Giacomo Puccinis letzte Oper Turandot bietet mit der Arie „Nessun Dorma“ des Calafen einen weit bekannten Hit. Und auch sonst ist die mit orientalischen Klangmustern angereicherte Musik für ein breites Publikum geeignet. Obwohl Puccini viele Jahre an ihr gearbeitet hatte, blieb sie unvollendet. Einige Komponisten, wie Franco Alfano oder Luciano Berio, vollendeten sie. Am Staatstheater Wiesbaden wird keine dieser Schlusskompositionen verwendet. Doch dazu später mehr.
Zu Hause bei Puccini
Für die szenische Umsetzung und das Bühnenbild zeichnet Daniela Kerck verantwortlich. Am Staatstheater Wiesbaden erarbeitete sie im vergangenen Jahr bereits Antonín Dvořáks Rusalka (gemeinsam mit Olesya Golovneva) und Jörg Widmanns Babylon zur Eröffnung der Internationalen Maifestspiele 2022.
Kerck verortet die Oper nicht in Peking oder einem märchenhaften Land. Bei ihr spielt ein Teil der Handlung Zuhause bei Puccini (er lebte zuletzt in der Toscana). Hier sitzt zu einem hinzugefügten Prolog Puccini (=Calaf) von hohen Bücherwänden umgeben am Klavier.
Der Bezug zu Komponist und Werk ist für Kercks Umsetzung von elementarer Bedeutung. Sieht sie doch eine enge Verbindung zwischen der Figur der jungen Sklavin Liù und Puccinis Hausangestellter Doria Manfredi. Letzterer wurde vorgeworfen ein Verhältnis mit dem Hausherrn gehabt zu haben. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch führte dies zu einem tragischen Selbstmord. So ist die Figur der Liú hier deutlich aufgewertet worden.
Der Bühnengrundraum ist dabei typisch Staatstheater Wiesbaden: Ein großer, weiter offener Raum, mit Einbezug der Rückwand für kunstvolle, die Stimmung untermalende Videoprojektionen (Astrid Steiner). Zusätzliche Art déco-Elemente verweisen auf die 1920er Jahre, die Entstehungszeit der Oper (und den aufkommenden exotischen Vorstellungen einer Märchenwelt). Ein ferner Garten wird durch ein Portal mit asiatisch anmutendem Muster vermittelt. Prachtvoll leuchten die farbintensiven Umhänge des Kaisers und der Prinzessin. Der Calaf und Liù tragen Weiß, Schwarz nahezu alle Anderen (Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer und Frank Schönwald).
Klangstarke Solisten, Chor und Orchester
Die Sopranistin Olesya Golovneva verleiht der verschlossenen Prinzessin Turandot ein starkes Auftreten und passend dunkel gefärbte Spitzentöne. Tenor Rodrigo Porras Garulo ist ein weitgehend vornehm zurückhaltend auftretender Calàf, der aber dann auch sehr machohaft seinen Triumph über Turandot auslebt. Stimmlich besticht er mit dramatischer Kraft. Mit ebenmäßigem Sopran und lyrischen Bögen nimmt die chinesisch-amerikanische Sopranistin Heather Engebretson sehr für sich ein. Mit kernigen Stimmen gefallen Young Doo Park (entthronter Tatarenkönig Timur), Erik Biegel (Kaiser Altoum) und als die drei Minister Christopher Bolduc ( Ping), Ralf Rachbauer ( Pang) und Gustavo Quaresma ( Pong).
Klangstark bringt sich der von Albert Horn einstudierte Chor und Extrachor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden ein, dem der Kinderchor der Limburger Dommusik (Einstudierung: Andreas Bollendorf und Judith Kunz) nicht nachsteht. Eine Besonderheit dieser Inszenierung ist auch der Einbezug eines Tänzers (Gabriele Ascani) als der zur Hinrichtung verurteilte persische Prinz.
Orchestrale Leidenschaft vermittelt der israelisch-amerikanische Dirigent Yoel Gamzou am Pult des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden intensiv.
Bei den Internationalen Maifestspielen 2024 werden Anna Netrebko als Turandot und Yusif Eyvazov als Calif zu erleben sein. Beide Vorstellungen sind jedoch seit langem ausverkauft.
Eine besondere Schlusskomposition
Nicht nur für Daniela Kerck ist klar, dass es nach dem Opfertod Liús kein Happy End, wie von Franco Alfano oder Luciano Berio hinzugefügt, geben kann. Stattdessen wird hier Puccinis kurzes Requiem gespielt. Dabei handelt es sich nicht um eine komplette Totenmesse (was viel zu lang wäre), sondern lediglich um die Vertonung des Einzugsgesangs (dem Antiphon zum Introitus; eine Komposition für Chor, Bratsche und Harmonium/Orgel). Puccini komponierte es für die Feier zu Verdis 4. Todestag (1904).
Szenisch passieren währenddessen seitens Liù und Turandot zwei unerwartete und wundersame Dinge, die an dieser Stelle aber nicht verraten werden.
Am Schluss nicht enden wollender Applaus für alle Beteiligte.
Markus Gründig, April 24
Turandot
Oper in drei Akten
Von: Giacomo Puccini (1858 – 1924)
Libretto: Giuseppe Adami, Renato Simoni (nach dem gleichnamigen Theaterstück von Carlo Gozzi) Uraufführung: 25. April 1926 (Mailand, Teatro alla Scala)
Premiere am Staatstheater Wiesbaden: 13. April 24
Musikalische Leitung: Yoel Gamzou, Michelangelo Mazza
Inszenierung / Bühne: Daniela Kerck
Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer, Frank Schönwald
Licht: Klaus Krauspenhaar
Video: Astrid Steiner
Choreografie: Rosana Ribeiro
Chor: Albert Horne
Einstudierung Kinderchor: Andreas Bollendorf, Judith Kunz
Dramaturgie: Constantin Mende
Besetzung:
Turandot: Olesya Golovneva, Anna Netrebko
Calàf: Rodrigo Porras Garulo, Yusif Eyvazov, Aaron Cawley
Liù: Heather Engebretson
Timur: Young Doo Park
Altoum: Erik Biegel
Ping: Christopher Bolduc
Pang: Ralf Rachbauer
Pong: Gustavo Quaresma
Ein Mandarin: Mikhail Biryukov
Der persische Prinz: Patrick James Hurley (Gesang) / Gabriele Ascani (Tanz)
Chor, Chorsolisten & Extrachor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Kinderchor der Limburger Dommusik
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden
staatstheater-wiesbaden.de