Melancholie ohne Schwermut beim Liederabend von Adriana González an der Oper Frankfurt

Liederabend Adriana González (Sopran) & Iñaki Encina Oyón (Klavier) ~ Oper Frankfurt, 20.02.24 ~ Iñaki Encina Oyón, Adriana González ~ © Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

In den kommenden Monaten wird Adriana González am Teatro Real de Madrid (als Doña Inés in Marcos Tenorio), der Hamburgischen Staatsoper (als Fiordiligi in Mozarts Così fan tutte) und der Berliner Staatsoper Unter den Linden (als Liù in Puccinis Turandot) zu erleben sein. An der Oper Frankfurt begeisterte sie bereits als Micaëla in Bizets Carmen und als die Gräfin in Mozarts Le nozze di Figaro das Publikum. Nun gab sie ihren ersten Liederabend am Frankfurter Opernhaus. Es war ein in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlicher Abend. Er wurde seitens des Publikums mit großem Schlussapplaus gewürdigt.

In erster Linie natürlich wegen der außergewöhnlich lyrischen, umfangreichen und volltönenden Stimme der französisch-guatemaltekischen Sopranistin. Aber auch wegen ihres gewählten Programms mit Liedern abseits des klassischen Kunstliedrepertoires (wie mit den an diesem Abend erstmals in Deutschland auf einer Bühne dargebotenen Liedern von Robert Dussaut und Hélène Covatti). Und nicht zuletzt wegen des formidabel unterstützenden spanischen Pianisten Iñaki Encina Oyón. Die langjährige Zusammenarbeit zwischen den beiden zeigte sich auch dergestalt, dass sie nahezu keinerlei Blickkontaktes bedurften.

Liederabend Adriana González (Sopran) & Iñaki Encina Oyón (Klavier) 20.02.2024

Absence in vielerlei Bedeutung

Beim ersten Auftreten konnte man den Eindruck gewinnen, dass Adriana González für ihr prachtvolles grünes Abendkleid einen Sonderapplaus erhielt. Zufällig korrespondierte es zudem farblich mit dem zauberhaft wirkenden, die Bühne schmückenden, Blumengesteck (für den zweiten Programmteil wählte sie dann ein aufwendig gestaltetes Kleid im Fliederton).

Der Abend stand unter dem Titel „Absence“ (Abwesenheit). Dabei ging es nicht nur um die körperliche Trennung und um Entfernung. Themen waren auch Begehren, Emotionen, Passion und natürlich nicht zuletzt das große Thema Liebe. Bei aller Melancholie ihrer Liedauswahl herrschte keine schwermütige Stimmung. Im ersten Programmteil stellte sie französische Lieder von Robert Dussaut, Hélène Covatti und Isaac Albèniz vor.

Bereits 2020 erschien ihr Album „Melodies“, das sie gemeinsam mit ihrem Entdecker und langjährigen Liedbegleiter Iñaki Encina Oyón aufgenommen hat („world premiere recording“). Es enthält Lieder des Paares Dussaut und Covatti. Diese Vokalmusik wäre ohne Iñaki Encina Oyón wohl noch heute verschollen. Er entdeckte und edierte die Stücke. Der spanische Pianist (und Dirigent) ist ein ehemaliger Schüler der Pianistin Thérèse Dussaut, der Tochter von Dussaut und Covatti.

Die Musik des französischen Komponistenpaares Robert Dussaut (1896–1969) und Helene Covatti (1910–2005) ist sehr ausdrucksstark. Das zeigte sich gleich zum Beginn mit Dussants „Quand le cœur s’éveille“ („Wenn das Herz erwacht“), ein edel anmutendes sehnsuchtsvolles Träumen, das Adriana González sanft und zart interpretierte. Leidenschaftlich aufblühend folgten u. a. „L’Oracle“ (Das Orakel) und Covattis „Je t’ai dit oui“ (Ich hab dir ja gesagt“). Nach drei Liedern von Isaac Albéniz ragte als vorletztes Lied im ersten Programmteil „Je dédie à tes pleurs“ („Ich widme mich deinen Tränen“) hervor. Höhepunkt war zweifelsohne Dussauts hingebungsvoll dargebotene „Elegie“, die den ersten Programmteil beendete (eine schöne Alternative zu Rachmaninows Vocalise).

Liederabend Adriana González (Sopran) & Iñaki Encina Oyón (Klavier)
Oper Frankfurt, 20.02.24
Iñaki Encina Oyón, Adriana González
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Liedern spanischer Komponisten

Im Programmteil nach der Pause gab es mit Liedern spanischer Komponisten weitere selten zu hörende Lieder (wobei immerhin kürzlich Elena Villalón bei ihrem Liederabend im Holzfoyer auch Lieder von Fernando Obradors im Programm hatte).
Wer zwischenzeitlich nicht mit den abgedruckten Liedtexten und dem Gesungenen zurechtkam: Der zweite und der dritte Liedblock war kurzfristig getauscht worden. Höhensicherheit zeigte Adriana González mit Enrique Granados „De aquel majo amante“ („Von diesem schönen Liebhaber).
Auch in der zweiten Programmhälfte gab es Lieder von Isaac Albéniz, diesmal aber nicht auf Spanisch, sondern auf Englisch. Beachtenswert dargeboten hier „Paradise regained“ („Das wiedererlangte Paradies“). Drei weitere Lieder Obradors beendeten den Abend. Ihr schauspielerisches Talent zeigend, rieb sich Adriana González zum Beginn des arios anmutenden „No lloréis ojuelos“ („Weint nicht, ihr Äuglein“) die Augen.

Ihr großes Liedprogramm trug Adriana González ohne ausliegende Noten vor. Mit ihrer herzlichen Ausstrahlung nahm sie von Anfang an für sich ein. Besonders schön Ihre herzlichen Dankesworte an das Publikum und die Oper Frankfurt nach dem ersten Liedblock (auf Deutsch und Englisch).

Für den intensiven Schlussapplaus bedankten sich die beiden mit einer ganz besonderen Rarität: einem Lied aus Adriana González Heimat. Es spricht für ihre herzliche Art, dass sie dabei den erhaltenen Blumenstrauß während des Vortrags in der Hand hielt. Es war ein schöner Anblick. Dies tat, zumindest in den vergangenen fast 20 Jahren, seit an dieser Stelle fast ausnahmslos über die Liederabende der Oper Frankfurt berichtet wird, noch keine Sängerin.

Markus Gründig, Februar 24


Die Zugabe:
Miguel Sandoval (1902-1953): guatemaltekisches Lamento (1944)