Staatstheater Mainz: DER SPIELPLAN 2024/25

Spielplanpräsentation 2024/25 am Staatstheater Mainz ~ Jörg Vorhaben (Chefdramaturg Schauspiel), Markus Müller (Intendant und Geschäftsführer), Sonja Westerbeck (Chefdramaturgin Oper), Hermann-Bäumer (Generalmusikdirektor) ~ © Andreas Etter

Das Programm für die elfte gemeinsame Spielzeit steht. In einer Pressekonferenz haben heute Markus Müller (Intendant), Hermann Bäumer (Generalmusikdirektor), Sonja Westerbeck (Chefdramaturgin Musiktheater) und Jörg Vorhaben (Chefdramaturg Schauspiel) die Produktionen der kommenden Saison am Staatstheater Mainz vorgestellt (Tanzdirektor Honne Dohrmann ist derzeit zu Gast bei der Polish Dance Platform in Łódź).

30 Premieren in Musiktheater, Schauspiel und Tanz stehen auf dem Programm, außerdem bleiben 29 Stücke weiter im Spielplan.

Hinzu kommen Lesungen, Liederabende, Diskursformate und Projekte in der Kakadu Bar und in der Mainz Residenz sowie das Grenzenlos Kultur Theaterfestival, das Plug&Play Festival und das große tanzmainz festival.


„Vor zehn Jahren haben wir begonnen, hier in Mainz gemeinsam Theater zu machen. Voller Vorfreude auf die elfte Saison, werfen wir einen Blick in den Rückspiegel: Was hat uns beschäftigt, welches waren und sind die Motive, die uns bei der Spielplangestaltung und im dazugehörigen Diskurs geleitet haben und leiten“, fragt Markus Müller und führt aus: „Zwei miteinander verschwisterte Begriffe kristallisieren sich heraus – Wahrnehmung und Erkenntnis.

,Man darf nicht alles glauben, was man sieht‘, ,Du kannst mir alles erzählen‘ oder ,In deiner Haut will ich stecken‘ waren Leitmotive der letzten Spielzeiten, es ging um Transparenz, um Empathie, um das Verstehen und das Verständnis und natürlich immer um die Übersetzung von Wirklichkeit in Theater, denn ,Wie wäre diese Welt, wenn sie nicht auch voll Poesie wäre‘? Viel haben wir entdeckt und weiterentwickelt – und mindestens ebenso viel haben wir probiert und verworfen, denn das gehört zu unserem Handwerk, nur wer wagt, gewinnt Erkenntnis.“

„Makulatur“ ist die Metapher für etwas, das nicht mehr gültig, das überholt ist. Ein Begriff aus dem Druckwesen für schadhafte und darum aussortierte Papierbögen. Makulatur aber bildet am Theater auch die Bedingung dafür, dass kreative Prozesse gelingen können: eine Materialsammlung von teils genutzten, teils verworfenen und teils für eine mögliche Wiedervorlage in anderem Zusammenhang aufgehobenen Ideen.

Kein künstlerisches Ergebnis steht für sich, das Stück auf der Bühne ist ein Extrakt, destilliert aus der großen Summe unzähliger Versuche – Proben bedeutet Ausprobieren und Ausprobieren bedeutet immer auch die Möglichkeit des Scheiterns. Dass das aber in Zeiten von schnell verurteilenden und bisweilen bösartig spottenden Sozialen Medien gefährlich geworden ist, tut nicht gut, weil so Konformität erzwungen und Mut blockiert wird.

Also haben wir die Makulatur – sowohl als Bild für eine reiche Stoffsammlung als auch für die Präsenz des Vergangenen – zum Gestaltungsprinzip für das Jahresheft erhoben: Eingehüllt in unterschiedliche Druckbögen aus Plakaten von Produktionen der vergangenen Spielzeiten präsentiert sich die Vorschau auf das Neue. Vielleicht erkennt manche*r das eine oder andere wieder, zu entdecken ist zum Beispiel Hannah und ihre Schwestern, gerade gewählt unter die „100 besten Plakate“.

Mit der Erkenntnis ist es eine vertrackte Angelegenheit, was, zumal im Kant-Jahr, auch wiederum keine neue Erkenntnis ist. Erkenntnis ist zweifelhaft, weil sie sich unter anderem aus Wahrnehmung speist, die nun wirklich eine unzuverlässige Zeugin abgibt, dem Augenschein ist nicht zu trauen. Wir sehen doch, dass die Sonne sich bewegt, und dennoch ist Kopernikus im Recht …

„Hier kommt im Wortsinne das Theater ins Spiel“, so Markus Müller, „denn auf der Bühne fürchten wir die Täuschung nicht, wir feiern sie! Das Theater spielt mit unserer Wahrnehmung so lange Verstecken, bis wir zumindest die Erkenntnis finden, dass die Dinge oft nicht so simpel sind, wie wir glauben. Es kann uns dafür sensibilisieren und unser Verständnis dafür schärfen, dass meistens mehr dahintersteckt. Damit sind wir noch nicht im Besitz der eh nicht zu erreichenden letztgültigen Erkenntnis, aber schon im Zustand wacher Aufmerksamkeit für das Versteckte.“

Auch hierfür gibt es natürlich einen passenden philosophischen Begriff: Das „Palimpsest“ klingt nicht nur schön, sondern taugt auch zur Metapher. Dieser Begriff aus der Handschriftenkunde hat, wie „Makulatur“, mit Papier zu tun. Er steht für technisch entfernte und dann überschriebene Schrift auf einem Pergament – Papier war rar und kostbar! Der ursprüngliche Text ist nur noch in Spuren und Fragmenten in und unter dem neuen Überschreibungstext sichtbar.

Das Palimpsest ist also in Teilen noch zu lesen, bleibt zugleich aber Geheimnis. Und das macht es zu einem echten Theaterwesen, das dazu auffordert, mit Fantasie auszufüllen, was auf den ersten Blick nicht zu sehen ist. Und dazu, gelegentlich unter die Oberfläche zu schauen und nach scheinbar ausradierten Spuren zu suchen, Fährten zu lesen und im Austausch miteinander abzugleichen.

Ob wir diese dann ebenfalls verwerfen oder viel wichtiger finden, steht auf einem anderen Blatt, erst einmal könnte man sie zur Kenntnis nehmen. Was vielleicht besonders dann gilt, wenn wir aus unserer Wahrnehmung und aus dem, was wir für Erkenntnis halten, Normen ableiten. Wahrnehmungen und Erkenntnisse ändern sich manchmal fundamental (siehe Kopernikus) – was kann dann überhaupt normal sein und welche Bedingungen gelten dafür?


ES GEHT UMS GANZE: Die Spielzeit 2024/25 im Staatstheater Mainz

Um was also geht es in der Spielzeit 2024/25? Es wird auch dieses Mal kein Motto ausgegeben. Aber als Leitmotiv könnte taugen: Es geht ums Ganze. Also um den Menschen und um das, was ihn ausmacht, um unsere Welt, das Leben, den Tod, die Liebe, die Macht, den Krieg – kleiner ist das Drama in all seinen Spielarten nicht zu haben. „Es geht ums Ganze“ steht aber vor allem auch für den Versuch, das Ganze hinter den Teilen zu erahnen und zusammensetzen zu wollen, das Palimpsest unter der Oberfläche, die Makulatur im Produkt.

SCHAUSPIEL

Insbesondere im Schauspiel wird sich vor diesem Hintergrund mit der Frage nach Festlegungen von Normalität beschäftigt, wenn es sich, wie in der deutschen Erstaufführung Kranke Hunde der Else Lasker Schüler-Stückepreisträgerin Ariane Koch um den dysfunktionalen Körper und die Definition von Gesundheit dreht – oder um einen für die Marktforschung unglaublich interessanten Ort voller Durchschnittsmenschen namens Magic Town.

Felix Krull ist in der betrügerisch-verführerischen Sprache von Thomas Mann ein faszinierender Protagonist der Camouflage, Manipulation und Täuschung, sein Leben ein Theaterstück, seine Welt eine Bühne. The Addams Family dreht die Vorzeichen einfach um, das Absonderliche ist normal und die arme Wednesday, die so gerne normal sein will, die Außenseiterin in der schrillen Familie.
Der größte und brutalste Ausnahmezustand, die größte Abwesenheit von Normalität ist der Krieg. Im dritten Jahr des Ukrainekriegs, angesichts der Kämpfe im Nahen Osten und des wachsenden Rassismus und Antisemitismus auch in Deutschland werden mit Natalka Vorozbhyts non-existent, And now Hanau und Im Herzen der Gewalt aktuelle Stücke zu den genannten Themen gespielt. Damit wir sich nicht an eine neue Normalität gewöhnt wird, die keine sein sollte. Und damit die Menschen, für die diese Nichtnormalität alltägliches Leid bedeutet, nicht allein gelassen werden.

Tragödie, Komödie und Musical spielen mit Verkleidung, Täuschung und Enttäuschung und jedes dramatische Mittel soll recht sein, um ein wenig klarer zu sehen. Wiederaufnahmen und Premieren im Zusammenspiel bieten Möglichkeiten zur willkommenen Unterhaltung und zum Ausbruch aus den funktionalen Zwängen unseres Alltags ebenso wie Herausforderungen zur Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen. Im großen Familienstück Die kleine Hexe wird gleich richtig gezaubert und natürlich ist Die unendliche Geschichte eine der fantasievollsten Erzählungen über geträumte und wirkliche Welt und die Bedeutung der einen für die andere.

MUSIKTHEATER

Vergänglichkeit wird im Theater immer mitgedacht, hier wird mit unglaublichem Aufwand in den nicht festzuhaltenden Moment investiert. Oder, um einen weiteren großen Philosophen zu zitieren: „Oper ist teuer und unnütz und wunderschön“, sagte Loriot. Besser lässt sich nicht ausdrücken, dass Kunst genau darum so wichtig ist, weil sie sich dem direkt Nützlichen verweigert. Verzauberung, Entzauberung und Täuschung sind auch im Musiktheater Motive der kommenden Saison.

Die schöne Helena erzählt vom trojanischen Pferd, das natürlich ein großartiges Bild ist für alles, was wir eben nicht auf den ersten Blick sehen können. Zugleich ist diese heitere Oper selbst ein trojanisches Pferd, denn als Persiflage und Satire liefert sie die Gesellschaftskritik in charmant leichtem Gewand.

Philip Venables Oper 4.48 Psychose nach Sarah Kane ist auf ganz andere Weise ein Werk über die Schichten und Abgründe unserer Seele und über die Frage, wann wird eigentlich klar gesehen und wann wird man verrückt und ob das eine mit dem anderen verwechselt werden kann.

Das unheimliche The Fall of the House of Usher zieht ins Übersinnliche, während es in L’Aiglon, Idomeneo und Turandot um Krieg und Macht, um Politik und Liebe geht. Ums Ganze. Und immer wieder auch um Verblendung.

Ein schöneres Bild für die Tücken der Wahrnehmung allerdings als das des Eissplitters in Kais Auge in Die Schneekönigin nach dem Märchen von Hans Christian Andersen gibt es vermutlich nicht – und um zu wissen, dass Musik Erkenntnis ganz direkt auslösen kann, muss nicht noch einmal Loriot bemüht werden, das hat jede*r gespürt, der einmal von einer Arie ergriffen war.

Hermann Bäumers letztes Operndirigat als Generalmusikdirektor des Staatstheater Maiz wird Das schlaue Füchslein von Leoš Janáček sein.
Ein Nachfolger für die Zeit ab der Spielzeit 2025/26 soll im Juni 24 gemeinsam mit dem Land Rheinland-Pfalz und der Stadt Mainz, den Trägern des Staatstheaters, verkündet werden.

TANZMAINZ

Der Tanz versteht sich darauf, Ungesagtes und Unsagbares darzustellen und über die choreografierten Bewegungen Menschenporträts zu zeichnen, die überraschen und denen auf völlig anderer Ebene begegnet wird.

Unbeholfen und etwas empfindsam sind diese Menschen bei Frédérick Gravel aus Montréal, ein bisschen schnoddrig und skeptisch, aber immer sympathisch: History is Mostly Made of Flesh ist der Titel seiner Uraufführung.

Virtuos und damit physisch und technisch herausfordernd für das Ensemble von tanzmainz, wird es mit dem Italiener Philippe Kratz und Camera Obscura.

Alan Lucien Øyen aus Norwegen ist bekannt für seine philosophisch substanzreichen und klugen Produktionen, womit wir wieder beim Thema wären… – wir freuen uns auf Underdog.

In Kooperation mit Sasha Waltz kommt IN C auf den Spielplan von tanzmainz, außerdem wird mit Vorfreude auf das große tanzmainz festival geblickt und darüber, dass die Compagnie weiterhin zu zahlreichen Gastspielen unter anderem in Tirana, Paris, Berlin und Tokio eingeladen ist.


Das Grenzenlos Kultur Theaterfestival steht in guter Tradition wieder am Anfang der Spielzeit und in der Kakadu Bar und in der Mainz Residenz wird auch in der kommenden Saison viel Raum und Zeit für die Auseinandersetzung mit aktuellen Themen, für Liederabende, Lesungen, Try Outs und Sharings sein.

Das mit der laufenden Spielzeit eingeführt Kombiticket (Eintrittkarte, Getränke, Brezel, Garderobengebühr und Programmheft) erfreut sich größter Beliebtheit und bleibt dem Publikum natürlich weiter erhalten. „Das Konzept, lästige Wartezeiten zu vermeiden und mehr Möglichkeiten zum Austausch und entspannten Beisammensein zu schaffen, löst sich hervorragend ein“, betont Markus Müller, „wir sind begeistert, wie gut diese Idee von unserem Publikum angenommen wird. Vor den Vorstellungen und in den Pausen erleben wir in den Foyers eine wunderbar angeregte Atmosphäre.“

© Staatstheater Mainz

Mit Veröffentlichung des Spielplans gibt es ab sofort die Chance, sich mit einem Abonnement für die kommende Saison die eigenen festen Theatermomente zu sichern. Am morgigen Samstag wird um 11 Uhr im Großen Haus das Programm den Abonnent*innen und all jenen, die es werden wollen vorgestellt.

Das neue Jahresheft 2024/25 mit seinen sechs unterschiedlichen Plakat-Covern liegt ab sofort im Staatstheater aus und kann online auf der Website des Theaters digital gelesen und durchgeblättert werden.

staatstheater-mainz.com


Die Premieren:

Schauspiel:

Showmaster ist mein Beruf – Rudi Carrell (UA)
David Gieselmann, Luis Dekant und Marcel Hensema
Premiere: 06. Oktober 2024 (Kleines Haus)

Grenzenlos Kultur Vol. 26
10. bis 20. Oktober 2024

Echo (Every Cold-Hearted Oxygen) (UA)
Nassim Soleimanpour
Premiere. 25. Oktober 2024 (U17)

non-existent
Natalka Vorozhbyt
Premiere: 26. Oktober 2024 (Kleines Haus)

Magic Town (UA)
Hannah Frauenrath und Ensemble
Premiere: 23. November 2024 (U17)

Was ihr wollt
William Shakespeare
Premiere: 30. November 2024 (Kleines Haus)

Leuchtfeuer
Nancy Harris
Premiere: 22. Februar 2025 (Kleines Haus)

Fastnachtsposse
Premiere: 25. Februar 2025 (Großes Haus)

And now Hanau
Tuğsal Moğul
Premiere: Februar 2025, externer Ort

Im Herzen der Gewalt
Édouard Louis
Premiere: 21. März 2025 (Kleines Haus)

Talking about the Fire (UA)
Chris Thorpe
Premiere: Frühjahr 2025

Ein neues Stück
Premiere: 07. Mai 2025 (U17)

Planet B
Yael Ronen und Itai Reicher
Premiere: 16. Mai 2025 (Kleines Haus)

PLUG&PLAY
Theaterfestival für junge Regie
29. Mai bis 01. Juni 2025

Der Diener zweier Herren
Carlo Goldoni
Premiere: 07. Juni 2025 (Innenhof Landesmuseum)

Musiktheater:

Die schöne Helena
Jacques Offenbach
Premiere: 02. November 2024 (Großes Haus)

Die Schneekönigin
Samuel Penderbayne
Premiere: 13. Dezember 2024 (U17)

L’Aiglon
Arthur Honegger und Jacques Ibert
Premiere: 25. Januar 2025 (Großes Haus)

The Fall of the House of Usher
Philip Glass
Premiere: 14. Februar 2025 (Großes Haus)

The Addams Family
Marshall Brickman und Rick Elice
Musik und Songtexte von Andrew Lippa
(Produktion des Schauspiels)
Premiere: 22. März 2025 (Großes Haus)

4.48 Psychose
Philip Venables
Premiere: 26. April 2025 (Kleines Haus)

Turandot
Giacomo Puccini
Premiere: 17. Mai 2025 (Großes Haus)

Das schlaue Füchslein
Leoš Janáček
Premiere: 28. Juni 2025 (Großes Haus)

Opernnacht
05. und 06. Juli 2025

Tanz:

10 Jahre tanzmainz – Gala
04. Oktober 2024 (Großes Haus)

History is Mostly Made of Flesh (UA)
Frédérick Gravel
Premiere: 08. November 2024 (Kleines Haus)

Camera obscura (UA)
Philippe Kratz
Premiere: 15. Februar 2025 (Kleines Haus)

IN C
tanzmainz meets Sasha Waltz & Guests
Premiere: 26. März 2025 (Großes Haus)

tanzmainz festival #5
26. März bis 05. April 2025 (Großes Haus, Kleines Haus und U17)

Underdog (UA)
Alan Lucien Øyen
Premiere: 09. Juni 2025 (Großes Haus)

JUST Mainz

Die kleine Hexe
Otfried Preußler
Premiere: 22. November 2024 (Großes Haus)

Katze mit Hut
Simon und Desi Ruge
Premiere: 23. Januar 2025 (U17)

Die unendliche Geschichte
Michael Ende
Premiere: 24. Januar 2025 (Kleines Haus)

10 Jahre justmainz: ein Fest!
10. Mai 2025
im und um das Theater

Dazu 29 Wiederaufnahmen und viele weitere Veranstaltungen, wie Lesungen, Liederabende, Diskursformate und Projekte in der Kakadu Bar und in der Mainz Residenz.

staatstheater-mainz.com