In regelmäßigen und größeren Abständen steht Jules Massenets „drame lyrique“ Werther auf dem Spielplan der Oper Frankfurt. Die Produktion der Nederlandse Opera Amsterdam in Kooperation mit der Opéra de Lyon hatte dort im Dezember 2005 Premiere und wurde jetzt am Neujahrsabend 2023 zum sechsten Mal wiederaufgenommen.
Willy Deckers eindringliche Inszenierung im abstrakten Bühnenbild von Wolfgang Gussmann hat an Reiz nicht eingebüßt. Ein weitestgehend leerer und, in melancholisch dunkelblau, tapezierter Innenraum kontrastiert mit einem Hügel, der Sonnenaufgangsstimmung, Feld und Winterlandschaft suggeriert. Miniaturen von Häusern spiegeln die Umgebung städtischen Wohnens wider. Die historisierenden Kostüme (ebenfalls Wolfgang Gussmann) spiegeln das kühle Blau des Innenraums.
Der für die szenische Leitung der Wiederaufnahme zuständige Alan Barnes führt die Sängerinnen und Sänger, nahezu alles Ensemblemitglieder (bzw. ehemalige) akzentuiert durch die Geschichte.
Trotz seiner traurigen Geschichte ist Massenets Oper hier ein großes Erlebnis. Unter der Musikalischen Leitung von Elias Grandy spielt das Frankfurter Opern- und Museumsorchester Massenets gefühlsbetonte Musik mit ihren harmonischen Raffinements sehr nuancenreich aus. Im Mittelpunkt stehen die Figuren Werther und Charlotte, weshalb die Oper auch als „ein einziges prolongiertes Liebesduett“ (Peter Ross) bezeichnet werden kann. Tenor Gerard Schneider gibt die anspruchsvolle Titelpartie mit nobler Note, vielen Klangfarben und zartem Schmelz. Die amerikanische Mezzosopranistin Cecelia Hall, kürzlich noch als Prinzessin Irene in Händels Tamerlano zu sehen, gestaltet die umfangreiche Partie der Charlotte mit Bravour.
Dank der guten Regiearbeit sind die Nebenfiguren sehr prägnant gezeichnet. Sebastian Geyer verleiht dem Albert, unterstützt von seiner profund grundierten Baritonstimme, autoritäre Züge und zeigt deutlich, dass er in Werher einen Rivalen sieht. Florina Ilie erobert mit ihrer unbeschwert schwärmerischen Art und ihrem strahlenden Sopran leider nicht das Herz von Werther, aber dafür das des Publikums. Mit Spaß bringen sich die als Kobolde agierenden Johann (kraftvoll: Iain MacNeil) und Schmidt (gefühlvoll: Andrew Bidlack) ein und erinnern dabei an den Stil von Robert Wilson. Franz Mayer gibt den Le Bailli mit sonorer Stimme und väterlicher Attitüde. Liebesseligkeit demonstriert das Paar Brühlmann (Pere Llompart) und Käthchen (Jianhua Zhu). Für rührende Momente sorgt auch der von Álvaro Corral Matute einstudierte Kinderchor der Oper Frankfurt mit seinem Weihnachtslied.
Am Ende gab es im gut besuchten Opernhaus für alle Beteiligte intensiven Applaus für die beeindruckende Wiederaufnahme.
Markus Gründig, Januar 23
Im Rahmen der aktuellen Wiederaufnahmeserie gibt es noch drei weitere Vorstellungen (am 13., 22. und 26. Januar 23).
Werther
Lyrisches Drama in vier Akten
Von: Jules Massenet
Uraufführung: 16. Februar 1892 (Wien, Wiener Hofoper)
Premiere an der Oper Frankfurt: 11. Dezember 05
Sechste Wiederaufnahme: Sonntag, 1. Januar 23
Produktion der Nederlandse Opera Amsterdam in Kooperation mit der Opéra de Lyon (1996)
Musikalische Leitung: Elias Grandy
Inszenierung: Willy Decker
Szenische Leitung der Wiederaufnahme: Alan Barnes
Bühnenbild, Kostüme: Wolfgang Gussmann
Licht: Joachim Klein
Kinderchor: Álvaro Corral Matute
Besetzung:
Werther: Gerard Schneider / Ioan Hotea (22., 26.01.)
Charlotte: Cecelia Hall
Sophie: Florina Ilie
Albert: Sebastian Geyer
Johann: Iain MacNeil
Le Bailli: Franz Mayer
Schmidt: Andrew Bidlack
Brühlmann: Pere Llompart
Käthchen: Jianhua Zhu
Kinderchor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
oper-frankfurt.de
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