Von der Gefahr zu großer Macht: Antikendrama »Bakchen« am Staatstheater Wiesbaden

Bakchen ~ Staatstheater Wiesbaden ~ Dionysos (Sybille Weiser) und Bakchen-Chor ~ Foto: Chrtistine Tritschler
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Gut drei Wochen vor dem ersten Jahrestag des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine (20.02.23) hatte am Staatstheater Wiesbaden das Antikendrama Bakchen Premiere im Kleinen Haus. Zwischen beiden Themen gibt es trotz zeitlicher Distanz einige Zusammenhänge. In eine bestehende Ordnung wird durch einen selbsternannten Gott eingegriffen, mit verheerenden Folgen.

Mutter tötet im Wahn eigenen Sohn

Bakchen ist ein Spätwerk von Euripides, das vor der Gefahr von Ekstase und Verführung warnt. Es wurde ca. 405 v. Chr. erstmals aufgeführt. Im Mittelpunkt steht kein geringerer als Dionysos, der Gott des Weines und der Fruchtbarkeit. Seine Anhänger innen sind bekannt unter der Bezeichnung Mänaden, Euripides nannte sie „Bakchen“ (lateinisch = Bacchae, für Dionysos weiteren Namen „Bacchus“).
Darum geht es: König Pentheus, Herrscher Thebens, weigert sich Dionysos als Gott anzuerkennen. Zudem hat Dionysos die Frauen Thebens in seinen Bann gezogen. Sie leben mit ihm in wilder Ekstase im Wald. So geht Pentheus gegen ihn vor, muss dafür aber mit seinem Leben zahlen. Seine eigene Mutter tötet ihn im Wahn.

Bakchen
Staatstheater Wiesbaden
Pentheus (Matze Vogel), Kadmos (Benjamin Krämer-Jenster), Tiresias (Noah L. Perktold)
Foto: Chrtistine Tritschler

So einfach die Geschichte ist, ihre Deutung ist seit jeher umstritten. Einen eindeutigen Sieger gibt es nicht. Weder der tyrannische Pentheus noch der destruktive Dionysos ist wirklich „gut“. Unauflösbar bleibt am Ende die Frage offen, ob der Sieg Dionysos´vielleicht doch eher ein Hieb gegen den Götterkult sei.

In anspruchvoller, moderner Sprache

Für das Burgtheater Wien erstellte der österreichische Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Raoul Schrott im Jahr 1999 eine neue Fassung der Tragödie. Sie zeichnet eine anspruchsvolle, moderne Sprache aus. Diese Fassung liegt auch der aktuellen Neuinszenierung des Staatstheaters Wiesbaden zugrunde. Regisseur Sebastian Sommer hat sie leicht gekürzt und so auf knapp 90 pausenlose Minuten komprimiert. Fremdtexte hat er nur in sehr geringem Umgang eingefügt, etwa wann die Königsmutter Agaue in ihrem großen Schlussmonolog auf die menschliche Hybris verweist.

Bakchen
Staatstheater Wiesbaden
Dionysos (Sybille Weiser), Pentheus (Matze Vogel), Hirte (Felix Strüven
Foto: Chrtistine Tritschler

Die Handlung spielt in Theben in mythischer Zeit. Davon zeigt die Bühne von Philip Rubner und Alexander Grüner recht wenig, dennoch wirkt das Wenige ausreichend und gut. Das Kithairon-Gebirge vor Theben wird durch eine deutliche Erhöhung des Bodens, der zum Bühnenrand abfällt und grünlich angestrahlt wird, angedeutet. Ein Fadenvorhang darin steht zunächst für das Haus von Pentheus.

Zügellose Menschenbilder gibt es nur in Form von kurzen, überlagerten und unscharf zugespielten Videoprojektionen (Video: Astrid Gleichmann). Blut-verströmte Gesichter zum Schluss hin. Die Ernsthaftigkeit des Textes wird zwischen den Szenen (Episoden/Dialogen) sehr cool durch Clubsounds (Musik: Jan Brauer und Esmeralda Conde Ruiz) aufgelockert, gleichzeitig wird damit das wilde Treiben angedeutet. Ansonsten sind es die farbenfrohen und aufgeblähten Rüschenkleider, die die Szenerie beherrschen (Kostüme: Wicke Naujoks).

Dionysos mit androgynen Zügen

Einen starken Auftakt legt Dionysos gleich bei seinem „Aufgesang“ zu Beginn hin, seine Gegenwart vor den Mauern Thebens beschreibend. Erhaben und mit Stierhörnern gibt Sybille Weiser diese Figur mit androgynen Zügen. Dabei oftmals nicht autoritär sprechend, sondern vielmehr nahezu kindlich naiv und dadurch umso mehr einnehmend.
Pentheus, der aktuelle König von Theben, ist schon rein äußerlich gezeichnet, denn er trägt unter seinem schwarzen Rüschenoberteil lediglich eine Unterhose. Matze Vogel gibt ihn dennoch kämpferisch und maskulin. Marie Luisa Kerkhoff kann als Tochter des früheren Königs (Agaure) als Einzige ihrer Figur tragische Tiefe geben.

Als zu Dionysos Übergelaufene tragen auch der blinde Seher Tiresias (vital: Noah L. Perktold) und der frühere König von Theben, Kadmos, (Erschütterung zeigend: Benjamin Krämer-Jenster) Rüschenkleider in Pink- und Magentafarbtönen. Felix Strüven obliegt in Mehrfachbesetzung als Sklave und Hirte die ausführlichen Berichte von den Geschehnissen zu übermitteln (dabei wie Dionysos viel Bein zeigend).

Das Stück endet, wie es begonnen hat, nur das der selbe Text jetzt von Raoul Schrott mit „Abgesang“ bezeichnet wurde.

Langer und intensiver Applaus, auch für das Regieteam, für einen Abend der mit bedrückender Aktualität die Brücke von der Antike in die Gegenwart schlägt.

Markus Gründig, Januar 23


Bakchen

Von: Raoul Schrott, Neudichtung nach Euripides um 480 v. Chr. – 406 v. Chr.

Premiere am Staatstheater Wiesbaden: 28. Januar 23 (Kleines Haus)

Inszenierung: Sebastian Sommer
Bühne: Philip Rubner, Alexander Grüner
Kostüme: Wicke Naujoks
Mitarbeit Kostüme: Josephine Berger
Video: Astrid Gleichmann
Musik: Jan Brauer, Esmeralda Conde Ruiz
Chorleitung: Esmeralda Conde Ruiz
Dramaturgie: Marie Johannsen

Besetzung:

Dionysos: Sybille Weiser
Pentheus: Matze Vogel
Tiresias: Noah L. Perktold
Kadmos: Benjamin Krämer-Jenster
Agave: Marie Luisa Kerkhoff
Sklave/ Hirte / Soldat: Felix Strüven

Chor: Ainikki Arndt, Laura Brettschneider, Nicoletta de Las Casas, Julia Elfert, Saskia Fuchs, Juliane Gaebler, Hanka Kunert, Tamara Kurti, Eva-Maria Lechler, Mignon Mangel, Nina Messerschmidt, Regina Titzrath-Mahler

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