Noch immer ist die Mietsituation des English Theatre Frankfurt nicht geklärt. Der Untermietvertrag für die langjährig genutzte Spielstätte in der Gallusanlage war zuletzt zum 15. April 2023 gekündigt worden. Demnächst soll es, wie Intendant Daniel Nicolai anlässlich der Premiere von Suddenly Last Summer hinwies, ein Gespräch mit dem bisherigen Hauptmieter Commerzbank AG und dem Hauseigentümer ab 2024, dem Asset-Management-Unternehmen CapitalLand aus Singapur, geben. Denn: The ETF must stay!
Nach der erfolgreichen Sister Act-Musicalproduktion steht mit Tennessee Williams ein US-amerikanischer Autor auf dem Programm, von dem hier schon seine bekanntesten Stücke wie The Glass Menagerie, Cat on a Hot Tin Roof oder A Streetcar Named Desire gezeigt wurden. Suddenly Last Summer entstand 1958, also nach seinen großen Erfolgsstücken. Die Inszenierung von Josh Seymour zeigt, dass das zum Subgenre der Southern Gothic-Literatur zählende Werk wert ist, entdeckt zu werden.
Erzählt wird die Geschichte der jungen Catherine im New Orleans des Jahres 1937. Sie wurde mit Zustimmung ihrer Familie in eine psychiatrische Klinik zwangseingewiesen. Ihre Glaubwürdigkeit soll durch eine Lobotomie (neurochirurgische Gehirn-Operation) in Frage gestellt werden. Denn sie erzählt eine unglaubliche Geschichte, die die reiche Witwe Mrs. Violet Venable, die Mutter des Opfers Sebastian, keinesfalls akzeptieren kann. Sie will mit ihrem Vermögen den Facharzt Dr. Cukowicz („Dr. Sugar“) überzeugen, die Lobotomie an der jungen Frau durchführen zu lassen. Nachdem Catherine ihm eindringlich ihre Geschichte erzählt hat, überlegt er zumindest die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass ihre Geschichte wahr ist…
English Theatre Frankfurt
Dr. Cukrowicz (Jared Garfield), Mrs. Venable (Kathryn Pogson)
© Martin Kaufhold
Wie viele Werke Tennesse Williams‘, ist auch Suddenly Last Summer autobiografisch geprägt, nicht nur weil an seiner Schwester eine Lobotomie durchgeführt wurde. Themen wir triebhafte Wünsche, gesellschaftliche Anerkennung, dominante Mütter und unterdrückte Homosexualität werden thematisiert. Dabei gibt es für Williams keine eindeutigen Wahrheiten.
Hollywood verfilmte das Stück bereits im Jahr 1959 mit großer Besetzung. Katharine Hepburn als Mrs. Venable und Elizabeth Taylor als Catherine erhielten für ihre Rollenverkörperungen darin jeweils eine Oscar-Nominierung. Tennessee Williams distanzierte sich von der Filmversion, da die homosexuellen Bezüge gestrichen und das Kannibalismus-Motiv dafür umso realistischer umgesetzt wurde. Letzteres wird im Stück nur sehr kurz erwähnt, ist im übertragenen Sinn aber gleichzeitig der Kern. Jeder Mensch ist auf seine Art ein Kannibale, der an anderen herum knabbert, wegen beruflicher Stellung, Reichtum, Freunden…
Umgesetzt wurde das Stück von einem jungen Team. Für Cast und Creatives ist es die erste Arbeit für das English Theatre Frankfurt. Eleanor Bulls Bühne orientiert sich lose an der sehr detaillierten Vorgabe Tennessee Williams („Das Bühnenbild ist unrealistisch wie für ein dramatisches Ballett“). Eine viktorianisch-gotische Villa im Gartendistrict von New Orleans sucht man vergeblich. Von Sebastians Garten mit seinen fleischfressenden Pflanzen ist nichts mehr zu sehen, nur verbrannte Erde. Seit seinem Tod ist alles Leben erloschen. Lediglich ein paar Gartenmöbel, ein Rollstuhl und ein Erdhaufen vor einer Betonwand sind vorhanden. Die rötlichen Farbverläufe des Hintergrundprospekts sind von großer Intensität. Kostüme und Haarfrisuren orientieren sich am Stil der 1930er Jahre, Mrs. Venable trägt wie vorgegeben ein lavendelfarbenes Kleid (allerdings ohne Spitze) mit Brosche, der Arzt ist ganz in Weiß gekleidet (Kostüme: auch Eleanor Bull). Zischlaute und Geräusche aus der Tierwelt werden zugespielt. Dräuende Sounds unterstreichen intensiv einzelne Szenen (Tondesign / Komponist: Lex Kosanke).
English Theatre Frankfurt
Sister Felicity (Flora Dawson), Mrs. Venable (Kathryn Pogson), George Holly (Daniel Bravo), Mrs. Holly (Gretchen Egolf), Catherine Holly (Katie Matsell, Dr. Cukrowicz (Jared Garfield)
© Martin Kaufhold
Unter der Regie von Josh Seymour spielen die sechs Darsteller:innen groß auf. Kathryn Pogson ist im Stile einer Maggie Smith die eiserne Lady Mrs. Venable, die schon mit ihren Blicken töten kann. Katie Matsell gibt eine vielschichtige Catherine Holly mit besonders intensiver Bühnenpräsenz. Jared Garfield verkörpert den Dr. Cukrowicz („Dr. Sugar“) mit großer Empathie. Beflissentlich ist die Miss Foxhill der Flora Dawson (auch achtsame Sister Felicity). Die mehr nach Geld gierenden als um Catherines Leben sorgenden Verwandten geben allerliebst Gretchen Egolf (Mutter Mrs. Holly) und Daniel Bravo (Bruder George Holly).
Am Ende sehr viel Applaus für diesen dichten Theater-Abend (knapp 100 Minuten, ohne Pause).
Markus Gründig, April 23
Suddenly Last Summer
(Plötzlich im letzten Sommer)
A Southern Gothic Mystery
Von: Tennessee Williams (1911 – 1983)
Uraufführung: 7. Januar 1958 (New York, York Playhouse)
Deutschsprachige Erstaufführungen: 16. Oktober 1959 (Essen, Ruhrkammerspiele und Heidelberg, Zimmertheater)
Premiere am English Theatre Frankfurt: 14. April 23
Regie: Josh Seymour
Kostüme- und Bühnendesign: Eleanor Bull
Tondesign / Komponist: Lex Kosanke
Lichtdesign: Jamie Platt und Lucia Sanchez Roldan
Cast:
George Holly: Daniel Bravo
Sister Felicity / Miss Foxhill: Flora Dawson
Mrs. Holly: Gretchen Egolf
Dr. Cukrowicz: Jared Garfield
Catherine Holly: Katie Matsell
Mrs. Venable: Kathryn Pogson
english-theatre.de
