Der Neubau des Römisch-Germanischen Zentralmuseums, Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie in Mainz (RGZM) steht. Der Umzug der verschiedenen Bereiche Dauerausstellung, Bibliothek, Institutsräume vom derzeitigen Standort Kurfürstliches Schloss soll noch dieses Jahr starten. Die Eröffnung der rund 14.500 Quadratmeter großen Einrichtung ist für den Beginn des Jahres 2024 geplant.
Bis dahin können die Bereiche für die Sonderausstellungen für verschiedenste Zwecke angemietet werden. Das Staatstheater Mainz nutzt diese seit März 22, wo Efthymis Filippous Schauspiel ROB aufgeführt wurde. Nun folgte die Musiktheatersparte mit Händels Oratorium Il trionfo del Tempo e del Disinganno (Der Triumph der Zeit und der Erkenntnis).
Zeugnis von Händels meisterlichem Können
Es besteht aus einer kleinen Besetzung und hat keinen Chor. So eignet sich das Oratorium ganz besonders in der aktuellen Zeit der Corona-Pandemie. Nicht wenige Häuser haben es zuletzt szenisch oder konzertant aufgeführt (darunter die Salzburger Festspiele mit Cecilia Bartoli in der Rolle der Piacere im Jahr 2021). Not macht erfinderisch, das gilt auch für das Oratorium selbst. Anfang des 18. Jahrhunderts bestand in Rom aufgrund eines päpstlichen Dekrets ein Verbot für Opernaufführungen. Georg Friedrich Händel, der extra für die Oper nach Rom gereist war, wusste sich schnell zu helfen. Denn ein generelles Musizierverbot gab es nicht. Im kirchlichen Rahmen war Musik weiterhin möglich. Und so entwickelte der damals 22-Jährige aus der Textvorlage von Benedetto Pamphilj ein Oratorium. Also ein Werk mit geistlichem Text, das aber eigentlich nicht für eine szenische Aufführung angelegt ist. Musikalisch ist Il trionfo bereits ein erstes Zeugnis von Händels meisterlichem Können. Dabei verzichtete er auf Hörner, Trompeten und Pauken. Die Musik hat einen sehr festlichen Charakter.
Im Leibniz-Zentrum für Archäologie ist das reduziert aufwartende Philharmonische Staatsorchester Mainz an einer Außenseite platziert, ein wenig wie in die Ecke gedrückt wirkend. Zu hören ist es gut, zu sehen leider nur eingeschränkt. Zum Einsatz kommen auch historische Instrumente. Unter der Leitung seines GMD Hermann Bäumer spielt das Orchester angenehm temperamentvoll. Dabei funktioniert die Abstimmung mit den Sänger:innen dank dezent positionierter Bildschirmen ausgesprochen gut.
Entscheidung im Paradies
Regisseur Carlos Wagner hat mit eindringlichen Bildern die schwierige Aufgabe, einen szenischen Rahmen für die Dispute zu schaffen, gut gelöst. Schwierig, weil es keine Handlung, keine zu erzählende Geschichte gibt. Vier allegorische Figuren (die Schönheit, das Vergnügen, die Zeit und die Enttäuschung/die Erkenntnis) liegen im Wettstreit miteinander. Bei den insgesamt 31 Nummern hat jede Figur ausreichend Zeit die jeweilige Position darzulegen, es gibt lediglich je zwei Duette, Quartette und Instrumentalsätze.
Im Mittelpunkt steht die Schönheit die sich entscheiden muss, ob sie sich dem Vergnügen oder der Zeit und der Enttäuschung/Erkenntnis zuwendet.
Die Schönheit tritt als aufgeschlossene Frau in einem weißen Kleid auf, das Vergnügen in einem mit Blumen geschmückten bunten Kleid. Dem stehen die anderen beiden Figuren konträr gegenüber. Die Zeit trägt Schwarz, gleicht einem Zwitter zwischen Todesengel und Heiland. Entrückt wirkt die Weiß gekleidete und mit einer Art Heiligenschein versehene Enttäuschung/Erkenntnis (Kostüme: Angelo Alberto).
Gespielt wird im Bereich für Sonderausstellungen vor der Treppe vom Erdgeschoss zum 1. Obergeschoss. Bühnenbilder Christophe Ouvrard hat eine Art Paradies geschaffen. Die Spielfläche besteht aus feinem Sand über den zahlreiche Säcke hängen, ebenfalls mit Sand gefüllt. Von ganz oben träufelt den ganzen Abend über mahnend ein feiner Sandstrahl herab. Eine große Sanduhr sozusagen, die unmissverständlich deutlich macht, dass irgendwann alles ein Ende finden wird. Dazu schmücken lebensbejahend unzählige Girlanden aus Glyzinien (Blauregen) den Raum (Bühne: Christophe Ouvrard).
Figuren vermitteln viele bewegende Momente
Die vier allegorischen Figuren haben anspruchsvolle Partien zu bewältigen, bei denen sie sängerische Virtuosität und ruhevolle, verinnerlichte Momente vermitteln müssen. Dies gelingt hier sehr gut. Die Sopranistin Alexandra Samouilidou besticht als Bellezza (die Schönheit). Viel Elan und Lebenslust versprüht Piacere (das Vergnügen) der Mezzosopranistin Karina Repova. Ihr letzter Trumpf, um am Ende Bellezza doch noch für sich zu gewinnen ist die emotionale Arie „Lascia la spina“, die sich später in Händels Rinaldo zu einem Hit entwickelte (wie Händel auch weitere Teile des Oratoriums in andere Werke integrierte, z. B. in Agrippina).
Erhaben und autoritär erscheint Tempo (die Zeit) des Tenors Bryan Lopez Gonzalez. Hoheitsvoll wirkt die Disinganno (die Enttäuschung / die Erkenntnis; das Wort wird unterschiedlich übersetzt) der Altistin Sonja Runje mit ihren balsamischen Klängen.
Eine Besonderheit dieser Produktion ist, dass die Figur des Vergnügens eine Gruppe sehr irdischer Menschen an die Seite gestellt bekommen hat. Zwei Kinder, zwei junge Erwachsene und eine ältere Frau. Sie tragen heutige Kleidung und bereichern das Szenische durch ihr bewegungsreiches Spiel stark (Choreografie: Paolo Amerio).
Am Ende siegen, wie der Titel es bereits beinhaltet, die Zeit und die Enttäuschung/die Erkenntnis. Den Wechsel vollzieht Bellezza auch äußerlich sichtbar, sie kleidet sich um. Sie passt sich an und verlässt gewissermaßen das Paradies. Nun trägt sie Schuhe, bisher war sie barfüßig. So ist das Ende in der Sicht von Carlos Wagner eher ein notgedrungenes Akzeptieren Bellezzas. Dazu passt ihre melancholische letzte Arie („Tu, del ciel ministro eletto“) sehr gut.
Markus Gründig, Mai 22
Il trionfo del Tempo e del Disinganno
(Der Triumph der Zeit und der Enttäuschung/Erkenntnis)
Oratorium in zwei Teilen
Von: Georg Friedrich Händel (1685-1759)
Libretto: Benedetto Pamphilj
Uraufführung: 1707 (Rom, vermutlich im Teatro des Collegio Clemention)
Premiere am Staatstheater Mainz: Freitag, 20. Mai 22 (Leibniz-Zentrum für Archäologie)
Musikalische Leitung: Hermann Bäumer
Inszenierung: Carlos Wagner
Bühne: Christophe Ouvrard
Kostüme: Angelo Alberto
Choreografie: Paolo Amerio
Dramaturgie: Elena Garcia Fernandez
Nachdirigat: Samuel Hogarth
Besetzung:
Bellezza (die Schönheit): Alexandra Samouilidou
Piacere (das Vergnügen): Karina Repova / Solenn´ Lavanant-Linke (30.5.)
Tempo (die Zeit): Bryan Lopez Gonzalez
Disinganno (die Enttäuschung/die Erkenntnis): Sonja Runje
Ältere Frau: Heide-Marie Böhm-Schmitz
Junge Erwachsene: Eli Apel, Roberto Salazar
Kinder: Lily Holstein / Mia-Sophie Walper, Jonas Curda / Juri Wantia
Philharmonisches Staatsorchester Mainz