

Die Rolle des Mephistopheles wurde für den Schauspieler Gustav Gründgens (1889 – 1963) zur Rolle seines Lebens. Sie eröffnete dem Opportunisten Kontakte in die höchsten politischen Kreise seiner Zeit und legte insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus den Grundstein für seine weitere berufliche Entwicklung. Der Bruder seiner ersten Frau, der Schriftsteller Klaus Mann, schrieb bereits im Jahr 1936 ein Buch über ihn. Die Figur des Hendrik Höfgen in dessen Roman „Mephisto“ ist dabei eine nur leicht verdeckte Anspielung auf Gustav Gründgens.
Klaus Mann sah dies Zeit seines Lebens selbst nicht so (er würde nur einen Typ Menschen beschreiben, keine Porträts). István Szabó brachte 1981 eine stark beachtete Filmversion davon heraus (mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle). Sie wurde 1982 mit einem Oscar ausgezeichnet (als bester ausländischer Film).
Sich selbst in Hendrik Höfgen wiedererkennen
Für das Staatstheater Wiesbaden hat jetzt der belgische Regisseur Luk Perceval eine Bühnenfassung des Romans erarbeitet und inszeniert. Gespielt wird im Großen Haus. Dabei geht es ihm, ähnlich wie Claudia Bauer und Katja Herlemann bei ihrer Fassung 2020 am Schauspiel Frankfurt (Besprechung) nicht darum, eine Biografie über Gründgens zu zeigen.

Staatstheater Wiesbaden
Hendrik Höfgen (Christian Klischat), Juliette Martens (Lennart Preining)
Foto: Mariia Shulga
Luk Perceval interessiert vielmehr die Frage, wie man sich in der polarisierenden Figur des Hendrik Höfgen selber wiedererkennen kann. Welche Position nimmt man in einem antidemokratischen System ein? Ist man Mitläufer oder positioniert man sich explizit? Angesichts der aktuellen Weltlage ist das Stück auch ein Resonanzraum für Fragen der Gegenwart.
Leer geräumte Bühne
Dabei unterscheidet sich die Wiesbadener Produktion von der Frankfurter szenischen stark. Angesichts zunehmender Kürzungen im Kulturbereich und dafür zunehmender Förderung der Rüstungsindustrie wurde in der Landeshauptstadt auf ein klassisches Bühnenbild verzichtet. Beim Betreten des Zuschauersaals befinden sich auf der bereits geöffneten und über den Orchestergraben hinaus verlängerten Bühne zwar noch Kulissenteile aus anderen Produktionen. Ein Beleuchtungszug hängt auf halber Höhe, im Hintergrund ein Prospekt mit einer Rang-Ansicht des Hauses.

Staatstheater Wiesbaden
Ensemble
Foto: Mariia Shulga
Wenn der Abend startet, wird die Bühne komplett leergeräumt, die Seiten- und Rückvorhänge hochgezogen. Es entsteht ein schmuckloser schwarzer Raum. Durch Anhebung des Bühnenbodens im Stil einer Treppenanlage, durch Rauch und punktuelle Ausleuchtung (Licht: Nicholas Langer) entstehen trotz aller Reduktion atmosphärisch dichte Bilder (Bühne: Philip Bußmann). Schließlich steht Theater pur, Höfgens Lebenswelt, im Mittelpunkt. Dies spiegelt sich auch in den Kostümen von Ilse Vandenbussche wider.
Der Abend des Christian Klischat
Christian Klischat zeigt die Figur des Schauspielers Hendrik Höfgen in vielen Facetten. Es ist zweifelsohne ganz sein Abend. Er zeigt ihn weniger als prahlerischen, vor Selbstbewusstsein strotzenden Egomanen, als vielmehr verunsicherten Menschen, der nur in seiner Rolle im Rampenlicht wirklich strahlt. Während der pausenlosen 120-minütigen Aufführung durchlebt er die Höhen und Tiefen der Figur mit hoher Glaubwürdigkeit. Für Höfgens Paraderolle die unter den Nationalsozialisten beliebt war, Mephisto aus Goethes Faust, zeigt er sich voller Scham nackt und mit weißem Puder im Gesicht.
Höfgens Weg als noch unbedeutender Schauspieler, Sänger und Regisseur, über seinen kometenhaften Aufstieg in Berlin, bis zu seinem einsamen Ende, wird schlaglichtartig in kleinparzelligen Bildern gezeigt. Dialogszenen gibt es keine. Der Text wird von allen Beteiligten stark verkürzt nacherzählt. Dies sehr kunstvoll und oftmals mit langen Pausen. Dadurch gewinnt der Abend an Tiefe, erfordert aber auch ein sehr konzentriertes Zuhören. Eine Verstärkung durch Mikrofone gibt es nicht in allen Szenen. Oftmals wird sehr leise gesprochen, fast geflüstert. Mikrofone an langen Kabeln dienen auch als Sinnbild für ein Im-System-gefangen-sein.

Staatstheater Wiesbaden
Barbara Bruckner (Laura Taleni), Nicoletta von Niebuhr (Süheyla Ünlü), Otto Ulrichs (Adi Hrustemović), Juliette Martens (Lennart Preining), Hendrik Höfgen (Christian Klischat), Hans Miklas (Felix Strüven)
Foto: Mariia Shulga
Zudem werden perkussive Sounds und Stimm-Samples der Darsteller*innen zugespielt. Auch rauscht akustisch ein Zug fast wie im Kino durch den Zuschauerraum bis auf die Bühne. Und es gibt kurze Redeauszüge verschiedener Diktatoren (Komposition/3D-Bühnenmusik: Karol Nepelski).
Die vielen Menschen um Höfgen herum werden in Mehrfachbesetzung gespielt und sind die ganze Zeit über anwesend. Meist harren sie ruhig aus. Einzig Höfgens kommunistischer Freund Otto Ulrich drückt aktiv seinen Seelenzustand körperlich aus (agil: Adi Hrustemović; Choreografie: Ted Stoffer). Sie sind hier in der Tat Typen und keine Charaktere, die sich entwickeln: Felix Strüven (als Hans Miklas), Laura Talenti (als Barbara Bruckner), Süheyla Ünlü (als Nicoletta von Niebuhr) und Hannah Lindner (als Dora Martin).
Höfgen war zwar mehrfach verheiratet, gleichwohl war seine Homosexualität kein Geheimnis. In der Inszenierung wird das mit der Figur der farbigen „Herrin“ Juliette Martens (Lennart Preining auf High Heels) vage angedeutet.
Am Ende lang anhaltender und intensiver Beifall.
Markus Gründig, Oktober 25
Ein gedrucktes Programmheft gibt es nicht. Neben einem kleinen Poster gibt es allerdings ein digitales Programmheft mit vielen weiterführenden Informationen, Interviews, Podcasts und Fotos aus dem Probenprozess. Die Inszenierung wird auch theaterpädagogisch betreut. Die nächsten Vorstellungen: 19.10., 21.11., 05.12.2025 und 11.01.2026.
Mephisto
Roman von: Klaus Mann (1906 – 1949)
Bühnenbearbeitung von: Luk Perceval
Premiere am Staatstheater Wiesbaden: Samstag, 11. Oktober 25 (Großes Haus)
Inszenierung: Luk Perceval
Choreografie: Ted Stoffer
Bühne: Philip Bußmann
Kostüme: Ilse Vandenbussche
Licht: Nicholas Langer
Komposition/3D-Bühnenmusik: Karol Nepelski
Sound: Christine Söring
Dramaturgie: Hannah Stollmayer
Vermittlung: Valentina Eimer
Abendspielleitung/Regieassistenz: Paul Ansmann
Bühnenbildassistenz: Mascha Dilger
Kostümassistenz: Ivet Duran Murillo
Besetzung:
Hendrik Höfgen: Christian Klischat
Hans Miklas: Felix Strüven
Otto Ulrichs: Adi Hrustemovi
Barbara Bruckner: Laura Talenti
Nicoletta von Niebuhr: Süheyla Ünlü
Juliette Martens: Lennart Preining
Dora Martin: Hannah Lindner