Liederabend mit Sonia Ganassi (Mezzosopran), Rosetta Cucchi (Klavier)
Oper Frankfurt, 19. Juni 2012
Mit venezianischem Temperament in die Sommerpause
Nachdem im Juni 2011 die Mezzosopranistin Jennifer Larmore die Liederabendsaison 2010/11 der Oper Frankfurt mit einem heiteren Liedprogramm beendete, folgte ihr dieses Jahr die Mezzosopranistin Sonia Ganassi (sie ist eine der erfolgreichsten Mezzosopranistinnen ihrer Generation, mit Engagements an den wichtigsten Opernhäuser weltweit.). Dabei begann die Liederabendsaison der Spielzeit 2011/12 typisch deutsch, mit einem stets leicht melancholischen Habitus. So gab es von den männlichen Sängern, die zunächst auf dem Plan standen, Schuberts „Die schöne Müllerin“, Robert Schumanns „Dichterliebe“, Brahms „Die schöne Magelone“ und auch Lieder von verschiedenen Komponisten des Barock. Im Frühjahr brachten die Damen dann mit Grieg, Weil und vielen mehr eine andere Ebene hinein. Dies gipfelte jetzt im Programm von Sonia Ganassi, das ausnahmslos Lieder von Komponisten aufführte, die in erster Linie durch ihre Opern bekannt sind: Hector Berlioz, Gaetano Donizetti, Manuel de Falla, Giacchino Rossini und Guiseppe Verdi. Was nicht heißt, dass sie nicht auch gute Liedkomponisten waren. Allerdings haben bei uns deren Lieder nicht eine Popularität erreicht, wie die Klassiker von Schubert, Schumann oder Strauss.
Ungewohntes „Meine Ruh´ ist hin“
So war es jetzt also eine ganz besondere Gelegenheit, Lieder französischer, italienischer und spanischer Herkunft zu hören (fast alle aus der Zeit der Romantik). Sie weisen oftmals eine starke Nähe zu Opernarien auf und weniger einen intimen, gehaltvollen Charakter wie er bei vielen deutschen Lieder vorherrscht, die oftmals zur Mitteilung persönlicher Gefühle dienten. In der ersten Programmhälfte beschränkte sich die sichtbar gut gelaunte und sehr selbstsicher wirkende Sonja Ganassi mit Liedern von Rossini, Donizetti und Verdi auf das italienische Fach. Zu Beginn gab sie Rossinis arios anmutendes „Or che di fiori adorno“, das beispielhaft für das weitere Programm stand. Ihr Vortragsstil war geprägt von einer starken Fröhlichkeit. Dazu passten dann auch lebhafte Lieder, allen voran das vor Glücksgefühlen überschäumende „Anzoleta dopo la regata“ von Rossini, das von einem von Liebesglück beseelten Mädchen und einer venezianischen Gondel-Regatta handelt.
Doch auch für die ruhigeren Lieder, wie Rossinis „Addio di Rossini“ oder Donizettis etwas schwermütiges „Amore e morte“ fand Ganassi einen starken Ausdrucksstil, da sie sich den Liedern wie einer Arie nährte: voller Anteilnahme und Hingabe. Goethes Gedicht „Meine Ruh´ ist hin“ (Gretchen am Spinnrade) ist eines der populärsten Lieder, in der Vertonung von Franz Schubert. Hier erklang es ungewohnt in der Vertonung von Verdi („Perduta ho la pace“). Der Anfang zunächst ohne Tonmalerei eines sich drehenden Spinnrades. Das „italienische Gretchen“ steigert sich aber dann zu einem leidenschaftlichen südländischen Gefühlsausbruch über verlorenes Glück. Ganz in ihrem Element zeigte sich die temperamentvolle Ganassi dann bei Verdis heiter überschäumenden „Brindisi“ („Trinklied“), das passend in die Pause überleitete.
Mit Berlioz zum Höhepunk
Unter dem Titel „Tristia“ fasste Hector Berlioz drei Stücke zusammen. „Tristia“ handelt von „traurigen Dingen“. Das hier vorgetragene zweite Lied „La mort d’Ophelie“ (Ophelias Tod, nach Shakespeare) präsentierte Ganassi ganz herausragend: sphärisch, schwebend, hier fand sie zu einem berührenden intensiven Ausdruck. Der Wechsel zu lebhaften Lieder erfolgte schnell, es folgte das virtuose „Zaide“, wo Ganassi ob ihres überschäumenden Temperaments, kurzerhand die Notenblätter zu Boden fielen (was sie aber nicht daran hinderte, ungestört weiter zu singen).
Lebhaft und virtuos gab sich auch Rosetta Cucchi am Klavier, die bei diesem Programm wesentlich mehr zu spielen hatte als sonst üblich. Dies wurde auch gerade bei Manuel de Fallas Siete canciones populares españolas deutlich. Fallas „Das kurze Leben“ (La vida breve) hatte im Februar 2009 seine Premiere an der Oper Frankfurt. Seine sieben Volkslieder zeugen vom feurigen Temperament der Südländer und bildeten so eine wunderbaren Abschluss.
Viel Applaus für das sympathische Duo. Als Zugabe gab es zunächst „L’amour est un oiseau rebelle …“ (Habanera) aus Carmen von Georges Bizet. Grandios dann noch das Lied eines Betrnkenen „Ah! quel dîner je viens de faire …“ aus La Périchole von Jacques Offenbach, bei dem Ganassi mit ihrem schauspielerischen Talent glänzte.
Markus Gründig, Juni 12
Liederabend mit Nina Stemme (Sopran) und Matti Hirvonen (Klavier)
Oper Frankfurt, 1. Mai 12
Sie ist eine der ganz Großen im internationalen Operngeschäft: Nina Stemme. Regelmäßig singt sie an den bedeutendsten Opernhäusern und bei den angesagtesten Festivals weltweit. Sie ist zudem Mitglied der Königlichen Musikakademie Schweden, 2006 wurde ihr der Titel Swedish Royal Court Singer verliehen. Im Juni 2008 verlieh ihr der schwedische König den Orden Litteris et Artibus und seit 2012 ist sie zudem österreichische Kammersängerin. Daneben ist sie noch Preisträgerin mehrerer Auszeichnungen (Laurence Olivier Award, Premio Abbiati). Auch dem Frankfurter Publikum ist sie nicht unbekannt. Hier war sie in Christof Loys Inszenierung von Charles Gounods „Faust“ als Marguerite zu erleben (2005).
Bei ihrem Liederabend an der Oper Frankfurt präsentierte sie jetzt ein abwechslungsreiches Programm, dass vom Norweger Edvard Grieg, über Richard Wagner, Kurt Weill bis hin zu Sergej Rachmaninov führte. Zeitlich umspannt wurde somit grob gesagt der Zeitraum 1850 – 1950. Ein Jahrhundert, in dem sich nicht nur in der Musik viel getan hat. Dennoch wirkte der Abend sehr geschlossen und harmonisch. Was nicht zuletzt an der sympathischen Ausstrahlung Stemmes lag.
Grieg und Wagner
Die gebürtige Schwedin begann mit Liedern des Norwegers Edvard Grieg, die sie, wie alle weiteren Lieder auch, in der jeweiligen Originalsprache sang. Dies stets mit vorbildlicher Artikulation und Verständlichkeit. Wie sie generell sehr souverän und in sich ruhend wirkte (wenn auch anfangs noch etwas angespannt). Griegs „Med en vandlilje“ („Mit einer Wasserlilie“) und „Solveigs vuggesang“ („Solveigs Wiegenlied“) gehören zu den so genannten Ibsengesängen, dem Ernstesten und Schönsten, was er im Bereich des Kunstliedes komponiert hat. Dabei hat „Med en vandlilje“, unterlegt mit Wiederholungen eines viertaktigen Wellenmotivs, fast schon einen ariosen Charakter. „Solveigs vuggesang“ hingegend passend einen langsamen und sehr innigen Stil. Bei der pittoresken Ballade „Frau Monte Pincio“ („Vom Monte Picino“) war Grieg von einer Romreise beeinflusst.
Richard Wagner hat für Nina Stemme einen ganz besonderen Stellenwert in ihrem Repertoire, sang sie doch schon viele seiner großen Rollen (wie Bünhilde, Isolde, Sieglinde). Hier präsentierte sie die fünf „Wesendonck-Lieder“, die Wagner nach Texten von seiner Geliebten Mathilde Wesendonck komponiert hat. Bereits im Jahr 2005 hat Stemme diese Lieder für eine CD-Aufnahme eingesungen (mit weiteren Liedern von Gösta Nystroem und August de Boeck). Die Lieder stehen nicht nur zeitlich im Zusammenhang mit seiner Oper „Tristan und Isolde“, auch inhaltlich können zwei Lieder als Studie zu dieser Oper angesehen werden. Stemmes inniger und intensiver Vortrag, gepaart mit dem besänftigend klingenden Timbre ihrer Stimme, überzeugte auf ganzer Linie.
Weill und Rachmaninow
Nach der Pause folgte mit Liedern von Kurt Weill eine inhaltliche Auflockerung, haben die mit Jazzelementen durchsetzten Lieder doch fast schon einen Revuecharakter. Stemme hielt sich hingegen schon an die strenge Form eines Liederabends, hatte aber sichtlich und hörbar Spaß an ihnen. „Nannas Lied“ und „Surabaya-Johnny“ kamen dabei ganz besonders gut beim Publikum an, nicht zuletzt weil sie auf deutsch gesungen verständlicher waren. Für Schmunzeln im Publikum sorgte der gesprochene Refrain „Nimm doch die Pfeife aus dem Maul, du Hund!“ („Surabaya-Johnny“). Teilweise hochdramatische Ausbrüche gab es hingegen bei dem unbekannterem „Youkali“.
Lieder von Sergej Rachmaninow beendeten den Abend. Rachmaninow ist in erster Linie als genuiner Komponist seiner Klavierkonzerte und als Pianist bekannt. Dennoch komponierte er eine durchaus umfangreiche Sammlung an Liedern. Stemme fand hier eine berührende sängerische Gestaltung. Mit glühenden Höhen bei den hochdramatischen „Ne poj, krasaiza“ („ Singe nicht, du Schöne“) und „Sdes´choroscho“ („Hier ist es schön!“). Ihr kundiger Begleiter am Klavier, Matti Hirvonen, hatte bei vielen Stücken die Gelegenheit, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, besonders schön kam Rachmaninows Virtuosität bei „W moltschanii notschi tajnoj“ („Im Schweigen der geheimnisvollen Nacht“) zur Geltung.
Mit drei Zugaben bedankte sich Nina Stemme beim Frankfurt Publikum, das voller Andacht zugehört hatte.
Die Zugaben:
– Kurt Weills „My ship“ (aus „Lady in the Dark“)
– Edvard Griegs: „Jeg elsker dig“ op. 5 No. 3 („Ich liebe Dich“)
– Jean Sibelius´: „Flickan kom ifrån sin älsklings möte“ op. 37/5 („Mädchen kam vom Stelldichein“)
Markus Gründig, Mai 12
Liederabend mit Kate Royal (Sopran) und Malcolm Martineau (Klavier)
Oper Frankfurt, 10. April 12
„A Lesson in Love – a Story through Song“
„Kate Royal“ ist allein schon einmal ein Name, der auf der Zunge zergeht. Und die verbale Nähe zum britischen Königshaus (mit einer „Kate“ als Ehefrau von Prinz William) verleiht ihm eine gewisse Grazie und Würde. Diese zeigte die attraktive und sympathisch wirkende Sopranistin Kate Royal jetzt auch auf der Bühne der Oper Frankfurt, wo sie im Januar 2009 schon einmal zu Gast war. Damals gestaltete sie gemeinsam mit Christine Rice einen Liederabend. Gerne wird Kate Royal auch mit Carla Bruni oder Catherine Zeta-Jones verglichen. Dennoch ist sie eine eigene, starke Persönlichkeit, die sich, dezent zurückhaltend, aber dennoch selbstbewusst und mit viel guter Laune dem Frankfurter Publikum präsentierte. Ihr diesjähriger Liederabendtermin an der Oper Frankfurt liegt zwischen zwei Terminen mit den Berliner Philharmonikern in Salzburg und Berlin (mit Werken von Berio und Fauré). Dazu ist der Liederabend dann schon ein gewisser Kontrast. Beim Lesen des vorgesehenen Programms im Vorfeld des Abends war man schon versucht zu denken: „Aber hallo, da hat die Gute sich aber ordentlich was vorgenommen“. 29 unterschiedliche Lieder hat sich die junge britische Sopranistin ausgesucht und zu einem Liederzyklus zusammengefasst (unter dem Titel „A Lesson in Love – a Story through Song“). Dieses Liedprogramm erschien bereits im letzten Frühjahr bei EMI Classic auf CD. Zu diesem Liederzyklus führt sie selber aus, dass es sich um den Dialog eines jungen Mädchens handelt, das in vier Kapiteln (Waiting / The Meeting / The Wedding / Betrayal) die Liebe durchstreift, also alle Höhen und Tiefen durchlebt.
29 Lieder von 23 Komponisten aus sieben Ländern
Für Erstaunen sorgte nicht allein die Tatsache, dass bei diesem Programm 29 Lieder geboten werden, sondern deren Heterogenität. Sie stammen von unterschiedlichen Komponisten (stattliche 23 an der Zahl!), aus unterschiedlichen Epochen (von der Romantik bis zur Neuzeit) und aus unterschiedlichen geografischen Herkunftsgebieten (Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien, Finnland, Großbritannien und den USA). Das diese Lieder verbindende Thema Liebe passte dafür dann schon sehr gut, wie es auch generell sehr lobenswert ist, wenn sich Sänger so sorgfältig Gedanken über ihr Liedprogramm machen wie in diesem Fall (zudem waren im Programmheft kurze Informationen zu jedem Lied abgedruckt). Ein erstes Resümee, das zur Pause nach den ersten beiden Liedblöcken gezogen wurde, schien Royals Konzept jedoch nicht vollständig zu bestätigen. Sie sprühte zwar voller positiver Energie und wirkte in der Tat wie ein verliebtes junges Mädchen, das seine Gefühle nur schwer unter Kontrolle halten kann, weil alles nach draußen drängt. So gab es manches Highlight zu erleben, allen voran Claude Debussys „Apparition“ und Aaron Coplands „Patorale“. Aber es gab auch Momente, wo sie an ihren, an sich hohen, technischen Fertigkeiten noch Optimierungen vornehmen kann. Wie bei Robert Schumanns „Jemand“, was etwas zu voll und damit an manchen Stellen undeutlich klang. Mitunter wurden auch ob des flotten Tempos Konsonanten nicht deutlich betont. Wobei sie sämtliche Lieder ohne vor sich liegendes Notenmaterial vortrug und nonstop von einem zum nächsten Lied wechselte. Dieses schnelle Wechseln zwischen den Stimmungen, zwischen intimen, tief im Innern berührenden Liedern (wie das zu Beginn und Ende stehende „Waiting“ von William Bolcom oder Maurice Ravels „Chanson de la mariée“) und ariosen Liedern mit nahezu dramatischen Ausbrüchen (wie „Hugo Wolfs „Erstes Liebeslied eines Mädchens“ und Amy Beachs „Ah, Love, but a day!“), muss man ihr in dieser Form erst einmal nachmachen. Ihr heiteres Talent zeigte sie bei dem mit charmantem Witz vorgetragenem „Tchut, tchut“ von Joseph Canteloube.
Große Sängerpersönlichkeit im „Leidensteil“
Im Teil nach der Pause stand zwar thematisch eine gewisse Ernüchterung an, denn dieser handelte von den Themen Hochzeit und drauffolgender Verrat. Doch gerade dieser Teil fesselte mehr, scheinbar liegt doch eine gewisse romantische Grundstimmung in der Seele eines Liederabendbesuchers. Kate Royal gab sich in diesem Teil besonnener und ruhiger. Das wirkte sich auch auf die Stimme aus. Jetzt hatten auch die deutschen Lieder eine andere Qualität (wie Richard Strauss´ „Hochzeitlich Lied“ oder Franz Schuberts „Die Männer sind méchant“). Besonders berührend gestaltete sie vom Gesanglichen und vom Ausdruck her Schuberts „Du liebst mich nicht“, aber auch „Reynaldo Hahns „Infidélté“ und Aaron Coplands „Heart, we will forget him!“.
Bevor der Liederkreis mit der Wiederholung von „Waiting“ beschlossen wurde, sorgte die Volksweise „I will walk with my love“ für eine ausgleichende, versöhnliche Seelenstimmung.
Am Klavier wurde Kate Royal von Malcolm Martineau begleitet, der nicht nur an der Oper Frankfurt ein überaus geschätzter und gern gesehener Pianist ist. Er hatte stets ein wachsames Auge auf Royal gerichtet, spielte mit Witz, kleinen Akzentuierungen (Hugo Wolfs „O wär´dein Haus“) und Verve (wie zum Ende von Frank Bridges „Love went a-riding“). Dabei saß „die“ deutsche Klavierbegleiterkoryphäe im Publikum: Professor Helmut Deutsch (der gerade für einen Meisterkurs für Studierende der Gesangsabteilung und Klavierbegleiter der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst für ein paar Tage zu Gast in Frankfurt ist).
Nach diesem Parforceritt durch die Gefühlswelt gab es starken Applaus und als Zugabe „Danny Boy“ von Frederick Edward Weatherley.
Markus Gründig, April 12
Liederabend mit Christoph Prégardien (Tenor), Julian Prégardien (Tenor), Michael Gees (Klavier)
Oper Frankfurt, 28. Februar 12
Zweifelsohne schwebt die Oper Frankfurt derzeit auf einer großen Erfolgswelle. Selbst bei einem, auf den ersten Blick, so scheinbar unpopulären Programmpunkt wie einem Liederabend, strömt das Publikum in Massen ins Haus. So auch jetzt beim mit „Vater und Sohn“ betitelten Liederabend von Christoph und Julian Prégardien.
Beide sind an der Oper Frankfurt keine Unbekannten. Der Vater, Christoph Prégardien, war hier in den 80er Jahren engagiert. Der lyrische Tenor ist nicht nur Sänger (und hierbei ein versierter Liedinterpret), er wirkt auch als Gesangspädagoge (u.a. ist er seit 2004 Professor an der Musikhochschule Köln), begeisterter Kammermusiker und Initiator immer neuer Projekte. So wird er in wenigen Wochen erstmals Bachs Johannes-Passion auf einer Europatournee (mit Stationen in Oslo, Wien, Warschau, Luxemburg, Amsterdam, Brüssel, Bologna, Luzern und Paris) als Dirigent zur Aufführung bringen. Der Sohn, Julian Prégardien, ist seit der Spielzeit 2009/2010 Ensemblemitglied der Oper Frankfurt.
Das große Interesse an Liederabenden wirkt sich auch auf deren Programmgestaltung aus, denn das wird auf die Zeit gesehen immer interessanter. Scheinbar geben sich die Interpreten mehr Mühe, ihrem Publikum einen anregenden Abend zu bieten. Vielleicht lag es beim jetzigen Liederabend auch an Christoph Prégardiens Faible an der Liedkunst. Jedenfalls präsentierten die beiden die, an sich für einen Liederabend typischen, Lieder der Romantik nicht nur im steten Wechsel, wie es bei Auftritten von zwei Sängern meistens praktiziert wird. Vater und Sohn sangen viele Lieder gemeinsam und das war die große Überraschung des Abends. Bekannte Liedmelodien erhielten so einen neuen Klang, da sie teilweise im Duett, teilweise mehrstimmig bzw. wie ein Kanon gesungen wurden.
Auch wenn die Kaltfront „Cooper“ mit ihren arktischen Temperaturen zum Glück vorübergezogen ist und es gar zweistellige Temperaturen im Plusbereich gibt, herrscht noch Winter. Die noch kahlen Bäume zeugen davon unmissverständlich. So passte es, als Eröffnung Mozarts Ode „Sehnsucht nach dem Frühlinge“ zu bringen. Bekannt ist das heitere Volkslied unter seinem Liedanfang „Komm, lieber Mai, und mache die Bäume wieder grün“. Bei diesem Lied wechselten sich die beiden zunächst ab und sangen die Schlussverse dann gemeinsam.
Einen ersten Höhepunkt gab es bereits bei dem zweiten Lied: „Abendempfindung an Laura“. Es gilt gemeinhin als eine besondere Herausforderung an Sänger. Die sechs vierzeiligen Strophen komponierte Mozart nach Worten Johann Heinrich Campes. Hierbei setzte Mozart nicht nur ein Thema (Abendempfindung als Bild für die Vergänglichkeit allen Seins und banger Todesahnung) in Musik um, das Stück besteht vielmehr aus purem Gefühl. Beide sangen dieses Lied berührend intensiv: Ein bezaubernder, feingliedrig gewebter Klang zog sich durch die Oper. Beide sind ja Tenöre, gleichwohl klingen ihre Stimmen unterschiedlich. Wo der Jüngere kraftvoll und leidenschaftlich schwärmerische Verliebtheit demonstriert (wie bei Beethovens witzig endendem Liebesbericht „Der Kuss“), zeichnet den Erfahrenen eine überaus ausgefeilte Gesangstechnik aus, die selbst den leisesten Tönen noch mit langem Atem Erhabenheit und Glanz verleiht (wie bei Brahms’ verträumter „Feldeinsamkeit“).
„Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“ sang einst Jürgen Marcus. Bei Beethoven heißt es „Neue Liebe, neues Leben“ und ist natürlich kein Schlager. Das zweite Lied aus „6 Gesänge2“ (Opus 75) stürmt gemeinhin in schnellem Tempo vorüber. Nicht so in der sehr sorgfältigen Interpretation von Christoph Prégardien, die er stellenweise in arienhafter Weise vortrug. Glücklich, wie von Wasser getragen, konnte man sich bei Schuberts „Auf dem Wasser zu singen“ fühlen. Glees fließende Begleitung untermalte und umtänzelte das von beiden Sängern gemeinsam gebotene Lied.
„Ganymed“ sang natürlich Julian Prégardien. Seine Zuneigung zum Vater drückte er überzeugend aus, vokal vor allem durch den lang gezogenen Schluss „Allliebender Vater“. Hochdramatisch wurde es dann bei Schuberts frühen Vertonungen von zwei Schauererzählungen („Der Zwerg“ und „Der Erlkönig“; beide jeweils im Duett gesungen).
Das stille „Wanderers Nachtlied“ beendete den ersten Teil, nicht ohne romantischen Schmerz und Schlussauflösung: „Süßer Friede, komm, ach komm in meine Brust“.
Der Programmteil nach der Pause mit Liedern von Brahms und Schumann war mit 55 Minuten nur ein wenig kürzer als der erste Teil (mit Mozart, Beethoven und Schubert). Hier gefiel das von Julian Prégardien ruhig vorgetragene „Es ging ein Maidlein zarte“ (obwohl es auch eine schaurige Geschichte erzählt). Fast schon operettenhafte Züge weist „Oh die Frauen“ auf. Das Duo bot es mit ernüchternder Schlusspose. Ernster und dunkel gefärbt ist Brahms’ Notturne „Wie rafft‘ ich mich auf“, ein Meisterwerk der Liedkunst. Christoph Prégardien sang es farbenreich, innig und gestaltete es zum Höhepunkt in diesem Programmteil. Ihm folgte Schumanns dreigliedrige Geschichte vom „armen Peter“, die Julian Prégardien souverän präsentierte. Die abschließenden Lieder (auch von Schumann) wurden von beiden gemeinsam gesungen. Herausragend hier die Erzählungen „Grenadiere“ und „Belsazar“. Abgeschlossen wurde der Abend ganz still und leise mit „Nachtlied“ (nach einem Text von Goethe), vom Klavier nur mit ruhenden Akkorden begleitet.
Gemeinsam gaben die beiden ein harmonisch wirkendes Team (was sie beim Schlussapplaus mit Umarmungen auch demonstrierten). Wobei es sich natürlich um ein Trio handelte, denn die beiden wurden von Michael Gees am Klavier begleitet. Und er wirkte hervorragend und mit viel Freude bei diesem stimmigen Familienportrait mit, wusste sich aber auch wie beispielsweise bei dem vehementen Vorspiel zu „Der Erlkönig“ dezent als virtuoser Künstler zu präsentieren.
Das Publikum zeigte sich sehr dankbar für diesen musikalischen Vortrag. Als Zugaben gab es das populäre Volkslied „Weisst Du, wie viel Sternlein stehen“ und das kurze, ruhig abschließende „O du stille Zeit“ des österreichischen Komponisten Cesar Bresgens (1913-1988). Dieser wirkte wie Christoph Prégardien auch als Liedpädagoge. Er komponierte zahlreiche Volkslieder, sowie Bühnen- und Orchesterwerke.
In der aktuellen Liederabendreihe der Oper Frankfurt hat bislang noch keine weibliche Sängerin einen Abend gestaltet. Bei den drei kommenden Liederabenden melden sich nun die Damen zurück. Am 10. April 12 wird es ein Wiedersehen mit Kate Royal geben, am 1. Mai 12 wird Nina Stemme und am 19. Juni 12 wird Sonia Ganassi erwartet.
Markus Gründig, Februar 12
Liederabend mit Andreas Scholl (Countertenor), Tamar Halperin (Cembalo/Klavier)
Oper Frankfurt, 24. Januar 12
“Man is for the woman made,
and the woman made for man.”
Der erste Liederabend im Jahr 2012 war gleich in mehrfacher Hinsicht ein außergewöhnlicher: weil er von einem Pärchen gestaltet wurde, weil eine Frau am Cembalo/Klavier begleitete und weil ein Countertenor seine „himmlischen“ Klangfärbereien präsentierte. Und nebenbei, weil das Haus ausverkauft war (selbst der Dritte Rang war besetzt). Wobei mit Andreas Scholl natürlich einer der bekanntesten Countertenöre zu Gast war. Der 1,92 Meter große Scholl wurde 1967 im nahen Kiedrich im Rheingau geboren, er ist damit sogar ein richtiger Hesse. Inzwischen ist der in Basel ausgebildete Sänger international bekannt und gefragt (u.a. mit Auftritten beim Glyndebourne Festival, an der New Yorker Metropolitan Opera, auch sang er als erster Countertenor überhaupt bei „The Last Night of the Proms“ in London).
Begleitet wurde Scholl von seiner charmanten israelischen Freundin Tamar Halperin, die sich in einem schlichten und süßen schwarz-weißen Kleid präsentierte. Wobei sich die beiden zwar angemessen ernst gaben, aber doch irgendwie recht entspannt und wie frisch verliebt gewirkt haben. Diese Leichtigkeit vermittelte Scholl auch bei seiner selbstbewussten Liedpräsentation, mit spitzbübischen Grinsen und einer jugendlich wirkenden Ausstrahlung. Hauptsächlich begeisterte er das Publikum aber mit seiner außergewöhnlichen Kopfstimme. Dass er diese nur beim Gesang einsetzt, zeigte er mit seinen freundlichen Zwischenansagen, wo er ganz natürlich seine Baritonlage nutzte.
Außergewöhnlich für einen Liederabend war dann auch das Programm mit einem ausgeprägten Schwerpunkt auf Komponisten des Barock, wobei es hier natürlich die meiste Auswahl für Countertenöre gibt. Wobei die Musik dieser Zeit ihren eigenen Stil hat. Opern gab es damals kaum, dafür war das Theaterwesen wesentlich stärker ausgeprägt. Und für viele Theaterstücke wurden Musikeinlagen komponiert. Purcells bekanntes „Music for a while“ (aus „Oedipus, King of Thebes“) stand zu Beginn des Abends. Mit seiner strengen und antiken Größe bildete es einen würdevollen Auftakt. Gestisch agiler und gelöster war Scholl dann ab dem zweiten Lied, Purcells liebseliger Serenade „Sweeter than roses“.
John Dowland gilt als der bedeutendste Lautenist und Komponist von Lautenliedern und Lautenmusik in England um die Wende vom 16 zum 17 Jahrhundert. Scholl beschrieb ihn als einen, der der Zeit gemäß kultiviert seine Melancholie pflegte und der in der heutigen Jugendsprache als „Emo“ bezeichnet werden würde. Sein innig vorgetragenes Lied „Sorrow stay“ bildete einen ersten Höhepunkt an diesem Abend. Der tieftraurige Text klingt beim Altisten Scholl jedoch nicht abgründig oder schwermütig, sondern wie aus einer anderen Sphäre. Er erreicht Höhen mit strahlend hellen Farben und zaubert einen einzigartigen, edlen und reinen Klang hervor, der weder weiblich noch männlich klingt, eher wie von einem fremden Wesen.
Thomas Campion war ein wichtiger Vorgänger Purcells. Sein „I care not for these ladies“ ist auch ein gutes Beispiel für den schauspielerischen Bezug der Lieder. Scholl sang es mit komödiantischer Freude. Besonders innig und mitfühlend geriet Purcells „O solitude“. Vor der Pause war das Publikum dann bei “Man is for the woman made“ eingeladen, den Refrain mitzusingen, es herrschte eine gelöste Atmosphäre ähnlich zu „The Last Night of the Proms“.
Im zweiten Teil folgten zunächst Lieder von Joseph Haydn und Johannes Brahms.
Herausragend hier war das ernste Adagiolied „Recollection“, wo Scholl eine zwischen milder Trauer und ausbrechendem Schmerz wechselnde Stimmung vermittelte. Drei traditionelle Folksongs beendeten das klug durchdachte Programm (dass trotz manch traurig anmutender Lieder recht bunt und froh war).
Tamar Halperin bewies sich nicht nur als verlässliche Begleiterin, sondern auch als souveräne Solistin. Sie präsentierte u.a. eine Suite von Purcell und eine Sonate von Haydn. Wobei sie im ersten Teil ihren Freund an einem zweimanualigen Cembalo begleitete, dem sie viele Klangfarben entlockte.
Die traditionelle Regel nur nach abgeschlossenen Liedgruppen zu applaudieren war an diesem Abend außer Kraft gesetzt. Die Beiden erhielten nach jeder Nummer einen kräftigen Applaus und natürlich auch einen starken Schlussbeifall, wofür sie sich mit zwei Zugaben bedankten. Zunächst mit einer Wiederholung von „Music for a while“ (diesmal allerdings mit Klavierbegleitung) und mit „Oh Lord, whose mercies numberless“ aus Georg Friedrich Händels Oratorium Saul.
Markus Gründig, Januar 12
Liederabend mit Klaus Florian Vogt (Tenor), Helmut Deutsch (Klavier)
Oper Frankfurt, 29. November 11
Obwohl einer der populärsten und bekanntesten Liedzyklen, wurde er schon länger nicht mehr vollständig bei einem Liederabend an der Oper Frankfurt gegeben: Schuberts fröhlich beginnender und klingender, aber tragisch endender Zyklus „Die schöne Müllerin“. Nachdem Daniel Behle bei seinem Liederabend im vergangenen September die ersten sieben Lieder vorgetragen hatte, präsentierte der Heldentenor Klaus Florian Vogt nun den gesamten Zyklus (ohne Pause). Vogt hat in den letzten Jahren mit seinen Auftritten als Lohengrin oder Walther von Stolzing in Bayreuth für großes Aufsehen gesorgt. Durch die diesjährige Lohengrin-Live-Übertragung auf arte wurde er auch einem breiten Publikum bekannt (an der Oper Frankfurt debütierte er bereits 2009 als Paul in Korngolds „Die tote Stadt“). Der mit seinem blonden, schulterlangen Haar noch jugendlich Wirkende, hat also schon die Königsübung Bayreuth mit Bravour bestanden und auch u.a. an der Mailänder Scala, der Wiener Staatsoper und der MET das Publikum bezaubert. Ein Liederabend klingt zunächst nicht so anspruchsvoll wie eine umfangreiche Opernpartie, aber gerade Schuberts „Müllerlieder“ sind für Sänger eine Herausforderung. Viel Text ist zu bewältigen, dabei ist die Gesangslinie zu halten und Ausdruck und Stil sind zu beachten. Größen wie Peter Pears, Fritz Wunderlich, Dietrich Fischer-Diskau, Thomas Quasthoff und Jonas Kaufmann haben sich den „Müllerliedern“ angenommen und in ihre Discografie aufgenommen.
War es die Ehrfurcht vor einem Vergleich oder die warme und trockene Luft im Raum, Vogt brauchte jedenfalls einen Augenblick, um als wandernder Müllerbursche wirklich anzukommen. Dann aber zog er das zahlreich erschienene Publikum vor allem mit seinem unglaublichen Legato, das er mit unbeschwerter Stimme ausdauernd, farbenreich und frisch präsentierte, in seinen Bann. Jedes der zwanzig Lieder gestaltete er unterschiedlich und nuancenreich. Seinen jugendlich anmutenden Schmelz brachte er bei “Danksagung“ bestens zur Geltung. Fast knabenhaft und verliebt gab er “Der Neugierige“, glockenklar war er bei „Pause“, wo er ganz besonders seine Fähigkeit, leisen Töne ein großes Maß an Volumen zu geben bewies. Lied Nummer 16, “Die liebe Farbe“ läutet das Anfang vom Ende ein: Der Müllerbursche verfällt in seine Schwermut. Vogt sang „Mein Schatz hat´s Jagen so gern“ und „Mein Schatz hat´s Grün so gern“ so intensiv und klangschön, dass selbst die Dauerhuster im Publikum erstummten.
Am Klavier begleitete ihn Deutschlands renommiertester Liedbegleiter, der am 30. Oktober 11 an der New Yorker MET mit Jonas Kaufmann einen Liederabend gestaltete (und mit diesem auch eine CD der Müllerlieder eingespielt hat). Sein Stil war sehr sängerfreundlich. Nur bei wenigen Liedern kostete er die Lautstärke des Klaviers aus (wie beim Schluß von „Mein!“). Er spielte als zuverlässiger, stiller Begleiter, mehr wie ein ruhig dahin fließender Bach, denn als reißerischer Fluss.
Nachdem das Publikum mit seinem ausdauernden Applaus die schwere Luft weggeklatscht hatte, gab es als Zugabe etwas Leichtes: Franz Lehárs „Dein ist mein ganzes Herz“ (aus der Operette „Das Land des Lächelns“). Dies wirkte auch auf Vogt befreiend und passte mit dem tief empfundenen Liebeseindruck durchaus auch zu den zarten Müllerliedern (von den Textparallelen zu „Ungeduld“ einmal ganz abgesehen).
Markus Gründig, November 11
Liederabend Christian Gerhaher (Bariton), Martin Walser (Rezitation), Gerold Huber (Klavier)
Oper Frankfurt, 25. Oktober 11
Und wie Nebel stürzt zurücke,
Was den Sinn gefangen hält,
Und dem heitern Frühlingsblicke
Öffnet sich die weite Welt
(Ludwig Tieck)
Christian Gerhaher ist dem Frankfurter Publikum eng verbunden, hat er an der Oper Frankfurt nicht nur bereits drei Partien (den Orfeo in Monteverdis „L’Orfeo“, den Wolfram in Wagners „Tannhäuser“ und den Eisenstein in Strauß´ „Die Fledermaus“) gesungen, auch gab er hier schon zwei Liederabende (2006 und 2009), nun folgte der dritte. Unterstützt wurde der u.a. mit dem Echo-Klassik (als bester Sänger) und dem Rheingauer Musikpreis ausgezeichnete Interpret diesmal nicht nur von seinem langjährigen Klavierbegleiter Gerold Huber, sondern auch von Martin Walser (dessen jüngster Roman „Muttersohn“ erst diesen Sommer bei Rowohlt veröffentlicht wurde).
Grund, als Trio aufzutreten, war das außergewöhnliche Programm mit Liedern von Johannes Brahms. Der oftmals als „konservative Akademiker“ betitelte Brahms (weil er sich intensiv mit älterer Musik, vor allem des 16. – 18. Jahrhunderts beschäftigte), galt nach dem Tod Richard Wagners als der größte lebende deutsche Komponist. Er war auf nahezu allen musikalischen Gebieten tätig. Erfolge erreichte er in der Chorsymphonik („Deutsches Requiem“) und in der Instrumentalmusik (wie z.B. mit den beiden Streichquartetten op. 51 Nr. 1 und 2, den Haydn-Variationen für Orchester op. 56a und seiner 1. Symphonie). Brahms war aber auch ein äußerst produktiver Liedkomponist (rund 300 Lieder). Für den Liedzyklus „Die schöne Magelone“ (Opus 33) griff er auf ein neu erzähltes Volksmärchen des Berliner Dichters Johann Ludwig Tieck (31.5.1773 – 28.4.1853) zurück. Dabei handelt es sich um einen Märchenstoff aus der Provence mit Ursprüngen aus „1001 Nacht“.
Für Christian Gerhaher und die oberfränkischen Festspiele „Lied und Lyrik“ der Bayerischen Akademie der Schönen Künste hat Martin Walser Tiecks Text bearbeitet, gestrafft und in eine zeitgemäße Form gebracht. Unverändert blieben die 18 in der Erzählung eingebetteten Gedichte, von denen Brahms 15 für seinen Zyklus verwendet hat. Sie reden die Sprache höfischer Liebeslyrik des mittelalterlichen Minnegesangs. Überwiegend Vortragender ist der Graf Peter. Zwei Lieder (Magelones „Wie schnell verschwindet“ und der Heidin Sulimas „Geliebter, wo zaudert dein irrender Fuß?“) müssten zwar von Frauenstimmen vorgetragen werden, doch hat sich dies in der Vortragspraxis nicht durchgesetzt, ebenso wenig wie das einleitende Lied des Spielmanns „Keinen hat es noch gereut“. Wobei der Zyklus auch „Der schöne Peter“ heißen könnte. Denn über ihn, welcher als die Freude des Vaters und der Mutter erwuchs, der groß und herrlich von Gestalt war, prächtige Haare und ein zart jugendliches Gesicht hatte, der in allen Waffenübungen wohlerfahren war und ein einnehmendes Wesen hatte, sodass niemand sein Feind sein konnte, erfährt man wesentlich mehr als über die nur schöne Königstochter Magelone aus der Stadt Neapolis.
Wobei Brahms selber die 15 Vertonungen ursprünglich losgelöst von der Tieckschen Prosa wissen wollte und anfänglich gegen eine Einbettung in die Geschichte war. Doch anders als seine sonstigen Lieder und die Lieder Schuberts oder Schumanns, entspringt die Gefühlswelt der Magelone-Lieder unmittelbar aus der Geschichte (weshalb sie trotz ihres melodiösen Reichtums als einzelnes Lied keine Popularität erreicht haben). Für einen Liederabend ist die Kombination jedenfalls ein schönes Programm. Es wartet nicht so sehr mit romantischer Schwermütigkeit und Verzweiflung auf, sondern mit einem gewissen sommerlichen Frohsinn (und auch manch Stürmen) und endet mit einem Happy End, wie es sich nun einmal für ein schönes Märchen gehört.
Magnet für diesen Abend in der voll besetzten Oper Frankfurt war aber nicht nur Gerhaher und Huber am Klavier, sondern auch der 84-jährige Martin Walser als Rezitator. Er trug seine Bearbeitung der Tieckschen Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter von Provence (der vollständige Text ist im Programmheft abgedruckt worden) ruhig und mit verschmitzten Wendungen vor. Wo es bei Tieck beispielsweise nach der Ammes Zusage an Peter er könne Magelone treffen, etwas umständlich heißt „Eingedämmert von Erwartungen, banger Sehnsucht und ängstlicher Hoffnung, schlief er auf seinem Ruhebette ein… Er raffte sich auf, und dachte, was er ihr sagen wolle; er erschrak jetzt vor dem Gedanken, dass er sie sprechen müsse; dennoch war es sein herzinniglichster Wunsch, er konnte sich nicht besänftigen…“, heißt es bei Walser moderner und prägnanter: “Er konnte es nicht fassen, er konnte es nicht glauben, er wusste nicht, wie er die Stunden und die Minuten und die Sekunden aushalten sollte, bis es so weit sein würde…“ . Dazu hat Walser auch heute sprachlich Unbekanntes und Diskriminierendes geändert. Der rote Zindel (ein taftähnliches Seidengewebe) als Aufbewahrungsort für die drei Ringe der Mutter ist jetzt eine rote Kapsel, die Neger auf dem Schiff sind natürlich Dunkelhäutige.
Der Abend wurde durch das harmonische Wechselspiel zwischen Walsers Rezitation und Gerhahers Liedgesang zu einem außergewöhnlichen Ereignis (wobei Gerhaher zusätzlich die beiden nicht vertonten Romanzen am Ende des Zyklus kunstvoll rezitierte). Seine noble Gesangstechnik, die subtile Darbietung kleinster Stimmungsschwankungen bei stets starker Präsenz seiner wunderschön timbrierten Baritonstimme verlieh jedem der 15 Romanzen eine eigene Note. Nach dem stürmischen Auftaktlied „Keinen hat es noch gereut“ und dem in Moll stehenden und vehement vorgetragenen Aufbruchslied „Traun! Bogen und Pfeil“, folgte mit „Sind es Schmerzen, sind es Freuden“ ein erster Höhepunkt, trägt es doch fast schon opernhafte Züge (Arioso, Rezitativ und Stophe). Dabei reflektiert es auch ganz im Sinne der Romantik eine tiefe Sehnsucht („Ach, Lust ist nur tieferer Schmerz“), die Gerhaher intim gestaltete (um dann im vorletzten Satz ganz besonders kräftig die „r“ zu betonen). Die erwachenden Glücksgefühle des mit frischem Mut gefassten Grafen Peter vermittelte Gerhaher bei „Willst du des Armen dich gnädig erbarmen?“ mit aufblühendem Kolorit. Zweiter Höhepunkt war das intime und zärtliche Schlaflied „Ruhe, Süßliebchen“, das vielleicht bekannteste Lied des Zyklus. Gerhaher vermied Anflüge von Sentimentalität und trug es erst innig und dann forciert vor. Kontrastierend folgte „So tönet dann, schäumende Wellen“, Peters Gesang in höchster Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, nachdem ein Rabe die wertvollen Ringe geraubt hat.
Gerold Huber am Klavier zeigt von allen Dreien die stärkste körperliche Hingabe. In vielen Liedern gilt es Peters atemloses Treiben durch rhythmische Differenzierung auszudrücken, geht es bei diesem Zyklus um mehr als um ein dekoratives Begleiten. Huber legte sich nicht nur gehörig in die Tasten, sondern gab die vielen von Brahms eingearbeiteten Feinheiten als feine Klanggebilde wieder (deutlich bei Magelones „Wie schnell verschwindet so Licht als Glanz“ und bei Sulimas „Geliebter, wo zaudert dein irrender Fuß?“, bei dem das Klavier eine begleitende Zither imitiert). Dritter Höhepunkt war das überragende Finallied „Treue Liebe dauert lange“, ein Lied mit anspruchsvollem Aufbau und kühner Modulation, eine Hymne, die den Abend festlich beendete. Zu diesem waren auch viele Gesangskollegen Gerhahers aus der Oper Frankfurt gekommen, wie auch die Ring-Regisseurin Vera Nemirova (deren mit Spannung erwarteter „Siegfried“ in wenigen Tagen an gleicher Stelle Premiere feiern wird).
Viel Applaus für das Trio, für einen überragenden Liederabend.
Markus Gründig, Oktober 11
Liederabend Daniel Behle (Tenor), Sveinung Bjelland (Klavier), Andy Miles (Klarinette)
Oper Frankfurt, 27. September 11
Wisst ihr, warum der Sarg wohl
So groß und schwer mag sein?
Ich senkt’ auch meine Liebe
Und meinen Schmerz hinein.
(Heinrich Heine)
Das gegenwärtige schöne Altweibersommerwetter mit hohen Temperaturen und Sonne satt steigert die Stimmung und sorgt für Glücksgefühle. Und doch umweht eine zarte Wehmut die gute Laune, dass solche Temperaturen und Anwandlungen für die nächsten sieben Monate vorbei sein werden. Dazu passte der schöne spätsommerliche Strauß in orangen Farbtönen und mit frischen Gräsern, der beim ersten Liederabend der neuen Saison die Bühne der Oper Frankfurt zierte. Nachdem die amerikanische Mezzosopranistin Jennifer Larmore die Liederabendsaison 2010/11 mit einem heiteren Potpourri aus klassischem Liedgut, Oper und Musical beendete, eröffnete der deutsche Tenor Daniel Behle jetzt die neue Liederabendsaison in der sehr gut gefüllten Oper Frankfurt mit einem klassischen Kunstliedprogramm. Die Auswahl von Liedern aus populären Liedzyklen spiegelte perfekt das romantische Stimmungsgefüge zwischen todesnaher Liebessehnsucht und träumerischer Schwärmerei.
Zu Beginn stand das erste Drittel an Liedern aus Franz Schuberts Zyklus „Die schöne Müllerin“. Dieser ist, wie auch „Die Winterreise“, eine Zusammenfügung fest miteinander verketteter Gesänge, die eine Handlung erzählen und aus vielen einzelnen, in sich geschlossenen Liedern bestehen. Wobei der idyllische Titel „Die schöne Müllerin“ zwar eine gewisse Fröhlichkeit impliziert, doch ist dieser Zyklus tragischer als die düsterer anmutende „Winterreise“ (bei der am Ende der Protagonist zwar hoffnungslos einer ungewissen Zukunft entgegenblickt, aber nicht tot ist). „Die schöne Müllerin“, basierend auf Dichtungen von Wilhelm Müller, handelt von einem Müllerburschen, der sich unglücklich verliebt und seinem Leben schließlich ein Ende setzt. Wichtigster Begleiter und Vertrauter auf seinem Weg ist ein Bach, dem er seine Gefühle anvertraut und der ihn schließlich in den Todesschlaf singt. Das einleitende Lied „Das Wandern“ ist in der Vertonung von Karl Friedrich Zöllner als Volkslied („Das Wandern ist des Müllers Lust) weithin bekannter als Schuberts Fassung. Beim zweiten Lied „Wohin“ tritt dann unbeschwert fließend der Bach musikalisch in Erscheinung. Spätere Tragik deutete sich darin aber schon an („Du hast mit deinem Rauschen mir ganz berauscht den Sinn“). Im vierten Lied, dem ruhigen „Danksagung an den Bach“ ist der Bursche inzwischen auch der schönen Müllerin begegnet und erklärt seine Liebe zunächst dem Bach. Lebhafter dann „Am Feierabend“. Eingeleitet von harten Akkordschlägen und folgenden kreisenden Sechzehntelbewegungen wird hier der Alltag in der Mühle in den Blickpunkt gerückt, mit einem Lob des Meisters und dem Nachtgruß des „lieben Mädchens“.
Innig und wehmütig „Der Neugierige“, bei dem der Bursche den Bach nach einer Antwort für seine Gefühle fragt, doch dieser bleibt stumm. In Form der Klavierbegleitung versinkt die Antwort des Baches am Ende in stiller Tiefe. Als letztes Lied aus diesem Zyklus folgte Lied Nummer sieben „Ungeduld“. Voll drängenden Liebesüberschäumens erinnert es an „Dein ist mein ganzes Herz“ aus Lehars Operette „Das Land des Lächelns“. Das Rauschen und Fließen des Baches bei diesen Liedern ließ Sveinung Bjelland mit feinem, spielfreudigem Gespür erklingen. Der norwegische Pianist war bei den folgenden Liedern genauso ein ersprießlicher Begleiter. Den „Müllerin-Liedern“ folgten vier weitere Schubert Lieder, davon drei überaus bekannte („Heidenröslein“, „Du bist die Ruh“ und „Die Forelle“) und das seltener vorgetragene 12-minütige Konzertstück „Der Hirt auf dem Felsen“. Letzteres widmete Schubert der Sängerin Anna Milder. Die Kantate ist eigentlich eine Perle für Koloratursängerinnen. Das Klavier hat hier nur eine begleitende Funktion, dafür übernimmt eine Klarinette die Funktion einer Schalmei für den Hirten. Als froh gelaunter Hirte sorgte Andy Miles mit seinem virtuosen Spiel für einen lebhaften Eindruck vom alpinen Charakter der Szene. Gesang, Klarinette und Klavier ertönten zu einem harmonischen Ganzen, von dem man gerne mehr hören würde. Den ersten Teil beschloss Behle mit „Sechs Lieder“ von Edvard Grieg (Opus 48), die dieser deutschen Dichtern gewidmet hatte. Also hier trotz norwegischem Komponisten auch ein enger Bezug zur deutschen Romantik.
Nach der Pause folgte Robert Schumanns 16 Lieder umfassender Zyklus „Dichterliebe“. Schumann stand, wie viele andere Komponisten seiner Generation auch, zunächst vor der schwierigen Aufgabe, nach Franz Schuberts Triumphzug als Liedschreiber ein eigenständiges Format zu finden. Dabei hatte dann Beethovens Liederzyklus „An die ferne Geliebte“ einen nicht unerheblichen Anteil. Das Jahr 1840 wurde dann zu Schumanns Jahr, denn er komponierte 138 Gesänge. Unter diesen Gesängen war auch die „Dichterliebe“, die er der Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient zueignete. Musik war für Schubert eine „Geistersprache des Gefühls“. Schon der Titel deutet an, dass es sich um keine gewöhnliche Liebe handelt, war er ja selber auch fast ein Dichter. Die Liebe wird hier trotz aller Tiefe nicht zu ernst gesehen, stets wird sie spielerisch umtändelt. Zur „Dicherliebe“ zählen heitere Klassiker wie „Im wunderschönen Monat Mai“, „Die Rose, die Lilie, die Taube“ und „Ein Jüngling liebt ein Mädchen“, die Behle, mit einem großen Maß an Energie getragen, leidenschaftlich vortrug. Einnehmend, verklärend und bezaubernd sind aber viel mehr die stillen, die fein gezeichneten Lieder. Hierbei konnte Behle seine subtile Gesangstechnik demonstrieren, bei ausgezeichneter Diktion. Beim Schlussstück „Die alten, bösen Lieder“ hat der Sänger die Liebe und seinen Schmerz begraben. Aber das ist nicht das Ende. Das Klavier spielt weiter und führt den Sänger einer höheren Ebene zu, die der Poesie.
Daniel Behle, von 2007 bis 2010 Ensemblemitglied der Oper Frankfurt, gab sich von Beginn an als würdiger Vertreter des Kunstlieds. Mit feinem Gespür für Modulationen und Betonungen war sein Vortrag sehr konzentriert und technisch hervorragend gestaltet. Dabei glänzte er mit seiner Natürlichkeit und eleganten Art. Zu Recht daher am Ende viel Applaus. Bei den drei (!) Zugaben (allesamt Lieder aus „Die schöne Müllerin“: „Eifersucht und Stolz“, „Die liebe Farbe“ und „Die böse Farbe“) gab Behle sich dann deutlich gelöster. Ein viel versprechender Auftakt der Liederabendsaison 2011/12 an der Oper Frankfurt.
Markus Gründig, September 11