kulturfreak.de Besprechungsarchiv Musical und Show, Teil 2

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DAS MÄDCHEN ROSEMARIE im Club CAPITOL THEATER Düsseldorf

Am 21.Januar 2004 feierte das Musical DAS MÄDCHEN ROSEMARIE in Düsseldorf seine Welturaufführung. Nach den Motiven des Romans von Erich Kuby hat Dirk Witthuhn das Buch und die Liedtexte geschrieben, musikalisch zeichnet sich der langjährige musikalische Leiter des Capitol Theater, Heribert Fechler, verantwortlich.

Die Geschichte der letzten Monate der Edelhure Rosemarie Nitribitt wird in markanten Szenen inszeniert. Anstelle eines flotten Tanztheaters oder einer aufwändigen, opernhaften Inszenierung wird hier ein anspruchsvolles Theaterstück mit viel Musik auf die Bühne gebracht.

Die Besetzung ist erstklassik. In der Titelrolle agiert mit Anna Montanaro eine international bekannte Musicaldarstellerin, die auf ein reiches Reportoire ähnlicher Rollen zurückblicken kann ( Sally Bowles in CABARET, Velma Kelly in CHICAGO, Maria Magdalena in JESUS CHRIST SUPERSTAR und Lucy in JEKYLL & HYDE ). Ihre männlichen Partner, angefangen von Bernhard Bettermann, preisgekrönter Schauspieler ( So weit die Füße tragen, 2000 ), über Tom Zahner, unvergesslich seine Rolle des Gauners Thenadier in Les Miserables, bis zu Norbert Lamla, bekannt aus vielen Musicals ( Max in SUNSET BOULEVARD, Javert und Valjean in LES MISERABLES, Frolo in DER GLÖCKNER VON NOTRE DAME), spielen die aufstrebenden Funktionäre des Deutschen Wirtschaftswunders. Das Mädchen Rosemarie bedient nicht nur deren erotische Begierden, sondern wird bald als Kopie einer Mata Hari zur Wirtschaftsspionage genutzt. Dem finanziellen Erfolg folgen auch Neider und mit den Betrogenen aller Art bildet sich eine große Schar potentieller Mörder. Am Ende steht wieder die Frage, wer war der Mörder.

Einige Schlüsselszenen kommen so beeindruckend daher, dass das Publikum nicht wagt zu applaudieren. Dadurch verpasste Norbert Lamlas beste Solonummer sogar ihren Szenenapplaus. Dank der auflockernden Ensemble-Nummern der “Bordsteinschwalben” und der Sekretärinnen ( “die Bienen der Nation” ) und zahlreicher, weiterer Zoten kommt das Lachen nicht zu kurz.

Die Musik beschränkt sich nicht alleine auf Melodien der 50iger Jahre. Hier wird erfolgreich in allen gängigen Musikstilen, von Tango, Jazz, Pop und Rock gewählt. Ein Gassenhauer bleibt allerdings nicht sofort im Ohr hängen, obwohl einige Lieder das Kapital dazu haben.

Die Verantwortlichen haben es gewagt, ein anspruchsvolles Theaterstück auf die Bühne zu bringen, was viele der gängigen Erfolgsrezepte moderner Musicals wie große Tanznummern ( z.B. MIAMI NIGHTS oder 42 STREET ), aufwendige Bühnentechnik oder erfolgreiche Musik-Hits ( z.B. Mamma Mia ) vernachlässigt. Entstanden ist ein Juwel, was sich sparsam zwischen CABARET, CHICAGO und SUNSET BOULEVARD einordnet. Man kann den Beteiligten nur zu ihrem Mut gratulieren und viel Erfolg wünschen.

Heinz Haberzettl


42nd Street bietet perfekte Unterhaltung: Glitter, Flitter und Glamour

So wunderbar, hin- und mitreißend kann Musical sein

So schmerzlich der Abgang der Vampire in Stuttgart für viele auch gewesen sein mag, mit “42nd Street” hat die Stage Holding im hiesigen, mit Millionenaufwand umgebauten Apollo-Theater ein wirklich adäquates Nachfolgestück platziert. Es ist eine Produktion, die ob ihrer Perfektion und hinsichtlich ihres Unterhaltungswertes keine Wünsche offen lässt und mit der Power eines Schnellzuges durch den Abend (oder den Nachmittag) rast. Gut, wer ein Haar in der Suppe sucht, findet auch eins. Dennoch:  Die Miesmacher und Nörgler waren schon nach den ersten Previews merklich kleinlauter geworden und sind nach der glanzvollen Premiere am 21. November hoffnungslos in Erklärungsnöte geraten. Die Show kommt beim Publikum an, sie schlägt ein. Sie zeigt eindrucksvoll und auf bestechende Art, wie kreativ, mitreißend und wunderbar Musical sein kann, das ja zunächst einmal nichts weiter als gut unterhalten will. Auf der frisch asphaltierten 42. Straße werden die Passanten dahingehend optimal bedient.

Dass die atmosphärische Dichte des Vorgängerstücks nicht auch nur annähernd erreicht wird, mag ja stimmen. Die Stärken des neuen, broadway-typischen Glamour-Spektakels zeigen sich auf anderen Eben. Es ist von der Konzeption her zunächst einmal auf den Geschmack des amerikanischen Publikums zugeschnitten. Da gibt es viel Glitter, Flitter und Showbizz-Firlefanz. Die Story spielt in den 30-er Jahren vor und hinter den Kulissen eines Theaters auf der New Yorks Scheinwelt-Meile, dem Broadway eben. Und aus dieser Dekade stammt auch die Musik. Der Ort der Handlung und das Sujet sind weit weg von der Erlebenswelt und dem Alltag des deutschen Normalverbrauchers, der sich wohl kaum mit irgendeiner der handelnden Personen identifizieren kann. Und trotzdem funktioniert es.

Die Plieninger Straße erreichte die Stepp-Orgie über den Umweg Holland, wo eine niederländische Fassung von “42nd Street” in der Saison 200/2001 mit großem Erfolg lief. Aber vor allem in New York  hatte das Revival dieses daselbst 1980 uraufgeführten und auf dem gleichnamigen Film von 1933 basierende Stück sensationell eingeschlagen. Die Stage Holding schwelgt in Verbindung mit „42nd Street“ in Superlativen. Von ihrer bislang aufwändigsten  Produktion und „dem größten Musical Deutschlands“ ist nicht gerade unbescheiden die Rede. Offensichtlich wird aber an allen Ecken und Enden, dass das viele Geld, das diese Inszenierung verschlungen hat, wirklich effektiv investiert ist.

Eine neue Variation des “American Dream”

Es ist ein Backstage-Musical um die Produktion eines Broadwaystücks mit dem Titel „Pretty Lady“. Der Tellerwäscher, der es zum Millionär bringt, begegnet uns hier in Gestalt eines einfachen Mädels vom Lande, das zum gefeierten Bühnenstern avanciert. Der “amerikanische Traum” lebt. Die naive, aber talentierte Provinzschönheit Peggy Sawyer (Karin Seyfried) aus einem verschlafenen Provinzkaff namens Allentown verletzt bei den Proben aus Unachtsamkeit den alternden Zicken-Star der Show, Dorothy Brock (Isabel Dörfler), wird darauf hin von Produzent Julian Marsh (Kevin Tarte) gefeuert, dann aber auf Anraten des Ensembles wieder eingestellt. Sie rettet durch ihren grandiosen Auftritt die Premiere. A Star ist born!  Nebenbei findet Peggy mit Billy Lawlor (Jens Janke) auch noch ihr kleines, privates Glück – natürlich. Und das war’s denn auch schon.

Dünne Geschichte atemberaubend erzählt

Wie man um dieses doch recht spärliche Storygerippe herum einen wirklich mit- und hinreißenden Theaterabend stricken kann, exerzieren die Macher von  „42nd Street“ vorbildlich. Regie führt in Stuttgart übrigens Eddy Habbema (Elisabeth, Titanic). Die deutsche Übersetzung der Liedtexte besorgte Wolfgang Adenberg, die der Dialoge Ruth Deny. Anfängliche Bedenken, in Europa nicht genügend talentierte Stepptänzer auftreiben zu können, hatten sich schon im Vorfeld der niederländischen Produktion zerstreut. Und hier ist es nicht anders. Den letzten Schliff besorgte dann Randy Skinner, der bereits das Revival am Broadway choreografiert hatte.

Viel Stepp mit Pepp

Die mit einem gehörigen Schuss Comedy angereicherte Show lebt von ihren prachtvollen, opulenten Bildern und vor allem ihren fabelhaften, mitunter schwindelerregenden Tanznummern. Viel Stepp mit Pepp. Die lockere Leichtigkeit  täuscht den Außenstehenden über das enorme Maß an Koordinationsfähigkeit, Rhythmusgefühl, Körperbeherrschung und schweißtreibende Disziplin, die dafür erforderlich sind. Es ist beeindruckend, mit welcher Energie und Hingabe das gesamte multinationale Ensemble agiert. Es ist zahlenmäßig das größte, das sich bislang auf einer deutschen Musicalbühne ausgetobt hat.

Abschalten, träumen und einfach genießen

Ein Fest fürs Auge sind bei „42nd Street“ nicht nur die prächtigen, einfach schön anzusehenden, in allen Farben des Regenbogens leuchtenden  und glitzernden Kostüme (über 800) und das stimmungsvolle Lichtdesign. Auch das fantasievolle, aber nie überladen wirkende Bühnenbild verfehlt seine Wirkung nicht und schindet Eindruck. Vor allem dann, wenn zum Finale hin die riesige, zehn Meter breite Showtreppe eingefahren wird und im Glanze tausender Glühbirnen leuchtet. Die Zeit vergeht wie im Flug, es gibt keine Hänger, der Besucher taucht in eine andere, gleißend illuminierte Welt ein und vergißt die da draußen völlig. Ganz nebenbei ist das Stück total witzig. Es gibt viel zu Lachen.

Die Musik ist schwungvoll und schmissig

Die Musik ist zunächst einmal einfach und auf herrliche, wunderbare Art und Weise “altmodisch”. Sie klingt so, wie man sich eben den typischen Broadway-Sound der 30-er Jahre vorstellt. Auf dem CD-Player plätschert sie trotz einiger veritabler Ohrwürmer nur so vorbei, aber im Kontext mit der Show wird es dann richtig aufregend und spannend. Da swingt, vibriert und fetzt es. Da ist dieses unsterbliche „Lullaby of Broadway”, die Showbizz-Hymne schlechthin, die in der deutschen Übersetzung als „Melodie des Broadway” daherkommt. Da sind schwungvolle und schmisse Stücke wie der dynamische Titelsong selbst, „Jetzt rollt der Rubel“ („We’re in the money”), „Ich bin bei Kräften“ („Young and healthy”), „Wenn wir Flittern gehen“ („Shuffle off to Buffalo“) oder „Jede schlechte Seite hat auch eine gute“ „Sunny side to every situation“. Olle Kamellen zwar, die aber in dieser Dosierung ungemein frisch und treibend klingen. Umgesetzt wird die aus der Feder Harry Warrens stammende und vor über 70 Jahren entstandene Partitur in Stuttgart  mit einer Menge Drive von einem blendend eingestimmten Orchester unter der Leitung von  Adrian Werum. Es lässt völlig vergessen, dass die Songs schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel haben.

Karin Seyfried: Diese Frau ist wirklich eine “Pretty Lady”

Kevin Tarte macht als gestrenger und zu Erfolg verdammter Produzent Julian Marsh (harte Schale, weicher Kern) eine starke und souveräne Figur. Im Vergleich zu seiner Krolock-Vergangenheit ist er nahezu ständig auf der Bühne präsent, darf aber andererseits nur zwei Songs intonieren, was er dann aber mit Inbrunst und Power tut. Der Rest ist Dialog. Für die Rolle der Peggy Sawyer hätte man niemand besseres finden können als Karin Seyfried. Die „Dancing-Queen“ aus Österreich, die zuletzt  in Düsseldorf als Salsa-Girl in „Miami Nights“ Kritiker wie Publikum gleichermaßen für sich einnahm, blüht hier noch mehr auf und kann Dank ihres ungekünstelten Enthusiasmus noch nachhaltiger als bislang mit ihren Stärken wuchern. Diese Frau  ist wirklich eine „Pretty Lady“.

Jens Janke als Peggys Tanzpartner Billy Lawlor entpuppt sich als temperamentvoller, strahlender Stepp-Derwisch und offenbart als solcher ganz neue Seiten seines Talents. Er fährt, zu Recht, mit den meisten Applaus ein.

Isabel Dörfler, die als mit Launen und Allüren behaftete Diva Dorothy Brock nicht gerade einen Sympathieträger verkörpert, ist ob ihrer warmen, modulationsfähigen Stimme und ihres Spielwitzes, der sich oft auch in den ganz kleinen Gesten zeigt, eine weiterer tragender Pfeiler. Sie wird vom Publikum dafür geliebt. Die Charaktere bleiben zwar blass und sind nicht sonderlich entwickelt, aber das stört nicht weiter. Klasse und Masse

“42nd Street” bietet Klasse, Masse und ist spritziges Entertainment auf höchstem Niveau. Das gilt nicht unbedingt für den Inhalt, aber für die Qualität der Präsentation allemal. Die ist wirklich vom Feinsten. Die Besucher, die aus dem Theater kommen, sind überzeugt und ausnahmslos begeistert – vielleicht von einigen, aber wirklich nur ganz wenigen Ausnahmen einmal abgesehen. Das einzige Problem mag darin bestehen, die Leute erst einmal dort hin zu locken. Die Gefahr, dass sie enttäuscht werden, besteht eher nicht. Der Titel allein verheißt eigentlich nicht sonderlich viel und dürfte deshalb nicht die Anziehungskraft entfalten wie weiland die Vampire. Deren Heimat liegt schließlich in Europa, in den Karpaten, Peggy Sawyer hingegen hupft(e)  weit, weit weg, jenseits des großen Teichs. Auch dürfte der vampirische Polanski-Film den meisten eher noch im Gedächtnis haften, als jener 1970 erstmals in Deutschland ausgestrahlte 42. Straße-Streifen mit Warner Baxter, Bebe Daniels und Ruby Keeler in den Hauptrollen. Aber mit diesem Handicap müssen sich die PR-Strategen der Stage Holding herumschlagen. Am Produkt, das sie anpreisen, gibt es jedenfalls nichts zu mäkeln. Mögen die Besucher hier, anders als beispielsweise bei Abbas  “Mamma Mia”, das ja nun neben Hamburg auch ein schwäbisches Standbein bekommt, die Katze zunächst auch im Sack kaufen, sie entpuppt sich als rassige Mieze.

Jürgen Heimann, November 03


«Vom Geist der Weihnacht» feierte Premiere in Oberhausen und München

Nach Spielzeiten im vergangenen Jahr in Köln und Berlin hatte das Musical “Vom Geist der Weihnacht” jetzt Premiere in Oberhausen und München. Das Stück wird zeitgleich in diesen beiden Städten gespielt.

In München konnte am vergangenen Samstag sogar eine Doppelpremiere gefeiert werden. Denn zusätzlich war es das erste mal, das im großen Saal des ICM (dem Kongresszentrum der neuen Messe) Theater gespielt wurde. Durch einen Weihnachtsmarkt im Foyer schon festliche Atmosphäre von Anfang an.

Besonderheit in München: vor jeder Aufführung engagiert sich jeweils ein prominenter Pate für die gemeinnützige, weltweit arbeitende Kinderhilfsorganisation Unicef auf der Bühne (weitere Paten aus Wirtschaft, Politik und Showbusiness werden u.a. Marianne Sägebrecht, Jürgen Marcus, Sarah Kern sein). Premierengäste waren u.a. Grit Böttcher, Arabella Kiesbauer, Sonja Kraus, Jürgen Marcus, und Rudolph Moshammer, und Dr. Wolfgang Porrsche.

Das Musical “Vom Geist der Weihnacht” ist eine Musicalversion von Charles Dickens´Weihnachtsgeschichte “A Christmas Charol”. Thema ist die Wandlung des geizigen, einsamen Ebenezer Scrooge, der erst durch die Geister, die ihm sein Engel schickt, zur Auseinandersetzung mit seinem Leben gebracht wird.

Komponist Dirk Michael Steffan und Autor Michael Tasche haben aus dieser Weihnachtsgeschichte ein gefühlsvolles, stimmungsreiches Familienmusical gemacht. Scrooge lernt , dass selbst er von den anderen geliebt wird und auch er Liebe schenken kann. Eingepackt ist diese Geschichte in gefühlsvollen Melodien und Liedern.

Scrooge wird in München hervorragend von Jan Gebauer gespielt. Scrooge´s Hartherzigkeit, seine Verzweiflung über sein Schicksal, aber auch seine Wandlung, all dies bringt Gebauer sehr glaubwürdig rüber. Marley, sein verstorbener Freund der bevor er seine letzte Ruhe finden kann, noch als Geist herumirrt und die Aufgabe hat, bei Scrooge die Wandlung zum barmherzigen Mitmenschen zu bewirken, spielt mit großem Einsatz Peter Trautwein. Er ist jetzt das dritte mal die diesem Musical dabei und dennoch spielt er nicht routiniert sondern auch als Untoter sehr lebendig.

Himmlische Unterstützung bekommt er dabei vom traumhaften Engel Bell (Judith Hildebrandt).
Großartige Stimmungsmacherin ist Kerstin Frank als Mrs. Fezziwig mit ihrem Kochlied.
Aufgrund der besonderen Situation im ICM ist das Bühnenbild in München etwas reduzierter als bei den sonstigen Produktionen, dies führte auch zu kleinen Änderungen in der Regie. Das macht aber alles nichts, denn das Stück ist nicht auf ein großes Bühnenbrimborium angewiesen.
Es ist ein Musical mit Botschaft, für alle Altersgruppen, ein wundervoller Ausflug zur Einstimmung in die schönste Jahreszeit.

Markus Gründig, November 03


Schräg, abgedreht und witzig: Weihnachtspost aus Timbuktu ~ Zwischen Kakerlaken-Kill und Hämorriden-Salbe: “Success” hat Kult-Potenzial

Dass gleich die erste der Premiere Anfang November folgende Vorstellung wegen plötzlicher Erkrankung eines Darstellers hatte ausfallen müssen, war zwar ärgerlich, muss aber nicht zwangsläufig ein schlechtes Omen gewesen sein.  Der Ärmste hatte auch nicht zu viel aus der Dose “Kakerlaken-Kill” genascht, die sich neben anderen Merkwürdigkeiten in der Weihnachtspost aus dem fernen Westafrika befand, sondern war von einer ganz profanen Grippe umgehauen worden. Künstlerpech. Doch nach dieser Startverzögerung geht es mit Vollgas weiter, auf dass sich, wenn auch leicht verspätet, der erhoffte Erfolg doch noch einstelle. Wird er denn wohl auch. Apropos Erfolg: Nichts anderes bedeutet der Name “Success” in der wörtlichen Übersetzung. Nomen es omen?  Der Untertitel – “Ein Päckchen aus Timbuktu” – lässt aber zunächst weder auf den Inhalt des selbigen schließen, noch auf den des Stücks. Und das war ja auch beabsichtigt. Die Inszenierung (Regie: Christoph Bietz) entpuppt sich aber als kurzweilige und abgedrehte Horror-Comedy, die durchaus Kult-Potenzial hat.

Im Gloria-Theater, einem ehemaligen Kino in der Kölner Innenstadt, sind für Dezember zunächst noch vier Shows anberaumt: Am 1., 2., 8. und 9. 12. Karten gibt es unter (0221) 2801 oder im Internet unter  . Die Tarife sind sozial, das Preis-Leistungsverhältnis stimmt. Trotz, die Pause mitgerechnet, fast dreistündiger Aufführungssdauer wird es eigentlich nie langweilig. Verhandlungen über weitere Spieltermine andernorts laufen noch. Die Produktion ist tourneetauglich, der erforderliche Aufwand an Technik und Kulisse gering.

Buch und Musik stammen von dem jungen Komponisten und Autor Heiko A. Neher, in dessen Händen auch die künstlerische Gesamtleitung liegt. Nach seinem Achtungserfolg “Caspar Hauser” wollte einfach einmal etwas Lustiges machen, was ihm denn auch gelungen ist. Dies auch Dank der kleinen, gerade mal aus vier Künstlern bestehenden, aber quicklebendigen, spritzig agierenden und hochtalentierten Cast: Jessie Roggemann, Karin Germann, Martin Bacher und Christoph Trauth. Und ein Chinchilla mischt da auch noch mit, aber das ist ein Steif(f)-Tier . . .

Amüsant und verquer

Das Ganze ist amüsant und peppig, stellenweise etwas verquer und schräg und hat so ein bißchen von Jekyll & Hyde, was aber nicht daran liegt, dass drei der Darsteller zufällig dem aktuellen Ensemble aus dem Musical-Dome entstammen. Und da wären auch ein Schuss kleiner Horrorladen und etwas vom Frank ‘N’ Furter aus der Rocky Horror Show, der hier aber nicht in Pumps und Strapsen, sondern in der Gestalt des adretten Showstars Chris di Pomodoro daher kommt.

Highlight-CD erscheint in Kürze 

Die skurrile, flapsig-locker erzählte und eine schräge Wendung nehmende Story, über die man sich keine größeren Gedanken machen braucht, ist gar nicht so wichtig. Die unterhaltsame Inszenierung lebt von der flockigen Interaktion der Protagonisten, den witzigen Dialogen, den kleinen Gags am Rande und vor allem der eingängigen, mitreißenden Musik, bei der es nicht weiter stört, dass sie “nur” eingespielt wird. Neher sind in seiner Partitur einige veritable Ohrwürmer geglückt (“Jenseits der Moral”, “Der Prinz aus dem Schuhkarton”, oder der Titelsong “Ein Päckchen aus Timbuktu” zum Beispiel), und da ist es nur folgerichtig und konsequent, dass noch im Dezember eine Highlight-CD herauskommen soll.

Die Charaktere sind mit Gespür ge- und stellenweise bewusst überzeichnet. Da ist die  junge naive Kindergärtnerin Lilly Muff (Jessie Roggemann). Gemeinsam mit ihrer Freundin Monique (Karin Germann) bildet sie eine Zwei-Personen-WG. Als Girlie-Tandem liefern beide Künstlerinnen eine herrlich erfrischenden und glaubwürdigen Job ab. 

Tante Irene hat eine Macke

Das Verhängnis nimmt seinen Lauf, als Tante Irene, die es nach Mali verschlagen und die eindeutig einen an der Waffel hat, ihre Lieblingsnichte –  alle Jahre wieder – mit einem Weihnachtspaket beglückt. Diesmal waren übrigens zwei Küchenkittel, selbstgebackene, geschmacklich aber wieder undefinierbare Plätzchen, eine harthölzerne Fruchtbarkeitstatue und eine große Packung Kakerlaken-Kill drin. Mit diesem Zeugs könnte man einen Bullen umhauen, verheißt die Packungsbeilage, die man, wenn schon kein Arzt oder Apotheker in der Nähe ist, den man fragen könnte, vor Gebrauch unbedingt lesen sollte. Die schrullige Absenderin tritt freilich niemals leibhaftig in Erscheinung, nur als Stimme, der Hella von Sinnens.

Besser als Seymour

Monique träumt von einer Karriere auf der Bühne, doch bislang hat es nur zur Verkäuferin in einem China-Grill gereicht. In Lillys von unerfüllten Sehnsüchten bestimmten Welt dreht sich alles um ihr großes Idol Chris di Pomodoro. Darüber trampelt sie gnadenlos auf den Gefühlen ihres schusselig-schüchternen und sie anhimmelnden Nachbarn Thorben Wittmann (Christoph Trauth) herum. Dessen Klagelied “Sie ignoriert mich” ist einfach köstlich. Trauth spielt und singt diesen Part mit so viel Hingabe und komödiantischer Raffinesse, dass es jedem Horrorshop-Seymour zur Ehre gereicht hätte.

Die beiden Backstagekarten für Pomodoros “Chris-Mas-Spectacular”-Konzert hatte er eigentlich für sich und Lilly besorgt, doch die zieht stattdessen mit ihrer Freundin los. In der Garderobe stehen die Girls nach der Show dem smarten Super-Star gegenüber, der wenig später bei ihnen einzieht, weil er sich angeblich bedroht fühlt. Einige seiner Kolleginnen sind nämlich auf mysteriöse Weise verschwunden . .

Paraderolle für Martin Bacher

Für Martin Bacher, das coole Teenie-Idol aus besagtem Schuhkarton, ist dies wirklich eine Paraderolle, bei der er zu Höchstform aufläuft und gesanglich wie schauspielerisch zeigen kann, was in ihm steckt. In dem Stück ist er freilich nicht das, was er zu sein vorgibt, nämlich der smarte, nette, gut aussehende Held. Die Kehrseite seiner Wesens-Medaille ist blutig und grauenhaft. Doch ausgerechnet der tapsige Thorben kommt dem sorgsam gehüteten, dunklen Geheimnis auf die Spur. Und dabei handelt es sich nicht um Gurkenmaske und Hämorrhoiden-Salbe.  .   .

 Jürgen Heimann


Swing Time in Essen: Kein Gute-Laune-Stück aus der Wohlfühl-Schublade

Hätte Bruno mal lieber “Es zittern die morschen Knochen” oder vergleichbaren Schwachsinn gegrölt, wäre er mal lieber, wie Millionen seiner Altersgenossen auch, unter Absingen stramm-deutscher Lieder, links-zwo, links-zwo, im uniformen Einheits-Dress linientreu in Reih und Glied marschiert, ihm, seinen Freunden wie seiner Familie wäre Vieles erspart geblieben. Aber nein: Es mussten ja unbedingt diese pervertierte Musik, diese extravaganten Klamotten und diese an Urwaldaffen gemahnenden Veitstänze sein, angesichts derer sich dem braven germanischen Volksgenossen die kurzgestutzten Nackenhaare unter der SA-Mütze sträubten. Und so nahm das Verhängnis halt seinen Lauf.

“Swing Time”, die neue Produktion des Musicalensembles Nordrhein-Westfalen ist kein leichtverdauliches Gute-Laune-Stück aus der schlicht getischlerten Wohlfühl-Schublade. Und eine Happy-End-Garantie gibt’s schon garnicht. Insofern ist der Titel, der pulsierendes Partyfeeling mit einem gehörigen Schuss bes(sch)wingter Leichtigkeit des Seins verheißen mag, auf den ersten Blick auch irreführend. Die pulsierende, rhythmisch-dynamische Musik kann und will den düster-bedrückenden Grundtenor des Sujets nicht übertünchen.

Der Stoff ist dem dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte entnommen – dem Dritten Reich. Es geht um Jugendliche unterm Hakenkreuz anno 1939 und vor allem um solche, die mit diesem und anderen Nazi-Symbolen nix am breitkrempigen Hut hatten. Die Swing-Kids waren zwar nur eine verschwindend kleine Minderheit unter den von den braunen Schergen ob ihres Nichtangepasstseins verfolgten und gegängelten Abweichlern, aber an ihrem Beispiel  bzw. Schicksal läßt sich die ganze menschenverachtende Intoleranz des Systems veranschaulichen.

Großartige Inszenierung mit bescheidenen Miteln 

Eine jener schillernden Hochglanz-Produktionen, wie sie ja heutzutage fast obligatorisch sind, hatten die Macher von Anfang an nicht im Sinn. Dafür fehlt ihnen auch das nötige Kleingeld, was andererseits kein Manko sein muss. Die Inszenierung von Cornelius Knüpffer, die vor wenigen Tagen Welt-Premiere feierte,  beweist, dass sich schon mit bescheidenden Mitteln Großes und Eindrucksvolles bewerkstelligen läßt. Und sie entlarvt High-Tech und Bühnenbombast als im Grunde genommen verzichtbar. Alle anderen Zutaten stimmen: Ein gutes Buch (Cornelius Knüpffer, Tonja Wiebracht, Hartmut Schrewe), überzeugende Dialoge (Hartmut Schrewe), eine zündende, energiegeladene Musik (Dietmar Mensinger, Frank Engel, Hanno Beckers), eine furiose, atemberaubende Choreografie (Sven Daum) und vor allem eine ambitionierte, hochmotivierte junge Cast. Musiktheater, wie es eigentlich packender und unmittelbarer nicht sein kann.

Zwischen Werkbank und Count Basie 

“Tor 2”, eine ehemalige Montagehalle im Essener Stadtteil Werden, ist kein mit Millionen hochgerüstetes Industriedenkmal. Die Örtlichkeit versprüht den spröden, aber heimeligen Charme des Unvollkommenen. Es scheint, als sei sie in aller Eile mal eben hergerichtet und umfunktioniert worden. Jeden Moment kann die Nachtschicht im Blaumann antreten. Der Publikumsbereich eine nach oben ansteigende Stahlrohrkonstruktion, auf der gerade mal 300 Leute Platz finden, die Bühne ein nur unwesentlich erhöhtes Podest mit sparsamer, aber liebevoll zusammengestellter Möblierung. Hier dreht, hebt und senkt sich nichts. “Eddy and the Windsors”, die fidele zwölfköpfige Band unter der Leitung von Robert Bonsmann, thronen darüber auf der Empore. Schon nach den ersten Takten wird klar, warum diese “Swing-Kids” weiland so vehement auf die Musik eines Benny Goodman, Nat Gonella, Tommy Dorsey, Count Basie oder Glenn Miller abgefahren sind und darauf ihr Lebensgefühl gründeten.

“Swing High” statt “Heil Hitler”

Jazz und Swing waren die Popmusik jener Zeit. Die Nazis bekämpften und unterdrückten sie, und deren Fans natürlich auch. Die waren im Grunde ihres Wesens völlig unpolitisch, lehnten sich halt nur gegen die Uniformität und Gleichschaltung ihrer Umgebung auf. Swing-High statt Heil Hitler! Sie wollten frei sein, Party machen, tanzen, flirten, cool sein, Sex haben – und brachten dies in Gehabe, Sprache und Outfit auch deutlich und provokativ zum Ausdruck.

Und das tun auch Bruno und seine Freunde, bis sich dessen kleiner Bruder Fritz von der Clique absondert und zur HJ überläuft – weil er sich dort ernst genommen und akzeptierter fühlt. Das Ende vom Lied ist zugleich das jähe Ende einer ausgelassenen, “hotten” Silvesterfete und das Ende des Stücks: Sie alle landen, von den Nazi-Schlägern aufgemischt, im Knast. Was ihnen dort widerfährt, bleibt mehr oder weniger unausgesprochen, läßt sich aber erahnen. Nur Bruno kommt ungeschoren davon, weil der kleine Bruder ein gutes Wort für ihn eingelegt hat. Er spuckt diesem voller Abscheu für den Verrat ins Gesicht.

Mit Hingabe und Intensität

Die Charaktere sind sehr glaubwürdig herausgearbeitet und fein gezeichnet. Mit Ausnahme der stimmstarken Inez Timmer als jüdische Fotografin Greta Fuchs sind die übrigen 14 Darsteller (noch) weitestgehend unbekannt, was sich hoffentlich bald ändert. Tobias Dürr als Bruno, Sven Prüwer als sein jüngerer Bruder, Eric Rentmeister als “Cool Lord”, Isabell Classen als Brunos Freundin Anna Dörfler oder Lynsey Thurgar als amerikanische Cousine von Bruno und Fritz agieren, wie alle anderen, mit großer Intensität, Ausdruckskraft und Hingabe. Volker Hanisch als intellektuell etwas unterbelichteter SS-Obersturmbannführer Richard König erntet durch sein hölzernes und aufgeplustertes Gehabe die ersten Lacher, doch die bleiben dem Publikum in Folge im Halse stecken.

Prickelnde Partitur

Die Partitur wird, klarer Fall, vom Swing dominiert, macht aber auch Anleihen bei Tango, Charlston und Marsch. Und die ein oder andere balladeske Weise schleicht sich auch ein. Die Musik ist dieser Kombination erfrischend kurzweilig und unterstreicht die Handlung trefflich. Weniger in die Beine, denn ins Ohr und ans Gemüt geht die Hymne an die persönliche Freiheit am Ende des ersten Aktes, in der Greta Fuchs und die Gebrüder Vollmer aus natürlich unterschiedlichen Sichtweisen heraus ihren Träumen Ausdruck verleihen. Überhaupt gibt es keine Hänger, der Spannungsbogen bleibt bis zum Schluss erhalten. Gute, anspruchsvolle Unterhaltung, die sich nicht nur mit einem Kratzen an der Oberfläche begnügt, sondern schon etwas tiefer schürft. Sie wird natürlich kaum jene erreichen, berühren und nachdenklich stimmen, die aus der Geschichte  nichts, aber auch gar nichts gelernt haben. Schade. Aber Glatzen und ihre anderen tumben Brüder und Schwestern im Geiste bevorzugen nun mal andere Kost.

Sie tanzen weiter bis zum Jahresende

Dem Untertitel des Stücks soll zunächst bis Ende Dezember 03 entsprochen werden: “Wir tanzen weiter”. Insgesamt 38 Vorstellungen stehen auf dem Spielplan. Karten zum Preis zwischen 20 und 40 Euro sind unter anderem im Internet unter   buchbar, weitere Infos auch unter  . Hingehen!

Jürgen Heimann (Oktober 03)


„And the world goes round“: Deutsche Erstaufführung der Kander & Ebb-Revue in Bielefeld

„Lewwe geht weiter“:  Auch ohne durchgängigen Handlungsfaden gute Unterhaltung

Wie pflegte sich der prominente Fußballtrainer eines bajuwarischen Bndesligaclubs doch gleich radebrechend auszudrücken? “ Lewwe geht weiter“! Genau.  Man könnte aber auch „And the world goes round” formulieren – und das tut sie, trotz alledem. Mit der gleichnamigen Revue hat das Stadttheater Bielefeld nach „Cabaret“ vor zwei Jahren nun erneut die Kander & Ebb-Karte gezogen und damit zugleich eine deutsche Erstaufführung hingelegt.

Von den internen Querelen im Vorfeld war nichts zu spüren, als sich der Premierenevorhang hob. Unterschiedliche Auffassungen über das Bühnenbild hatten zum Zerwürfnis zwischen Intendantin Regula Gerber  und Regisseur Nico Rabenald geführt und zwar mit der Folge, dass letzterer zum Schluss die Proben nicht mehr leiten durfte.

Wir alle werden in der heutigen Zeit mit Katastrophenmeldungen geradezu bombardiert; auf der großen Weltbühne, aber auch im privaten Bereich gibt es, wenn es mal ganz dicke kommt, Rück-, Tief- und Niederschläge am laufenden Band. Und trotzdem: Die Welt dreht sich, was auch passiert,  weiter. Insofern ist trotz aller Widrigkeiten, häuslicher wie öffentlicher Super- und Normal-GAU’s  Optimismus angebracht, denn: Es kann zwar noch schlimmer kommen, andererseits aber auch (nur noch) besser werden. Simmel hat es so ausgedrückt: „Hurra, wir leben (doch) noch!

Mit viel vokaler Power setzten die fünf Künstler die Kander & Ebb-Songs im Bielefelder Stadttheater um. Die Inszenierung hat trotz einer fehlenden durchgängigen Handlung hohen Unterhaltungswert.
Das ist die eigentliche Botschaft/Aussage  des Stücks, das freilich auf eine verbindende, durchgehende Storyline verzichtet. Vielmehr handelt es sich um eine, wenn auch  keineswegs willkürliche Aneinanderreihung von Songs aus den Werken des erfolgreichen US-amerikanischen Komponisten- und Textergespanns, das der sich weiter drehenden Welt immerhin so bedeutende Musicals wie „Chicago“, „Der Kuss der Spinnenfrau“, „Zorbá“ oder  eben „Cabaret“ geschenkt haben. Die sind in sich allerdings allesamt mehr oder wenige düster gezeichnet, die Schattenseiten überwiegen. 

„And the world goes round“  führt dem Zuschauer und -hörer auch vor Augen, wie sich viel Menschen angesichts von Vernichtung, Gewalt und persönlichen Niederlagen desillusioniert in Amüsierwut flüchten und immer bereitwilliger in ein schnelllebiges Vergnügen stürzen.

Dabei verstellt der Blick zurück  – auch auf die vermeintlich „goldenen Zeiten“ des Broadway – keineswegs eben diesen Blick für das Wesentliche und die brutale Realität der Moderne. Er ist kritisch, zweifelnd und mitunter auch etwas wehmütig. 

Um diese Grundstimmung auch im Bühnenbild zum Ausdruck zu bringen, wurde in der Inszenierung des Bielefelder Stadttheaters bewusst auf eine aufwändige Kulisse verzichtet. Dem Publikum wird der Eindruck eines zerstörten, ausgebombten Theaters vermittelt. Im Hintergrund eine Ruine, von der aus eine stark in Mitleidenschaft gezogene Treppe bis hin zur Bühne führt.

Vor diesem Hintergrund agieren die fünf gesanglich bestens disponierten Künstler (Katharine Mehrling, Bettina Meske, Kristin Hölck, Arthur Büscher und Paul Erkamp) ausdrucksstark und mit viel Gespür für die feinen Zwischentöne und Nuancen. Mehrling kennen die Bielefelder noch aus „Evita“- und „Piaf”-Zeiten, Bettina Meske stand bereits bei „Hair“ auf der Bühne des Hauses. Kristin Hölck, vormals alternierende Kaiserin bei „Elisabeth“ in Essen, sowie die beiden Herrn der Schöpfung geben mit dieser Inszenierung ihren Einstand in der Westfalen-Stadt. 

Vor allem ist es die ausgefeilte, temperamentvolle  Choreografie die, in bestechenden Exaktheit umgesetzt, nachhaltig Eindruck macht. Aber erst in den Solopassagen offenbart sich so richtig, welche vokale Power in jedem der Darsteller steckt. Die können sie ausleben, weil es ohnehin keine durchgängigen Charaktere zu zeichnen und somit auch keine Rücksicht auf eben diese zu nehmen gibt. Doch sind alle Songs im Originaltext belassen, wodurch der des Englischen nicht so mächtige Zuhörer oft an seine Verständnis-Grenzen stößt. Eigentlich schade. Was fehlt, ist die verbindende, durchgängige Geschichte. Dennoch hat die Inszenierung einen hohen Unterhaltungswert.

CHRISTINE KRENTSCHER, Oktober 2003


Deutschland hat ein neues Hit-Musical ~ AIDA im Colloseum Theater, Essen

Das lange Warten hat nun endlich ein Ende. Nach der Premiere des Musicals am Broadway (23. März 2000), der Europapremiere in Scheveningen (Niederlande, 21. September 2001) konnte nun endlich in Deutschland die AIDA Premiere gefeiert werden.

Um das Urteil vorweg zu nehmen: AIDA ist ein richtig schönes, unterhaltsames, rührendes und beeindruckendes Musical. AIDA ist ein Musical für liebende, Liebe empfindende. Eine rührende Geschichte, optisch beeindruckend inszeniert und mit einer verzaubernden Musik versehen. Man ist sofort im fernen Nubien & Ägypten, vergißt den Alltag und genießt einfach nur noch. Sofort Karten kaufen ! Denn sonst blühen ein schon bald lange Wartezeiten wie bei Mamma Mia.

Viele Faktoren machen die Besonderheit dieses von Disney produzierten Stückes aus. Das ist zum einen die großartige Pop-Rock-Gospel-Musik von Elton John, die – wie es seine Art ist, sehr gefühlvoll, emotional und tief berührend ist.

Zum anderen ist es ein opulentes optisches Bühnengeschehen und starke Sängerpersönlichkeiten.

Das Stück braucht keinen großen Bühnentechnikbombast, stellenweise singt AIDA sogar auf einer leeren Bühne. Dennoch gibt es die eine oder andere Bühnenüberraschung freilich schon. Im Gegensatz zu manch anderer Musicalgroßproduktion wird das hier zwar angenehm zur Kenntnis genommen, ist aber nicht zwingend nötig, da das Stück und die Musik genug Eigensubstanz haben. Die relativ wenigen Bühnenelemente werden gezielt eingesetzt und in perfekter Abstimmung mit dem passenden Licht versehen. Nicht zu vergessen die bunten und ausgefallenen Kostüme.

Die Rolle der AIDA wird von Florence Kasumba hervorragend gespielt: leidenschaftlich, mit großem Anmut, Ausdruck und einer gewaltigen Stimme. Der gebürtige Schwede Mathias Edenborn in der Rolle des Radames gefällt auch. Technisch singt er hervorragend und bemüht sich redlich, einen Akzent zu vermeiden. Etwas mehr raues, verwegenes in der Stimme und im Schauspiel dürfte es schon sein. Mit Adam Pascal (Broadway Radames) und Bastan Ragas (Scheveningen Radames) hat er freilich auch eine hohe Vorgabe.

Dritte Hauptperson ist die gehörnte Verlobte Radames, Amneris. Gespielt von Maricel ist sie trotz allem Leid was ihr widerfährt, eine wahre Siegerin. Und ihr ”Sinn für Stil” wird eines der Hit-Liedern dieses Musicals werden.

Stark auch Kristian Vetter in der Rolle von Radames Vater Zoser und praktisch der Böse Bub im Spiel um die Macht in Ägypten. Unterstützt von einem tollen Tanzensemble. Joel Karie als guter Mereb überzeugt u.a. mit ”Ich kenn Dich” . Lutz Ulrich Flöth als Pharao und Daniel White als Amonasro haben es aufgrund der Rolle schwer, ein besonderes Profil zu entwickeln.

Das Musical wird in Deutsch aufgeführt, für die flüssige Übersetzung sorgte Dr. Michael Kunze.

Markus Gründig, Oktober 03