Rudi Stephans Oper »Die ersten Menschen« an der Oper Frankfurt

Die ersten Menschen ~ Oper Frankfurt ~ v.l.n.r. Adahm (Andreas Bauer Kanabas), Chawa (Ambur Braid; sitzend) und Chabel (Ian Koziara) ~ © Matthias Baus

Erneut beweist die Oper Frankfurt ihren überragenden Ruf, der längst über nationale Grenzen hinaus geht und ihr mehrfach den Titel „Opernhaus des Jahres“ eingebracht hat. Ein Werk vorzustellen, dessen Komponist wie der Titel weitestgehend unbekannt ist, erfordert Mut und ein Publikum, dass bereit ist, sich auf Neues einzulassen. Wobei Rudi Stephans Die ersten Menschen nicht neu ist. Die Oper wurde 1920 an der Oper Frankfurt (im Gebäude der heutigen Alten Oper) uraufgeführt.

Stephan bezeichnete sie als sein eigentliches Werk. Wobei der Verlag (Schott Music Mainz) „seine asketisch betitelten Konzertwerke wie Musik für Orchester und Musik für Geige und Orchester als seine bedeutendsten Werke ansieht. Rudi Stephan ereilte ein früher Tod, mit 28 Jahren starb er im Ersten Weltkrieg in einer Schlacht bei Tarnopol in der Ukraine (1915).

Das Libretto seiner Oper beruht auf dem 1908/09 veröffentlichten Skandalstück Die ersten Menschen: erotisches Mysterium von Otto Borngräber (in Bayern wurde es 1912 gar verboten). Zugrunde liegt die alttestamentarische Geschichte von Adam, Eva, Kain und Abel. Sie wird in einer expressionistischen und unter dem Einfluss von Sigmund Freuds Psychoanalyse beeinflussten Sicht, erzählt. Unterdrückte sexuelle Begierden und Eifersucht stehen dabei im Mittelpunkt. Kirche und Religion kommen dabei auch nicht gut weg. Die Oper Frankfurt empfiehlt einen Besuch ab 16 Jahren.

Für eine bildstarke szenische Umsetzung sorgt an der Oper Frankfurt der Regisseur Tobias Kratzer. In Frankfurt überraschte er bereits 2018 mit Meyerbeers L’Africaine, im Jahr darauf mit Verdis La forza del destino und zuletzt im Oktober 2021 mit Nielsens Maskerade (die DVD erscheint demnächst bei Naxos). Er wird ab 2025 die Hamburgische Staatsoper leiten.

Die ersten Menschen
Oper Frankfurt
Kajin (Iain MacNeil; oben) und Chabel (Ian Koziara; unten)
© Matthias Baus

Den Anfang der Menschheitsgeschichte mit der Vertreibung aus dem Paradies hat Kratzer in eine postapokalyptische, dystopische Szenerie gesetzt. Die Erde ist verbrannt und zunächst nur mit einer Gasmaske zu betreten. Erinnerungen an die im Februar am Staatstheater Wiesbaden uraufgeführte Oper Oryx and Crake von Søren Nils Eichberg werden wach.
Auf der Bühne von Rainer Sellmaier (auch Kostüme) ist zunächst ein kleines Wohnidyll zu sehen. Ein Wohnraum mit Küche und zwei Fenstern, hinter denen saftige Wiesen und sanfte Hügel in ein warmes Sonnenlicht getaucht sind. Wenn der zunächst kammerspielartig wirkende Raum seitlich erweitert wird, zeigen sich Regale, vollgefüllt mit Lebensmittelpackungen und Getränken und ein großes Notstromaggregat. Nun ist klar, dass das Idyll ein Schutzraum tief unter der Erde ist (wie er u. a. im Film Wenn der Wind weht aus 1986 vorkommt). Mit einem Filmprojektor werden Erinnerungen aus glücklichen Tagen zurückgeholt, Zeiten, in denen das Familienleben noch intakt war (Video: Manuel Braun). Eine Steigleiter führt zur verseuchten Erdoberfläche.
Der zweite Aufzug zeigt dann die von Asche bedeckte Oberfläche, mit abgebrannten Bäumen, einem ausgebrannten Auto und einem frei stehenden Kamin als Zufluchtsort für Chawa/Eva (der wohl nicht unbeabsichtigt einen phallischen Charakter hat).

Die ersten Menschen
Oper Frankfurt
v.l.n.r. Chawa (Ambur Braid) und Kajin (Iain MacNeil; stehend) sowie Chabel (Ian Koziara; nicht sichtbar auf dem Boden liegend)
© Matthias Baus

Der Komponist Rudi Stephan war von Richard Wagner beeinflusst, aber auch von Zeitgenossen wie Richard Strauß und Alexander Zemlinsky. Musikalisch ist die zwischen Spätromantik und Moderne chargierende Oper sehr vielseitig, oftmals mit harten und kräftigen Ausbrüchen. Eine Besonderheit ist der Einsatz eines Saxofons, der der Figur des Kajin/Kain zugeordnet ist.

Alle Vorstellungen werden von Sebastian Weigle dirigiert. Der zum Spielzeitende nach 15 überaus erfolgreichen Jahren ausscheidende Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt, lässt Stephans Musik vom Frankfurter Opern und Museumsorchester mit voller Wucht und klarer Struktur spielen.

Der Bass Andreas Bauer Kanabas imponierte im Februar dieses Jahres bei seinem Liederabend und auf der kurz zuvor erschienenen CD „Franz Schubert: Schwanengesang“. Den liebesmüden Adahm/Adam gibt er vital und mit vokaler Stärke. Sehr angenehm klingt die Tenorstimme von Ian Koziara (als Gott und die körperliche Liebe findender Chabel/Abel). Bariton Iain MacNeil legt auf seine ohnehin schon starken früheren Leistungen (wie seinem Odysseus/Ulisse in der vergangenen Spielzeit vokal noch nach. Den unter enormen sexuellen Druck stehenden Kajin/Kain gibt er sehr intensiv.
Die einzige Frau auf die sich alle drei Männer zwangsweise fokussieren ist Chawa/Eva. Eine hochdramatische Partie, oftmals nicht unbedingt lyrischer Wohlklang. Sopranistin Ambur Braid hebt die vielen Facetten der Figur plastisch hervor (einnehmend vor allem im zweiten Aufzug). Schade, dass sie zum Ende der Spielzeit das Frankfurter Ensemble verlassen wird.
Alle vier zeigen eine starke schauspielerische Leistung.

Trotz einem tödlichen Eifersuchtsdrama mit nachfolgender Selbstverstümmelung ist die auf nunmehr drei Mitglieder geschrumpfte Ur-Familie nicht alleine. Es tauchen weitere Menschen auf (32 an der Zahl, wenige Sekunden bevor der Vorhang fällt). Noch ist die Menschheit nicht ganz vernichtet. Konflikte untereinander wird es freilich weiterhin geben.
Kräftiger und lang anhaltender Applaus auch bei der gut besuchten zweiten Vorstellung.

Markus Gründig, Juli 23


Die ersten Menschen

Oper in zwei Aufzügen
Von: Rudi Stephan
Libretto: Otto Borngräber
Uraufführung: 1. Juli 1920 (Frankfurt am Main, Oper Frankfurt)

Premiere an der Oper Frankfurt: 2. Juli 23 (Opernhaus)
Besuchte Vorstellung: 6. Juli 23

Musikalische Leitung: Sebastian Weigle
Inszenierung: Tobias Kratzer
Bühnenbild, Kostüme: Rainer Sellmaier
Licht: Joachim Klein
Video: Manuel Braun
Dramaturgie: Bettina Bartz / Konrad Kuhn

Besetzung:

Adahm: Andreas Bauer Kanabas
Chawa: Ambur Braid
Kajin: Iain MacNeil
Chabel: Ian Koziara

Frankfurter Opern- und Museumsorchester

oper-frankfurt.de

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