Mozarts »Mitridate, re di Ponto« erstmals szenisch in Frankfurt

Mitridate, re di Ponto ~ Oper Frankfurt ~ Mitridate (Robert Murray) mit seinem liegenden Double sowie Tanzensemble ~ © Matthias Baus

Über 250 Jahre sind seit der Uraufführung von Mozarts Oper Mitridate, re di Ponto (Mithridates, König von Pontus) vergangen. Jetzt ist sie erstmals in Frankfurt szenisch zu erleben. Mozart komponierte sie im Teenageralter (14) für das große Mailänder Opernhaus Teatro Regio Ducale, den Vorläufer des heutigen Teatro alla Scala.

Basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück von Jean Racine handelt die Oper von zwei Stiefbrüdern, die beide die junge neue Frau des Vaters begehren. Zudem verbündet sich der Erstgeborene mit den politischen Feinden des Vaters. Konflikte sind damit vorprogrammiert.

Mitridate, re di Ponto zählt zur Gattung der Opera seria: Mehr oder weniger folgt eine Arie der nächsten, die szenischen Handlungen sind begrenzt. Trotz der hohen Virtuosität und reichen Instrumentation stellt sie somit für eine bühnenwirksame Umsetzung eine Herausforderung dar. Bei der als Gemeinschaftsproduktion mit dem Teatro Real (Madrid), dem Teatro di San Carlo (Neapel) und dem Gran Teatre del Liceu (Barcelona) entstandenen Inszenierung beweist Regisseur Claus Guth wieder einmal, dass er ein Meister seines Faches ist. Die Oper ist bei ihm eine fesselnde Angelegenheit (szenische Leitung in Frankfurt: Axel Weidauer).

Tanzensemble als Spiegel der Seelenzustände

Guth verzichtet in seiner Umsetzung auf die kriegerischen Bezüge. Mitridate ist hier kein König von Pontos und anderer Reiche, sondern ein wohlhabender Geschäftsmann. Er lebt in einem luxuriös ausgestatteten Bungalow, der vermutlich schon dessen Vater gehörte. Die Bühne zeigt hierfür einen großzügigen Wohnraum mit angrenzendem Arbeitszimmer und eine Galerie. Vom Stil nimmt sie, wie auch die Kleidung, lose Bezug zu den 1960er Jahren (Bühne: Christian Schmidt, Kostüme: Ursula Kudrna).

Mitridate, re di Ponto
Oper Frankfurt
Sifare (Monika Buczkowska-Ward) und Tanzensemble
© Matthias Baus

Clou der Inszenierung ist, dass den Figuren ein zwölfköpfiges Tanzensemble beigestellt ist. Es erscheint als schwarze Seelenschatten oder als Spiegelungen der Figuren und bieten damit zu den vokalen Äußerungen der Sänger:innen bildhafte Darstellungen der Gemütszustände („Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“). Dabei geht es nicht nur um Ängste und Traumata. Mitunter muten die eher performativen Darbietungen auch überzogen und heiter an (Choreografie: Sommer Ulrickson). Dadurch ist die mit Pause drei Stunden dauernde Oper zu keiner Zeit langatmig.

Mitridate, re di Ponto
Oper Frankfurt
v.l.n.r. Aspasia (Bianca Tognocchi) und Sifare (Monika Buczkowska-Ward) und Tanzensemble
© Matthias Baus

Abgesehen vom Schlussbild erscheinen diese Figuren ausschließlich in einem zusätzlichen, abstrakten Raum (also losgelöst von der äußeren Handlung). Er besteht aus einer bogenförmigen, überdimensionalen Lochwand und changiert zwischen Überwachungsraum und Beobachtungslabor.

Auch musikalisch ein Volltreffer

Typisch für die Opera seria ist, dass die Handlung auf wenige Figuren beschränkt ist. Einen Chor gibt es nicht. In der Titelpartie ist der britische Tenor Robert Murray zu erleben. Er ist erstmals zu Gast an der Oper Frankfurt. Sich anfangs etwas zurückhaltend geben, verleiht er dem Mitridate zunehmend ein markantes Profil, bis hin zu starken vokalen Ausbrüchen im finalen vierten Akt.

Mitridate, re di Ponto
Oper Frankfurt
v.l.n.r. Farnace (Franko Klisović), Ismene (Younji Yi), Mitridate (Robert Murray; sitzend) und Der Majordomus (Philippe Jacq)
© Matthias Baus

Hinreißend ist die powervolle zukünftige Königin Aspasia der Sopranistin Bianca Tognocchi. Sie vermag die anspruchsvollen Koloraturen genauso bravourös darzubringen, wie auch in sich gekehrt die lyrischen innigen Momente.

In der Hosenrolle des zweitgeborenen Sohns Sifare nimmt die Sopranistin Monika Buczkowska-Ward sehr für sich ein. Ganz bezaubernd ist eine Szene, wenn sie nicht nur von den Schattenfiguren umgeben ist, sondern auch ein Hornist (Alexander Boukikov) auf die Bühne tritt und die beiden sich musikalisch immer intensiver annähern und verbinden (derartiges ist auch nur durch die besondere Raumsituation machbar).

Countertenor Franko Klisović gibt äußerlich nonchalant den erstgeborenen Sohn Farnace und bieztet eine immense vokale Bandbreite. Ismene, Farnaces Verlobte, verzweifelt nicht ob der ihr erfahrenen Kränkung. Auch verwandelt sie ihren Kummer, anders als die anderen, nicht in Zorn. Hier besticht die junge Sopranistin Younji Yi, die seit dieser Spielzeit neue Stipendiatin des Frankfurter Opernstudios ist. Abgerundet wird das kleine Ensemble von Tenor Kudaibergen Abildin als Arbate, Tenor Jihun Hong als Marzio und Schauspieler Philippe Jacq als Majordomus (dem geflissentlichen Butler).

Mozarts frühe Kunstfertigkeiten verdeutlicht der britische Dirigent Leo Hussain am Pult des erhöht spielenden Frankfurter Opern- und Museumsorchesters mit viel Akkuratesse und Leidenschaft.

Für das großartige Sänger:innenensemble, das Orchester und die spannend und facettenreich gestaltete Inszenierung gab es am Ende der Premierenvorstellung intensiven Beifall.

Markus Gründig, Dezember 25


Mitridate, re di Ponto

(Mithidates, König von Pontus)
Opera seria in drei Akten
Von: Wolfgang Amadeus Mozart
Text: Vittorio Amedeo Cigna-Santi nach Jean Baptiste Racine
Uraufführung: 26. Dezember 1770 (Mailand, Teatro Regio Ducale)

Premiere / Frankfurter szenische Erstaufführung: Sonntag, 7. Dezember 25 (Opernhaus)
In Koproduktion mit dem Teatro Real, Madrid, dem Teatro di San Carlo, Neapel und dem Gran Teatre del Liceu, Barcelona

Musikalische Leitung: Leo Hussain
Inszenierung: Claus Guth
Szenische Leitung der Neuproduktion: Axel Weidauer
Bühnenbild: Christian Schmidt
Kostüme: Ursula Kudrna
Choreografie: Sommer Ulrickson
Licht: Olaf Winter
Dramaturgie: Konrad Kuhn

Besetzung:

Mitridate: Robert Murray
Aspasia: Bianca Tognocchi
Sifare: Monika Buczkowska-Ward
Farnace: Franko Klisović
Ismene: Younji Yi°
Marzio: Jihun Hong°
Arbate: Kudaibergen Abildin
Majordomus: Philippe Jacq

Tänzer*innen: Julia Alsdorf / Andréanne Brosseau / Joaquin Fernändez / Ivan Delgado del Rio / Gala G6mez Burlet / Sara Oliviere / Julen Pazos / Dan Pelleg / Evie Poaros / Andrii Punko / Marko Weigert / lnes Valderas

Frankfurter Opern- und Museumsorchester

oper-frankfurt.de