Durch Schein zum Sein: »Le nozze di Figaro« neu an der Oper Frankfurt

Le nozze di Figaro ~ Oper Frankfurt ~ v.l.n.r. Bartolo (Donato Di Stefano), Barbarina (Idil Kutay), Basilio (Magnus Dietrich), Susanna (Elena Villalón), Graf Almaviva (Danylo Matviienko), Gräfin Almaviva (Adriana González), Figaro (Kihwan Sim), Cherubino (Kelsey Lauritano), Antonio (Franz Mayer) und Marzelline (Cecelia Hall) ~ © Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Ende September 23 wurde die Oper Frankfurt vom Fachmagazin Opernwelt zum siebten Mal als „Opernhaus des Jahres“ ausgezeichnet. Dieses Jahr sogar gleich in vier Kategorien: „Opernhaus des Jahres 2023“, „Chor des Jahres 2023“, „Wiederentdeckung des Jahres 2023 – Die ersten Menschen“ und „Uraufführung des Jahres 2023 – Blühen“. Grund für den Erfolg ist dabei auch der ambitionierte Spielplan mit überdurchschnittlich vielen Opern abseits des üblichen Repertoires. Dennoch sind Schlüsselwerke unverzichtbar. Dazu zählt Wolfgang Amadeus Mozarts Opera buffa in vier Akten Le nozze di Figaro (Die Hochzeit des Figaro), die jetzt als erste Neuinszenierung der Spielzeit im Opernhaus gespielt wird. Ein weiterer Baustein des Erfolgs der Oper Frankfurt ist das hauseigene Ensemble und das Opernstudio. Viele Sänger:innen wechselten von dort ins Ensemble und zählen nun, wie man bei Le nozze di Figaro erleben kann, zu den Stützen des Hauses.

Le nozze di Figaro
Oper Frankfurt
Figaro (Kihwan Sim
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Entfliehen aus der eigenen Identität

Neu inszeniert wurde die Geschichte um die Hochzeit von Figaro und seiner Susanna von Tilman Köhler. An der Oper Frankfurt erarbeitete er bereits Händels Teseo, Radamisto und Xerxes, Rossinis Bianca e Falliero und Martins Le vin herbé, oftmals in enger Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner Karoly Risz.
Sein Zugang zu diesem Klassiker ist ganz auf die Figuren konzentriert. Angesichts des gegenwärtigen gesellschaftlichen Drucks zur Authentizität, bei dem sich die eigene Identität im ständigen Verteidigungsmodus befindet, zeigt er die Vorteile auf, in andere Rollen zu schlüpfen. So wie es in dieser Oper passiert. Das Entfliehen aus der eigenen Identität hat für ihn eine erlösende Wirkung. Zudem eröffnen sich dadurch neue Chancen und Denkweisen. Es gilt das Motto „Durch Schein zum Sein vordringen“.

Le nozze di Figaro
Oper Frankfurt
Graf Almaviva (Danylo Matviienko), Susanna (Elena Villalón)
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Karoly Riszs Bühne zeigt für das Schloss des Grafen Almaviva in Aguasfrescas (bei Sevilla), den eigentlichen Spielort der Handlung, einen großen, unwirklichen Raum. Seine Wände bestehen aus hohen, lamellenartigen Flügeltüren. Ein Ideal an Möglichkeiten für Auf- und Abtritte (insgesamt sind es 29 Stück), das selbst bei einer Boulevardkomödie in dieser Anzahl nicht zu erleben ist. In der Mitte ist ein quadratisches, sich mitunter drehendes, Podest platziert. Gewissermaßen eine Bühne für die Verwandlungskünstler dieser Opera buffa. Im vierten Akt verkleinert sich dieser Raum zu einem Dreieck und ermöglicht ein noch konzentrierteres, kammerspielartiges Erlebnis. Hölzerne Klappstühle lassen gelegentlich die Stimmung einer lauen Sommernacht aufkommen. Birkenstämme werden zu einem schmucklosen Traubogen zusammengesteckt.
Durch die vielseitige Ausleuchtung der Bühne wirkt sie stets warm und ansprechend (Licht: Joachim Klein). Sehr farbenfroh sind die Kostüme von Susanne Uhl, die einen Bogen vom Barock bis zur Gegenwart spannen. Am auffälligsten ist der fliederfarbene, weit geschnittene Anzug des Grafen, der seinen triebgesteuerten „Frühlingsdrang“ optisch bestens versinnbildlicht. Die Gräfin ist dagegen in einem eng anliegenden roten Abendkleid ganz auf Liebe eingestellt. Susannas nach vorne stark verkürzter Überrock unterstreicht ihre Jugend und Cherubino kommt gleich in einer Jogginghose daher.

Le nozze di Figaro
Oper Frankfurt
Cherubino (Kelsey Lauritano), Gräfin Almaviva (Adriana González)
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Lebhaft und angriffslustig

Diese Produktion steht zudem unter einem besonderen Zeichen. Die Aufführungen im Oktober werden von Thomas Guggeis, dem neuen Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt, dirigiert. Er leitet nicht nur das hierbei leicht erhöht sitzende Frankfurter Opern- und Museumsorchester, sondern spielt bei den Rezitativen auch noch am Hammerklavier mit. Sein Zugriff ist lebhaft und angriffslustig, was den heiteren Charakter des Werks vortrefflich unterstreicht. Der frisch ausgezeichnete Chor der Oper Frankfurt (Einstudierung: Tilman Michael) ist schön präsent, allerdings hat der Chor bei dieser Mozart-Oper eher einen dekorativen Charakter. Hier stehen die Protagonisten:innen im Fokus. Und diese werden hier fast vollständig hausintern und von meist jungen Stimmen gegeben.

Als agiler und energetischer Kammerdiener Figaro glänzt Bassbariton Kihwan Sim mit einer großen Bandbreite an Gefühlen und stimmlichen Nuancen, eine Paraderolle für ihn. Ihm ebenbürtig, sprüht die Kammerzofe Susanna der Sopranistin Elena Villalón angenehm wohltönend, ebenso voller Energie. Dem mehrfach vorgeführten und meist eher unsympathischen Grafen Almaviva verleiht Bariton Danylo Matviienko mit Selbstironie liebenswerte Züge und vokal ein markantes Profil. Sopranistin Adriana González gab die Gräfin Almaviva zuletzt bei den diesjährigen Salzburger Festspielen. Sie ist ein Ruhepol in dieser temporeichen Umsetzung und berührt mit lyrischem Wohlklang (wie mit der Cavatine „Porgi, amor, qualche ristoro“).
Souverän fügen sich die Marzelline der Mezzosopranistin Cecelia Hall, der Arzt Bartolo des Bass Donato Di Stefano und der Gärtner Antonio des Bariton Franz Mayer ein. In der Hosenrolle des herumwirbelnden Pagen Cherubino begeistert Mezzosopranistin Kelsey Lauritano. Tenor Magnus Dietrich gibt im stylischen Anzug den Musiklehrer Basilio (sowie den Richter Don Curzio). Bei der besuchten zweiten Vorstellung übernahm kurzfristig Sopranistin Karolina Bengtsson die Figur der Barbarina und gab dabei ihr Rollendebüt.

Am Ende nur glückliche Paare und ein hingerissenes Publikum: Lang anhaltender, kräftiger Schlussapplaus.

Markus Gründig, Oktober 23


Le nozze di Figaro

(Die Hochzeit des Figaro)
Oper in vier Akten

Von: Wolfgang Amadeus Mozart
Libretto: Lorenzo Da Ponte nach Beaumarchais´ La Folle Journée ou le Mariage de Figaro
Uraufführung: 1. Mai 1786 (Wien, Burgtheater)

Premiere an der Oper Frankfurt: 1. Oktober 23
Besuchte Vorstellung: 6. Oktober 23

Musikalische Leitung: Thomas Guggeis / Alden Gatt
Inszenierung: Tilmann Köhler
Bühnenbild: Karoly Risz
Kostüme: Susanne Uhl
Licht: Joachim Klein
Chor: Tilman Michael
Dramaturgie: Zsolt Horpácsy

Besetzung:

Figaro: Kihwan Sim / Božidar Smiljanić (Dez., Jan)
Susanna: Elena Villalón / Julia Grüter (14.10.)
Graf Almaviva: Danylo Matviienko / Domen Križaj (Dez., Jan.)
Gräfin Almaviva: Adriana González / Verity Wingate (Dez., Jan.)
Cherubino: Kelsey Lauritano / Helene Feldbauer° (Dez, Jan)
Marzelline: Cecelia Hall / Katharina Magiera (21.10., Dez, Jan)
Bartolo: Donato Di Stefano / Thomas Faulkner (Dez, Jan)
Basilio / Don Curzio: Magnus Dietrich
Barbarina: Idil Kutay° / Karolina Bengtsson (6., 8.10.)
Antonio: Franz Mayer

Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

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