Spannender Doppelabend »Le Villi« und »Pagliacci« am Staatstheater Mainz

Le Villi ~ Staatstheater Mainz ~ Ensemble ~ © Andreas Etter

Nachdem zu Jahresbeginn mit Wolfgang Riehms Die Eroberung von Mexico eine zeitgenössische Oper im Großen Haus des Staatstheaters Mainz neu inszeniert wurde, folgten jetzt zwei spätromantische italienische Werke, die gut einhundert Jahre zuvor entstanden sind: Giacomo Puccinis erste Oper Le Villi und Ruggero Leoncavallos Pagliacci (Der Bajazzo). In beiden geht es um tragische Liebesgeschichten, die musikalisch mit viel Pathos vertont wurden. Pagliacci zählt, neben Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana, zu den Hauptwerken des Verismus. Puccinis Erstlingswerk weist bereits sein großes Talent für lyrische Melodien auf, das er später mit Opern wie La Boéme, Madame Butterfly oder Tosca zur vollen Blüte brachte.

Le Villi
Staatstheater Main
Anna (links im gelben Kleid: Lauren-Margison), Roberto (Mitte: Vincenzo Costanzo), Chor
© Andreas Etter

Ansprechend, packend und dezent in die Gegenwart übertragen

Mit dieser Inszenierung stellt sich die Regisseurin Verena Stoiber am Staatstheater Mainz vor. Sie zeigt die Liebesdramen, gemeinsam mit Susanne Gschwender (Bühne) und Sophia Schneider (Kostüme), ansprechend, packend und dezent in die Gegenwart übertragen. Schließlich sagt bereits der Komödiant Tonio im Prolog zu Pagliacci, dass es sich hier um eine Geschichte aus dem wahren Leben handelt. Zudem ist ein gesteigerter Realismus typisch für den Verismus.

In beiden Opern stehen große Querschnittansichten von Wohnungen auf der Bühne. Bei Le Villi sind die auf zwei Ebenen verteilten Räume größer und minimalistisch eingerichtet. Im Hintergrund verstärkt eine Projektion von einem dunklen Wald die bedrohliche Spannung. Wenn in der Vorankündigung von einem Sonntagabend-Tatort-Setting gesprochen wird, ist dies ob der kühlen Atmosphäre durchaus zutreffend. Die große Verlobungsfeier zum Beginn wird mit einer Livekamera aufgenommen, diese Bilder wecken später bei Anna und Roberto wehmütige Erinnerungen. Auch die Zugfahrt des frisch verlobten Roberto nach Mainz und wie er im Stadtbus von keiner geringeren als der Mainzer Ehrenbürgerin Margit Sponheimer als geheimnisvoller Sirene verführt wird, erfolgt per Videoprojektion (Video: Jonas Dahl).

Bei Pagliacci, haben Kameras eher eine Überwachungsfunktion und zeigen dunkle Ecken im Gebäude. Dieses ist nun dank Hubtechnik um eine Etage erweitert und die Räume wurden mit Trennwänden versehen. In acht Zimmern sind aus dem hier und heute gegriffene Wohnsituationen zu sehen. Beispielsweise zwei Freundinnen, die gemeinsam Dehnübungen durchführen und stricken. Ein Paar sitzt im Homeoffice am Computer (er passend für Onlinemeetings nur mit Hemd und Krawatte und in Unterhose), eine Diva verkauft online Liebesspielzeug, ein Rentner sitzt alleine mit seinem Kanarienvogel und schaut TV, eine Familie isst Pizza… Der Verzicht auf eine klassische Komödiantentruppe bzw. die Umdeutung, dass wir alle ein Teil von dieser sind, passt nicht immer 100%tig zum Libretto, optisch wird jedenfalls sehr viel geboten. Die Aufführung der ja hier nicht wirklich vorhandenen Truppe („Die untreue Colombina“) wird als heiterer Cartoon gezeigt (Zeichnung Cartoon: Clara Hertel).

Le Villi
Staatstheater Mainz
Anna (Lauren Margison)
© Andreas Etter

Ein musikalisches Erlebnis

Vor allem sind die beiden Opern aber ein musikalisches Erlebnis. Daniel Montané, seit dieser Spielzeit 1. Dirigent am Staatstheater Mainz, vermittelt mit dem Philharmonischen Staatsorchester Mainz die beiden Opern eigene pointierte Musik mit dramatischem Aplomb. Einen entscheidenden Anteil für die eindringliche Wirkung hat auch der zur Hochform auflaufende, knapp 50-köpfige Chor (Opernchor und Extrachor des Staatstheater Mainz, Einstudierung: Sebastian Hernandez-Laverny). Bei Pagliacci ist der Chor Teil des Publikums. Er singt aus dem Saal und von der Bühne. Zusätzlich beteiligt sind der Mainzer Domchor und der Mädchenchor am Dom und St. Quintin (Einstudierung: Jutta Hörl) und die Statisterie des Staatstheaters Mainz.

Mit strahlenden tenoralen Spitzentönen und intensiver szenischer Präsenz überzeugt Tenor Vincenzo Costanzo. Sopranistin Lauren Margison betört zunächst als verlassene Braut Anna (Le VillI), später zusätzlich als die sich von einer unschuldigen jungen zur charakterstarken Frau wandelnden Nedda (Pagliacci). Mit seiner samtigen und kraftvollen Bassstimme nimmt Luca Grassi als Annas Vater sehr für sich ein.

Pagliacci
Staatstheater Mainz
Canio (Antonello Palombi)
© Andreas Etter

Eine berührende Filmsequenz gibt es bei Pagliacci. Ein Mann sitzt nachdenklich im städtischen Bus, auf einem heruntergekommenen öffentlichen WC zieht er sich sein Clownkostüm an und schminkt sich, um dann als Alleinunterhalter auf der Straße, mehr oder weniger erfolglos, die Gunst der Passanten zu erhaschen. Es ist Canio, der Bajazzo. Antonello Palombi verleiht ihm sodann großes authentisch wirkendes, Format (vor allem mit der berühmten Arie „Vesti la giubba“). Bariton Ivan Krutikov gibt den jähzornigen und eifersüchtigen Möchtegern-Liebhaber Tonio (und Erzähler, auch in Le Villi) mit viel Elan. Zwar mit kleiner Rolle versehen aber sehr präsent sind zudem Brett Carter als feuriger Liebhaber Silvio und Myungin Lee als Beppe. Und nicht zuletzt Dogus Güney (Primo contadino) und Agustin Sanchez Arellano (Secondo contadino).
Am Ende großer Jubelapplaus für alle Beteiligte.

Markus Gründig, April 23


Le Villi / Pagliacci

Le Villi
Von: Giacomo Puccini (1858 – 1924)
Uraufführung: 31. Mai 1884 (Mailand, Teatro Dal Verme)

Pagliacci (Der Bajazzo)
Von: Ruggero Leoncavallo
Uraufführung: 21. Mai 1892 (Mailand, Teatro Dal Verme)

Premiere am Staatstheater Mainz: 8. April 23 (Großes Haus)

Musikalische Leitung: Daniel Montané
Inszenierung: Verena Stoiber
Bühne: Susanne Gschwender
Kostüme: Sophia Schneider
Licht: Stafen Bauer
Video: Jonas Dahl
Zeichnung Cartoon (Pagliacci): Clara Hertel
Chor: Sebastian Hernandez-Laverny
Dramaturgie: Sonja Westerbeck

Besetzung:

Le Villi:

Guglielmo Wulf: Luca Grassi
Anna: Lauren Margison / Marta Torbidoni
Roberto: Vincenzo Costanzo
Erzähler: Ivan Krutikov

Pagliacci:

Canio: Antonello Palombi
Nedda: Lauren Margison / Marta Torbidoni
Tonioz: Ivan Krutikov
Beppe: Myungin Lee
Silvio: Brett Carter
Primo contadino: Dogus Güney
Secondo contadino: Agustin Sanchez Arellano

Chor und Extrachor des Staatstheater Mainz
Mainzer Domchor und Mädchenchor am Dom und St. Quintin (Einstudierung:
Jutta Hörl)
Statisterie des Staatstheater Mainz
Philharmonisches Staatsorchester Mainz


staatstheater-mainz.com