Staatstheater Mainz zeigt Hans Henny Jahnns »Der staubige Regenbogen«

Der staubige-Regenbogen ~ Staatstheater Mainz ~ Chervat (Andrea Quirbach), Dr. Lambacher (Lisa Eder), Sarkis (Leandra Enders), Arran (Antonia Jungwirth), Ducasse (Richard Zapf), Ebba (Holger Kraft), Lucie (Sabah Qalo), Tiripa (Henner Momann) ~ © Andreas Etter
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Heutzutage ist der Orgelbauer und Schriftsteller Hans Henny Jahnn (1894 – 1959) weitestgehend vergessen. Er war auch einer der ersten Kriegsdienstverweigerer, ein weit vor der Bio-Welle ökologisch Denkender und ein Atomwaffengegner. Ihm haftete der Ruf eines unangepassten Zeitgenossen und Provokateurs an. Er schrieb zahlreiche dramatische Werke und Romane (die nicht unbedingt leicht zugänglich sind). Ausgezeichnet wurde er u. a. 1954 mit dem Niedersächsischen Literaturpreis und 1956 mit dem Lessing-Preis. Für sein Drama Pastor Ephraim Magnus erhielt er bereits als 25-Jähriger im Jahr 1920 den Kleist-Preis zugesprochen.

Ein Großteil seiner Werke waren, nicht zuletzt ob ihrer Kritik an der damaligen christlichen Sexualmoral, umstritten. In späteren Jahren sprach er sich gegen rassistisches Denken aus und gegen die Wiederbewaffnung der BRD und gegen die Atomrüstung. So wie in Der staubige Regenbogen, das auch unter dem Titel Die Trümmer des Gewissens bekannt wurde.

Radikal gekürzte Fassung und Travestie

Für das Staatstheater Mainz hat jetzt die Regisseurin Rieke Süßkow das Werk in einer eigenen Fassung auf die Bühne des Kleinen Hauses gebracht. Das Stück wurde von ihr zerlegt und neu zusammengesetzt. Und dabei radikal gekürzt. Bereits die Uraufführungsfassung war stark gekürzt worden. Sie dauerte 1961 am Schauspiel Frankfurt rund drei Stunden. In Mainz beträgt die Spieldauer gerade einmal 80 Minuten. Rieke Süßkow konzentriert sich auf das Kernthema, die atomare Bedrohung. Denn diese ist aktuell wie nie. Doch auch die Frage, ob Fortschritt automatisch auch die Zerstörung von Natur und Menschheit bedingt, wird angerissen.

Der staubige-Regenbogen
Staatstheater Mainz
Ebba (Holger Kraft), Dr. Lambacher (Lisa Eder), Elia (David T. Meyer), Tiripa (Henner Momann), Arran (Antonia Jungwirth), Lucie (Sabah Qalo), Ducasse (Richard Zapf), Chervat (Andrea Quirbach), Jeanne (Max Kurth), Sarkis (Leandra Enders)
© Andreas Etter

Groteske und Überzeichnung

Rieke Süßkow arbeitet mit den Stilmitteln Groteske und Überzeichnung. Es gibt eine breite Crossgender-Besetzung, um klassisches Geschlechterverhalten zu entlarven. Auch die Alterszuweisung ist abweichend. All das macht das Verständnis nicht unbedingt leichter, wirkt allein ob der Travestie dafür schon unterhaltsam. Apropos unterhaltsam: Anfangs stehen nur die jeweils sprechenden Figuren pointiert im Scheinwerferlicht, während der Rest im Dunkeln ausharrt (Licht: Carolin Seel). Ein Wechsel zwischen den jeweils sprechenden Figuren wird zusätzlich akustisch mit eingespielten Sounds hörbar gemacht (Musik: Philipp Christoph Mayer). Mirjam Stängls Bühne zeigt für die von der Außenwelt abgeschirmte Atomstadt zwei riesige aufgeblasene Kunstformen, die sich immer wieder leicht verändern und dabei kräftig stöhnen. Sie wirken wie mutierte Krakenorganismen (mit zum Teil phallisch wirkenden Tentakeln). Sie sind gleichermaßen Schutzraum, Zufluchtsort und ein Zuhause (des Physikers Luxusvilla »Goldene Haus«). Laut Programmheft stehen sie für die Idee einer matriarchalen Gesellschaft und die Idee, das Patriarchat aufzulösen.

Utopie versus Dystopie

Im Mittelpunkt der Handlung steht der Forscher Jakob Chervat (besonnen: Andrea Quirbach). Er erfährt von seinem Freund, dem Redakteur Alexander Ducasse (agil: Richard Zapf ), dass seine Forschungen von einem Regierungskonzern missbraucht wurden und zu einem katastrophalen Atomunfall mit über 8000 Toten geführt haben. Hauptverantwortlich dafür ist der Exzellenz und Kriegstreiber Sarkis (kämpferisch: Leandra Enders). Ebenfalls nicht unbeteiligt ist der gewissenlose Wissenschaftler Dr. Lambacher (geheimnisvoll: Lisa Eder). Die Frau von Chervat, Jeanne (mystisch anmutend: Max Kurth) gebiert ein ob der Strahlenschäden stark behindertes Kind. Auch Ihr bereits großer Sohn Elia (sehr präsent: David T. Meyer) ist strahlenkrank (er leidet an massivem Haarausfall).

Eine Position pro Natur und Umwelt vertritt die jüngere Generation, die sich vom dystopischen Verhalten der Älteren deutlich abhebt. Hier vertreten durch den eine Hormonkur feilbietenden Arran (engagiert: Antonia Jungwirth) und seine Freundin Lucie (quirlig: Sabah Qalo), die ein neues Miteinander anstreben.

Würdevoll gibt Holger Kraft die nüchtern denkende Witwe Ebba Rantzow und Henner Momann leichtfüßig den zum Versuchsobjekt bestimmten indigenen Jungen Tiripa.

Das Massensterben am Ende wird vage angedeutet, indem alle nicht nur Geschwülste an Schulter, Armen und Beinen haben, sondern auch nackt bis auf die Haut sind (alle tragen dafür hautfarbene Kleidung; Kostüme: Sabrina Bosshard) und der Organismus in sich zusammenfällt und das Stöhnen verstummt.

Vom begeisterten Premierenpublikum gab es für das gesamte Team sehr viel Applaus.

Markus Gründig, Januar 23


Der staubige Regenbogen

Werkangaben: Die Trümmer des Gewissens

Von: Hans Henny Jahnn (1959)
In einer Fassung von: Rieke Süßkow

Uraufführung der Texteinrichtung von Karlheinz Braun und Erwin Piscator unter dem Titel „Der staubige Regenbogen“: 17. März 1961 (Frankfurt/M, Schauspiel Frankfurt)
Uraufführung der Originalfassung: 13. September 1981 (Wuppertal, Städtische Bühnen Wuppertal)

Premiere: 14. Januar 23 (Kleines Haus)

Inszenierung: Rieke Süßkow
Bühne: Mirjam Stängl
Kostüme: Sabrina Bosshard
Musik: Philipp Christoph Mayer
Licht: Carolin Seel
Dramaturgie: Jörg Vorhaben

Besetzung:

Jakob Chervat: Andrea Quirbach
Jeanne Chervat: Max Kurth
Elia, beider Sohn: David T. Meyer
Exzellenz Sarkis: Leandra Enders
Dr. Lambacher: Lisa Eder
Alexander Ducasse, Redakteur: Richard Zapf
Ebba Rantzow: Holger Kraft
Arran, ihr Sohn: Antonia Jungwirth
Lucie Harild, Freundin Arrans: Sabah Qalo
Tiripa: Henner Momann

staatstheater-mainz.com