Carl Nielsens »Maskerade« erstmals an der Oper Frankfurt

Maskerade ~ Oper Frankfurt ~ Ensemble ~ © Monika Rittershaus
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

In wenigen Tagen beginnt die neue Fastnachtszeit. Es ist zu hoffen, dass sie mehr Feiermöglichkeiten bieten wird, als die vergangene. Mit der Premiere von Carl Nielsens komischer Oper Maskerade startete die Oper Frankfurt bereits am Reformationstag (bzw. an Halloween; 31. Oktober) in die fünfte Jahreszeit. Die Maskerade gilt als dänische Nationaloper. Ihre Frankfurter Erstinszenierung wurde von der Königlich Dänischen Botschaft unterstützt. Bei der Premiere konnte die Oper Frankfurt Prinzessin Benedikte zu Dänemark unter den Zuschauern begrüßen.

Nielsens Oper beruht auf dem gleichnamigen Schauspiel des dänisch-norwegischen Dichters Ludvig Holberg aus dem Jahr 1724. Dabei geht es um zwei junge Menschen, deren Hochzeit arrangiert werden soll, obwohl sie sich jüngst bei einer Karnevalsveranstaltung in andere Personen verliebt haben. Zum glücklichen Ende entpuppt sich, dass das kostümierte Liebespaar das gleiche wie das von den Eltern bestimmte ist.

Die drei Akte sind sehr unterschiedlich gehalten. Der ausschließlich von Männerstimmen beherrschte erste Akt ist etwas zäh und nüchtern gestaltet. Lebhafter wird es im zweiten Akt, wenn Chor (Chor: Tilman Michael) und Frauenstimmen hinzutreten. Ein großer Spaß ist nach der Pause der Maskenball im dritten Akt. Eine wundervolle Melange aus entfesselter Energie, Frivolität und Leidenschaft.

Dazu passt auch, dass die Oper nicht in ihrer Originalsprache gegeben wird, nicht zuletzt, weil Dänisch eine sehr spezielle Aussprache hat. Martin G. Berger erstellte auf der Grundlage der Linearübersetzung von Hans-Erich Heller eine zeitgemäße, mit vielen Reimen aufwartende neue Übersetzung. Diese ist sehr direkt und mitunter auch derb. Während auf der herkömmlichen hohen Übertitelanzeige die englische Übersetzung gezeigt wird, erfolgt die neue deutsche Übersetzung in doppelter Größe auf einem vom Schnürboden hängenden LED-Kubus.

Sei wer du sein willst

Die Handlung spielt zur Zeit der Entstehung der Schauspielvorlage, also in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Regisseur Tobias Kratzer hat sie in die Gegenwart verlegt. Sein eindeutiges Credo, das der Nachtwächter (erhaben und mit berauschend kräftiger Stimme Bassbariton Božidar Smiljanić) plakativ auf der Vorderseite seines T-Shirts zur Schau trägt, lautet „be whoever you want to be“ („Sei wer du sein willst“).

Kratzer stellte sich in der Spielzeit 2017/18 mit Meyerbeers Grand opéra L’ Africaine / Vasco da Gama an der Oper Frankfurt vor (die er als Science-Fiction-Spektakel zeigte), gefolgt von Verdis La forza del destino in der Spielzeit 2018/19. Für Aufsehen sorgte auch seine Inszenierung von Wagners Tannhäuser bei den Bayreuther Festspielen 2019.
Bei Maskerade verzichtet er auf eine spektakuläre szenische Umsetzung und setzt vielmehr auf die Spielfreude der Darsteller. Mit Erfolg!

Die Bühne von Rainer Sellmaier (auch Kostüme) besteht aus einem großen, flach gehaltenen Podest, das von einer kleinen Treppenanlage umfasst ist, die wiederum von einer Wand aus 20 Türen begrenzt wird. Die Verwendung von vielen Türen ist aus dem Bereich der Komödie hinlänglich bekannt. Die Türen entfalten eine doppelte Wirkung, denn ihre Rückseiten bestehen aus Spiegeln. Für den dritten Akt, dem Maskenball, werden die Türblätter gedreht, die Spiegel weisen nun nach innen. Standesunterschiede im Kleidungsstil werden weitestgehend vermieden. Zu Beginn und Ende sind alle auf der Bühne Auftretenden nur in weißer Unterwäsche gekleidet. Äußeres ist nicht wichtig, auf das Herz und die eigene Persönlichkeit kommt es an.

Dabei sind die Karnevalskostüme im dritten Akt durchaus erwähnenswert. Sei es die große Ass-Karte des Dieners Arv (Tenor Samuel Levine), ein Türsteher als Chewbacca (Star Wars Filme) oder ein Freddie Mercury im schwarzen Lackröckchen wie im Video zu „I want to break free“. Der adrett wirkende Maskenverkäufer läuft souverän auf roten High Heels und zeigt später in Unterwäsche seinen athletischen Körper (Bariton Danylo Matviienko; mit Beginn dieser Spielzeit vom Opernstudio zum Ensemble gewechselt). Für zahlreiche szenische Auflockerungen sorgen acht TänzerInnen (inklusive Spiel in Spiel „Vulkan überrascht Venus und Mars“; Choreografie: Kinsun Chan).

Das Herz kennt keine Maskerade

Wichtig ist, Gefühle zu zeigen, das Leben zu genießen und aus festgefahrenen Strukturen aufzubrechen. So wie es die Magdelone der Sandra Bullock tut, wenn sie sich auf ein Techtelmechtel mit dem Tennisspieler (lebhaft aufspielend: Michael McCown) einlässt und dabei aufblüht. Bass Alfred Reiter gibt den unnachgiebigen Vater Jeronimus mit viel Würde. Als jung wirkender Sohn Leander gefällt Tenor Michael Porter. Die Leonora der Sopranistin Monika Buczkowska spielt optisch an die US-amerikanische Singer-Songwriterin Billie Eilish an. Viel Lebensfreude verströmt die Zofe Pernille der Barbara Zechmeister. Bariton Gabriel Rollinson gibt einen selbstbewusst wirkenden Magister. Souverän zeigt sich ein Blumenverkäufer (der junge Felix Schmidt von den Limburger Domsingknaben; alternierend mit Joel Stambke). Viele Facetten zeigt Bariton Liviu Holender als Kammerdiener Henrik, die wohl umfangreichste Partie der Oper.

Carl Nielsen ist vor allem durch seine sechs Sinfonien bekannt. Neben Maskerade komponierte er mit Saul og David eine weitere Oper (mit oratorienhafter Monumentalität) und zahlreiche Lieder. Bei Maskerade legte er den Fokus auf burleske Szenen. Entsprechend energetisch und impulsiv lässt Gastdirigent Titus Engel das Frankfurter Opern- und Museumsorchester aufspielen.

Markus Gründig, November 21


Maskerade

(Maskarade)

Komische Oper in drei Akten

Von: Carl Nielsen (1865–1931)
Text: Vilhelm Andersen nach der Komödie (1724) von Ludvig Holberg
Uraufführung: 11. November 1906 (Kopenhagen, Königliches Theater)

Premiere an der Oper Frankfurt: 31. Oktober 21 (Frankfurter Erstaufführung)
Besuchte Vorstellung: 4. November 21

Neue deutsche Fassung von Martin G. Berger auf der Grundlage der Linearübersetzung von Hans-Erich Heller
Mit freundlicher Unterstützung der Königlich-Dänischen Botschaft

Musikalische Leitung: Titus Engel
Inszenierung: Tobias Kratzer
Bühnenbild und Kostüme: Rainer Sellmaier
Licht: Joachim Klein
Choreografie: Kinsun Chan
Chor: Tilman Michael
Dramaturgie: Konrad Kuhn

Besetzung:

Jeronimus, ein Bürger Kopenhagens: Alfred Reiter
Magdelone, seine Frau: Susan Bullock
Leander, ihr Sohn: Michael Porter
Henrik, Leanders Kammerdiener: Liviu Holender
Arv, Jeronimus‘ Diener: Samuel Levine
Leonard, aus Slagelse (Tennisspieler): Michael McCown
Leonora, seine Tochter: Monika Buczkowska
Pernille, Leonoras Zofe: Barbara Zechmeister
Ein Nachtwächter / Meister der Maskerade: Božidar Smiljanić
Ein Maskenverkäufer: Danylo Matviienko
Ein Magister: Gabriel Rollinson°
Blumenverkäufer: Joel Stambke* / Felix Schmidt*
Drei Mädchen: d
Drei Studenten: d
Ein Türsteher: f
Ein Offizier: g

Tänzerinnen und Tänzer: ds

Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Statisterie der Oper Frankfurt

*Mitglied der Limburger Domsingknaben
° Mitglied des Opernstudios

oper-frankfurt.de