Vito Žurajs todtraurige Oper »Blühen« im Frankfurter Bockenheimer Depot

Blühen ~ Oper Frankfurt ~ v.l.n.r. Edgar (Jarrett Porter), Aurelia (Bianca Andrew; liegend), Ken (Michael Porter), Dr. Muthesius (Alfred Reiter) und Anna (Nika Gorič ) ~ © Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Der Roman Buddenbrooks und die Novellen Tod in Venedig und Der Zauberberg sind die bekanntesten Werke von Thomas Mann (1875-1955). Wie kaum ein anderer Schriftsteller beschäftigte er sich immer wieder mit dem Thema Verfall. So auch in seiner letzten abgeschlossenen Erzählung, der Novelle Die Betrogene von 1953. In ihr zeigt sich ganz besonders die Dialektik von Leben und Tod. Die lebenslustige Mutter zweier erwachsener Kinder in den Wechseljahren verliebt sich in einen deutlich jüngeren Mann. Sie denkt eine wundersame Verjüngung zu erfahren, blüht förmlich auf und träumt gar von einem weiteren Kind. Doch die nach der Menopause wieder einsetzende Blutung rührt von einem Gebärmutterkrebs im Endstadium her und so sieht sich unvermittelt mit dem eigenen Tod konfrontiert.

Durchdringende und feingliedrige Musik

Im Auftrag der Oper Frankfurt entwickelte der österreichische Schriftsteller, Schauspieler, Filmregisseur und Dramatiker Händl Klaus (*1969) auf Basis von Thomas Manns Novelle ein Opernlibretto. Er ist in Frankfurt kein Unbekannter. Er verfasste bereits für die 2017 an der Oper Frankfurt uraufgeführte Oper Der Mieter von Arnulf Herrmann das Libretto. Manns Novelle kürzte und straffte er. Dabei ist seine Sprache direkt und besteht meist aus kurzen Sätzen.

Blühen
Oper Frankfurt
vorne v.l.n.r. Aurelia (Bianca Andrew) und Anna (Nika Gorič), sowie im Hintergrund Vokalensemble
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Vertont wurde das Werk, ebenfalls im Auftrag der Oper Frankfurt, durch den slowenischen Komponisten Vito Žuraj (*1979). Sein Opernerstling, der Operneinakter Orlando. Das Schloss wurde 2013 am Theater Bielefeld uraufgeführt (Kooperation mit der Akademie Musiktheater heute). Bereits 2009 wurde er in die Internationale Ensemble Modern Akademie (IEMA) aufgenommen, der er weiterhin verbunden ist. Die Musik von Blühen ist modern und zugänglich. Oftmals klingt sie bedrohlich und nervös. Sie hat aber auch feingliedrige, nahezu lyrische Passagen. Dabei ist sie genau auf die Figuren zugeschnitten. Unter der Musikalischen Leitung von Michael Wendeberg spielt das Ensemble Modern Žurajs Musik beeindruckend feingliedrig. Viele Einzelinstrumente treten dabei immer wieder deutlich hervor (nicht zuletzt, weil sie bestimmten Figuren zugeordnet sind).

Der Krebs ist allgegenwärtig

Das Thema „Blühen“ wurde für die szenische Umsetzung mit wenigen Mitteln ausgesprochen wirkungsvoll umgesetzt. Zunächst sind, abstrakt gehalten, nur Spaliere mit blühendem Geäst (lose an Weidenkätzchen erinnernd) und als Andeutung für den Wohnbereich, sechs Stühle zu sehen. Nach dem Intro werden sie an die Seiten geschoben und eine blaue Couch aus zusammengesetzten Blasen wird sichtbar. In kleinerer Form finden sich solche Blasen auch als der im Stück angegebene Baum aus dem zyprischen Limassol (an der linken Seite sich parasitär um eine Säule hochrankend). Blasen wie Knospen erinnern im Kontext der Oper freilich auch an bösartig mutierte Körperzellen. So sieht man das kräftige Blau mit gemischten Gefühlen. Noch heftiger wird es nach dem Liebesglück zwischen Aurelia und Ken. Die bislang von Spalieren verdeckte Rückwand öffnet sich und ein riesiges Steingebilde wird sichtbar. Es weckt unverblümt Assoziationen zu einer Geschwulst (Bühnenbild: Martina Segna).

Feinfühlige und intensive Szenen dank Brigitte Fassbaender

Im Mai letzten Jahres inszenierte die ehemalige Mezzosopranistin, Intendantin und Regisseurin Brigitte Fassbaender (*1939) zauberhaft Benjamin Brittens heitere Oper A Midsummer Night Dream im Bockenheimer Depot. Blühen ist ihre erste Uraufführungsinszenierung. Hierfür gestaltete sie intensiv wirkende Szenen, die durch die dramatische Musik noch verstärkt werden.

Blühen
Oper Frankfurt
vorne Aurelia (Bianca Andrew) und Ken (Michael Porter), sowie im Hintergrund Vokalensemble
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Den kammerspielartigen Charakter des Werkes erweiterte sie durch ein aktive Einbindung eines zwölfköpfigen Vokalensembles (Vokalensemble: Takeshi Moriuchi). Dieses steuert nicht nur untermalend Klänge und Töne für die Zwischenszenen bei, es ist auch szenisch als Beobachter und Gestalter eingebunden. In der finalen siebten Szene, der Sterbeszene, wirkt es beklemmend. Die Männerstimmen geben einen tiefen Sprechgesang, der an den Ton einer Stimmprothese nach der Entfernung eines Kehlkopfkrebs erinnert.

Bianca Andrew stark in den Extremen des Lebens

In einem leichten Sommerkleidchen (Kostüme: Anna-Sophie Lienbacher) ist die Aurelia der Mezzosopranistin Bianca Andrew zu erleben. Es ist erstaunlich, wie intensiv Andrew das Wechselbad der Gefühle dieser Figur zeigt. Die anfängliche Unbeschwertheit und das Verliebtsein in den jungen Englischlehrer Ken zeigt sie mit einer ansteckenden Leichtigkeit. Umso vehementer ist dann ihr Umschwung nach der bitteren Diagnose und das Erstarren angesichts des bevorstehenden Sterbens.

Blühen
Oper Frankfurt
in der Bildmitte Aurelia (Bianca Andrew; liegend) und Dr. Muthesius (Alfred Reiter; sitzend) sowie vorne Ensemble Modern unter der musikalischen Leitung von Michael Wendeberg und im Hintergrund Vokalensemble
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Unbeschwertheit ist auch das Markenzeichen von Tenor Michael Porter, der hier den Englischlehrer Ken gibt. Auch klanglich kommt er sehr einnehmend zur Geltung. Andrew und Porter waren vor Tätigkeit im Ensemble jeweils Stipendiaten des Opernstudios. Zu Letzterem zählt seit dieser Saison auch der Bariton Jarrett Porter, hier mit schönem Stimmtimbre als Aurelias ruhigen Sohn Edgar zu erleben.
Die Sopranistin Nika Gorič gibt mit dieser Produktion ihr Debüt an der Oper Frankfurt. Die von ihr verkörperte Figur der Anna stellt einen Gegenpol zu Aurelia da. Sachlicher und gefasster. Dabei bewältigt sie galant auch die anspruchsvollen und sehr differenzierte Passagen ihrer Partie. Mit Respekt und Fingerspitzengefühl ist Bass Alfred Reiter der Aurelias Arzt Dr. Muthesius. Schon der Klang seiner Stimme hat balsamischen Charakter.

Zum unpathetischen Ende wird auch die Musik immer dezenter, reduzierter. Sanfte Schlagwerkschläge deuten den immer langsamer werdenden Lebenspuls Aurelias an, kurz unterbrochen von einem Zirpen wie ein Alarm und dann schließlich einfach Stille. Nach kurzer Pause folgte in der besuchten Vorstellung lang anhaltender und intensiver Applaus vom Publikum.

Markus Gründig, Januar 23


Blühen

Oper in sieben Bildern
Von: Vito Žuraj (*1979)
Text: Händl Klaus (* 1969), frei nach Thomas Manns Erzählung Die Betrogene
Auftragswerk der Oper Frankfurt

Premiere / Uraufführung: 22. Januar 23 (Bockenheimer Depot)
Besuchte Vorstellung: 25. Januar 23

Musikalische Leitung: Michael Wendeberg
Inszenierung: Brigitte Fassbaender
Bühnenbild: Martina Segna
Kostüme: Anna-Sophie Lienbacher
Licht: Jan Hartmann
Vokalensemble: Takeshi Moriuchi
Dramaturgie: Mareike Wink

Besetzung:

Aurelia: Bianca Andrew
Anna: Nika Gorič
Ken: Michael Porter
Dr. Muthesius: Alfred Reiter
Edgar: Jarrett Porter°

Vokalensemble: Marika Dzhaiani / Dina Levit / Maria Zibert / Guénaelle Mörth / Dalila Djenic / Manon Jürgens / Kiduck Kwon / Hubert Schmid / Richard Franke / Younjin Ko / Agostino Subacchi / Christopher Jähnig

Ensemble Modern

°Mitglied des Opernstudios

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