Plädoyer für die Freiheit: »Carmen« am Staatstheater Mainz

Carmen~ Staatstheater Mainz ~ Carmen (Karina Repova), Chor ~ © Andreas Etter

Als erste Opernneuproduktion der Spielzeit 2023/24 zeigt das Staatstheater Mainz Georges Bizets unsterblichen Publikumserfolg Carmen. Abseits klischeehafter Vorstellungen stellt Regisseurin Luise Kautz in ihrer Inszenierung den kompromisslosen Freiheitsdrang der Titelfigur in den Mittelpunkt und zeigt ernüchternd die Ausweglosigkeit der Figuren. Die Sopranistin Karina Repova gestaltet die Figur der Carmen intensiv und zieht das Publikum in ihren Bann. Am Ende der Premierenvorstellung gab es großen Jubel und Standing Ovations.

Theater ganz entspannt

Mit Beginn der neuen Spielzeit gibt es eine nicht ganz unwesentliche Neuerung am Staatstheater Mainz. Damit ist nicht das neue Design und Format der Eintrittskarten gemeint. Vielmehr wurde für Abonnement- und Abendvorstellungen im Großen und Kleinen Haus ein Kombiticket eingeführt. Durch eine relativ geringe Anhebung der Preise (übrigens die erste seit Beginn der Intendanz von Markus Müller zur Spielzeit 2014/15) wurde eine „Gastropauschale“ inkludiert. Unter dem Motto „Theater ganz entspannt“ ist dadurch im Eintrittspreis die Garderobengebühr, das Programmheft (auch kostenfrei downloadbar) und eine Auswahl an Snacks (wie Brezel & Spundekäse) und Getränken enthalten (vor der Vorstellung und in der Pause). Eine schlaue Lösung, die insbesondere die Pause entspannt genießen lässt.

Carmen
Staatstheater Mainz
Don José (Ragaa Eldin), Micaela (Laura Esposito)
© Andreas Etter

Orte an der Peripherie für soziale Randgruppen

Wie Luise Kautz im Programmheft erläutert, waren während ihrer Vorbereitungen auch die Bilder des italienischen Malers Giorgio De Chirico (1888-1978) ein Thema. Er steht für die Kunstrichtung Pittura metafisica (Metaphysische Poesie), die Architektur als Bedeutungsträger nutzt. Mit seinen Bildern hatte er nicht nur auf den Surrealismus eine starke Wirkung ausgeübt. Valentin Mattkas Bühne geht darauf ein wenig ein. Sie deutet eine kleine Wüstenlandschaft auf drei Ebenen an, versehen mit Bauelementen. Ein Fragment eines Rohbaus dient als Kaserne, ein Baugerüst (mitsamt einem großen Stierkopf mit leuchtenden Augen) für Lillas Pastias Schenke, Teile eines Kranturms für das Gebirge. Umgeben von Schwärze herrscht stets eine dunkle, nahezu bedrohliche Grundstimmung.

So wie die Oper Menschen aus gesellschaftlichen Randgruppen in den Mittelpunkt stellt, liegen diese imaginären Orte an der Peripherie städtischen Lebens. Eine Nähe zu Sevilla, der Hauptstadt der südspanischen Region Andalusien und Ort der Handlung, ist nur in den kunterbunten Kostümen von Charlotte Werkmeister zu erahnen. Diese sind weitestgehend modern gehalten und lassen an ein Partyvolk im Urlaubsparadies denken. Wunderbar glänzen die prachtvollen Trachten der Stierkämpfer, allen voran die von Escamillo. Rock und Kleid sucht man bei der Titelfigur vergeblich. Konsequenter Weise trägt sie nur Hosen (Jogginghose und eine Short) und eine Bomberjacke. Selbst darin wirkt sie äußerst attraktiv. Auf ihrem Bauch prangt zunächst ein großes LIBERTÉ-Tattoo, um wirklich jedem zu verdeutlichen, was für sie zählt. Zum Ende gibt es dann aber doch noch ein wenig Folkloristisches. Zum Spektakel vor der Stierkampfarena erscheinen drei Damen in typischen, mit Volants verzierten Flamenco-Kleidern. Und auch Carmen selbst zollt der Tradition Respekt. Ihre Hose hat an den Schienbeinen große Volants.

Carmen
Staatstheater Mainz
Escamillo (Liam James Karai), Carmen (Karina Repova), Chor
© Andreas Etter

Karina Repova überzeugt als Carmen auf ganzer Linie

Auch in Luise Kautzs Sicht ist Carmen eine ambivalente Figur. Natürlich genießt sie es, dass alle Männer den Kopf nach ihr umdrehen und sie leichtes Spiel mit ihnen hat. Dies, obwohl sie sich vom Kleidungsstil eher den Männern angleicht, als bewusst feminin zu kleiden. Gleichwohl ist sie auch sehr verletzbar, anders ist ihr aufgebauter Schutzpanzer nicht zu erklären. Mezzosopranistin Karina Repova, die im Mai 2022 als Piacere (das Vergnügen) ihr Hausdebüt in Händels Il trionfo del Tempo e del Disinganno gab, gibt sie als durchsetzungsstarke und moderne Frau mit viel Energie. Mit ihrer klug dosierten Stimme und schön tönenden Klangfarbe überzeugt sie auf ganzer Linie.

Der in Kairo geborene Tenor Ragaa Eldin gibt mit der Figur des strauchelnden Sergeanten Don José sein Debüt am Staatstheater Mainz. Eindringlich verkörpert er den von Carmen besessenen Liebhaber und glänzt mit lyrischen Momenten. Berührende Momente vermittelt die als Kontrast zu Carmen als unschuldiges Mädchen gezeichnete Micaela der Sopranistin Laura Esposito, die hier ebenfalls ihr Debüt am Staatstheater Mainz gibt.

Bassbariton Liam James Karai verleiht dem Stierkämpfer Escamillo eine passend selbstbewusste Attitüde. Markante Töne bieten Bariton Gabriel Rollinson (seit dieser Spielzeit neu im Ensemble) als Sergeant Morales, Tenor Mark Watson Williams als Schmuggler Dancaïro, Tenor Collin André Schöning als Schmuggler Remendado und Bass Stephan Bootz als Leutnant Zuniga. Eine starke Präsenz zeigen Carmens attraktive Freundinnen Mercédès (Sopranistin Verena Tönjes) und Frasquita (Sopranistin Karolina Liçi).

Herrlich gelöst wirkt die Jugendkantorei der Ev. Singakademie Wiesbaden als Arbeiterinnenschar. Der von Sebastian Laverny einstudierte Chor ist spielfreudig und klangstark beteiligt. Am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz lässt Daniel Montané Bizets populäre Melodien mit rasantem Tempo ebenso klangstark ertönen.

Markus Gründig, Oktober 23


Carmen

Opéra comique in vier Akten

Von: Georges Bizet (1875
Libretto: Henri Meilhac, Ludovic Halévy nach der gleichnamigen Novelle von Prosper Mérimée

Uraufführung: 3. März 1875 (Paris, Opéra-Comique)

Premiere am Staatstheater Mainz: 2. Oktober 23 (Großes Haus)

Musikalische Leitung: Daniel Montané
Inszenierung: Luise Kautz
Bühne: Valentin Mattka
Kostüme: Charlotte Werkmeister
Licht: Carolin Seel
Chorleitung und Nachdirigat: Sebastian Laverny
Dramaturgie: Sonja Westerbeck

Besetzung:

Carmen: Karina Repova / Olivia Vote
Don José: Ragaa Eldin
Morales: Gabriel Rollinson / Dennis Sörös
Dancaïro: Mark Watson Williams / Christoph Wendel
Escamillo: Liam James Karai
Zuniga: Stephan Bootz
Mercédès: Verena Tönjes / Karina Repova
Remendado: Collin André Schöning
Frasquita: Karolina Liçi
Micaela: Laura Esposito / Julietta Aleksanyan
Bergführer: Reiner Weimerich

Statisterie des Staatstheater Mainz
Chor des Staatstheater Mainz
Jugendkantorei der Ev. Singakademie Wiesbaden
Philharmonisches Staatsorchester Mainz

Nächste Vorstellungstermine: 8.10., 27.10., 4.11.,12.11., 17.11.

staatstheater-mainz.com