Dem Sterben ein Lächeln abgewinnen: »Le Grand Macabre« an der Oper Frankfurt

Le Grand Macabre ~ Oper Frankfurt ~ v.l.n.r. Venus (Anna Nekhames; im Sarg liegend), Nekrotzar (Simon Neal) und Piet vom Fass (Peter Marsh) sowie im Hintergrund Statisterie der Oper Frankfurt ~ © Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Der österreichische Komponist ungarischer Herkunft György Ligeti (1923 – 2006) steht wie kaum ein anderer für Klangflächenkomposition und rasche Tonfolgen in extremen Lagen. Bei ihm bilden Text und Musik Empfindungen und Aktion nach. Dass er sich auch dem Musiktheater zugewandt hat, überrascht nicht. Wohl aber die Wahl des Sujets. Mit dem Drama La Balade du Grand Macabre des zum Absurden Theater zählenden flämischen Autors Michel de Ghelderode, wählte er fast schon ein heiteres Thema. Der Tod wird als Farce behandelt. Der große Untergang wird kommen, aber noch nicht heute.

Von ihrer Uraufführung 1978 an, wird die „Anti Anti Oper“ (eine Oper auf einer anderen Ebene als üblich) weltweit immer wieder gespielt. Das Staatstheater Mainz führte sie erstmals im Jahr 2012 auf (Besprechung). Die Oper Frankfurt zeigt sie jetzt erstmals. Eigentlich war die Premiere zur Spielzeiteröffnung 2020/2021 geplant. Wegen der Corona-Pandemie musste sie aber zunächst entfallen. Mit der Erstaufführung im November 2023 steht die Oper Frankfurt gleich mit der Wiener Staatsoper, die Le Grand Macabre am 11. November 23 erstmals aufführte.

Le Grand Macabre
Oper Frankfurt
Venus (Anna Nekhames), Piet vom Fass (Peter Marsh), Amanda (Elizabeth Reiter), Amando (Karolina Makuła) und Nekrotzar (Simon Neal) sowie im Hintergrund Statisterie der Oper Frankfurt
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Um Mitternacht ist Schluss, für alle!

Die Handlung spielt im fiktiven Breughelland und beginnt auf einem Friedhof einer mittelalterlichen Stadt. Nekrotzar, der Große Makabre, tritt hervor und verkündet den Weltuntergang. Bereits um Mitternacht ist Schluss, für alle! Die um ihn herum, wie den trunkenen Piet vom Fass, kümmert das erst einmal herzlich wenig. Auf dem Weg zum fürstlichen Palast wird eine Zwischenstation beim Astrologen Astradamore und seiner wollüstigen Frau eingelegt. Eine große Feier beim Fürsten endet schließlich ohne den verheißenen Untergang. Das Leben geht weiter, vorläufig zumindest („Solange wir trinken können, leben wir“).

Le Grand Macabre
Oper Frankfurt
v.l.n.r. Nekrotzar (Simon Neal; am Steuer sitzend), Kinderstatist der Oper Frankfurt (darüber), Venus (Anna Nekhames), Piet vom Fass (Peter Marsh), Mescalina (Claire Barnett-Jones) und Astradamors (Alfred Reiter)
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Spektakuläre Bühne und ausgefallene Kostüme

Regisseur Vasily Barkhatov stellte sich dem Frankfurter Publikum im Dezember 2022 mit Tschaikowsky Die Zauberin vor. Er verlegte die Handlung von Le Grand Macabre in die Gegenwart. Noch bevor der erste (Hup-) Ton erklingt, kündigen auf den Vorhang projizierte „Breaking News“ aus der ganzen Welt die bevorstehende Katastrophe eines globalen Untergangs an. Für die erste Szene ließ er sich von Hollywood-Apokalypse-Filmen inspirieren. Bei vielen von ihnen stehen Leute mit ihren Autos in einem großen Stau. Nichts anderes als ein Autobahnkreuz auf mehreren Ebenen mitsamt acht Kraftfahrzeugen zeigt die spektakuläre Bühne von Zinovy Margolin. Detailverliebt u. a. mit durch einen Unfall beschädigte Leitplanke, einem US-amerikanischen Baustellenschild („Road Work Ahead“) und einem großen Bildschirm für aktuelle News und Werbung. Das Liebespaar Amanda und Amando findet in den verschiedenen herumstehenden Wagen ihr Liebesnest, selbst ein aus einem Leichenwagen fallender Sarg ist ihnen dazu recht. Passend zur Straßenszenerie befinden sich Astradamos (Würde wahrend: Alfred Reiter) und seine Frau (voller Lust: Claire Barnett-Jones) in einem Wohnmobil. Die beiden haben hier auch einen Sohn, der dazu verdonnert wird, sich die Zeit mit einem Tablet zu vertreiben. Hier sind ein biederes, bürgerliches Durchschnitts-, kein skurriles Sado-Maso-Paar.
Nach der Pause betritt eine überaus illustre Schar den exklusiven „Royal Palais Club“ zur „Last Party On Earth“. Es ist ein Querschnitt der Menschheit, von Adam und Eva über einen ägyptischen König, Napoleon, Offizieren, Heiligen, einem Popstar im Stile Elton Johns, bis zu elegant gekleideten Partywütigen (Kostüme: Olga Shaishmelashvili). Hier wird im XXL-Format gekokst und gefeiert, schließlich haben alle Menschen die gleichen Triebe,

Le Grand Macabre
Oper Frankfurt
v.l.n.r. Schwarzer Minister (Iain MacNeil), Chef der Gepopo (Anna Nekhames) und Fürst Go-Go (Eric Jurenas) sowie Ensemble
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Flut von betörend wirkenden Tönen und Geräuschen

Die ganze Aufführung über gibt es viel zu zu sehen und auch die musikalische Seite ist äußerst beachtenswert. Das Heraushören von Ligetis Bezügen zum Opernrepertoire erfordert Konzentration. Für die Premiere 2020 war der damalige GMD Sebastian Weigle als musikalischer Leiter vorgesehen. Jetzt fiel sie Thomas Guggeis zu, der sich vor Kurzem mit Mozarts Le nozze di Figaro als GMD der Oper Frankfurt vorgestellt hat. Die ausgefallene Klangvielfalt von Ligeti lässt Guggeis vom Frankfurter Opern- und Museumsorchester plakativ ertönen und alle scheinen hörbar Spaß damit zu haben. Es ist eine Flut von betörend wirkenden Tönen und Geräuschen, die das überzogen dargebotene Bühnengeschehen unterstreichen. Vier Musiker:innen sind als männliche Fettputtenengel verkleidet auf der Bühne präsent (zudem Andreas Sommer am Cembalo).

Nicht nur das Inszenierungsteam, auch viele der 2020 eingeplanten Sänger:innen, sind jetzt beteiligt. So wie Bariton Simon Neil als gravitätisch auftretender Nekrotzar. Zunächst im schwarzen Anzug, zieht er sich mit Verkündung der Apokalypse einen Falten-Talar über. Paradoxerweise ist dieser im Hoffnung symbolisierenden Grün gefärbt (Paradoxien zeichnen Barkhatovs Inszenierung aus). Tenor Peter Marsh flitzt als trunkener und gut gelaunter Piet vom Fass in Unterhose und Morgenmantel durch die Szenerie. Die sich innig liebenden und dabei den Weltuntergang außer Acht lassenden Amanda (Elizabeth Reiter) und Amando (Karolina Makuła) lieben sich innig, wo immer sie auch gerade sind. Der Countertenor Eric Jurenas kommt erst spät als Impresario Go-Go im roten Federkleid groß raus. Anna Nekhames ist die Chefin der Geheimen Politischen Polizei (Gepopo). Ihre zischende, stotternde Fiepstöne sind geheime, oft wortlose Äußerungen, gleichwohl erzielt sie mit ihren abstrusen Koloraturkaskaden große Effekte (zusätzlich gibt sie die Venus). Der Streit zwischen dem Weißer Minister (Michael McCown) und dem Schwarzer Minister (Iain MacNeil) geht im großen Tohuwabohu etwas unter. Auch der Chor der Oper Frankfurt agiert bei dieser Oper mehr im Hintergrund (Einstudierung: Tilmann Michael).

Am Ende des bildgewaltigen und ungewöhnlichen Diskurses über Sinn und Unsinn der menschlichen Existenz intensiver Applaus.

Markus Gründig, November 23


Le Grand Macabre

Oper in zwei Akten
Von: György Ligeti
Uraufführung: 12. April 1978 (Stockholm, Königliche Oper)
Uraufführung der Neufassung: 28. Juli 1997 (Salzburg, Salzburger Festspiele)

Premiere / Frankfurter Erstaufführung: 5. November 23 (Opernhaus)
Besuchte Vorstellung: 10. November 23

Musikalische Leitung: Thomas Guggeis
Inszenierung: Vasily Barkhatov
Bühnenbild: Zinovy Margolin
Kostüme: Olga Shaishmelashvili
Licht: Joachim Klein
Video: Ruth Stofer / Tabea Rothfuchs
Chor: Tilman Michael
Dramaturgie: Maximilian Enderle

Besetzung:

Nekrotzar: Simon Neal
Piet vom Fass: Peter Marsh
Fürst Go-Go: Eric Jurenas
Venus / Chef der Gepopo: Anna Nekhames
Astradamors: Alfred Reiter
Mescalina: Claire Barnett-Jones
Weißer Minister: Michael McCown
Schwarzer Minister: Iain MacNeil
Amanda: Elizabeth Reiter
Amando: Karolina Makuła
Ruffiak: Nicolai Klawa
Schobiak: Yan Lei Chen
Schabernack: Yongchul Lim

Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

oper-frankfurt.de

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