Lange Zeit gab es an der Oper Frankfurt keine Aida zu erleben. Die letzte Neuinszenierung feierte am 31. Januar 1981 Premiere (Musikalische Leitung. Michael Gielen, Regie: Hans Neuenfels). Sie setzte einen Maßstab für das Regietheater und sorgte ob ihrer ungewöhnlichen Neuinterpretation für hitzige Auseinandersetzungen. Kontrovers kann auch die aktuelle Umsetzung der gebürtigen US-Amerikanerin Lydia Steier gesehen werden, die jetzt an der Oper Frankfurt gespielt wird. Dabei handelt es sich um eine Weiterentwicklung ihrer Inszenierung am Theater Heidelberg (Premiere: 1. Oktober 2011). Von dort wurde das Bühnenbild von Katharina Schlipf und die Kostüme von Siegfried Zoller nach Frankfurt übernommen. Handlungsort ist eine große und in die Jahre gekommene Bunkeranlage, denkbar zur Zeit der dekadenten 1920er Jahre.
Greise Herrscher, Rausch und ausgelebter Sadismus
Bei György Ligetis Anti-Anti-Oper Le Grand Macabre wird dem Sterben ein Lächeln abgewonnen. Lydia Steiers zum Nachdenken anregende Interpretation von Giuseppe Verdis Aida, die in erster Linie ja eine ergreifende Liebesgeschichte thematisiert, lässt einen oftmals den Atem stocken. Ihre Interpretation geht weit über das Libretto hinaus. Am liebsten würde man zwischendurch die Augen schließen. Gleichzeitig hofft man, dass das plakativ bebilderte Grauen bald ein Ende findet. Ein antiquiertes Setting hat sicher niemand erwartet, eher einen abstrakten äußeren Rahmen, wie an der Oper Frankfurt beispielsweise bei Madama Butterfly oder Elektra. Doch Steiers Umsetzung strotzt nur so von einer Bilderflut. Es sind meist sehr dramatische.
Aida handelt neben der Liebe zwischen dem ägyptischen Feldherrn Radames und der äthiopischen Sklavin Amneris vom Krieg zweier Nationen. Kein Krieg ist schön, sei er auch von noch so stimmungsvoller Musik ummantelt wie bei Verdi. Errungene Siege nicht als Triumph und die Kollateralschäden eines Krieges zu zeigen ist per se nicht verkehrt. Doch Steiers Nähe zum Splatterfilmgenre mutet dem Publikum schwere Kost zu. Zusätzlich ertönen zwischen dem ersten und dem zweiten Akt Kriegsgeräusche wie von einschlagenden Bomben (bei vollständiger Saalverdunkelung). Insgesamt wirkt diese Aida wie ein brutales Le Grand Macabre 2.0.
Dass die höfische Gesellschaft um den ägyptischen König (erhaben, rollenbedingt aber sein großes Talent nur wenig ausspielen könnend: Bass Kihwan Sim) nur aus greisen und kranken Herren (mit Gehhilfen, Rollatoren, Rollstühlen und Bluttransfusionen ausgestattet) und dekadenten reifen Damen besteht, ist noch mit einem Schmunzeln hinzunehmen. Doch schon die hier deutlich aufgewertete Figur des zynischen Ramfis (Oberhaupt der Priester; kraft- und würdevoll: Bass Andreas Bauer Kanabas) verstört. Zur Ouvertüre schleicht er über die Szenerie, antriebslos, desillusioniert, schuldbeladen und sich immer wieder betäubend. Das geht so die ganze Aufführung über so weiter. Zwei menschlichen Geier-Vögeln gibt er das Einverständnis, ein Kind zu opfern, was sich später als traumatisches Erlebnis mit ihm selbst als aktiver Täter wiederholt. Mit den gefangen genommenen Äthiopiern wird eine Art russisches Roulette gespielt (eine Gefangene stirbt an einem Trunk, während die anderen ihn überleben) und Waterborderung praktiziert. Am krassesten ist die Fortschreibung der Königstochter Amneris als jähzornige und hemmungslose Gewalttäterin. Einer ihr untergebenen Sklavinnen sticht sie süffisant die Augen aus, eine andere wird mit Messerstichen niedergemetzelt. Blut fließt reichlich, auch wenn es nicht sichtbar spritzt und meist nur an verdreckten Kleidern zu erkennen ist.
Musik steht unter dem szenischen Primat
Für die erkrankte Guanqun Yu übernahm bei der besuchten zweiten Vorstellung die im ukrainischen Ternopil geborene Sopranistin Ekaterina Sannikova die Titelpartie. Damit gab sie zugleich ihr Debüt an der Oper Frankfurt. Die auch als Schauspielerin ausgebildete Künstlerin gestaltete die Figur der Aida eindringlich und intensiv. Diese Partie wird sie auch im kommenden Jahr bei der Aida-Großproduktion Oper im Steinbruch im österreichischen St. Margarethen verkörpern.
Der im italienischen Turin geborene Tenor Stefano La Colla ist eine Stütze der Produktion. Ist der Karrierespring von Radamès innerhalb der Inszenierung auch nicht glaubwürdig, so stellt er einmal mehr seine elegante Stimme eindrucksvoll vor (an der Oper Frankfurt war er zuletzt im vergangen Jahr in Puccinis Il tabarro/Il trittico zu erleben). Die Figur der Amneris ist hier ob ihrer zügellosen Gewaltbereitschaft keine Sympathieträgerin, sängerisch und darstellerisch glänzt Mezzosopranistin Claudia Mahnke bei ihrem Rollendebüt dafür umso stärker. Aufbrausend und sehr präsent ist auch Bariton Nicholas Brownlee als geschundener äthiopischer König Amonasro.
Ein Höhepunkt der Oper ist die Triumphszene am Ende des zweiten Aktes. Die Siegesfeier der Ägypter ist hier ein bizarres und frenetisches Event. Die eingesetzten und auf der Bühne platzierten Aida-Trompeten klingen dann auch eher wie eine eindringliche Maßregelung. Kraftvoll präsentiert sich der um den Extrachor verstärkte Chor der Oper Frankfurt, stimmlich ist die greise Formation in Topform (Einstudierung: Tilman Michael). Erik Nielsen, Chefdirigent des Sinfonieorchesters Bilbao und der Tiroler Festspiele Erl, leitet das Frankfurter Oper und Museumsorchester sehr maßvoll und mit großem Feingefühl. So ist die Musik eine Wohltat gegenüber dem szenischen Geschehen.
Bei allem Vorbehalt gegenüber Lydia Steirs derber Umsetzung, handwerklich ist sie gut gemacht und in sich stringent. Bis zum Schluss. Wenn sich die Tür für Aida und Radamès schließt, tritt Ramfis zu Amneris und verabreicht ihr demonstrativ eine Todesspritze. Dann setzt er sich mit einer Pistole in der Hand hin. Bevor auch er sich selber richtet, fällt zum Glück der Vorhang.
Bei der besuchten zweiten Vorstellung gab es einigen Zwischenapplaus, u. a. gleich zu Beginn für Stefano La Colla und später für Ekaterina Sannikova. Der erste Schlussapplaus fiel zunächst verhalten aus. Für die Sänger:innen und die Musiker gab es dann verdienter Maßen kräftigen und lang anhaltende Beifallsbekundungen.
Markus Gründig, Dezember 23
Aida
Opera lirica in vier Akten
Von: Giuseppe Verdi (1813—1901)
Libretto: Antonio Ghislanzoni (nach einem Entwurf von Auguste Mariette Bey und einem Szenarium von Camille Du Locle)
Uraufführung: 24. Dezember 1871 (Kairo, Khedivial-Opernhaus)
Deutschsprachige Erstaufführung: 20. April 1874 (Berlin, Königliches Opernhaus)
Premiere: 3. Dezember 23
Besuchte Vorstellung: 6. Dezember 23
Musikalische Leitung: Erik Nielsen
Inszenierung: Lydia Steier
Bühnenbild: Katharina Schlipf
Kostüme: Siegfried Zoller
Licht: Joachim Klein
Chor: Tilman Michael
Dramaturgie: Mareike Wink
Besetzung:
Aida: Guanqun Yu / Ekaterina Sannikova (06.12.23)
Radamès: Stefano La Colla
Amneris: Claudia Mahnke
Ramfis: Andreas Bauer Kanabas
Amonasro: Nicholas Brownlee
Der König von Ägypten: Kihwan Sim
Ein Bote: Kudaibergen Abildin
Eine Priesterin: Monika Buczkowska
Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester