
Dramatik von Anfang an: Wenn das Orchester zu spielen beginnt, ertönen brutal anmutende Töne. Dazu schrillt eine Trillerpfeife, es entsteht eine dichte und Angst schürende Atmosphäre. Und dies ganz zu Recht. Der Puppenspielerbauer Choregos (charmant wie diabolisch und mit baritonaler Wärme: Liviu Holender) lässt seine Puppen los. Allen voran Punch, der erst einmal sein Baby durch einen Fleischwolf dreht und daraus Würstel fertigt. Auf seinem Weg, seine Angebetete Judy für sich zu gewinnen, mordet er munter weiter. Schließlich wird er verurteilt, doch dann ist es der Henker selbst, der stirbt, nicht Punch.
Das grotesk-blutige Märchenspektakel Punch and Judy ist Harrison Birtwistles erste Oper, sie wurde 1968 im britischen Aldeburgh uraufgeführt. Punch and Judy steht für die englische Variante des deutschen Kasperltheaters.
Die Oper ist nichts für schwache Nerven (und Ohren), auch wenn die Puppen nicht leiden, nie lange tot sind und der Horror einfach nur grell überzeichnet ist. Regisseur Wolfgang Nägele, Hausregisseur am Theater Bielefeld, erzählt die absurde Geschichte äußerst ideenreich. Die gezeigte Brutalität ist so schräg, dass sie zwischendurch immer wieder komisch anmutet.

Oper Frankfurt
v.l.n.r. Choregos (Liviu Holender), Punch (Jarrett Porter); im Hintergrund: Lawyer (Sven Hjörleifsson), Judy (Cecelia Hall), Doctor (Alfred Reiter)
© Monika Rittershaus
Große Unterstützer hat Nägele im mit viel Spielfreude aufwartenden Ensemble der Oper Frankfurt, allen voran durch Bariton Jarrett Porter in der Partie des Punch. Die abartige Puppe gibt er changierend zwischen kindlicher Naivität und einem aus einem Irrenhaus entflohenen Insassen. Für diese Produktion ist die Koloratursopranistin Danae Kontora an die Oper Frankfurt zurückgekehrt. Als Pretty Polly besticht sie erneut mit ihrer extremen Höhe und zudem mit körperlicher Flexibilität. Denen beiden gegenüber wirken die Figuren Judy (Mezzosopranistin Cecelia Hall) und die beiden Volksvertreter Lawyer (Tenor Sven Hjörleifsson) und Doctor (Bass Alfred Reiter) fast schon „normal“.
Bühnenbildner Thilo Ullrich hat die von Birtwistle beschriebene Jahrmarktatmosphäre in der Außenspielstätte Bockenheimer Depot aufwendig in Szene gesetzt. Im Bühnenvordergrund befindet sich der Außenbereich eines Jahrmarkts, was mittig durch eine dunkle Fläche mit feinem Geröll angedeutet wird. Rechts steht die Puppenbude, die auch als Hotdog-Stand genutzt wird, daneben Stühle für das Puppentheaterpublikum. Das Orchester spielt von der linken Seite und ist dabei gut zu beobachten.
Ein zentrales Bühnenelement stellt ein „Circle of Death“ dar. Dabei handelt es sich um ein großes rundes Metallrad, einem Riesenrad ähnlich. Punchs Mordinstrumente prangen ebenso daran wie die vier Himmelsrichtungen, in die es Punch auf seiner Reise verschlägt. Dahinter befinden sich vier klaustrophobisch anmutende Räume (Jahrmarktsbuden), die abwechselnd in den Fokus rücken. In ihnen wirkt die knallig bunte Lackkleidung der Figuren besonders stark (Kostüme: Marlen Duken).
Birtwistles „Kompositionen vereinen eine progressive Ästhetik mit archaischer Wirkungskraft und emotionaler Dichte, sie sind oft inspiriert durch zeitgenössische Kunst sowie Rituale aus dem Bereich der klassischen Mythologie und der Frühgeschichte“ (Boosey & Hawkes). Dirigent Alden Glatt und das klein besetzte Frankfurter Opern- und Museumsorchester bringen Birtwistles komplexe Schauermusik groß heraus. Dabei spielen die Musiker mindestens jeweils zwei Instrumente, die beiden Perkussionisten zusammen gar rund 80. Mehrheitlich expressive Klänge gibt es zu Beginn, später stehen filigrane und lyrischere Tongeflechte im Mittelpunkt.
Im Hintergrund steht die Frage, wer letztlich für die Morde verantwortlich ist: die Puppe oder der Puppenspieler? Darüber lassen sich Parallelen in die Gegenwart ziehen: Wer wird beispielsweise künftig bei von der KI entwickelten Dingen letztlich verantwortlich sein: die KI oder deren Schöpfer?
Am Ende intensiver Beifall.
Markus Gründig, Dezember 25
Als Kontrastprogramm zu den derzeit im Opernhaus gespielten Werken (Die Banditen, Carmen, Mitridate und Tosca) gibt es „Punch and Judy“ an ausgewählten Tagen noch bis zum Jahresende im Bockenheimer Depot zu erleben (am 20.12. mit einem Nachgespräch).
Punch and Judy
A tragical comedy or comical tragedy in 1 act
Von: Harrison Birtwistle (1934–2022)
Text von: Stephen Pruslin
Uraufführung: 8. Juni 1968 (Aldeburgh, Jubilee Hall)
Premiere / Frankfurter Erstaufführung: Donnerstag, 11. Dezember 25 (Bockenheimer Depot)
Musikalische Leitung: Alden Gatt
Inszenierung: Wolfgang Nägele
Bühnenbild: Thilo Ullrich
Kostüme: Marlen Duken
Licht: Joachim Klein
Dramaturgie: Deborah Einspieler
Besetzung:
Pretty Polly / Witch: Danae Kontora
Judy / Fortune-Teller: Cecelia Hall
Lawyer: Sven Hjörleifsson
Punch: Jarrett Porter
Choregos / Jack Ketch: Liviu Holender
Doctor: Alfred Reiter
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
oper-frankfurt.de
