Außerhalb der Landkarte: Schauspielhaus Zürich mit »Ödipus Tyrann« im Parktheater Bensheim

Ödipus Tyrann ~ Schauspielhaus Zürich ~ Patrycia Ziólkowska / Alicia Aumüller ~ Foto © Philip-Frowein

Erstmals gastierte jetzt das Schauspielhaus Zürich im Parktheater der südhessischen Stadt Bensheim („Herz der Bergstraße“). Diese liegt, wie der Züricher Co-Intendant Nicolas Stemann vor Beginn der Vorstellung sagte, eigentlich nicht auf der Landkarte des Theaters. Allerdings hat die größte Stadt des Kreises Bergstraße im Theaterbereich eine besondere Bedeutung. Hier wird seit 1986, gemeinsam von der Ringelbandstiftung, der Stadt Bensheim und der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste (DADK), der renommierte Theaterpreis „Gertrud-Eysoldt-Ring“ für herausragende schauspielerische Leistung im Theater vergeben. Diesen gewannen in diesem Jahr erstmals zwei Schauspielerinnen gemeinsam: Alicia Aumüller und Patrycia Ziólkowska (die Preisverleihung fand bereits im März dieses Jahres in Bensheim statt). Ausgezeichnet wurden sie für ihr Spiel in Ödipus Tyrann, das im September 2022 im Schauspielhaus Zürich Premiere hatte. Erstmals war jetzt das Stück, für das die ausgezeichneten Schauspielerinnen den Preis erhalten haben, Dank des Engagements der Stadt Bensheim, auch dort zu sehen. Das hat es bisher noch nie gegeben.

Ödipus Tyrann
Schauspielhaus Zürich
Patrycia Ziólkowska
Foto © Philip-Frowein

Lässig und modern

Bemerkenswert ist die Entstehungsgeschichte der Inszenierung. Ist sie doch eher als ein Notbehelf entstanden. Wie Nicolas Stemann in seiner Laudatio im März 23 sagte, „wurde ein Vorbühnenstück gesucht, das ausschließlich vorm Eisernen Vorhang spielt, ein großes Publikum anlockt und – ach ja: – kosten durfte es auch nichts“. Auf Vorschlag von Co-Intendant Benjamin von Blomberg sollte es von Alicia Aumüller und Patrycia Ziólkowska gespielt werden. Die Wahl fiel dann auf Sophokles´, knapp 2500 Jahre alte, Ödipus Tyrann. Nicolas Stemann hat es neu übersetzt, gekürzt, passgenau auf die beiden Schauspielerinnen zugeschrieben und inszeniert (auch Bühnenbild und Musik).

Erzählt wird die tragische Geschichte aus dem Ödipus Mythos, vom König, der unwissend erst seinen Vater erschlägt und dann seine Mutter ehelicht und Kinder mit ihr bekommt und sich nach Erkenntnis dessen, die Augen aussticht. Keine schöne Geschichte. Aber mit der Frage nach der Schuld, die Stemann in seiner Umsetzung besonders intensiv behandelt, zeitlos aktuell (dabei zieht er gekonnt und dezent einen Bogen von der Antike bis zur aktuellen Klimakrise). Seine moderne Sprache, mit teilweiser humorvoller Note, klingt nie wie aus einer fernen Zeit. Zumal Alicia Aumüller und Patrycia Ziólkowska in ihrem Raum einnehmenden Spiel ungemein präsent sind und die volle Breite ihres schauspielerischen Könnens aufbieten. Bei aller Dramatik wirken sie aber auch immer lässig und modern (wozu nicht zuletzt auch die Turnschuhe zu ihren schwarzen Kleidern beitragen).

Ödipus Tyrann
Schauspielhaus Zürich
Alicia Aumüller
Foto © Philip-Frowein

Krimi, der intelligenter und nahbarer kaum erzählt werden kann

Anders als üblich liegt der Fokus nicht allein bei der Figur des Königs von Theben, Ödipus (den vor allem Patrycia Ziólkowska gibt). Breiten Raum erhalten mittels Alicia Aumüller auch Figuren wie seine Frau Iokaste (Mutter von Ödipus), deren vorherigen Ehemann Laios (Vater von Ödipus), der Berater Kreon und der blinde Seher Teiresias. Beide zusammen bilden zusätzlich den Chor und die Chorführer.

„Keine Klischees bedienend, debattieren sie miteinander über Macht, Schuld und Recht. Fasziniert sind wir von einem Krimi, der intelligenter und nahbarer kaum erzählt werden kann“, so die Jury der DADK (Karin Henkel, André Jung und Jossi Wieler) in ihrer Begründung.

Auch in Bensheim wird vor der Bühne, vor einem herabgelassenen Vorhang, gespielt (unter Einbeziehung von Saal und Publikum). Zwar fährt der Vorhang auch einmal hoch, doch nur um den Blick auf einen weiteren zu ermöglichen (aus dem dann etwas Nebel dringt). Dräuende Klanggeräusche verstärken einzelne Szenen. Es gibt viele sehr eindringliche Momente. Dazu zählt auch der dezent angedeutete Suizid Iokastes (ein mit Blut verschmiertes Tüllkleid fährt, aufgehängt an einem Seil, an einem Leuchter empor).

Nach gebannten, pausenlosen 100 Minuten sehr lang anhaltender Applaus und Standing Ovations für dieses minimalistische und virtuose Zusammenspiel zweier brillianter Schauspielerinnen.

Markus Gründig, Oktober 23


Ödipus Tyrann

Von: Nicolas Stemann nach Sophokles

Premiere am Schauspielhaus Zürich: 11. September 22 (Pfauen)
Gastspiel im Parktheater Bensheim: 4. Oktober 23

Inszenierung, Bühnenbild, Musik: Nicolas Stemann
Mitarbeit Bühnenbild: Selina Puorger
Kostümbild: Marysol del Castillo / Dorothea Knorr
Dramaturgie: Benjamin von Blomberg

Mit: Patrycia Ziólkowska / Alicia Aumüller

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