kulturfreak.de Besprechungsarchiv Liederabende etc., Teil 10

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Liederabend Dagmar Manzel (Gesang), Frank Schulte (Klavier), Ralf Templin (Gitarre), Arnulf Ballhorn (Kontrabass)

Oper Frankfurt, 27. Juni 17

kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Musik ist Seele
(Dagmar Manzel; Eingangstext zum Booklet ihrer CD MENSCHENsKIND)

Eine außergewöhnliche Künstlerin gestaltete den letzten Liederabend der Oper Frankfurt in der Spielzeit 2016/2017: Dagmar Manzel. Sie ist nicht nur eine überaus wandlungsfähige Schauspielerin im Theater, Film und Fernsehen, sondern auch eine Sängerin bei den unterschiedlichsten Musiktheaterproduktionen (insbesondere an der Komischen Oper Berlin). Für das renommierte Label Deutsche Grammophon nahm sie 2014 ihre Lieblingslieder von Friedrich Holländer auf. Das Album trägt den Titel MENSCHENsKIND (wie auch ihre jüngst erschienene Autobiografie) und ist ein bunter Querschnitt besinnlicher und heiterer Stücke eines Komponisten, dessen Melodien noch heute vielen bekannt sind. Schließlich hat er u. a. die legendäre Musik für den Film Der blaue Engel mit Marlene Dietrich geschrieben. Mit diesem Album-Programm tourt sie in unregelmäßigen Abständen durch die Republik, wie jetzt an der Oper Frankfurt.

Liederabend Dagmar Manzel (Gesang), Frank Schulte (Klavier), Ralf Templin (Gitarre), Arnulf Ballhorn (Kontrabass)
Oper Frankfurt, 27. Juni 17
Dagmar Manzel (im Hintergrund: Ralf Templin, Frank Schulte, Arnulf Ballhorn)
© Wolfgang Runkel

Zur musikalischen Unterstützung hatte sie drei versierte Musikerkollegen von der Komischen Oper Berlin mitgebracht, mit denen sie schon lange zusammen auftritt: Ralf Templin (Gitarre), Arnulf Ballhorn (Bass) und Frank Schulte (Klavier). Insbesondere die Gitarre erweiterte den Klangeindruck, in Richtung Fado anmutend, schön.

Dagmar Manzel ist eine routinierte Entertainerin, eine Diva ohne Allüren, die mit jugendlicher Frische und Neugier das Publikum in ihren Bann zieht. Ihr Chanson-Abend war in mancher Hinsicht anders, als es sonst Liederabende an der Oper Frankfurt sind. So gab es nicht nur nach jedem gesungenen Lied Applaus, sie begrüßte das Publikum, erklärte zwischen den Liedern ihre Auswahl und lockerte ihr Programm mit kurzen Gedichten und Anekdoten auf (und hatte eine handvoll Requisiten dabei, wie einen schwarzen Fächer, der einst Hollaenders erster Frau, der Sängerin Blandine Ebinger gehört hat).

Jedes der 21 gesungenen Lieder des „lachenden Melancholikers“ Hollaender sang sie mit einer eigenen Stimmfarbe, was ihr großes Talent ist. Von tiefen dunklen Tönen bis hin zu kindlich hohen, ihr Ausdrucksspektrum ist enorm. Darunter waren auch einige Lieder auf Englisch, wobei sie die auf Deutsch gesungenen intensiver vermittelt. Erst recht, wenn sie diese noch mit berlinerischem Akzent vorträgt (wie „Drei Wünsche“, ihr definitives Lieblingslied „Wenn ick mal tot bin“ oder „Das Nachtgespenst“). Ihre Qualität als Entertainerin zeigte sie ganz besonders bei „Die hysterische Ziege“. Besinnliches bot sie mit Liedern wie „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ und „Wiegenlied an eine Mutter“.

Weil sie sich mit ganz viel Seele jedem Lied zuwendet, kann sie auch viel an Emotionen aus jedem Lied herausholen, zaubert aus jedem noch so kleinem Lied einen großen Song heraus.
Sehr viel Applaus für ihre überaus souveräne und gelungene Darbietung und zum Dank fürs Publikum zwei Zugaben.

Markus Gründig, Juni 17

Die Zugaben:
Paul Abraham (1892-1960): „In meinen weißen Armen“ (1935)
Werner Richard Heymann (1896-1961): „Irgendwo auf der Welt“ (1932)


Warschau-Frankfurt-Transit

Oper Frankfurt (Holzfoyer), 8. Juni 17

Zum dritten Mal fanden unter dem Titel „Warschau-Frankfurt-Transit“ Austauschkonzerte zwischen dem Opernstudio der Oper Frankfurt und der Warschauer Akademia Operowa statt: Ende Mai ein Konzert im Redoutensaal des Teatr Wielki / Opera Narodowa in Warschau und jetzt eins im Holzfoyer der Oper Frankfurt. Wurde beim letzten Konzert in Frankfurt (Juni 2016) noch ausschließlich auf Deutsch gesungen, beinhaltete das erneut unter der künstlerischen Gesamtleitung von Eytan Pessen erstellte Programm ausschließlich slawische Werke so bekannter Komponisten wie Frédéric Chopin, Antonín Dvořák, Sergei W. Rachmaninow, Nikolai Rimsky-Korsakov und Peter I. Tschaikowski (die natürlich alle in ihrer Originalsprache gesungen wurden). Dabei dürften nur die allerwenigsten Stücke den meisten Zuhörern bekannt gewesen sein. Wahrscheinlich war es für einige der gegebenen Arien und Lieder eine Frankfurter Erstaufführung. Neben den aufgeführten bekannten Komponisten kamen auch Werke weiterer polnischer, tschechischer, ukrainischer und russischer Komponisten zu Gehör (Reinhold Glière, Mieczysław Karłowicz, Oleksandr Levyckyj, Stanislaw Ljudkewytsch, Nikolai Medtner, Stanisław Moniuszko, Feliks Nowowiejski, Ignacy Jan Paderewski, Avrom Reyzen, Karol Szymanowski und Jaromír Weinberger).

Warschau-Frankfurt-Transit
Oper Frankfurt (Holzfoyer), 8. Juni 17 (Schlussapplaus)
v.l.n.r.: Kyeong-Yeon Seo, Natalia Pawlaszek, Justyna Bluj, Agnieszka Grochala, Alison King
© Markus Gründig

Die Abendbesetzung entsprach zwar nicht der Ankündigung, zudem wurde der Termin relativ kurzfristig kommuniziert. Mit 21 anspruchsvollen Stücken boten die sieben Sänger jedoch ein großes Programm (dem man mehr Zuschauer gewünscht hätte). Jeder der sieben teilnehmenden Nachwuchssänger präsentierte drei Stücke. Den Gästen wurde zahlenmäßig der Vortritt gelassen (beteiligt waren fünf Sänger des Teatr Wielki und zwei des Frankfurter Opernstudios).

Die Sopranistin Justyna Bluj trumpfte mit der Arie „Ha! Dzieciątko nam umiera…“ des unglücklich verliebten Bauernmädchens Halka aus Stanisław Moniuszkos tragischen Oper Halka auf (die als Nationaloper Polens gilt).

Auf die nächste Opernpremiere in Frankfurt (Arthur Honegger dramatisches Oratorium Jeanne d’Arc au bûcher) wies gewissermaßen Mezzosopranistin Agnieszka Grochala hin. Sie präsentierte als großes Stück mit viel Glanz in der Stimme die Arie „Da, chas nastal!“ aus Tschaikowskis Oper Die Jungfrau von Orléans.

Die für die slawischen Komponisten typische Melancholie vermittelte ausdrucksstark vor allem der ukrainische Bassbariton Danylo Matviienko mit Liedern von Reinhold Glière. Wobei er auch das einzige Lied auf Deutsch sang, Nikolai Medtners Todesstimmung vermittelnde Lied „Meeresstille“ (Text von J. W. von Goethe).

Warschau-Frankfurt-Transit
Oper Frankfurt (Holzfoyer), 8. Juni 17 (Schlussapplaus)
v.l.n.r.: Eytan Pessen, Michael Golawski, Pawel Trojak, Slawomir Naborczyk, Mikolaj Trabka, Danylo Matviienko
© Markus Gründig

Viel Pathos vermittelte Tenor Slawomir Naborczyk bei jedem seiner vorgetragenen Stücke, vor allem aber mit der Arie „Czy Ty mnie kochasz“ des einfachen Fischers Domana aus Feliks Nowowiejski Oper Legenda Bałtyku (Ostseelegende vom Untergang der sagenhaften Stadt Vineta).

Die souveränste Präsenz vermittelte der bereits mehrfach ausgezeichnete Tenor Pawel Trojak. Seine Arie „Coz zapomenout mozno“ des Dudelsackpfeifers Švandy aus Jaromir Weinbergers Volksoper Švanda dudák (Schwanda, der Dudelsackpfeifer).

Die Sopranistin Alison King ist seit dieser Spielzeit Solistin des Opernstudios der Oper Frankfurt und war bereits auch schon in großen Partien auf der Opernbühne zu erleben (u. a. als Erste Dame (Die Zauberflöte) und als Musetta (La Bohème). Mit der Arie an den Mond („Měsíčku Na Nebi Hlubokém“) der Meerjungfrau Rusalka aus Antonín Dvořák gleichnamigen Oper brachte sie, das wohl einzig wirklich bekannte Stück, mit ihrer dunkel gefärbten Sopranstimme sehr emotionsstark ein.

Auch der Bariton Mikolaj Trabka zählt seit dieser Spielzeit zum Frankfurter Opernstudio, zuvor war er Stipendiat der Opernakademie des Teatr Wielki. Auch er gab sich bei seinen Vorträgen sehr souverän. Mit „mai ko mashma lon“ von Avrom Reyzen (Vorkämpfer des Jiddischen als Nationalsprache) sorgte er für einen furiosen Abschluss dieses großartigen Abends.

Große Emphase ist allen sieben Sängern zu attestieren, denen man für die weitere berufliche Entwicklung nur zu gerne das Beste wünscht!

Die jungen Sänger wurden am Klavier begleitet von Michael GolawskiNatalia PawlaszekEytan Pessen und Kyeong-Yeon Seo.

Markus Gründig, Juni 17


Liederabend Camilla Nylund (Sopran), Helmut Deutsch (Klavier)

Oper Frankfurt, 7. Juni 17

Die gebürtige Finnin Camilla Nylund hat sich vor allem als dramatischer Sopran mit Werken von Richard Strauss und Richard Wagner einen Namen gemacht. Sie zählt zu den weltweit führenden lyrisch-dramatischen Sopranen. An der Oper Frankfurt war sie schon mehrfach zu Gast. Und zeigte hier als Angèle Didier in Lehárs Operette Der Graf von Luxemburg (halbszenische Aufführung; CD bei Oehms Classics) auch eine andere Seite. In der nächsten Saison wird sie an der Oper Frankfurt ab Januar 2018 als Gräfin in Strauss´ Capriccio zu erleben sein (zuvor gibt sie an der Met in New York ihr Debüt im Rosenkavalier).
Bei ihrem vollen Terminkalender bleibt für das Kunstlied nicht ganz so viel Raum, umso erfreulicher, dass es nun mit einem Liederabend in Frankfurt geklappt hatte. Bei diesem präsentierte sie Lieder von Sibelius, Mahler und Strauss. Und tat dies, in einem pastellfarbenen Blumenkleid, so galant und souverän, als würde sie sonst nichts anderes machen. Mit subtilem Gespür für die richtige Betonung und Einsatz ihrer, zu äußerst kräftigem Aufblühen fähigen, schlanken und tragfähigen Stimme. Sämtliche Lieder sang sie frei von ausliegenden Noten. In sich ruhend wußte sie sehr genau, dem jeweiligen Text den passenden Ausdruck zu geben.

Liederabend Camilla Nylund (Sopran), Helmut Deutsch (Klavier)
Oper Frankfurt, 7. Juni 17
Helmut Deutsch (Klavier), Camilla Nylund (Sopran)
© Barbara Aumüller ~ www.szenenfoto.de

Camilla Nylund  begann mit Liedern ihres Landmannes Jean Sibelius. Wer schon einmal finnisch gehört hat, beispielsweise auf dem jährlichen finnischen Weihnachtsbasar in Frankfurt, wird diese Sprache so schnell nicht vergessen. Sie zählt zur finnougrischen Sprachfamilie und ist ganz anders als es die germanischen und romanischen Sprachen sind. Auch von den anderen skandinavischen Sprachen unterscheidet sich Finnisch grundlegend, ist nur eng verwandt mit dem Estnischen. Wobei rund 5 % der 5,4 Millionen Finnen Finnlandschweden sind und Schwedisch die zweite Amtssprache im Land ist. Zu den Finnlandschweden gehört sowohl Jean Sibelius, wie auch Camilla Nylund (die inzwischen mit ihrer Familie in Dresden lebt).
Schon die ungewöhnliche Klangfarbe der finnischen Sprache machte die Auswahl aus Sibelius´ umfangreichem Liedschaffen zu einem besonderen Hörerlebnis. Sibelius verzichtete bei seinen Vertonungen weitestgehend auf volksliedhafte Bezüge, vermittelt mit schweren, dunklen Harmonien Naturschwärmereien wie Liebesthemen. Fremdartig wirkte zunächst das eröffnende „Kaiutar“ (Die Echonymphe“). Ausdrucksstark dann „Säv, säv, suse“ („Schilfrohr, säusle“), das wunderschön im Piano endet. Ein Highlight bildete der intim anmutende Zuspruch eines Mädchens an eine verwelkende Rose: „Arioso“ (Arioso“). Das aufblühende Trauerlied „Svarta rosar“ („Schwarze Rosen“) beendete den Sibelius-Block.
Ihm folgte eine Auswahl an Liedern aus Gustavs Mahler Sammlung Des Knaben Wunderhorn. Mit außergewöhnlicher Innigkeit und Präsenz sang Camilla Nylund das unter die Haut gehende „Das irdische Licht“, eine traurige Erzählung eines hungernden Kindes, das schließlich auf der Totenbahre liegt. Dieses Lied weist schon auf Mahlers spätere düstere Grundstimmung hin. Diese kostete Nylund hier nicht aus und beendete den Mahler-Block mit dem heiteren „Wer hat dies Liedlein erdacht? und dem kokettierenden „Verlorene Müh“, einem Zwiegespräch zwischen einem verliebten „närrischen Dinterle“ und einem sie abweisenden „Büble“.
Neun anspruchsvolle Lieder von Richard Strauss bildeten den Abschluss ihres Programms. Dabei ragten vor allem „Die Georgine“, „Ich liebe dich“ (Minidrama) und „Beim Schlafengehen“ heraus. Am Klavier wurde Nylund vom gefragtesten und erfolgreichsten Liedbegleiter der Welt begleitet: Helmut Deutsch (der hier zuletzt im März Piotr Beczała begleitete). Insbesondere bei den Strauss-Liedern mit ihren Zwischenmelodien und Nachspielen konnte er sich auch als ausgezeichneter Pianist großartig einbringen.

Nylund und Deutsch erhielten nicht nur starken und lang anhaltenden Schlussapplaus (für den sie sich mit vier Zugaben beim Publikum bedankten), sondern auch viel Beifall zwischen den Liedgruppen.

Markus Gründig, Juni 17

Die Zugaben:
Jean Sibelius (1865-1957): „Våren flyktar hastigt“ („Frühling schwindet eilig“) op. 13/4 (1913)
Richard Strauss (1864-1949): „Cäcilie“ op. 27/2 (1894) und „Zueignung“ op. 10/1 (1885)
Hugo Wolf (1860-1903): „Auch kleine Dinge können uns entzücken“ (Nr. 1 aus Italienisches Liederbuch I; 1890/91)


Liederabend Anna Caterina Antonacci (Sopran), Donald Sulzen (Klavier)

Oper Frankfurt, 9. Mai 17

Lange hat man während er aktuellen Liederabendserie der Oper Frankfurt auf weibliche Interpretinnen warten müssen. Seit Oktober 2016 traten nur Baritone und Tenöre auf. Die italienische Sopranistin Anna Caterina Antonacci hat diesen Bann nun durchbrochen (ihr folgen im Juni noch Camillla Nylund und Dagmar Manzel). Diese Geschlechtertrennung dürfte jedoch ausschließlich der Terminplanung der Sänger geschuldet sein. In der Saison 2017/2018 wird es wieder einen steten Wechsel zwischen Sopranen/Mezzosopranen und Baritone/Tenören geben.

Anna Caterina Antonacci, „eine der aufregendsten italienischen Sopranistinnen“ (Programmheft), war jetzt erstmals zu Gast an der Oper Frankfurt. Mit der Interpretation von mythenumwobenen Frauenfiguren und große Heroinen der Operngeschichte hat sie u. a. am Teatro alla Scala in Mailand, Salzburg und London für Furore gesorgt. Und auch den Liederabend an der Oper Frankfurt kann sie für sich als Triumph verbuchen. Sie bestach mit einem vielseitigen Programm, dass sie hochprofessionell und konzentriert präsentierte.

Liederabend Anna Caterina Antonacci (Sopran), Donald Sulzen (Klavier)
Oper Frankfurt, 9. Mai 1
Donald Sulzen, Anna Caterina Antonacci
© Wolfgang Runkel

Dabei wählte die Mezzosopranistin französische und italienische Komponisten (Berlioz, Debussy Hahn, Poulenc und Respighi). Eine Anlaufzeit brauchte sie nicht. Bereits beim ersten Ton des eröffnenden „Mort d’ Ophèlie“ von Hector Berlioz war man von ihrer besonderen Stimme beeindruckt, die warm im Klang, gut fokussiert und kraftvoll ist. Selbst ein schlichtes „a“, „u“ oder „o“, wie sie es am Ende von Ophelies Tod aushauchte, bekommt bei ihr großes Format. Nichts überlässt sie dem Zufall, jede Silbe, jeder Ton wird wohl überlegt zum schönen Klang gebracht. Dabei präsentierte sie sich dezent und mit wenigen Gesten, suchte gleichwohl auch mit den Augen den Kontakt zum Publikum.

Überaus innig erzählte sie Debussys Miniatur  „La Flute de Pan“, aus dem sie kunstvoll und dennoch berührend ein feines, ruhiges Drama machte. Doch auch expressive Töne muss sie nicht scheuen, was sie mit Debussys bewegtem „Le Tombeau des Naiades“ bewies. Der italienische Komponist Ottorino Respighi dürfte den meisten unbekannt sein, dabei gilt sein Schaffen zu den bedeutendsten Beiträge zur italienischen Musik nach Puccini. Seine Lieder haben einen farbenreichen und differenzierten Klanghintergrund, bei denen dennoch italienischer Melos und Ausdruck hervortönen. Sein unpathetisches poemetto lirico „Ilt tramonto“ war der Höhepunkt des Abends. Denn hier wurde Anna Caterina Antonacci vom Hindemith Quartett (Ingo de Haas, Violine; Joachim Ulbrich, Violine; Thomas Rössel, Viola; Daniel Robert Graf, Violoncello) begleitet. Das circa 15minütige Werk folgt der melancholischen Grundstimmung romantischer Lieder und der Liebestodthematik.
Wobei der gebürtige US-Amerikaner Donald Sulzen am Klavier bei allen anderen Lieder ein großartiger Unterstützer und Begleiter für Anna Caterina Antonacci war. Die beiden harmonierten sehr gut miteinander.
Auch bei den im zweiten Programmteil vorgetragenen Liedern von Francis Poulenc (Zyklus „La Fraicheur et le feu2), Maurice Ravel („Cing Mélodies populaires greques“) und Reynaldo Hahn war Anna Caterina Antonacci ganz bei sich und dem Publikum, trug sämtliche Lieder, die zum Teil sehr lange Texte hatten, frei von ausliegenden Noten vor (nur bei „Ilt tramonto“ hatte sie, quasi zur Absicherung, Noten im offenen Flügel „versteckt“). Bei letzteren, Reynaldo Hahns Zyklus „Venedig“, war Anna Caterina Antonacci fast wie verwandelt, nun deutlich gelöster. Wunderschön hieraus „La barcheta“, bei dem man das entzückende Gefühl über ein gemeinsames Liebesglück in einem kleinen Boot fast glaubte, selbst erlebt zu haben.
Am Ende sehr viel Applaus für Anna Caterina Antonacci, die sich mit einer heiteren Zugabe im rasanten Tempo bedankte.

Markus Gründig, Mai 17

Die Zugabe:
Gerónimo Giménez y Bellido (1854-1923): „La tarántula é un bicho mu malo“ aus der Zarzuela La tempranica (1900)


Liederabend Ludwig Mittelhammer (….singt Lieder im Foyer)

Oper Frankfurt, Dienstag, 21. April 17 (Holzfoyer)

Formidabel

Wer denkt, Mitglieder eines Opernstudios seien unerfahrene Uniabsolventen, liegt meist falsch. Insbesondere was den Bariton Ludwig Mittelhammer anbelangt. Er war nicht nur schon als Knabe Sopransolist im Tölzer Knabenchor und nach seinem Stimmbruch Mitglied der Bayerischen Singakademie, sondern auch schon u. a. als Eustachio (I pazzi per progetto), Georges (Le bal) und Nardo (La finta giardiniera) im Prinzregententheater, sowie als Háraschta (Das schlaue Füchslein) am Staatstheater am Gärtnerplatz in München zu erleben. Vor allem ist an dieser Stelle interessant, dass er bereits ein ausgezeichneter und erfahrener Liedsänger ist (und Stipendiat von „Live music now – Yehudi Menuhin“ sowie des Deutschen Bühnenvereins, 2015 wurde er zudem mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet). Am 19. November 2017 wird der „formidably talented young baritone“ mit einem Recital an der Londener Wigmore Hall debütieren (von deren Webseite auch das Zitat stammt).
An dem U-30 Sänger (Jahrgang 1989) kann sich manch Kollege als Referenz für einen Liederabend orientieren, denn sein Gesamtpaket aus klarer Artikulation, vielen Klangfarben und wandlungsfähiger Modulation ist perfekt gepaart mit einer starken Präsenz und wird abgerundet von einer überaus charmanten Ausstrahlung. Auch sang er, anders als manch gestandener Kollege, sämtliche 14 Lieder frei, also ohne ausliegende Noten (und ließ sich auch nicht vom Lärm einer über 100-köpfigen Gruppe junger Leute stören, die gegenüber der Oper eine fröhliche Party feierten, sangen und tanzten).
Bei seiner Liedauswahl beschränkte er sich auf zwei Größen der Romantik: Franz Schubert und Hugo Wolf. Von diesen wählte er einen Querschnitt an Liedern, der sehr gut zu ihm passte. Mit Themen die die Liebe behandeln, aber auch zahlreiche mit humoristischer Note und manch bitter ernstes Lied.

Ludwig Mittelhammer
© Wolfgang Runkel

Mit Franz Schubert (1797-1829) begann Mittelhammer. Wo „Auf einer Bruck“ noch eher einleitend wirkte, zeigte er schon beim sehnsuchtsvollen und von einer dezenten humoristischen Note geprägten „Alinde“ großes Einfühlungsvermögen, das mit träumerischer Elegie von „An den Mond“ getoppt wurde. Mittelhammer hatte auch keine Scheu eines der größten Kunstlieder überhaupt zu singen, den „Erlkönig“, den Schubert als 18-jähriger komponiert hat (nach Goethes gleichnamigem Gedicht). Großartig, wie er hier die Stimmfarben für die vier Personen (Erzähler, Vater, Kind und des gespenstischen Verfolgers) vortrug. Hilko Dumno am Klavier war nicht nur bei diesem Lied, wo der Pianist stark gefordert ist, ein solider Begleiter. Insbesondere die Lieder von Hugo Wolf (1860-1903) mit ihren ausgeprägten Vor- und Nachspielen ließen auch ihm viel Raum.
Nach einer kurzen Pause eröffnete Mittelhammer die Wolf-Liedgruppe mit dem fröhlich stimmenden Morgenlied „Fußreise“, gefolgt vom zarten „Der Knabe und das Immlein“, das von einem jungen Liebenden handelt, der sehnsuchtsvoll auf Nachricht seiner Liebsten wartet, die aber  noch gar nichts von der Liebe weiß. Ganz in seinem Element und mit ansteckender Lebensfreude präsentierte der Bariton die heiteren „Der Tambour“ (dessen Mutter ihm leckeres Essen herbeihexen soll) und das finale „Storchenbotschaft“ (Ankündigung einer Zwillingsgeburt). Seine Fähigkeit, auch Abgründiges, Verklärtes mit Bravour zu singen, bewies er mit „An einer Äolsharfe und „Gesang Weylas“.
Die Freude die Ludwig Mittelhammer beim Liedgesang hat, übertrug sich unmittelbar auf die Zuschauer: Starker, begeisterter Applaus für den er sich mit zwei Zugaben bedankte.

Markus Gründig, April 17

Die Zugaben:
– Hugo Wolf: „Abschied“ (Nr. 53 der Mörike-Lieder)
– Franz Schubert: „Wandrers Nachtlied“ D 768


Liederabend Piotr Beczała (Tenor), Helmut Deutsch (Klavier)

Oper Frankfurt, 14. März 17

Manchmal denke ich, dass ich nur schlief,
Dass mein Leben ein Traum war,
Und ich das Paradies meiner Kindheit
Eines Tages wiederfinde!


(aus Mieczysław Karłowiczs „Pamiętam ciche, jasne, złote dnie“, Text: Kazimierz Przerwa-Tetmajer)

Seit Langem erfreut sich die Liederabendreihe der Oper Frankfurt einer nachhaltig großen Nachfrage. Dabei sorgte der jüngste Liederabend für einen wahren Ansturm, denn der gebürtige polnische Tenor Piotr Beczała hatte sich angekündigt. Vor gut 10 Jahren hat er hier bereits den Alfredo Germont in Verdis La Traviata und die Titelpartie in Massenets Werther gegeben. Inzwischen ist er regelmäßig an allen bedeutenden internationalen Opernhäusern tätig. Insofern war es nicht untertrieben, wenn die Oper Frankfurt in der Ankündigung für diesen Abend darauf hinwies, dass man sonst nach London, New York, Wien oder Salzburg reisen müsse, um live in den Genuss von Beczałas Stimme zu kommen. Mit seiner warmen und kräftigen Stimme zählt er zu den weltbesten Tenören. Stete Weiterentwicklung ist ihm wichtig, auch in stimmlicher Hinsicht. Im letzten Mai gab er an der Seite von Anna Netrebko und unter der musikalischen Leitung von Christian Thielemann sein Rollendebüt im dramatischen Fach, als Lohengrin an der Semperoper in Dresden (in Richard Wagners gleichnamiger Oper). Eine Aufzeichnung davon sendet ARTE am 30. April 17 ab 22.50 Uhr.

In diesem Monat ist er auf einer Liederabendtour unterwegs. Mit Stationen in Bilbao, Las Palmas, Warschau, Graz, Berlin, Hamburg, Heidelberg und Zagreb. Frankfurt liegt dabei in der Mitte. Der Liederabendtour folgt am 7. Mai die Teilnahme an der großen 50th Anniversary Gala der Metropolitan Opera in New York (an der u. a. auch Diana Damrau, Joyce DiDonato, Plácido Domingo, Yusif Eyvazov, Renée Fleming, Juan Diego Flórez, Elīna Garanča, Vittorio Grigolo, Željko Lučić, Anna Netrebko, René Pape, Matthew Polenzani, Rolando Villazón, Michael Volle, Pretty Yende und Sonya Yoncheva teilnehmen). Aktuell gibt es noch Karten (im Parkett und 2. Rang für 1.966 US$). Alternativ wäre ein Trip nach Zürich günstiger. Dort wird Beczała im Mai und Juni als Prinz Sou-Chong am Opernhaus Zürich in Lèhars Das Land des Lächelns zu erleben sein.

Liederabend Piotr Beczała (Tenor), Helmut Deutsch (Klavier)
Oper Frankfurt, 28. Februar 17
Helmut Deutsch, Piotr Beczała
© Wolfgang Runkel

Neben dem populären Zyklus Dichterliebe von Robert Schumann (den sangen hier zuletzt 2010 Pavol Breslik, 2011 Daniel Behle und 2014 Björn Bürger) und Antonin Dvořáks Zigeunermelodien (sangen hier zuletzt 2010 Pavol Breslik und 2015 Jamie Barton), wählte Beczała für seine aktuelle Liederabendtour auch unbekannte Lieder des polnischen Komponisten Mieczysław Karłowicz und des russischen Komponisten Sergei W. Rachmaninow.
Die Dichterliebe stand zu Beginn seines Programms. Der Zyklus ist vielen vertraut, dabei hat jeder eine andere Aufnahme im Ohr, sei sie von Größen wie Fritz Wunderlich, Dietrich Fischer-Dieskau, Thomas Quasthoff oder Christian Gerhaher. Beczała fand seinen eigenen Zugang zu diesem Werk und einen ganz eigenen Stil. Dieser war weniger an die deutsche romantische Liedtradition gebunden, als dass er ihn wie einen bunten Strauß präsentierte. Souveränität im Auftreten ist bei ihm selbstverständlich, wie auch viel Charme und stets ein freundliches Lächeln (zudem verzichtete er auf ausliegende Noten). Mit wenigen Gesten, oftmals nur die rechte Hand am Flügel, präsentierte er jedes der sechzehn Lieder mit eigener Färbung. Dabei brachte er viel Ausdruck ein, und sang mit bemerkenswerter Deutlichkeit, auch wenn seine Opernstimme mitunter dominierte und manches Lied ungewohnt erklang. Ein besonderes Highlight war der großen Intimität wegen „Ich hab im Traum geweinet“.
Grandseigneur Helmut Deutsch am Klavier war ihm stets mehr als ein Begleiter, er gestaltete die Lieder intensiv mit, brachte sich nicht nur bei den Nachspielen (wie bei „Am leuchtenden Sommermorgen“ oder „Die alten, bösen Lieder“) mit Nachdruck ein.

Nach der Pause folgten zunächst acht Lieder des recht jung verstorbenen Mieczysław Karłowicz. Die kurzweiligen Miniaturen handelten von vergangenem Liebesglück und einem wehmütigen Rückblick auf unbeschwerte Kindheitstage. Stärker noch als bei Schumann konnte sich Beczała hier mit arios aufblühender Stimme präsentieren (wie bei „Skąd pierwsze gwiazd“ / „Zu den ersten Sternen“ oder bei „Najpiękniejsze piosnki“ („Die schönsten Lieder“). Das im zartesten Piano endende und innigst vorgetragene „Pamiętam ciche, jasne, złote dnieführende“ / „Ich erinnere mich an ruhige, goldene Tage“) beendete diesen Teil.
Mit sich ins Expressive steigernd folgten die Zigeunermelodien von Antonin Dvořák, die Beczała mit viel Glut und Leidenschaft sang. Mit vier Liedern von Sergei W. Rachmaninow beendete er diesen Liederabend (strahlend mit „Wesennije wodi“ / „Frühlingsrauschen“), für den er nicht nur starken und lang anhaltenden Schlussapplaus, sondern auch schon zwischen den Liedgruppen überdurchschnittlich starken Beifall erhalten hatte. Drei Zugaben steigerten die Freude des ohnehin schon beglückten Publikums.

Markus Gründig, März 17

Die Zugaben:
Ruggero Leoncavallo (1857-1919): „Mattinata“
Stanisław Moniuszko (1819-1872): “Prząśniczka” / “Die Spinnerin”
Richard Strauss (1864-1949): „Zueignung“


Liederabend Lawrence Zazzo (Countertenor), Simon Lepper (Klavier)

Oper Frankfurt, 28. Februar 17

“You´ve heard it
said that laughter’ s best
when it is last
Pitch can be a bitch!
But so can I”

(John Hall, aus Jake Heggies “The Trouble with Trebles in Trousers)

Dass Countertenor Philippe Jaroussky im Januar 2017 beim Eröffnungskonzert der Hamburger Elbphilharmonie mitwirkte, war ein deutliches Signal. Nicht nur für die Internationalität der Musikszene, sondern auch für Diversität. An der Oper Frankfurt sind Countertenöre schon lange regelmäßig zu Gast, sowohl bei Operproduktionen wie auch bei der Liederabendreihe. Jetzt gab der US-Amerikaner Laurence Zazzo hier seinen ersten Liederabend. Dem Frankfurter Publikum fiel Zazzo zuletzt in seiner hingebungsvoll gegebenen Partie des Arsamene in Händels Xerxes auf.
Bei seinem Liederabend präsentierte der promovierte Musikwissenschaftler ein Programm, das sich einem direkten Vergleich mit seinen Sängerkollegen weitestgehend entzog, denn er verzichtete auf Lieder von Schubert, Schumann und Co. Stattdessen bot er unter dem Titel „Songs my Mother Taught me“ eine nicht alltägliche Auswahl an American Art Songs des 20. Jahrhunderts. Im ersten Programmteil präsentierte er eine Auswahl von den etwas bekannteren Komponisten Charles Ives und Samuel Barber, im zweiten Programmteil eine Auswahl der weitestgehend unbekannten Komponisten Ned Orem, Missy Mazzoli, William Bolcom und Jake Heggie. In beiden Teilen zeigte er eine große Bühnenpräsenz, eine große Bandbreite an musikalischen Ausdrucksvermögen von zarten bis hin zu plakativ, ja fast schon grellen expressiven Tönen. Dabei wirkte er stets sehr entspannt, so als würde er vor seinen besten Freunden singen und das Leben feiern. Auch hatte er keine Probleme damit, sich selbst auf die Schippe zu nehmen. Es war ein facettenreicher Abend, den man gerne in Erinnerung behält.

Liederabend Lawrence Zazzo (Countertenor), Simon Lepper (Klavier)
Oper Frankfurt, 28. Februar 17
Lawrence Zazzo
© Wolfgang Runkel

Schon beim eröffnenden „Very Pleasant“ von Charles Ives griff Zazzo die Erwartungshaltung des Publikums auf, um diese weiter auf die Spitze zu treiben, geht es in dem Lied doch um die Spannung bei einem Besuch in der Oper, bevor sich der Vorhang hebt. Wer jetzt dachte, dass kann ja heiter werden, hatte sich getäuscht. Auch wenn Zazzo was Grimassen, Komik und Körpersprache anbelangt, sehr gewitzt agiert, kann er auch Ernst und Leiden vermitteln. Wie bei dem darauf folgenden melancholisch gestimmten „Rather Sad“ und dem, den Abend den Titel gebenden, „Songs my Mother Taught me“. Erfrischend wirkte die Auswahl an Liedern aus Samuel Barber von dessen Hermit Songs, ob mit ihren spitzen Texten überraschten und von denen ganz besonders „Saint Ita´s Vision“ und das innig vorgetragene „The Desire for Hermitage“ gefiel.
Der Teil nach der Pause wirkte noch stärker. Er begann mit fünf ergreifenden Kriegsimpressionen (Ned Rorems War Scenes). Für das nachfolgende „As long as we live“ von Missy Mazzoli wurde Zazzo ein Notenständer aufgestellt. Doch brauchte er den weniger zum Notenlesen, als um ihn bei dem sich anschließenden schmissigen „Song of Black Max“ von William Bolcom als Ablage für sein schwarzes Jackett zu nutzen. Bei den Liedern von Bolcom, nun ein weinrotes Samtjackett tragend, legte er noch einmal zu. Heiter beschwingt, doch stets akkurat, teilte er seine Freude an diesen Liedern mit dem Publikum. Und folgte dem Aufruf in der Ode an den Freund „George“ „Get youself a drink“, indem er sich einen Cocktail genehmigte und an den Pianisten Simon Lepper weiterreichte. Lepper begleitete an der Oper Frankfurt bereits Mark Padmore und Stéphane Degout. Als Professor für Liedbegleitung ist er ein Meister seines Fachs und war somit eine perfekte Stütze für Zazzo.
Heiterer Schlusspunkt war Jake Heggies „The Trouble with Trebles in Trousers”, bei dem die Wirkung des Gesangs der Countertenöre auf die Umwelt mit einem zwinkernden Auge porträtiert wird. Das Lied endet mit „Wer zuletzt lacht, lacht am besten, Stimme kann ein Miststück sein! Aber ich auch“. Ein furioser Abschluss, dem sehr viel Applaus folgte, für die sich Zazzo charmant mit drei Zugaben bedankte.

Markus Gründig, März 17

Die Zugaben:
Leonard Bernstein (1918-1990): „Greeting“, Nr. 5 der Arias and Barcarolles (1955 / 1988)
Georg Friedrich Händel (1685-1759): „Yet can I hear that dulcet lay“ aus dem Oratorium The Choice of Hercules HWV 69 (1751)
Charles Ives (1874-1954): “My native land” (1897)


Ma(i)nhatta. Stummfilm-Musik-Varieté

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 24. Februar 17

Livemusik zu Stummfilmvorführungen ist zwar nicht oft, aber doch immer wieder einmal zu erleben. Beispielsweise zu Fritz Langs legendärem Film Metropolis. Eine ganz herausragende Stummfilmvorführung bot jetzt die Oper Frankfurt unter dem Titel Ma(i)nhatta. Stummfilm-Musik-Varieté. Schließlich gab es in der nah gelegenen Kaiserstraße schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Kinematographen-Theater. Unter Bezugnahme auf die historische Aufführungspraxis von Stummfilmen zur Zeit der 1910er Jahre, wurde sehr viel mehr gezeigt, als nur mit Livemusik unterlegte Stummfilme. Ein revueartiger Mix von Film- und Bühnennummern mit Schattentänzer, Opernsängern und einem rasanten live-Act von Künstlern auf Rollen. Sie lockerten zwischen den gezeigten Filmen das Programm auf und verdeutlichten, das einst ein Kinobesuch weit mehr als eine bloße Filmbetrachtung war. Der Abend erfolgte in Kooperation mit den Sendern ZDF und Arte und war in einer ähnlichen Form 2015 an der Komische Oper Berlin zu erleben. In der sehr gut besuchten Vorstellung der Frankfurter Oper waren im sehr gemischten Publikum auch sehr viele jüngere Besucher auszumachen.

Ma(i)nhatta. Stummfilm-Musik-Varieté
Oper Frankfurt
Musiker der hr-Bigband und des Ensemble Modern vor einer Szene aus Charlie Chaplins The Immigrant (1916)
© Barbara Aumüller ~ www.szenenfoto.de

Mit historischen Filmaufnahmen aus dem alten Frankfurt begann der Abend. Frankfurts Tradition als Messestadt währt schon mehrere Jahrhunderte, doch wer kennt schon die ILA? Hier gab es jetzt Bewegtbilder von ihr zu sehen, von der Internationalen Luftschifffahrt-Ausstellung, die mit Luftschiffen, Ballonen und Flugzeugen vom 10. Juli bis 17. Oktober 1909 rund 1,5 Millionen Besucher angelockt hatte. Doch auch die erste Straßenbahnen an Zeil und Hauptwache, wie auch Bilder der viel zu engen Altstadt mitsamt ihren Dachgärten („Belvederchen“), die Badeanstalt am Mainufer und der Bootsweiher im Palmengarten weckten nostalgische Gefühle. Und wer hätte gedacht, dass man damals innerhalb von gut 80 Stunden mit einem Zeppelin von Frankfurt nach New York reisen konnte?
Sodann zogen musizierend die Musiker, Mitglieder der hr-Bigband und des Ensemble Modern, über die Bühne in den erhöhten Orchestergraben. In der ersten Programmhälfte spielten Sie Kompositionen ihres hier mitwirkenden Kollegen Uwe Dierksen (er ist seit vielen Jahren Posaunist im Ensemble Modern). Ein gelungener Mix aus Brass, Cakewalk, Swing, und modernen Jazz-Elementen bildeten einen stimmungsvollen Klangteppich für die szenischen und filmischen Bilder. Ein vielschichtiger Sound, mit den unterschiedlichsten Instrumenten, bei dem ein Sousaphon mit seinem weit ausladenden Schallbecher optisch den stärksten Eindruck machte.

Ma(i)nhatta. Stummfilm-Musik-Varieté
Oper Frankfurt
Musiker der hr-Bigband und des Ensemble Modern vor dem Tanzensemble
© Barbara Aumüller ~ www.szenenfoto.de

Sechs Tänzer zeigten ein lebhaftes Schattenspiel über Annäherungen und Trennungen, bei dem sie über sich hinauswuchsen. Mit einem Einwanderungsschiff ging es dann von Frankfurt gen New York. In Charlie Chaplins Kurzfilm The Immigrant reist dieser in die Vereinigten Staaten von Amerika ein, nachdem er schon während der Überfahrt an Bord auf seine große Liebe aufmerksam wurde.

Ma(i)nhatta. Stummfilm-Musik-Varieté
Oper Frankfurt Musiker der hr-Bigband und des Ensemble Modern
vor Elizabeth Reiter (Sopran) und Ludwig Mittelhammer (Bariton)
© Barbara Aumüller www.szenenfoto.de

Das Thema Liebe wurde dann auch sehr charmant von der Sopranistin Elizabeth Reiter ( Ensemblemitglied der Oper Frankfurt und von Bariton Ludwig Mittelhammer ( Stipendiat des Opernstudios der Oper Frankfurt) in dem musikalischen Sketch Die Erfindung (Text von Uwe Dierksen und Mareike Wink) aufgegriffen.
Dokumentarisch zeigte der Film Manhatta aus dem Jahr 1921 die imposanten Bautätigkeiten in der Stadt, die niemals schläft. Mit viel Nebel auf der Bühne eroberten die Rollkunstläufer Roll`s Royce Hanau, die Rollkunstlauf-Formation des 1. Hanauer Roll- und Eissportclubs, die Bühne und boten eine energetische wie besinnliche Aufführung.
Der Programmteil nach der Pause bestand aus dem Gangster- und Liebesdrama Regeneration von Raoul Walsh aus dem Jahre 1915, das mit ausgefeilter und zu jeder Szene passender Musik von Peter Reiter-Schaub (Pianist von der hr-bigband) unterlegt war.
Sehr viel Applaus.

Markus Gründig, Februar 17


Liederabend Stéphane Degout  (Bariton), Cédric Tiberghien (Klavier), Matteo Cesari (Flöte) und Alexis Descharmes (Violoncello)

Oper Frankfurt, 17. Januar 17

Glück im Unglück war bei der Oper Frankfurt am 20. Mai 2014 angesagt. An diesem Tag sollten ursprünglich die Sopranistin Annette Dasch und Bariton Daniel Schmutzhard einen Liederabend im Opernhaus geben. Aufgrund Daschs zweiter Schwangerschaft mussten sie diesen Abend aber um ein Jahr verschieben. Deshalb sollte der Bariton Michael Volle den Liederabend übernehmen. Doch kurzfristig war er erkrankt. So rettete damals Stéphane Degout den Abend. Begleitet von Simon Lepper präsentierte er einen Querschnitt deutscher Liedkunst (u. a. von Liszt, Schubert, Schumann und Wolf), sowie von Gabriel Fauré.
Jetzt kehrte er für einen zweiten Liederabend zurück nach Frankfurt und begeisterte erneut das Publikum. Diesmal präsentierte er ein rein französisches Liedprogramm, ein sehr ausgefallenes und ein sehr anspruchsvolles zudem.
Auf seinem 2011 erschienenem Album „Melodies“ (Naive Classics) beschäftigte er sich bereits mit französischen Komponisten, überwiegend mit Musik aus der zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts. Für seinen Liederabend an der Oper Frankfurt wählte er Lieder von Francis Poulenc und Maurice Ravel, also aus dem 20. Jahrhundert. Lieder dieser Komponisten waren bei vergangenen Liederabenden zwar auch schon zu hören gewesen, ein kompletter Abend nur mit Liedern dieser beiden Komponisten hat einen Seltenheitswert.

Liederabend Stéphane Degout (Bariton), Cédric Tiberghien (Klavier), Matteo Cesari (Flöte) und Alexis Descharmes (Violoncello)
Oper Frankfurt, 17. Januar 17
Cédric Tiberghien, Stéphane Degout
© Wolfgang Runkel

In der ersten Hälfte präsentierte er ausschließlich Lieder von Francis Poulenc, dem wichtigsten Meister des französischen Neoklassizismus. Schon die Titel der einzelnen Lieder machen deutlich, dass sie sich vom klassischen deutschen, romantischen Liedgut unterscheiden. Der kleine Zyklus „Le Bestiaire“ („Das Bestarium“) handelt nicht von Monstern, sondern von sechs Tieren (wie einem Dromedar, einer Heuschrecke oder einem Karpfen). Herausragend im ersten Teil war der ironisch gezeichnete Zyklus „Calligrammes“ („Kalligramme“), bei dem Poulenc auch sehr detaillierte Anweisungen für die Klavierbegleitung notiert hat. Cédric Tiberghien setzte diese plastisch um. Am deutlichsten bei dem effektgeladenen und übermütigen „Aussi bien que les cigales“ („Wie die Zikaden“) mit heftigen Akkorden (und finalem Faustschlag auf die Tasten).
Dann ertönte eine Stimme aus den Lautsprechern. Wie Degout anschließend im fließenden Deutsch hinwies, die Originalstimme des Dichters von Guillaume Apollinaire, dessen Poem „Le Pont Mirabeau“ Poulenc vertont hat (den er darauf folgend sang). Der Zyklus „Banalités“ beendete den ersten Teil.

Nach der Pause gab es das außergewöhnliche Musikstück „Cendres“ (Asche“) der gebürtigen finnischen Komponistin und jetzt in Paris lebenden Kaija Saariaho zu hören. Bei dem vom Trio Cédric Tiberghien (Piano), Matteo Cesari (Flöten) und Alexis Descharmes (Violoncello) gespielten Stück nähern und entfernen sich die Musiker ständig von- bzw. zueinander, was zu interessanten Höreindrücken führt.
Den Höhepunkt des Abends bildeten nach der Pause Lieder von Maurice Ravel. Den meisterlichen Zyklus „Chansons madécasses“, nach Gedichten des Rokokodichters Evariste Parny, begleiteten alle drei Musiker sehr einfühlsam. Zum Abschluss wurde mit den nicht ganz so ernsten „tierischen“ Liedern „Histoires naturelles“ (auch auf Degouts CD) der Bogen zum Anfang geschlossen.

Bei allen Liedern gab sich Stéphane Degout angenehm unaffektiert und zeigte dennoch große Präsenz und Ausstrahlung. Er ist ein Meister der feinen Töne und verfügt gleichwohl über eine nicht nur sehr schöne Klangfarbe, sondern auch ein großes Stimmvolumen (das er aber sehr dosiert einzusetzen weiß).

Am Ende sehr viel Applaus, drei Zugaben!

Markus Gründig, Januar 17

Die Zugaben:
Maurice Ravel (1875-1937): 1. “Chanson romanesque” (“Si vous me disiez que la terre”) aus Don Quichotte à Dulcinée, M. 84 (1934)
Francis Poulenc (1899-1963) “Fêtes galantes”, FP 122/2 (“On voit des marquis sur des bicyclettes”) (1943)
Claude Debussy (1862-1918) III. “Je tremble en voyant ton visage” aus Le promenoir des deux amants, L 118 (1910)


Liederabend Johannes Martin Kränzle (Bariton), Hilko Dumma (Klavier)

Oper Frankfurt, 13. Dezember 16

Es gibt kein Gestern,
Es ist noch kein Morgen,
Es gibt nur ein bisschen Heute,
stört es nicht mit Sorgen!

(aus Zwölf Songs nach alten jiddischen Weisen von Richard Rudolf Klein)

Große Gefühle, Liebesschmerz und Leiden bis hin zum Tod, die Welt der Oper spiegelt viele Facetten des Lebens wider. Und doch schreibt das Leben selbst immer wieder einzigartige Geschichten. Wie die des Baritons Johannes Martin Kränzle, der vor allem während seiner Zeit als Ensemblemitglied der Oper Frankfurt (1998-2015) viele Fans gewonnen hat und der noch immer ein ganz großer Publikumsliebling ist. Von Frankfurt aus startete er seine weltweite Karriere, mit Auftritten u. a. in Glyndebourne, London, Mailand, New York und Salzburg. Und im letzten Jahr passierte dann das Unvorstellbare. Bei ihm wurde eine aggressiv fortschreitende Form der Knochenmarks-Krankheit MDS diagnostiziert. Nur dank einer Stammzelltransplantation seines Bruders Andreas konnte die Krankheit überwunden werden.
Nachdem er im vergangenen September erfolgreich sein Debüt am Royal Opera House London in der Partie des Don Alfonso in Mozarts Cosi fan tutte feiern konnte (eine Aufzeichnung sendet hr2 am kommenden Samstag ab 20.05 Uhr), gab er im Frankfurter Opernhaus jetzt seinen ersten Liederabend nach der Genesung. An gleicher Stelle hatte er bereits in 2014 einen Liederabend gegeben (mit Schuberts Die Winterreise). Sein Programm für den aktuellen Liederabend folgte der romantischen Liedertradition und bot dennoch sehr viel Neues und nur selten Gehörtes. Dabei kam es, wie im Programmheft hingewiesen wurde, zu einem Kuriosum. Am 13. Dezember 1943 vollendete Frank Martin seine Jedermann-Monologe; am 13. Dezember 1984 gestaltete Johannes Martin Kränzle in Frankfurt die Uraufführung der Zwölf Songs nach alten jiddischen Weisen von Richard Rudolf Klein. Beide Zyklen führte Kränzle nun am 13. Dezember 16 auf.

Liederabend Johannes Martin Kränzle (Bariton), Hilko Dumma (Klavier)
Oper Frankfurt, 13. Dezember 16
Johannes Martin Kränzle
© Wolfgang Runkel

Das Frankfurter Opernhaus war aus diesem Anlass sehr gut besucht. Neben vielen Kollegen waren u. a. auch die ehemalige Frankfurter Oberbürgermeisterin Dr. h.c. Petra Roth und die Schauspieler Wolfram Koch (am kommenden Sonntag wieder als Ermittler Paul Brix im Tatort zu sehen)  und Sascha Nathan anwesend. Das Publikum begrüßte Johannes Martin Kränzle mit einem ungewöhnlich intensiven Applaus und lauschte dann gebannt zwei Stunden (inklusive einer Pause) seinen nach wie vor ausgezeichneten Gesangskünsten und seiner unprätentiösen, aber dennoch sehr gewinnenden und präsenten Darbietung. Das Singen, wie seine Fähigkeit, Texte ausdrucksstark mit Leben zu füllen, hat er trotz der Zwangspause nicht verlernt. In den gewählten, mitunter melancholischen, Liedern von Gustav Mahler, Frank Martin, Maurice Ravel und Richard Rudolf Klein konnte er all die bitteren Erfahrungen der letzten Zeit besonders stark emotional untermauern. Dabei hat er aber nicht vergessen, dass Humor ein wichtiges Lebenselixier ist.
Sein umfangreiches Programm sang er frei von ausliegenden Noten. Am Klavier wurde er erneut von Hilko Dumno zuverlässig begleitet. Dumno konnte sich besonders bei den 1943 vertonten Jedermann-Monologe des Schweizer Komponisten Frank Martin mit ihren schroff anmutenden Klängen stark einbringen.

Eröffnet wurde der Abend mit einer Auswahl aus Mahlers Zyklus „Des Knaben Wunderhorn“. Schon hier bot Kränzle eine hervorragende Textverständlichkeit, kommen doch darin Wörter vor, die gesungen eine Herausforderung darstellen (wie Schnupftabak, Korporal oder Grenadier). Der einführenden „Des Antonius von Padua Fischpredigt“ folgte „Trost im Unglück“. Als kurzes heiteres Zwischenstück sodann „Selbstgefühl“.
„Nicht wiedersehen“ und „Der Tambourg´ sell“ führten mit ihrer ernsteren Grundstimmung schon zu Frank Martin hin. Ergreifend beendete Kränzle „Der Tambourg´ sell“, wo sich Furcht und Zittern in seinem Ausdruck widerspiegelten.
Den Höhepunkt des Abends bildeten die anspruchsvollen Jedermann-Monologe von Frank Martin, dessen sanft endendes „O ewiger Gott! O göttliches Gesicht!“ den ersten Programmteil beschloss. Diese Lieder zeigen die Angst vor dem Tod, aber auch die gelöste Hingabe in die geistige Welt im Vertrauen auf die Vergebung. Nicht zuletzt vor Kränzles Hintergrund waren dies besonders ergreifende Momente.
Nach der Pause folgten zwei hebräische Melodien von Maurice Ravel. „Kaddish“ sang Kränzle auf aramäisch, „Das ewige Rätsel“ auf jiddisch. Und auf jiddisch ging es weiter. Die Zwölf Songs nach alten jiddischen Weisen von Richard Rudolf Klein boten einen vielseitigen Einblick in jiddische Glaubens- und Lebensarten.
Für den lang anhaltenden Applaus bedankten sich Kränzle und Dumno mit zwei Zugaben (Hugo Wolfs „Der Schäfer“, aus: Goethe-Lieder, Nr. 22 und Gustav Mahlers „Lob des hohen Verstandes“ aus: Des Knaben Wunderhorn, Nr. 10).
Johannes Martin Kränzle wird in der kommenden Spielzeit als Gast an die Oper Frankfurt zurückkehren.

Markus Gründig, Dezember 16


Soiree des Opernstudios

Oper Frankfurt (Holzfoyer), 29. November 16

Ist die Oper Frankfurt wieder einmal als Opernhaus des Jahres ausgezeichnet worden, kommuniziert sie das berechtigter Weise auch gebührend den Bürgern der Stadt. Ansonsten gibt sie sich aber eher bescheiden und überzeugt schlicht durch eine konstant herausragend hohe Qualität in allen Bereichen. Dabei könnte sie durchaus öfter stärker nach außen auftreten. Jüngstes Beispiel ist die erste Soiree des Opernstudios der Saison 2016/17 unter dem Titel „Sommermond über Neapel“. Das klingt zunächst einmal entspannt. Und der Begriff Soiree ist nicht wirklich genau definiert: Laut Duden lediglich eine aus besonderem Anlass stattfindende abendliche Veranstaltung, wie auch eine Festaufführung. Der denkwürdige Abend war aber dann alles andere als eine laue Sommernacht. Denn die Leidenschaften barsten förmlich aus den jungen Sängern hervor. Mitunter hatte man fast Sorge, die Glasscheiben des Wolkenfoyers der Oper Frankfurt könnten ob des Stimmvolumens zerspringen (wie bei Elizabeth Sutphens Arie „La caluunnia é un venticello“ aus Rossinis Il barbiere di Siviglia; zum Glück standen sie mit dem Rücken zur Fensterfront). Die jungen Sänger zeigten bei ihren technisch herausfordernden und schwierigen Arien allesamt ein ungewöhnlich hohes Niveau (Bariton Mikołaj Trąbka und Tenor Ingyu Hwang konnten wegen anderer Verpflichtungen nicht an diesem Abend teilnehmen).

Die Mitglieder des Opernstudios der Oper Frankfurt in der Saison 2016/17
vorne v.l.n.r. Julia Dawson (Mezzosopran), Elizabeth Sutphen und Alison King (Sopran) sowie hinten v.l.n.r. Mikołaj Trąbka, Ingyu Hwang (Tenor), Thesele Kemane (Bassbariton) und Ludwig Mittelhammer (Bariton)
© Wolfgang Runkel

Ist es inzwischen draußen auch gerade sehr frisch und der Winter im Anflug, die Erinnerungen an den letzten Italienaufenthalt sind noch jung. Und dass leidenschaftliches Singen ein Ausdruck von italienischem Lebensgefühl ist, ist nicht erst durch die musikalische Pizza-Werbung bekannt. In wenigen Tagen, am 2. Dezember 2016, jährt sich zum 100sten Mal der Todestag des italienischen Komponisten Francesco Paolo Tosti, dessen neapolitanische Volkslieder auch von großen Sängern wie Renato Bruso und Luciano Pavarotti gerne gesungen wurden. Aus diesem Anlass wurde der Abend „Sommermond über Neapel“ gestaltet. Mit einigen Liedern Tostis zum Ende hin, vor allem aber mit großen Arien aus klassischen Opern. Und so konnte man sich dann fast wie in der Arena di Verona fühlen. Nur dass man bei den Soirees des Opernstudios um Welten näher an den Sängern sitzt und so ein intensiveren Höreindruck bekommt.

Die Mezzosopranistin Julia Dawson eröffnete den Abend glanzvoll mit der Arie „Come invano il mare irato“ aus Vivaldis Catone in Utica, bei der sie gleich ihren großen Stimmumfang zeigen konnte und bei dieser rund sechsminütigen Arie sogleich die Messlatte sehr hoch ansetzte. Der aus Südafrika stammende Bass Thesele Kemane ging seine Arie „La calunnia è un venticello“ aus Rossinis Il barbiere di Siviglia zurückhaltend an, um dann aber mit verschmitztem Spiel und seiner wunderbar timbrierten Stimme und kraftvollen Tönen aufzutrumpfen. Als Faktotum der Stadt glänzte der Bariton Ludwig Mittelhammer mit der Kavatine des Figaro „Largo al factotum“ (ebenfalls aus Il barbiere di Siviglia). Diese Arie hatte er bereits beim jüngsten Oper am Mittag Konzert eindrucksvoll gegeben (am 11. April 2017 wird er einen Liederabend im Holzfoyer gestalten und im November 2017 hat er sein Debüt in der Londoner Wigmore Hall).
Auch die Sopranistin Alison King ging ihre Arie zunächst bedächtig an, steigerte sich aber auch beeindruckend ins hoch Dramatische („Qual fiamma avea nel guardo“ aus Leoncavallos Pagloacci).

Eine andere Stimmung brachten die jungen Sänger bei ihren jeweiligen zweiten Beiträgen ein. Frohen Mutes Ludwig Mittelhammer bei Leoncavallos „Mattinata“, bewegend Alison King mit Puccinis „Sole e amore“ und erheiternd das Trio Elizabeth SutphenJulia Dawson und Thesele Kemane mit Tostis „Marechiare“.
Sehr viel Applaus und ein im Quintett gegebenes „’O sole mio“ als Zugabe beendete diesen großen Abend im kleinen Rahmen. Am Klavier begleitete als zuverlässige Stütze Michal Golawski.

Markus Gründig, November 16


Konzert: Übermächte sind im Spiel

kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Mainklang-Acappella-Ensemble Frankfurt/M
Besuchte Vorstellung: 27. Oktober 16 (Generalprobe)

Seit bald zehn Jahren gibt es das Mainklang-Acappella-Ensemble Frankfurt, das aus dem 2004 bestehenden Sinfomania-Ensemble hervorgegangen ist und inzwischen als Mainklang Frankfurt e.V. im Vereinsregister eingetragen ist (und somit auch eine finanzielle Förderung leichter möglich ist). Unter der Leitung von Dana Buchenau singen Frauen aller Altersstufen Geistliches und Weltliches, Opern und Musicals, Kunstlieder und Chansons.
Für das aktuelle Konzert wurde ein sehr anspruchsvolles Opernprogramm unter dem programmatischen Titel „Übermächte sind im Spiel“ zusammengestellt. Es beinhaltet Auszüge aus Opern (Chöre, Duette und Terzette) von Humperdinck, Mendelssohn Bartholdy, Monteverdi, Mozart, Offenbach, Rossini und Verdi, die frei von ausliegenden Noten in der Originalsprache gesungen werden. Das ist für sich schon eine Ansage. Doch damit nicht genug, das komplette Programm wird auch halbszenisch dargeboten. Respekt also schon einmal allein für dieses ambitionierte Vorhaben, handelt es sich doch bei den Sängerinnen des Ensembles um keine Profis.

© Mainklang Frankfurt e.V. / Erwin Hofmann

Dana Buchenau, die hier für die Idee, Konzeption, Einstudierung und Regie gleichermaßen verantwortlich zeichnet, eröffnet als Elfenkönigin Titania den Abend und prophezeit, dass Hexen die Helden zu Fall bringen oder Kinder in ihren Bann ziehen, dass Zigeunerinnen das Schicksal aus der Hand lesen und Titania und ihr Elfenreich die Nacht erobern werden. Und kündigt mancherlei Überraschungen an. Schon bei diesem ersten Vortrag brilliert Buchenau mit ihrer hohen Kunstfertigkeit, Text mit Leben zu gestalten. Im weiteren Verlauf kündigt sie dann überaus abwechslungsreich und kreativ fast jeden weiteren der 17 (!) Programmpunkte an (was auf Dauer allerdings den musikalischen Gesamtfluss etwas ausbremst).

Felix Mendelssohn Bartholdys „Bunte Schlangen“ (aus Ein Sommernachtstraum) steht zu Beginn des Abends. Hier sind als Elfen Titanias bereits alle sieben Sängerinnen (Sascha BraunBritta DielAnnette Huf, Kerstin KraftAndrea StephanLana Tepel und Petra Willim) beteiligt. Dem folgt sogleich große Oper. Aus Verdis La Traviata stellen sich die Zigeunerinnen vor („Noi siamo zingarelle“), um danach nicht nur zu den Anfängen der Oper zu kommen, sondern auch zu einem der innigsten Liebesduette der Opernliteratur: Claudio Monteverdis „Pur ti miro, Pur ti godo“ aus Die Krönung der Poppea. Vor der Pause gibt es dann noch eine Auswahl aus Opern von Wolfgang Amadeus Mozart.
Für jeden Programmpunkt gibt es eine eigene kleine szenische Umsetzung. Bei „Prenderò quel brunettino (Così fan tutte) sitzen beispielsweise zwei Teddybären als Stellvertreter für die Offiziere Ferrando und Guglielmo an einem Tisch, die von Dorabella und Fiordiligi besungen werden. Für Verdis Macbeth, das im Mittelpunkt vom zweiten Programmteil steht, dienen Handspiegel und rote Handschuhe als Requisite

Bei diesem anspruchsvollen Gesamtprogramm kommt man nicht um eine gewisse Begleitung herum. Hier sorgt Kai Hinrich Müller am Klavier für eine gebührende Unterstützung (er zeichnet auch für die musikalische Leitung verantwortlich). Und als Besonderheit sind bei ausgewählten Programmpunkten die drei Gastsänger Sebastian Müller-Herscheid, Lothar Nickel und Thomas Winterhalter beteiligt.
Nach Titanias Resümee wird dieser bezaubernde Abend mit Engelbert Humperdincks „Abendsegen“ (aus Hänsel und Gretel) beendet. Viel Applaus, schon bei der besuchten Generalprobe.

Markus Gründig, Oktober 16


Liederabend Andreas Schager (Tenor), Matthias Fletzberger (Klavier)


Oper Frankfurt, 11. Oktober 16

Vor wenigen Tagen hat der Hurricane Matthew den Inselstaat Haiti heimgesucht und die Bilder der Verwüstung und der Not leidenden Bevölkerung sind noch lebendig vor Augen und dann sitzt man am Abend in der Oper und taucht in eine ganz eigene Welt ein. Und fühlt sich dort unerwartet doch irgendwie an Urgewalten erinnert. So beim Liederabend des fast schon kometenhaft aufgestiegenen österreichischen Heldentenors Andreas Schager in der Oper Frankfurt. Schager eröffnete die neue Liederabendsaison der Oper Frankfurt (und dies war, wie er am Schluss verriet, sogar sein erster Liederabend überhaupt). Schager machte vor allem als großer Wagnersänger auf sich aufmerksam (er sang dieses Jahr den Siegfried an der Berliner Staatsoper unter den Linden Berlin und den Parsifal, wie auch den Eric, bei den Bayreuther Festspielen). Und mit wagnerscher Sturmeskraft präsentierte er eine ganz neue Art eines Liederabends. Dabei stand weniger die feinfühlige, nuancenreiche, lyrische und große Bögen zeichnende Liedkunst im Mittelpunkt, als arienhaft dargebotene Nummern, so als wäre man bei einem ZDF-Operettenwunschkonzert der Superlative. Hier wurde nicht gekleckert, sondern mit tenoraler Wucht geklotzt (dass man sich mitunter wünschte, man hätte Ohropax dabei).

Liederabend Andreas Schager (Tenor), Matthias Fletzberger (Klavier)
Oper Frankfurt, 11. Oktober 16
Andreas Schager
© Wolfgang Runkel

Das Programm mit Liedern von Schubert, Wagner, Beethoven, Liszt und Strauss war eine solide Zusammenstellung. Da konnte eigentlich nichts schief gehen. Vier der 26 Lieder aus dem Zyklus „Myrthen“ eröffneten das dynamisch und schwungvoll dargebotene Programm. Schon bei „Widmung“ zeigte sich, dass sich die im Piano vorgetragenen Phrasen deutlich von den im Forte dargebotenen hinsichtlich Intensität und Stütze unterschieden. Auch bei mehr oder weniger den ganzen weiteren Liedern legte Schager den Schwerpunkt darauf, sie mit voller tenoraler Strahlkraft zu präsentieren (was beim weiten Teil des Publikums gut ankam). So waren dann auch Richard Wagners Wesendonck-Lieder eher aufrührend wie der Sturm beim Holländer, als von tiefer Emotionalität geprägt.
Mit großem Pathos und Charme zeigte Schager eine starke Bühnenpräsenz, die nur dann etwas nachließ, wenn er sich in die ausliegenden Noten vertiefte, wie bei Beethovens Zyklus „An die ferne Geliebte“, bei der von stimmungsvoller Abendröte („Nimm sie hin denn, diese Lieder“) nicht viel zu spüren war. Für Liszts „Tre Sonetti di Petrarca“ passte Schagers arioser, affektgeladener Stil schon besser, für die abschließenden Lieder von Richard Strauss weniger. Eine angenehme Oase des zarten, leichten und stillen war, gewissermaßen als Gegenpol, der am Klavier begleitende Mathias Fletzberger.

Im Rückblick auf vorherige Liederabende nimmt Andreas Schager mit seinem durchschlagenden Heldentenor eine Sonderstellung ein. Im Hinblick auf die Erzielung maximaler Dezibel führt er erst einmal die Liste an. Vom Publikum erhielt er sehr viel Zuspruch, den Schager, nun endlich ohne ausliegende Noten, mit drei Arien beantwortete (Taminos „Bildnis-Arie“ aus Mozarts Die Zauberflöte, Siegmunds „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ aus Wagners Die Walküre und Siegfrieds „Schmiedelied“ aus Wagners Siegfried, bei dem Schager als Krönung des Abends lautstark mit einer Kelle auf einen Topf schlug).

Markus Gründig, Oktober 16