»Eugen Onegin« emotionsstark wieder an der Oper Frankfurt

Eugen Onegin ~ Oper Frankfurt ~ Tatiana (Elizabeth Reiter) und Eugen Onegin (Domen Križaj) ~ © Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Tschaikowski bezeichnete sein Werk Eugen Onegin ob der schwachen Handlungsstruktur nicht als Oper, sondern als „lyrische Szenen“. Ähnlich wie auch Jules Massenet seinen Werther nicht als Oper, sondern als „drame lyrique“ bezeichnete. Nachdem Werther vor einer Woche an der Oper Frankfurt wiederaufgenommen wurde, folgte jetzt Eugen Onegin. In beiden Werken geht es um große Gefühle, Leidenschaft und Enttäuschungen.

Die aktuelle Eugen Onegin-Inszenierung hatte 2016 Premiere. Ursprünglich von Regisseur Jim Lucassen entwickelt, sprang wegen einer Erkrankung Lucassens kurzfristig Dorothea Kirschbaum als Regisseurin ein. Von einem wie im Libretto angegebenen Landgut um das Jahr 1825 wurde die Handlung in ein großes Café in den 1980er Jahren verlegt. Durch Einsatz der Drehbühne kommen sowohl der Gastraum, wie auch eine Küche mit vielen Arbeitstischen zum Vorschein. Die Szenerie ändert sich auch nicht bei den im Freien spielenden Momenten. Im dritten Akt beherrscht dann eine überdimensionale geschwungene Couchlandschaft die Bühne von Katja Hass. Auch die oftmals farbenfrohen Kostüme von Wojciech Dziedzic und die Fönfrisuren der Damen spielen an die 1980er Jahre an. Während des Gutshoffest trägt ein Tanzpaar (Yana Madriyani, Manuel Gaubatz) russische Folklorekleider.

Eugen Onegin
Oper Frankfurt
Tatiana (Elizabeth Reiter, oben sitzend), und Olga (Anna Dowsley; unten sitzend) mit Kinderstatisterie der Oper Frankfurt
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Das Café nimmt Bezug zum unter Denkmalschutz stehenden Café Moskau im Berliner Ortsteil Mitte. Dort findet sich auf gesamter Wandhöhe im Eingangsbereich das Mosaik „Aus dem Leben der Völker der Sowjetunion“ des Künstlers Bert Heller. In Kleinstarbeit hatten die Theatermalerinnen und -maler der Oper Frankfurt für die Eugen Onegin-Inszenierung ein ähnliches Motiv per Hand gestempelt, das nun die imposante Rückwand des Cafés bildet (mit mehr Bezügen zur prosperierenden Sowjetunion). Auf dem Sims leuchtet in kyrillischen Lettern über der eingezäunten Bühne das Zitat „Wir werden gehen, uns küssen, altern“, aus einem Gedicht der russischen Dichterin und Schriftstellerin Anna Achmatova.

Eugen Onegin
Oper Frankfurt
Olga (Anna Dowsley) und Lenski (Kudaibergen Abildin)
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Nahezu alle Besetzungen stammen aus dem Frankfurter Ensemble und dem Opernstudio, bzw. sind ehemalige Mitglieder. Nicht wenige geben dabei ihr Rollendebüt. So wie die im Mittelpunkt stehende Sopranistin Elizabeth Reiter als Tatjana. Seit bald zehn Jahren zählt sie zum Ensemble der Oper Frankfurt und wirkt dennoch so jugendlich frisch, dass die Rolle der in Liebesdingen so unerfahrenen Tatjana ihr wie auf dem Leib geschnitten zu sein scheint. Mit großer Natürlichkeit und viel Hingabe zeigt sie eine empfindsame junge Frau, die durch Schmerz lernt und reift. Großes stimmliches Format beweist sie dabei nicht nur bei der Liebesbrief-Szene. Kein Wunder, dass ihr beim Schlussapplaus der stärkste Zuspruch widerfährt.

Eugen Onegin
Oper Frankfurt
Ensemble
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Dass Tatjana sich in den machohaften Eugen verliebt wird erst recht verständlich, wenn man ihn singen hört. Domen Križajs samtweiche Baritonstimme nimmt mit ihrem lyrischen Gepräge stark ein. Selten wird eine Liebesverweigerung so innig gegeben.

Viel Energie versprüht die stets strahlende und lebenslustige Olga der Sopranistin Anna Dowsley. Sie gibt mit dieser Partie ihr Debüt an der Oper Frankfurt.

Sehr nobel klingt die Tenorstimme des aus Kasachstan stammenden Tenors Kudaibergen Abildin als Olgas Verehrer Lenski.

Ein ergreifendes Plädoyer zugunsten Tatjanas legt Bass Thomas Faulkner als Fürst Gremin dar. Jung wirkt auch die Gutsbesitzerin Larina der Sopranistin Julia Moorman. Die Mezzosopranistin Elena Zilio rührt erneut als alte Amme Filipjewna mit ihrem zurückhaltenden Spiel. Klangstark präsentieren sich Peter Marsh (französischer Fotograf Triquet), Frederic Jost (Sekundant und Barkeeper Saretzki) und Pilgoo Kang (Hauptmann).

Der von Tilman Michael einstudierte Chor der Oper Frankfurt zeigt sich zunächst als gewissenhaft arbeitende Bäckerschar, später gelöster als feiernde Gesellschaft. Nicht zu unterschätzender Wert für diese Inszenierung ist die Beteiligung der Kinderstatisterie. Fünf Kinder sind als stumme Beobachter immer wieder beteiligt und lockern das Geschehen dadurch angenehm auf.

Karsten Januschke war der Oper bis 2015, zuletzt als Kapellmeister, verbunden. Jüngst dirigierte er bereits die Wiederaufnahme von Händels Tamerlano im Bockenheimer Depot. Er lässt das Frankfurter Opern- und Museumsorchester in Tschaikowskys romantischer Musik schwelgen und betont dabei die vielen zarten, intimen Momente mit großer Tiefe.

Dorothea Kirschbaums Regie lässt den Figuren viel Raum, ihre Gefühlslage darzulegen. Das Publikum folgt der Geschichte den gut drei Stunden gebannt und bedankte sich am Ende mit lang anhaltendem und kräftigen Applaus (wie schon zuvor mit reichlich Zwischenapplaus).

Markus Gründig, Januar 23


Eugen Onegin

(Jewgeni Onegin)

Lyrische Szenen in drei Akten und sieben Bildern
Von: Peter I. Tschaikowski

Uraufführung: 29. März 1879 (Moskau, Maly Theatre)
Premiere: 20. November 16
Erste Wiederaufnahme: 20. Oktober 2017
Zweite Wiederaufnahme: Samstag, 7. Januar 23

Musikalische Leitung: Karsten Januschke
Inszenierung: Dorothea Kirschbaum
Szenische Leitung der Wiederaufnahme: Orest Tichonov
Bühnenbild: Katja Haß
Kostüme: Wojciech Dziedzic
Licht: Joachim Klein
Chor: Tilman Michael
Dramaturgie: Norbert Abels

Besetzung:

Eugen Onegin: Domen Križaj / Mikołaj Trąbka (28.01., 03.02.)
Tatiana: Elizabeth Reiter / Nombulelo Yende° (28.01., 03.02.)
Lenski: Kudaibergen Abildin / Jonathan Abernethy (28.01., 03.02.)
Olga: Anna Dowsley / Marvic Monreal (28.01., 03.02.)
Fürst Gremin: Thomas Faulkner / Kihwan Sim (28.01., 03.02.)
Larina: Julia Moorman
Filipjewna: Elena Zilio
Triquet: Peter Marsh / Michael McCown (15., 20., 28.01, 03.02.)
Saretzki: Frederic Jost
Ein Hauptmann: Pilgoo Kang / Thomas Faulkner (28.01., 03.02.)
Ein Vorsänger: Young-Shik Kim

Tänzer:in: Yana Madriyani, Manuel Gaubatz

°Mitglied des Opernstudios

Chor und Statisterie der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester


Weitere Vorstellungen: 15. (18 Uhr), 20., 28. Januar, 3. Februar 2023
Falls nicht anders angegeben, beginnen diese Vorstellungen um 19 Uhr
Preise: € 16 bis 121 (12,5% Vorverkaufsgebühr nur im externen Vorverkauf)

oper-frankfurt.de