau unter Beweis stellt (früher wurden Kindersolisten der Aurelius Sängerknaben aus Calw engagiert). Sie haben relativ viel zu singen und zu schauspielern und das machen sie richtig gut.
Ein besonderes Augenmerk gilt den neu bei dieser Produktion beteiligten. Wie der gebürtigen amerikanischen Sopranistin Sydney Mancasola, die seit dieser Spielzeit Ensemblemitglied ist (und sich jüngst als einer der beiden Katzen in Benjamin Brittens Choroperette Paul Bunyan vorgestellt hat). Ihre Pamina verbindet Leichtmut mit schönen Klangfarben. Für den amerikanischen Gasttenor David Portillo ist dies die erste Prouktion an der Oper Frankfurt. Der junge Sänger hat bereits nicht nur an der Met gesungen, sondern auch schon an der Wiener Staatsoper und beim Glyndebourne Festival. Mit elegant geführter Stimme gibt er u.a. sein “Dies Bildnis ist bezaubernd”, wirkt mitunter allerdings noch nicht so ganz hier angekommen (was vielleicht aber auch nur einer gewissen Nervosität geschuldet ist).
Vom Opernstudio dabei ist die Koloratursopranistin Elizabeth Sutphen als sich stark verjüngende und aufgeweckte Papagena, sowie James Rutherford als Sprecher und Michael McCown und Thomas Faulkner als die beiden Geharnischten. Mit Anmut agiert der von Tilman Michael einstudierte Chor und Kapellmeister Sebastian Ziere lässt mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester Mozarts Zaubertöne vielseitig ertönen. Großer Jubel im Publikum!

Markus Gründig, November 16


Eugen Onegin

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
24. November 16

Wir werden gehen, uns küssen, altern

Tschaikowski ist mit seinem umfangreichen Œuvre zweifelsohne der populärste russische Komponist. Dies auch wegen seiner Opern (wie Mazeppa und Pique Dame). Vor allem aber sein Eugen Onegin erfreut sich großer Beliebtheit. In Frankfurt gibt es jetzt die fünfte Neuinszenierung nach 1945 zu erleben. Sie zeigt, warum Eugen Onegin, abseits der Thematik einer tragischen Liebesgeschichte, so beliebt ist. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester spielt unter der Leitung von Generalmusikdirektor Sebastian Weigle einen außerordentlich faszinierenden Tschaikowskiton (mit seismografischem Feingefühl und ohne Hemmungen vor hochdramatischen Ausbrüchen), eine Spitzenbesetzung begeistert vokal und szenisch und die Bühne besticht mit schönen Optiken. Dabei handelt es sich noch nicht einmal um eine Oper, sondern, ob mangelnder Dramatik, um lyrische Szenen. Die Gefühle und Stimmungen der Figuren wurden von Tschaikowski tonmalerisch genial herausgestellt.

Eugen Onegin
Oper Frankfurt
v.l.n.r. Olga (Judita Nagyová), Eugen Onegin (Daniel Schmutzhard), Larina (Barbara Zechmeister) und Lenski (Mario Chang) sowie im Hintergrund Chor der Oper Frankfurt
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Die Inszenierung basiert auf einer Konzeption von Jim Lucassen (dessen Opéra national de Lorraine/Nancy-Produktion von Rusalka 2013 und 2015 in Frankfurt zu sehen war). Aufgrund einer Erkrankung Lucassens übernahm Dorothea Kirschbaum wenige Wochen vor der Premiere die Regie. Sie hat im Frühsommer im Bockenheimer Depot Schönbergs Pierrot Lunaire inszeniert und bei den konzertanten Aufführungen von Die Csárdásfürstin und Der Graf von Luxemburg (beide im Opernhaus) auflockernde szenische Elemente beigesteuert. Bei Eugen Onegin macht sie deutlich, dass die Protagonisten mehr der Idee von Liebe hinterher jagen, als dass sie tatsächlich eine reale Beziehung wünschen.

Den Kreislauf des Lebens zitiert in leuchtenden kyrillischen Lettern über der eingezäunten Bühne das Zitat „Wir werden gehen, uns küssen, altern“, aus einem Gedicht von Anna Achmatova. Der Bühnenraum ist ein unbestimmter Raum (der allerdings an das legendäre Berliner Café Moskau anspielt). Große schwarze Gitter, teilweise mit schönen Verzierungen, bilden ein großes Rechteck. Dies ist kein hermetisch abgeschlossener Raum, die Gitter lassen sich verschieben. In den ersten beiden Akten steht eine wellenförmige Wand in der Bühnenmitte. Sie zeigt auf der einen Seite ein Mosaik mit zahlreichen Menschen und viel Technik: Sowjetischer Realismus pur. Kaum zu glauben, dass dieses detailverliebte und riesige Wandbild mittels Stempeltechnik in den Werkstätten der Oper Frankfurt gefertigt wurde (siehe hierzu auch den Videotrailer von Thiemo Hehl zur Produktion). Die andere Seite der Wand besteht aus weißen Fliesen für eine Großküche bzw. Bäckerei. Das Bauernvolk ist hier ein Brotteig knetendes Backkollektiv an Metalltischen. Mit Tüchern bedeckt, dienen die Tische später für die Ballszene als Ablage für üppigen Partyschmaus in flüssiger und fester Form (der Wechsel zwischen den beiden Ansichten erfolgt durch Einsatz der Drehbühne). Der Enge der ersten beiden Akten folgt im dritten Akt eine gewisse Weite. Im durch die Gitter eingefassten Raum steht lediglich eine überdimensionale Bank, ähnlich wie die Wand zuvor in gewellter Form (Bühne: Katja Haß). Nach weißen Arbeitskitteln im 1. Akt und einem sehr bunten aber streng geschnittenen Kleid für Tatiana, zarten Farbtönen bei den Abendkleidern im 2. Akt, sind die Kostüme im 3.Akt durchweg schwarz, dafür aber zum Teil sehr viel ausgefallener (schließlich befindet man sich ja jetzt im Stadtpalais des Fürsten Gremin in St. Petersburg (Kostüme: Wojciech Dziedzic). Zu Tatianas Namenstagsfest tritt in farbintensivem Folklorekostüme ein tanzendes Paar (Sandra Stuy und Olaf Reinecke) auf.

Eugen Onegin
Oper Frankfurt
Tatiana (Sara Jakubiak) sowie im Hintergrund Fürst Gremin (Robert Pomakov) und der Chor der Oper Frankfurt
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Der Titelfigur verleiht Daniel Schmutzhard ein markantes Profil. Der oftmals bübisch verschmitzt wirkende Bariton gibt einen herrlich selbstverliebten attraktiven Mann, im schwarzen Outfit und mit cooler Sonnenbrille. Dass er auch seelische Abgründe vermitteln kann, bewies er zuletzt als Nathanael in Scartazzanis Der Sandmann. Hier bietet er jugendliche Unbekümmertheit, sportliches Format (wie mit flotten Sprüngen über die Bank) und Verzweiflung pur (wie beim Tod von Lenski oder nach der finalen Abweisung durch Tatiana).
Das Stück könnte auch Tatiana betitelt sein, denn sie ist die zentrale Figur mit großer Rolle. Sie hat zudem die herausragendste Arie der Oper. Ihre monologische Liebesbrief-Szene ist eine der innigsten Momente der Opernliteratur. Die gebürtige Amerikanerin Sara Jakubiak vermittelt zunächst die ganz in ihrer Traumwelt gefangenen Tatiana als eine zarte, unsichere aber auch neugierige junge Frau. Die Regie hat sie dafür, zwar nicht in einem Elfenbeinturm, aber auf einem aufgetürmten Stapel Stühle positioniert. Hier sitzt sie, der Welt entrückt, und liest. Ihren Brief schreibt sie dann auf dem Boden, in ein dickes Album. Im dritten Akt ist sie dann stark gereift und eine sehr selbstsicher auftretende attraktive Ehegattin.
Kammersängerin Barbara Zechmeister gestaltet die Rolle von Tatianas Mutter (Larina), die sich gerne auch mal einen Vodka genehmigt, mit viel Präsenz. Sehr charmant kommt die aufgeschlossene und stets gut gelaunte Schwester Olga der Mezzosopranistin Judita Nagyová daher. Elena Zilio verleiht dem Großmütterchen Filipjewna rührenden Ausdruck. Emotional stark ist der tragische Lenski des Tenors Mario ChangRobert Pomakov hinterlässt als Fürst Gremin einen ersten starken Eindruck, der kanadische Baß gibt bei dieser Aufführungsserie sein Deutschlanddebüt. In kleineren Rolle aber nicht mit minderer Energie dabei: Peter Marsh als der lockere Franzose Triquet, Daniel Miroslaw als akkurater Hauptmann und Dietrich Volle als Sekundant Saretzki. Einen klasse Eindruck hinterlässt auch wieder der Frankfurter Opernchor (Einstudierung Tilman Michael).
Sehr viel Applaus.

Markus Gründig, November 16


Idomeneo

Ludwigsburger Schlossfestspiele und Zuflucht Kultur e.V. zu Gast im Kurtheater Bad Homburg
Besuchte Vorstellung:
3. November 16

Seit 2003 veranstaltet die Europäische Zentralbank jährlich die Europäischen Kulturtage, die jedes Jahr einen anderen EU-Mitgliedsstaat in seiner kulturellen Vielfalt vorstellen. Dieses Jahr wird Deutschland in seinem Facettenreichtum vorgestellt, mit Lesungen, Ausstellungen, Film- , Theater- und Opernvorstellungen. Finanziell unterstützt werden die Europäischen Kulturtage von der jeweiligen Zentralbank (also dieses Jahr von der Deutschen Bundesbank).
Ein besonderes Projekt innerhalb der diesjährigen Europa Kulturtage gab es jetzt im Kurtheater Bad Homburg zu sehen. Mozarts frühe Oper Idomeneo. Hierbei handelte es sich aber um keine übliche Inszenierung. Schon der Untertitel „Mozartoper vor aktuellem Hintergrund“ weist darauf hin, dass es sich hierbei um etwas Besonderes handelt.
Die Oper Idomeneo erzählt die Geschichte eines Königs, der nach jahrelangem Krieg nach Hause zurückkehrt und sogleich gefordert ist, seinen eigenen Sohn zu opfern. Krieg und Flucht, ein Thema, das auch in unseren Nachrichten omnipräsent geworden ist. Was bei all den komplexen Problematiken nie vergessen werden darf ist, dass es sich stets um Menschen, um individuelle Schicksale handelt. Hier setzt die Inszenierung von Bernd Schmitt an, die auf Initiation der Sängerin Cornelia Lanz entstanden ist. Mozarts Oper wird mit Schicksalen von Menschen, die aus Afghanistan, Iran, Irak, Nigeria, Pakistan und Syrien zu uns geflüchtet sind, verbunden. Die Flüchtlinge sind dabei nicht nur Staffage, sondern wirken als Darsteller und sogar als Sänger (Flüchtlingschor „Zuflucht“) mit. Einzelne erzählen sogar ihre persönliche Geschichte, zeigen dabei Gegenstände, die sie auf ihrer Flucht begleitet haben und nun ein Erinnerungs- und Hoffnungssymbol darstellen (wie u. a. ein Kompass oder ein Mikrofon). Die Handlung der Oper wird dann jeweils unterbrochen, wobei diese Unterbrechungen hier nicht störend wirken (was nicht zuletzt dank der Struktur der Oper gut funktioniert).

Idomeneo
Ludwigsburger Schlossfestspiele und Zuflucht Kultur e.V.
Flüchtlingschor Zuflucht
© Andreas Knapp

Das Projekt ist die dritte Arbeit mit Geflüchteten, die der von Cornelia Lanz initiierte Verein Zuflucht Kultur e.V. seit 2015 produziert hat (nach Cosi fan tutte und Zaide). Es entstand in Koproduktion mit den Ludwigsburger Schlossfestspiele, wo es bereits im vergangenen Sommer gezeigt wurde.
Neben den elf Darstellern und Sängern sind rund 80 Chormitglieder (in nahezu gleicher Anzahl aufgeteilt auf den Flüchtlingschor „Zuflucht“ und dem Philharmonia Chor Stuttgart unter der Leitung von Christoph Heil) mit von der Partie, dazu das Orchester BandArt (gut 40 Musiker) unter der Musikalischen Leitung von Gordan Nikolic und drei Übersetzer. Also rein organisatorisch schon ein immens großer Aufwand, hinzu kommen noch viele Akteure hinter der Bühne. Diese besteht aus einem überdimensionalen Tisch, über den ein weißes Segel aufgespannt ist. Der Tisch ist ein Unding, in sich verdreht und schräg abfallend. Ein gemütliches gemeinsames am Tisch sitzen und essen ist hier unmöglich. Und so drückt er Verbundenheit und problematisches Miteinander aus, sei es im großen Politischen oder in der intimen Begegnung der Figuren im Stück (im Laufe des Abends kommen auch noch Feldbetten mit ins Spiel; Bühne: Birgit Angele). Das Segel dient auch als Projektionsfläche für Videos von Meereswellen, vollen Flüchtlingsbooten, aber auch für eine angespannte Autofahrt durch eine nächtliche Großstadt und Livebilder von der Bühne (Idee und Konzept: Bernd Schmitt und Birgit Angele; Live-Kamera: Ayden Antanyos).

Intime Szenen wechseln mit großen Tableaus und trotz der Spieldauer von drei Stunden (inklusive einer Pause) kommt nie Langeweile auf. Was nicht zuletzt den überaus spielfreudigen Darstellern zu verdanken ist. Allen voran dem Tenor Manolito Mario Franz in der Titelrolle. Mit seiner stattlichen Figur und seinen langen gelockten schwarzen Haaren macht er schon rein äußerlich als Idomeneo einen überzeugenden Eindruck. Mit seiner dunkel gefärbten und durchschlagsstarken Tenorstimme drückt er auch die Seelenqualen gut aus, in denen sich Idomeneo befindet. Sehr stark ist auch die Ilia der Josefin Feiler. In ihrer zunächst unglücklichen Liebe zu Idamante betört sie mit ihrer lyrischen Sopranstimme.
Allrounderin Cornelia Lanz (Produktionsleitung, Initiatorin & Gesamtleitung Zuflucht Kultur e.V.) gibt den Sohn Idomeneos, Idamante. Szenisch ist sie von Anfang an sehr präsent. Ihre Mezzosopranstimme ist anfangs noch etwas verhalten, spätestens im dritten Akt aber dann wunderbar prägnant und ausdrucksstark. Die Elettra ist hier sehr damenhaft gezeichnet. Zunächst trägt sie eine Schürze, später ein elegantes Abendkleid (Kostüme: Birgit Angele). Tatjana Charalgina gibt sie als selbstbewusste, stolze Frau mit Charme, die aber auch ihre Krallen auszufahren weiß.
Musikalisch bietet die Inszenierung auch einige Besonderheiten. Einen klassischen Dirigenten gibt es beim Orchester BandArt nicht. Der musikalische Leiter Gordan Nikolic spielt zugleich die erste Violine. Dennoch klappt die Abstimmung zwischen Orchester und Sängern gut. Außerdem gibt es Soloeinlagen. Wie Samir Mansours Spiel auf der Kurzhalslaute (Oud), das er als Begleiter Idomeneo auf der Bühne gibt. Ein besondere Highlight ist der Philharmonia Chor Stuttgart. Sei es als heimkehrende Kreter oder aufgestellt zwischen beiden Bühnenseiten und Saal als Volk, die schwarz gekleideten Sänger zeigen vokal eindrucksvoll, warum Idomeneo als Mozarts Choroper schlechthin gilt.

Dem realitätsfernen glücklichen Ende der Oper setzt Regisseur Bernd Schmitt einiges entgegen. Elettra hat einen großen Abgang wenn sie sich erschießt. Und Idamante mutiert zu einem traumatisierten vermummten Kämpfer. Am Ende gibt es sogar eine Balletteinlage  der jungen Helen Sophie Schmitt. Doch ihre Unbekümmertheit und Leichtigkeit durch das Leben zu gehen ist bedroht, schließlich ist ein Maschinengewehr auf sie gerichtet. So verlässt man das Theater beglückt aber doch nachdenklich. Viel Applaus für diese vielseitigen und zeitgemäßen Beitrag zum Thema Krieg und Flucht.

Markus Gründig, November 16


Martha oder Der Markt zu Richmond

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
22. Oktober 16

kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Der Komponist Friedrich von Flotow, 1812 im Mecklenburgischen Teutendorf geboren und 1883 in Darmstadt verstorben, war nicht nur drei Mal verheiratet, er war als Komponist auch sehr aktiv. So komponierte er zahlreiche Bühnenwerke. Von diesen haben nur zwei es geschafft, nachhaltig Beachtung zu erfahren. Neben Alessandro Stradella (von 1844) gilt dies vor allem für die romantisch-komische Oper Martha oder Der Markt zu Richmond (von 1847). Sie schaffte es aus dem Stand zu einem Riesenerfolg, sogar international (vor allem in ihrer italienischen Fassung). Dennoch ist sie seit langem aus den Spielplänen der großen Häuser verschwunden. Die Oper Frankfurt, immer für eine Überraschung gut, hat diese, an die Spieloper angelehnte Mixtur aus romantischer Oper und Buffonerie nun mit viel Esprit, aus der Versenkung geholt (zuletzt wurde sie vor 67 Jahren in Frankfurt gespielt: 1949 in der Nachkriegsspielstätte Börsensaal). Dabei wurde der Text geringfügig geglättet, um ihn für heutiges Verständnis zu erleichtern. Wie Dramaturg Konrad Kuhn bei der Einführungsveranstaltung bei der besuchten Vorstellung unterstrich, ist das Genre Spieloper ein starkes Anliegen von Generalmusikdirektor Sebastian Weigle. Die Entscheidung für Martha jedoch fiel seitens des Intendanten Bernd Loebe.

Romantisch-komische Oper klingt zunächst irritierend, da sich diese Begriffe irgendwie ausschließen. Doch Flotow und der Librettist Wilhelm Friedrich schufen eine heitere und gemütsselige Oper, die weniger romantische Grundthemen verhandelt, als dass sie mit romantischen Liebesgeschichten aufwartet. Es stirbt keiner. Am Ende haben zwei Paare aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Ständen glücklich zueinander gefunden.

Martha oder Der Markt zu Richmond
Oper Frankfurt
Lyonel (AJ Glueckert) und Harriet/Martha (Maria Bengtsson)
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Regisseurin Katharina Thoma ist es hervorragend gelungen, diesen einstigen Kassenschlager für den heutigen Geschmack mit vielen ausgefallenen Details aufzubereiten. Sie setzt das Stück behutsam in die Moderne, ohne die Wurzeln zu verleugnen. Zur Partnersuche wird sich modernster elektronischer Mittel bedient und das Gemach von Lady Harriet Durham ist auch gleich einem großen iPad nachempfunden, das vom Bühnenhimmel herabschwebt.
Ansonsten besteht die Einheitsbühne aus einem mit dunklen Holz vertäfelten fensterlosen Raum mit vielen breiten Türen und einer biederen Blumentapete darüber. Die breiten Türen erweisen sich als bühnentechnischer Clou, da zahlreiche Aufbauten und Requisiten über diese Türen in den Raum kommen, denn der steht zum Teil auf einer Drehbühne. So können die zahlreichen Szenenwechsel schnell erfolgen (Bühnenbild: Etienne Pluss). Der Mägdemarkt von Richmond bietet dann auch keine mittelalterliche Szenerie für das im Jahr 1710 spielende Stück, sondern bayerische Wirtshausstimmung. Die Schar der Mägde trägt zünftige Dirndl, die Jägerinnen kommen als verlockende Häschen daher, die Meute der Wütenden mit Schweinsmasken (Kostüme: Irina Bartels). Als Referenz an unsere offene und tolerante Gesellschaft, gibt es auch eine männliche Magd, der seine Qualitäten anpreist und drei männliche Cheerleader.

In der Titelrolle des Edelfräuleins Martha, eine Glanzrolle für Koloratursopranistinnen, ist die gebürtige schwedische Sopranistin Maria Bengtsson zu erleben, die an der Oper Frankfurt bereits in ernsten Strauss-Rollen (Feldmarschallin in Der Rosenkavalier und Daphne in Daphne) für Begeisterung sorgte. Hier zeigt sie nun eine andere, die heitere Seite. Gleichgeblieben ist ihre betörende Höhe. Alle weiteren Rollen wurden mit Ensemblemitgliedern besetzt, die hier alle ihre humoristische Seite mit großer Spielfreude zeigen und natürlich auch alle großartig singen. Als Vertraute Marthas ist die Altistin Katharina Magiera zu sehen, als ihr Cousin Lord Tristan Mickleford, ganz auf britisch gestylt: Barnaby Rea. Nicht zuletzt ob der treffsicher gesetzten Musik von Flotow kann Tenor AJ Glueckert als Lyonel stark von sich überzeugen (wie bei „Ach so fromm, ach so traut“). Und auch Björn Bürger als Plumkett ist hier einmal von seiner komischen Seite zu erleben. Dazu Franz Mayer als trinkfreudiger Richter von Richmond.
In diesen Rausch aus heiteren Melodien und der immensen Spielfreude fügen sich sowohl Chor (Einstudierung Tilman Michael), wie auch das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter seinem musikalischen Direktor Sebastian Weigle spielend, vortrefflich ein.

Mit dem sentimentalen Ohrwurm und Wunschkonzertklassiker vergangener Tage „Letzte Rose“ im Ohr verlässt man vergnügt den bezaubernden Ausflug zum Markt von Richmond. Auch die weiteren Vorstellungen dürften wohl bald ausverkauft sein.

Markus Gründig, Oktober 16


Lohengrin

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
21. Oktober 16 (Wiederaufnahme-Premiere)

kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Der Zuspruch zu Richard Wagners Werken ist ungebrochen, was auch der hervorragende Kartenvorverkauf für die aktuelle Wiederaufnahmeserie von Lohengrin zeigt. Die durchdachte und kluge Inszenierung von Jens-Daniel Herzog aus dem Jahr 2009 (siehe auch Besprechung zur 1. Wiederaufnahme) wurde jetzt zum zweiten Mal wiederaufgenommen. Hierbei ist eine neue Besetzung zu erleben, die einige Überraschungen und einen großen Namen bietet.

Deutschlands Ausnahmekünstlerin Annette Dasch ist als Elsa von Brabant zu erleben. Die vielseitige und international tätige Sopranistin sang diese Partie in der Neuenfels-Inszenierung von 2010 bis 2015 bei den Bayreuther Festspielen (2014 lediglich ausgesetzt durch die Geburt Ihres zweiten Kindes) und wird sie demnächst an Deutschen Oper Berlin und dem Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel geben. Das sie jetzt bei dieser Wiederaufnahmeserie die Elsa gibt, ist der „Wahl-Frankfurterin“ und der Oper Frankfurt gleichermaßen zu verdanken. Von Routine ist bei ihr nichts zu spüren. Mit Glut und großer Innigkeit gibt die Singschauspielerin eine leidenschaftliche und sehnsuchtsvolle Elsa und ist dabei in allen Lagen überaus souverän.

Lohengrin
Oper Frankfurt
Lohengrin (Vincent Wolfsteiner; auf dem Tisch stehend), Ortrud (Sabine Hogrefe) und Friedrich von Telramund (Robert Hayward; wie Hogrefe rechts unten am Boden), sowie Chor und Extrachor der Oper Frankfurt
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Neben Annette Dasch ist ein Besuch aber auch wegen Ensemblemitglied Vincent Wolfsteiner zu empfehlen. Als Wagnersänger fiel er in Frankfurt bereits als Eric (Der fliegende Holländer) und bei der Ring-Wiederaufnahmeserie im Mai und Juni auf (als Siegfried in Siegfried und Götterdämmerung). In der Titelfigur gibt er hier sein Rollendebüt. An der Seite einer so starken Frau durchaus eine besondere Herausforderung. Die er aber souverän meistert. Da darf man sich nicht von Äußerlichkeiten ablenken lassen. Die Regie hat diesen Lohengrin allem Überirdischen enthoben und zeigt ihn weitestgehend barfüßig, mit zerflatterden Haaren und im Unterhemd eher als einen Underdog als einen strahlenden Helden. Vincent Wolfsteiner steht strahlend über alledem. Er besitzt nicht nur nachhaltige Durchschlagskraft, sondern überzeugt auch mit einem schön ausgewogenen Timbre, feinen Schattierungen und Farbnuancen.

Lohengrin
Oper Frankfurt
Elsa (Annette Dasch) mit Gottfried-Doubles (Statisterie der Oper Frankfurt) und im Hintergrund Ortrud (Sabine Hogrefe)
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Sehr gut miteinander agieren die „Gegenfiguren“, das dämonische Intrigantenpaar Friedrich von Telramund (kraftvoll: Robert Hayward) und seine Gemahlin Ortrud (stimmsicher, aber fast eine Spur zu liebenswürdig: Sabine Hogrefe). Nobel in Stimme und Äußeren, der Heinrich der Vogler (Andreas Bauer). Als Mann der Ordnung ist der Heerrufer ausgelegt (ruhender Pol und gleichsam anpackend: James Rutherford).

Mit betörender klanglicher Intensität und epischer Breite präsentiert sich der von Tilman Michael einstudierte Chor (Chor und Extrachor der Oper Frankfurt), insbesondere der Herrenchor, ganz besonders. Betörend der lyrische Gesang der Damen, wie das sehr feinfühlig gegebene „Treulich geführt ziehet dahin“ im 3. Aufzug.

Am Pult des Frankfurter Opern – und Museumsorchesters scheut Stefan Blunier große orchestrale, spannungsgeladene Dramatik nicht. Für alle Beteiligten sehr viel Applaus, für einen herrlichen Opernabend.

Für die verbleibenden vier Vorstellungen dieser Wiederaufnahmeserie gibt es nur noch wenige Karten (die Vorstellung vom 6. November 16 ist bereits ausverkauft).

Markus Gründig, Oktober 16


La Bohème

Staatstheater Mainz
Besuchte Vorstellung:
15. Oktober 16 (Premiere)

kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Keine zehn Jahre ist die letzte La Bohéme Inszenierung am Staatstheater Mainz her. In der Saison 2007/08 inszenierte Vera Nemirova Pucchinis Meisterwerk. Wer sich jetzt also fragt, warum nun eine neue La Bohéme auf dem Spielplan steht, dem sei gesagt: wegen Vida Miknewicute als Mimi. Mit ihrer subtilen Darstellung und ihrer außergewöhnlichen Stimme, die selbst im zartesten Piano noch weit in den Saal trägt, sorgt sie für Gänsehaut und feuchte Augen. Die gebürtige Litauerin ist seit 2011 Ensemblemitglied am Staatstheater Mainz (zuvor war sie Mitglied der Opernstudios in Zürich und Hamburg). Und auch die feurige Musetta der Dorin Rahardja ist ein Grund, sich nach Mainz aufzumachen. Sie hatte diese Rolle bereits am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen inne und überzeugt mit ihrer frischen und strahlenden Art (alternierend wird diese Rolle auch von Alexandra Samouilidou gegeben). Der Tenor Philippe Do sorgt mit dem nötigen Schmelz in der Stimme, die er stets sehr souverän führt, für einen leidenschaftlichen Rodolfo. Insbesondere bringt er das Hin- und Hergerissene der Figur gut zum Ausdruck. Lockenkopf Brett Carter bringt sich als sympathisch wirkender Youngster Marcello ein (beim Schlussbild ist es scheinbar dann so warm in der Studentenbude, dass er Shorts und Sandaletten trägt; Kostüme: Joost van Wijmen). Mit kraftvoller Stimme der Schaunard des Bariton Peter Felix Bauer. Im Zottellook des Colline (lange offene Haare und langer Bart) kann sich der Baß Georg Lickleder nicht ganz so stark wie sonst geben. Kammersänger Jürgen Rust hatte die Rolle von Musettas Liebhaber (Aleindoro) bereits bei der vorhergehenden Inszenierung inne und ist sowieso eine sichere Bank.
Imposant ist das große Choraufgebot im zweiten Akt (Einstudierung: Sebastian Hernandez-Laverny, mit zusätzlich vielen Mitgliedern des Mainzer Domchor und des Mädchenchors am Dom und St. Quintin (Einstudierung: Karsten Storck).
Generalmusikdirektor Hermann Bäumer sorgt mit dem Philharmonischen Staatsorchester Mainz für einen angemessen eleganten, feinen und mitunter glühenden Pucciniton.

La Bohème
Staatstheater Mainz
Mimi (Vida Mikneviciute)
© Andreas Etter

Die Inszenierung von Monique Wagemakers im Bühnenbild von Dirk Becker ist kühl, solide und zeitlos gehalten. Fast kammerspielartig zeigt sie die Leidensgeschichte der Mimi, die trotz der Beziehung zu Rodolfo eine vereinsamte Frau ist und bleibt. Nur selten kommen die beiden sich wirklich nahe.
Die Bühne ist alle vier Bilder über nahezu gleich. Sie zeigt einen fast leeren Raum eines Bürogebäudes mit einer niedrigen Decke und einer Glasfront, die den Blick auf eine große Glaskuppe eines öffentlichen Gebäudes frei lässt. Für die Szene im Bereich des Barrière d’Enfer im dritten Bild, wird ein Teil der Deckenkonstruktion entfernt, nicht zuletzt, weil jetzt stimmungsvoll zart etwas Schnee fällt. Zuvor wurde es im zweiten Bild (Quartier Latin) richtig eng auf der Bühne, da zwischen Fensterfront und Glaskuppel für die Masse an Volk der Platz kaum reicht (so dass die Musiker, zumindest im Parkett, gar nicht zu sehen sind). Für den weihnachtlichen Charakter gibt es einen großen Croquembouche und einen großen Husar-Nussknacker, für die Kinder zudem einen wohlgenährten Weihnachtsmann.

Sehr viel Applaus.

Markus Gründig, Oktober 16


Norma

Staatstheater Mainz
Besuchte Vorstellung:
1. Oktober 16

Göttinnendämmerung

kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Norma ist eine außergewöhnliche Frau. Einerseits ist sie als Druidenpriesterin des Kriegsgotts Irminsul fast schon selbst eine Gottheit, andererseits hat sie sich verbotenerweise mit einem römischen Prokonsul eingelassen (und hat auch noch zwei Kinder mit ihm). Und dann hat sich ihr Liebhaber auch noch in eine junge Novizin verliebt… Die Oper mit einem Libretto von Felice Romani bietet Emotionen und Konflikte pur und ist viel mehr als nur der Hit „Casta diva“ (der für viele immer noch mit Maria Callas verbunden ist). Als erste Opernproduktion der neuen Saison ist diese Oper nun am Staatstheater Mainz zu sehen, in der Urfassung. Die Inszenierung entstand als Koproduktion mit dem Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen, wo sie im März 2016 Premiere feierte.

Norma
Staatstheater Mainz
Oroveso (vorne stehend: Dong-Won Seo), Norma (hinten oben sitzend: Nadja Stefanoff), Chor
© Andreas Etter

Hausregisseurin Elisabeth Stöppler betont den Göttinnencharakter der Figur. So wird im Programmheft und auf einer Werbepostkarte zum Stück „Göttinnendämmerung“ (frei nach Wagners viertem Teil vom Ring des Nibelungen) tituliert. Die Inszenierung ist angenehm sachlich und bietet schöne Optiken (beeinflusst von der Performancekünstlerin Marina Abramovic). Der eigentliche Handlungsort, ein nächtlicher Hain, ist allerdings ausgeklammert. Stattdessen, durchaus passend, besteht die Bühne aus einer schmucklosen Wehranlage in U-Form. In deren Mitte befindet sich eine Mischung aus Loggia und Balkon. Dies ist der Platz der Priesterin Norma. Hier sitzt sie schon erhaben und in einem blauen Kleid und einer Sichel in der Hand, wenn das Publikum den Saal betritt. Ein Tisch dient auf der unteren Spielfläche als Opferungsaltar.
Zum Ende des 1. Akts fahren acht Bühnenscheinwerfer herab und bleiben auf halber Höhe stehen (was eine etwas ungewöhnliche Art ist, den artifiziellen Charakter der Szenerie zu betonen). Im zweiten Akt dient die Wehranlage als Projektionsfläche für abstrakte Schwarz-Weiß-Bilder, die nicht unmittelbar einen Bezug zum Stück herstellen (Bühne: Hermann Feuchter). Bei der nüchtern gehaltenen Bühne kommen die Kostüme von Nicole Pleuler gut zur Geltung. Für Nora gibt es zunächst ein leuchtendes blaues Abendkleid mit einem Beinschlitz (womit man hier am Puls der Zeit ist, hatte in dieser Woche doch die TV-Sendung Shopping Queen das Motto „Auf den Schlitz getreten – zeige mit deinem neuen Look, wie sexy Beinfreiheit sein kann!“). Später trägt sie dann den Look ihrer Landsleute und hat Kampfstiefel an.
Das Volk der Druiden trägt zunächst eine Art Mönchskutte, in einem hellen bläulichen Farbton. Die Schar der Novizinnen hingegen hat knallig gelbe Gewänder an. Der Chor ist stets sehr präsent (Einstudierung: Sebastian Hernandez-Laverny). Am Pult des Philharmonischen Staatsorchester Mainz agiert Clemens Schuldt (seit dieser Spielzeit Chefdirigent des Münchener Kammerorchesters) in der besuchten Vorstellung sehr sängerfreundlich.

Sopranistin Nadja Stefanoff verkörpert die Figur der Norma als die einer modernen, disziplinierten, selbstbewussten und willensstarken Frau, die aber auch eine starke emotionale Seite hat. Ist sie auch anfangs für ihre Kinder unerreichbar, wirkt sie, bei aller äußeren Gefasstheit, nie völlig unnahbar. Nadja Stefanoff hat auch ihren Gesangsstil der Rolle angepasst. Alles sehr akkurat und mit sicherer Stimmführung. Dabei aber immer voller Ausdruck und Wärme. Als Mitstreiterin um Pollione ist die Novizin Adalgisa der Marie-Christine Haase kein konträrer Punkt. Schließlich kommen sich die beiden im gemeinsamen Leid sehr nahe (Dramaturg Stepan Steinmetz spricht dann in diesem Zusammenhang im Programmheft von musikalischen Schwestern). Ihre Duette sind, neben „Casta diva“, ein Höhepunkt der Inszenierung. Auch stimmlich liegen sie nah beieinander, denn Haases lyrischer Sopran schmiegt sich herrlich an Stefanoffs Stimme an (zudem ist hier die Rolle der Clotilde nahezu in Adalgisa aufgegangen).
Der gebürtige Finne Joska Lehtinen ist hier als Pollione zu erleben. Eine Rolle, bei der Tenöre mit Spitzentönen die Magie des Belcanto unter Beweis stellen können, die als Figur betrachtet, aber nicht ganz so gut wegkommt. Irgendwie scheint er ja nicht zu wissen, wen er nun lieben will oder nicht. Lehtinen vermittelt den Pollione mit jugendlicher Leichtigkeit und stimmlicher Reife. Souverän nutzt der Dong-Won Seo seine Auftritte als Normas Vater Oroveso und gefällt mit seinem fundierten Bass.
Die kleine Rolle des Flavio wurde von Stöppler stark aufgewertet. Der Tenor Lars-Oliver Rühl ist hier nicht nur Sänger, sondern auch Sprecher. Fünfmal wird die Musik unterbrochen und er hinterfragt mit Texten des italienischen Filmregisseurs, Dichters und Essayisten Pier Paolo Pasolini leidenschaftlich das ewige sich bekriegen. Das macht er mit überzeugender Wirkung richtig gut, nur unterbrechen diese Szenen den musikalischen Fluss unnötig.
Anrührend wirkt das natürliche Spiel der aufgeweckten Kinder (in der besuchten Vorstellung Johanna und Rosa Esper, ansonsten auch Hannah und Julia Frik).
Zum Schluss wird es richtig pathetisch. Norma, die keinen Ausweg aus dem Dilemma zwischen Erfüllung ihres Gelübdes, Sorge um ihre Kinder und enttäuschter Liebe weiß, geht in den Tod: Göttinnendämmerung. Abweichend vom Libretto allerdings alleine, also ohne Pollione. Hierbei steigt sie bildgewaltig in einem schlichten weißen Gewand in den Himmel hoch. Ein famoses Schlussbild. Sehr viel Applaus.

Markus Gründig, Oktober 16

Elisabeth Stöpplers Inszenierung von Péter Eötvös Der goldene Drache an der Oper Frankfurt wird übrigens im Dezember in der Spielstätte Bockenheimer Depot wiederaufgenommen.


Der Sandmann

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
30. September 16

kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Auch die 15. Spielzeit unter der Intendanz von Bernd Loebe an der Oper Frankfurt verspricht wieder ein anspruchsvolles, abwechslungsreiches und nicht zuletzt unterhaltsames Programm. Nach der Wiederaufnahme der neue Wege gehenden Carmen, folgte nun als erste neue Produktion Andrea Lorenzo Scartazzinis Der Sandmann. Dabei handelt es sich um eine Oper in zehn Szenen nach Motiven der gleichnamigen Erzählung (1815) von E.T.A. Hoffmann (Text von Thomas Jonigk), die als Auftragswerk des Theater Basel dort am 20. Oktober 2012 uraufgeführt wurde. In der Regie von Christof Loy, ein auch in Frankfurt populärer Regisseur. Und wie schön öfters, wurde zu Saisonbeginn eine Produktion aus einem anderen Opernhaus übernommen, hier die Uraufführungsproduktion aus Basel, die in deutscher Erstaufführung zu sehen ist.

Wer beim Thema Sandmann an ein freundliches Wesen denkt, das Kinder wohlwollend in den Schlaf wiegt, ist hier völlig fehl am Platz. Der vielseitige Autor, Komponist und Maler E.T.A. Hoffmann (1776 – 1822), auf dessen Erzählung „Der Sandmann“ fußt, ist nicht umsonst ein Meister der grotesk-bizarren Erzählungen, die oftmals mit Dämonischen und Fantastischen verbunden sind. Anders als heutige Schauer- oder Horrorerzählungen gibt es bei ihm aber auch eine psychologische Komponente. „Der Sandmann“ gehört zu seinen Nachtstücken. Dabei geht es um die Albträume eines jungen Mannes, die sich in seiner Psyche festgesetzt haben und ihn schließlich besiegen. Thomas Jonigks Libretto folgt der Erzählung nicht stringent, sondern setzt sie für seine Bühnenfassung frei um. Andrea Lorenzo Scartazzinis, Schüler von Rudolf Kelterborn und Wolfgang Rihm, schrieb emotionelle Musik, die voller starker Effekte und modern ist, aber nicht verstört.
Und selbst komisch-grotesk anmutende Züge gibt es in dieser Oper, wie Dauerbeschüsse auf Nathanael, die sein Leben und sein Leid nicht beenden (das kann er nur selber).

Der Sandmann
Oper Frankfurt
Nathanael (Daniel Schmutzhard)
© Monika Rittershaus

Die Bühne von Barbara Pral zeigt einen nicht besonders hohen Raum, er ist ganz in Schwarz gehalten und wie ein riesiges Bild, von einem weißen Rahmen umsäumt. Fast könnte man diesen Raum auch als großen offenen Sarg ansehen. Dieser Raum ist fast leer. Nur am rechten Rand befindet sich eine Sitzbank, in der Mitte ein Tisch mit einer Schreibmaschine, der vor einem Stapel Bücher steht. Zwar gibt es offene schmale Fenster auf der linken Seite und Glasbausteine rechts, doch Sonnenstrahlen dringen in diese Finsternis nie ein. Einen Farbtupfer setzt allein das rote Abendkleid von Clarissa, das später auch all ihre zahlreichen Kopien tragen (Kostüme: Ursula Renzenbrink).

Bei dem knapp zehnminütigen Vorspiel sitzt der von Albträumen gezeichnete junge Künstler und Möchtegern-Schriftsteller Nathanael, bereits auf der Bank. Als dieser ist Ensemblemitglied Daniel Schmutzhard zu erleben, der hier eine nicht nur sehr umfangreiche, sondern auch sehr komplexe Rolle innehat. Diese meistert er, ohne seinen verschmitzten Charme zu verleugnen, großartig. Den Wahnsinn, der in seinen Alpträumen auflauert, vermittelt er ebenso glaubhaft, wie im Normalzustand seine Liebe zu Clara.
Die schwedische Sopranistin Agneta Eichenholz gibt erst eine sehr gefasste, weitestgehend kühle Clara und später eine herzlich strahlende und lockere Clarissa. Was insofern zunächst irritiert, da Clara ja ein Mensch, und Clarissa eine Maschine ist. In ihrem musikalischen Ausdruck sind sie auch gegensätzlich. Claras Töne sind nicht verstörend, Clarissa hingegen fällt vor allem durch ihre Oktavsprünge auf.
Sehr souverän ist das gerne im Gespann auftretende Paar der Untoten: Vater (Thomas Piffka) und Coppelius (Hans-Jürgen Schöpflin), die sich lustvoll an Nathanaels Leiden ergötzen. Sie zählen, wie auch Agneta Eichenholz, zur Uraufführungsbesetzung von Der Sandmann am Theater Basel. Mit dieser Produktion gibt der Baß Daniel Miroslaw sein Debüt an der Oper Frankfurt (der gebürtige Pole ist Absolvent der Juilliard School von New York und ersetzt im Ensemble Vuyani Mlinde, der dem Haus jedoch als Gastsänger verbunden bleibt). Daniel Miroslaw überrascht mit einer Stimme mit Wiedererkennungsfaktor.
Effektvoll sind die Auftritte des von Tilman Michael einstudierten Chors, selbst bei den Momenten, wo sie aus dem Off erklingen.
Die vielseitige Musik Scartazzinis wird vom Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung des ehemaligen Kapellmeisters Hartmut Keil zu einem anregenden und vielschichtigen Höreindruck.
Sehr viel Applaus.

Markus Gründig, Oktober 16


Operngala

Staatstheater Mainz
11. September 16

Auch dieses Jahr fand am Staatstheater Mainz zur Spielzeiteröffnung eine Operngala statt. Trotz hochsommerlicher Temperaturen und Spiel der 05er war das Haus sehr gut besucht. Das Interesse der Mainzer an ihrem Staatstheater ist ungebrochen und konnte sogar gesteigert werden (was sich in den offiziellen Zahlen widerspiegelt). Durch das abwechslungsreiche Programm der Gala führte charmant und wortgewandt Intendant Markus Müller. Er stellte Highlights der neuen Spielzeit vor (und ausgewählte Produktionen der vergangenen Spielzeit, die jetzt wiederaufgenommen werden) und weckte Interesse und Lust, sich die einzelnen Stücke dann auch komplett anzuschauen.
Auch seine dritte Spielzeit in Mainz beinhaltet ein ambitioniertes Programm, das Repertoireklassiker und Raritäten verbindet. Denn insbesondere der nachhaltige Überraschungserfolg von Pascal Dusapins Perelà – Uomo di fumo in der ersten Saison 2013/14 bestärkt das Haus, den eingeschlagenen Weg fortzuführen. In dieser Saison sind die Stücke, die die wenigsten Zuschauer schon einmal gesehen haben dürften: Paul Hindemiths Mathis der Maler (Premiere: 18. März 2017) und Benjamin Brittens A Midsummer Night’s Dream (Premiere: 12. Mai 2017). Die ursprünglich vorgesehene musikalische Vorstellung von Hindemiths Mathis der Maler musste bei der Operngala leider ausfallen, da sowohl der Bass Derrick Ballard, wie auch der Tenor Steven Ebel, erkrankt waren. Dennoch sorgten 17 Sänger und Sängerinnen, sowie der von Sebastian Hernandez-Laverny einstudierte Chor, für einen bunten Strauß großartiger Melodien, die das Publikum begeisterten.

Operngala
Staatstheater Mainz ~ 11. September 16
Ensemble, Chor, Philharmonisches Staatsorchester Mainz
© Martina Pipprich ~ martina-pipprich.de

Am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters wechselten sich die vier Dirigenten Hermann Bäumer (Generalmusikdirektor), Samuel Hogarth (Kapellmeister), Paul-Johannes Kirschner (Kapellmeister) und Clemens Schuldt (Dirigent in Residence) ab. Wie Intendant Markus Müller anmerkte, ist die Frauenquote in diesem Bereich ausnahmsweise noch ausbaufähig. Wobei nicht zu vergessen ist, dass hier einst eine Frau dem Orchester vorstand (Catherine Rückwardt beendete ihre 10-jährge Tätigkeit als Generalmusikdirektorin 2011).

Eröffnet wurde die Gala mit der schmissig dargebotenen Ouvertüre aus Norma. Bellinis Oper wird hier am 24. September 2016 Premiere haben. Bevor Marie-Christine Haase und Linda Sommerhage daraus das wunderschöne Duett „Mira, o Norma“ präsentierten, gab es noch Werke von Puccini und Poulenc. Drei Arien aus La Bohème stimmten auf die Premiere am 15. Oktober 16 ein. Bei diesen ragte die Arie der Mimi („Si. Mi chiamano Mimi“) heraus, die von der Sopranistin Vida Mikneviciute mit lyrischer Zärtlichkeit einnehmend gegeben wurde.
Die Wiederaufnahme von Francis Poulencs Dialoques des Carmeléltes wird am 29. Oktober 16 sein. Klangschön präsentierten daraus Johannes Mayer und der Damenchor die Szene des Beichtvaters („Ave verum“).

Ein bunter Mix bestimmte den zweiten Teil. Nach einem stürmischen Auftakt des Herrenchors mit „Steuermann, lass die Wacht“ aus Wagners Der Fliegende Holländer und der besänftigenden Arie des Daland (Mögst du mein Kind“) durch Kammersänger Hans-Otto Weiß, sorgte Countertenor Alin Deleanu mit der Arie des Oberon („Welcome Wanderer . I know a bank“ aus Brittens A Midsummer Night’s Dream für einen Stimmungskontrast. Peter Felix Bauer gab die Arie des Hidraot aus Glucks Armide („Armide!“) und Mezzosopranistin Geneviève King brachte sich bei der Szene La Haine („Je réponds à tes voeux“), ebenfalls aus Armide, mit starker Mimik groß zur Geltung (gemeinsam mit dem Chor).

Interessantes für die Ohren gab es bei drei Miniaturen aus der erfolgreichen Reihe „Hörtheater“, die natürlich in der Saison 2016/17 fortgeführt wird.
Als große Dreispartenproduktion wird im November 16 das Singspiel Im Weißen Rössl Premiere feiern. Die aktive Begeisterung, die schon beim vorgestellten „Mein Liebeslied muß ein Walzer sein“ (Dorin Rahardja und Alexander Spemann) und bei der einzigen Zugabe der Gala, „Im weißen Rößl am Wolfgangsee“ (alle), im Publikum ausbrach, lässt schon jetzt einen neuen Hit am Staatstheater Mainz erahnen.

Die neue Opern-Saison am Staatstheater Mainz startet am 24. September 16 mit der Premiere von Bellinis Norma, gefolgt von der Wiederaufnahme von Wagners Der fliegende Holländer am 28. September 16.

Markus Gründig, September 16


Carmen

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
4. September 16 (Wiederaufnahme-Premiere)

Die Sommerpause ist vorüber und die Oper Frankfurt startete mit einem nahezu ausverkauften Haus in die neue Spielzeit. Dies ist hervorragend und liegt nicht zuletzt an dem gezeigten Publikumsliebling, Bizets Carmen. Die Neuinszenierung von Barrie Kosky hatte erst im Juni 2016 Premiere. Sie zeigt, abseits althergebrachter Flamenco- und Zigeunertraditionen, einen ganz neuen Blick auf diese Opéra-comique (mit recht vielen gesprochenen Zwischentexten). Doch bevor der erste Takt erklang, betrat Intendant Bernd Loebe die Bühne. Und gab erst einmal Entwarnung. Nein, niemand sei krank oder indisponiert. Da es in der Sommerpause in der lokalen Presse allerhand Berichte zu einer möglichen Verlagerung der Spielstätte aufgrund anstehender umfassender Instandsetzungsmaßnahmen gab, lag ihm viel daran, sich zur Saisoneröffnung für den Erhalt von Oper und Schauspiel am Standort am Willy-Brandt-Platz auszusprechen. Dieses Votum richtete er an das Publikum wie an die Mitarbeiter des Hauses gleichermaßen. Es würde allein bis 2017 dauern, bis seriös ermitteltes Zahlenmaterial vorliegt, um dann eine Entscheidung treffen zu können. Und egal, wie das Ergebnis ausfallen werde, also ob die Städtischen Bühnen saniert oder durch einen Neubau ersetzt würden, die nächsten fünf Jahre wird hier erst einmal weiterhin Oper auf höchstem Niveau geboten werden Und dann begann sie, die 15. Saison unter der Intendanz von Bernd Loebe.

Carmen
Oper Frankfurt (Wiederaufnahme Saison 2016/17)
Carmen (Maria Pantiukhova)
© Barbara Aumüller ~ www.szenenfoto.de

Am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters sorgte der irische Dirigent Mark Shanahan für einen schwungvollen Einstieg in die Welt der selbstbewussten und hier von der Regie eher kühl denn feurig angelegten Carmencita, genannt Carmen. Als diese ist jetzt erstmals die junge russische Mezzosopranistin Maria Pantiukhova zu erleben. Ursprünglich war sie nur als alternierende Mercédès vorgesehen und Claudia Mahnke als Carmen. Doch es kam anders und die noch vom Opernstudio vertraute Maria Pantiukhova, die mit Beginn dieser Spielzeit Ensemblemitglied der Oper Frankfurt ist, gibt nun die Carmen. Chapeau vor dieser Leistung. Auch wenn Paula Murrihy, die Carmen der vergangenen Saison (und alternierende in dieser), ein Klasse für sich ist, in deren Fußstapfen zu treten und die Rolle für sich anzueignen, ist der Pantiukhova schon sehr gut gelungen.
Das Publikum würdigte beim Schlussapplaus auch besonders die Leistung der jungen Sopranistin Guanqun Yu als Bauernmädchen Micaëla, die mit großer Innigkeit ihre hingebungsvolle Liebe zu Don José ausdrückt. Wobei ihre voluminöse Stimme mitunter fast schon zu groß für diese zarte Figur scheint.

Carmen
Oper Frankfurt (Wiederaufnahme Saison 2016/17)
Escamillo (Kihwan Sim), Carmen (Maria Pantiukhova)
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Und es gibt bei dieser Wiederaufnahmeserie weitere interessante Neubesetzungen. Die Rolle des charismatischen Torero Escamillo übernahm jetzt nun der Bassbariton Kihwan Sim, wodurch die Figur schon stimmlich eine dunklere Note erhält. Iurii Samoilov strahlt als Serganten Moralès und als Schmuggels Dancaïro gleichermaßen. Seiner starken szenischen wie stimmlichen Präsenz wegen, werden sicher bald größere Rollen folgen. Trefflich fügten sich Thomas Faulkner als Leutnant Zuniga und Theo Lebow als Schmuggler Remendado ein, beide sind seit dieser Spielzeit Mitglieder des Ensembles.
Die beiden Freundinnen Carmens geben die gut gelaunt wirkende Elizabeth Reiter (Frasquita) und Judita Nagyová (Mercédès). Der kanadische Tenor Luc Robert ist erneut als innerlich zerrissener Sergeant Don José zu erleben. Er besticht mit elegant geführten Bögen und strahlender Höhe.
Und natürlich sind auch wieder die Tänzer und Tänzerinnen (Johanna BergerMadeline Ferricks-RosevearVeronica BracacciniMichael FernandezChristopher BasileRouven Pabst) mit von der Partie und begeisterten das Publikum durch ihre vielseitigen Körperbewegungen und Schritte. Lebhaft dabei ist natürlich auch wieder der von Tilman Michael einstudierte Chor (nebst Kinderchor).

Starker, lang anhaltender Beifall für diesen außergewöhnlichen Klassiker im neuen Gewand. Im Verlauf dieser Wiederaufnahmeserie werden weitere Sänger einzelne Rollen übernehmen.

Markus Gründig, September 16