Oper Frankfurt: Verdis »La forza del destino« als Geschichtsrevue über den US-amerikanischen Rassismus

La forza del destino ~ Oper Frankfurt ~ auf der Bühne: Donna Leonora (Michelle Bradley) und im Film Donna Leonora (Laura Tashina) © Monika Rittershaus

La forza del destino ~ Die Macht des Schicksals, ist Verdis 24. Oper und zwischen Un ballo in machera und Macbeth entstanden. Nicht zuletzt wegen ihrer betörenden Melodien ist sie immer noch sehr beliebt. Von der Oper Frankfurt wurde sie zuletzt 2005 konzertant in der Alten Oper Frankfurt gegeben. Die letzte szenische Inszenierung feierte im Mai 1974 unter der Musikalischen Leitung von Klauspeter Seibel und in der Regie von Bodo Igesz Premiere. Also Zeit für eine Neuinszenierung, auch wenn der unglaubwürdige Handlungsverlauf der Oper einer klugen szenischen Umsetzung entgegensteht. Der 39-jährige Regisseur Tobias Kratzer hat sich dieser Aufgabe gestellt, mit Erfolg. Er hatte bereits im vergangenen Jahr mit Giacomo Meyerbeers L’Africaine – Vasco de Gama als Weltraumdrama für eine Überraschung gesorgt und wird im Sommer bei den Bayreuther Festspielen den Tannhäuser neu inszenieren.

La forza del destino ~ Die Macht des Schicksals, ist eine dramatische Liebesgeschichte, die auf Ángel de Saavedras Drama Don Álvaro o La fuerza del sino (Don Alvaro oder die Macht des Schicksals) beruht. Dabei meint es das Schicksal nicht gut mit dem Liebespaar Leonora und Alvaro. Eine Verkettung unglücklicher Umstände führt schließlich zum Tod von Leonora. Dass alles, was passiert keinesfalls Schicksal ist, sondern von Menschen verursacht wurde, hat Kretzer mit seiner ambitionierten Interpretation plastisch herausgearbeitet. Dabei ist sie sogar weitestgehend sehr werktgetreu, schließlich geht es um Intoleranz, Gewalt, Hass und Massenwahn. Die Welt ist aus den Fugen, Eindrücke, die einem auch bei jeder Nachrichtensendung kommen.
Konsequenterweise entschied er sich für die erste Fassung der Oper, die 1862 in St. Petersburg uraufgeführt wurde. Der wesentlichste Unterschied zu der für das Mailänder Publikum geglätteten Fassung von 1869 ist das Ende. Statt Erlösung für Alvaro, stürzt er sich in der Erstfassung am Ende von einem Felsen in den Tod.

Kretzer zeigt La forza del destino nicht als Sängeroper, sondern als eine Geschichtsrevue über den US-amerikanischen Rassismus, der letztlich in vielen Ländern der Welt zu finden und die somit universell zu lesen ist. Schon der Beginn deutet mit dem kurz eingeblendeten Bild eines strangulierten Farbigen darauf hin, dass man als Zuschauer nicht einer heiligen Scheinwelt aus Glück und Harmonie ausgesetzt wird. Wobei die lange Ouvertüre eigentlich zur Mailänder-Fassung gehört, die St. Petersburger hat einen kurzen Aufschlag (ähnlich wie bei Rigoletto). Doch sie bietet Gelegenheit, weitere Bilder und Einspielungen zum US-amerikanischen Rassismus zu zeigen.
Öffnet sich dann der Vorhang, gibt es nur ein äußerst karges Bühnenbild zu sehen. Drei riesige weiße Wände zeigen einen abstrakten Raum. Darin nur eine große Leinwand und ein einfacher Tisch (nebst Stühlen). Dies könnte auch ein Proberaum oder ein Fernsehstudio sein. Für das zweite Bild (im Kloster) sind die Wände nun mit ein paar Stühlen behangen, ein Transparent verkündet „Jesus Saves“, während ein Kreuz gekippt auf dem Boden steht (und nicht hängt). Eindringlich ist der Moment gelungen, wenn im zweiten Bild vom ersten Akt die Klosterbrüder erscheinen und Leonora bedrohlich mustern und durch ihre Blicke scheinbar verschlingen wollen (wie auch Padre Guardiano hier nicht so heilig ist, wie er nach außen tut: bei der Fußwaschung will er weit mehr von Leonoras Körper berühren, als angemessen wäre). Plakativ ist der Aktschluss, wenn die Klosterbrüder zu Anhängern des Ku-Klux-Klan mutieren und ein brennendes Kreuz hochhalten.


La forza del destino
Oper Frankfurt
Donna Leonora (Michelle Bradley; rechts stehend),
Padre Guardiano (Franz-Josef Selig; in linker Bildhälfte mit Kreuzanhänger)
sowie Herrenchor und Herrenextrachor der Oper Frankfurt
© Monika Rittershaus

Für die Wirtshausszene im zweiten Akt kommen Elemente für einen Saloon auf die Bühne (Theke, ein Podest für die Zigeunerin Preziosilla, Treppenanlage mit Galerie), die sichtbar provisorisch eingefügt werden. Als konforme Masse erscheinen die Bauern und Handwerker mit übergestülpten Schwellköppen als Zwergengemeinschaft, Individualität nur stimmlich ausdrückend.
Für den dritten Akt im Krieg (hier dann eine Andeutung auf den Vietnamkrieg) umsäumen weiße Stoffe den Bühnenraum, in dem nun Doppelstockbetten stehen und in den dann ein hölzerner Aussichtsturm und Palmen geschoben werden. Die Statisterie sorgt für zusätzliche Soldaten und gefangen genommene Vietnamesen (von denen einer durch Russisches Roulette stirbt und dessen Leichnam von Don Carlos di Vargas weggetragen wird). Der Schluss gleicht mit dem weitestgehend leeren und kühl wirkenden Raum dem Anfang. Bei der ersten Szene des 4. Akts beobachtet ein strahlendes Ehepaar Obama (wie Schaufensterpuppen auf einem Podest) die Armenspeisung (Bühnenbild und Kostüme: Rainer Sellmaier).


La forza del destino
Oper Frankfurt
Ensemble
© Monika Rittershaus

Wobei im ersten und vierten Akt etwas ganz Besonderes geboten wird. Auf der Leinwand läuft eine Art gespiegelte Handlung nahezu synchron ab (im 1. Akt in einer Südstaatenvilla in der Zeit des 19. Jahrhunderts, im 2. Bild des 4. Akts in einem Motel in der Gegenwart). Dies unterstützt nicht nur den universellen Charakter von Gewalt, Hass und Vorurteilen, es ist auch sehr gut gemacht (Video: Manuel Braun) und erstklassig intensiv gespielt (u. a. von Laura Tashina als Donna Leonora, Thesele Kemane als Don Alvaro und Dela Dabulamanzi als Kammerzofe Curra).


La forza del destino
Oper Frankfurt
Ein Militärarzt (Anatolii Suprun; oben) und Don Carlo di Vargas (Christopher Maltman)
© Monika Rittershaus

Vom umfangreichen szenischen Geschehen abgesehen, wovon hier nicht abschließend berichtet ist, ragt auch die sängerische Leistung heraus. Die junge US-amerikanische Sopranistin Michelle Bradley gibt mit der Rolle der Leonora ihr Debüt an der Oper Frankfurt. Anfangs in einem imposanten Reifkleid, später in T-Shirt und Jogginghose, betört ihre warme und große Stimme und es wird spannend sein, ihre Karriere zu verfolgen. Diese hat der britische Bariton Christopher Maltman schon lange gemacht. Er verkörpert Leonoaras rachegetriebenen Bruder Don Carlo di Vargas mit einer gelungenen Mischung zwischen Coolness und Autorität, letzteres auch stimmlich überaus hervorragend. Erhaben ist Franz-Josef Selig in der Doppelrolle als Marchese von Calatrava und Padre Guardiano zu erleben. Ein weiteres Debüt gibt der aus Armenien stammende Tenor Hovhannes Ayvazyan, der Eleonoras Liebhaber Don Alvaro mit schönem Schmelz in der Stimme verkörpert. Neben diesen Hauptrollen, gibt es zwei weitere Figuren, die mehr als Nebenrollen sind: Die Marketenderin Preziosilla als Gegenbild zu Leonora (verführerisch, erst recht im 3. Akt als Truppenbunny und gewohnt souverän: Tanja Ariane Baumgartner) und der zwielichtige Fra Melitone (vokal präsent: Craig Colclough, der hier sogar sein Deutschlanddebut gibt). Anatolii Suprun (vom Opernstudio) führt als Arzt vom Hochstand seine eindrucksvolle Baßstimme vor (zudem sind Nina Tarandek als Curra, Dietrich Volle als ein Alkalde und Michael McCown als Mastro Trabuco beteiligt). Beim Chor der Oper Frankfurt (unterstützt vom Extrachor; Einstudierung: Tilman Michael) ist es vor allem der Herrenchor, der sich kraftvoll einbringt. Am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchester rundet Jader Bignamini das Geschehen mehr als nur ab, er wirkt vielmehr als ein umsichtiger Gestalter für Verdis kontrastreiche Musik, die neben den mehrfach verarbeiteten „Schicksalsmotiv“ an sich schon einen gewissen Revuecharakter hat (mit innigen Gebeten und hm-ta-ta Nummern wie „Rataplan, rataplan della gloria“).

Der dritte Akt hat eine gewisse Länge, im vierten geht es umso schneller zur Sache. Nachdem Leonora ihre ergreifende Friedens-Melodia gesungen hat, sterben sie und ihr Bruder durch Schüsse. Alvaro begeht hier keinen Suizid, er wird von weißen Polizisten niedergestreckt, die ihm anschließend noch die Tatwaffe, von ihren Fingerabdrücken befreit, in die Hand legen, um ihn als Täter darzustellen. Starke Bilder also von Anfang bis zum Ende. Großer Applaus und viele Bravorufe.

Markus Gründig, Februar 19


La forza del destino ~ Die Macht des Schicksals
Oper in vier Akten
Von: Giuseppe Verdi 1813-1901

Premiere an der Oper Frankfurt: 27. Januar 19
Besuchte Vorstellung: 31. Januar 19

Musikalische Leitung: Jader Bignamini
Regie: Tobias Kratzer
Bühnenbild und Kostüme: Rainer Sellmaier
Video: Manuel Braun
Licht: Joachim Klein
Chor und Extrachor: Tilman Michael
Dramaturgie: Konrad Kuhn

Besetzung:

Marchese von Calatrava / Padre Guardiano: Franz-Josef Selig
Leonora: Michelle Bradley
Don Carlo di Vargas: Christopher Maltman
Don Alvaro: Hovhannes Ayvazyan
Preziosilla: Tanja Ariane Baumgartner
Fra Melitone: Craig Colclough
Curra: Nina Tarandek
Ein Alkalde: Dietrich Volle
Mastro Trabuco: Michael McCown
Ein Militärarzt: Anatolii Suprun *

Chor und Extrachor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

* Mitglied des Opernstudios

www.oper-frankfurt.de