Bonifatius – Das Musical
Schlosstheater Fulda
Besuchte Vorstellung: 23. Juli 2010 (Wiederaufnahmepremiere)
“Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.” (Johannes-Evangelium, Kap. 12, Vers 24)
Wien hat sich seinen Ruf als Musicalstadt einst mit „Cats“ erworben, ebenso Hamburg. Schon bald folgte das Ruhrgebiet (z.B. in Essen mit „Starlight Express“) und 1994 Stuttgart (mit „Miss Saigon“). Doch auch die osthessische Barockstadt Fulda hat sich inzwischen einen veritablen Namen unter Musicalfreunden erworben: Dank des großen Engagements der dortigen spotlight Musical GmbH, die im Sommer 2004 das Musical „Bonifatius“ im Fuldaer Schlosstheater zur Uraufführung brachte (anlässlich Bonifatius´ 1250. Todestags). In den beiden Folgejahren lief das Stück jeweils im Sommer, gefolgt von einer Gastspielzeit in Bremen. 2007 produzierte die spotlight Musical GmbH in Eisenach das Musical „Elisabeth – Die Legende einer Heiligen“, dass in den Jahren 2008 und 2009 in Eisenach und Marburg zu sehen war. Über 190.000 Menschen haben die beiden, jeweils mit dem „Da Capo Award“ als bestes Musical des Jahres ausgezeichneten, Musicals in über 280 ausverkauften Vorstellungen gesehen. Bevor das nächste Projekt der spotlight Musical GmbH, das Musical „Die Päpstin“ (nach dem gleichnamigen Erfolgsroman von Donna W. Cross), im Juni 2011 an diese Erfolge anknüpfen kann, erfolgte jetzt eine letzte Aufführungsserie von „Bonifatius“ in Fulda. Hierfür wurde das Stück gründlich überarbeitet. So wurden Szenen umgeschrieben, sorgen neue Lichteffekte für eine noch stimmungsvollere Ausleuchtung (Lichtdesign: Sabine Wiesenbauer) und es wurden zwei neue Lieder eingefügt. Geblieben ist das lediglich aus drei Quadern bestehende Bühnenbild von Bernd.Heinrich Sogel. Einzigster Wehrmuttropfen dieser Produktion ist, dass es nach wie vor kein Orchester gibt (die Musik kommt aus der Dose). Insgesamt präsentiert es sich frischer, frivoler und ausgereifter. Viele der Darsteller sind dieses Jahr neu dabei, dennoch wird erneut eine perfekt ablaufende, hochwertige Musicalproduktion geboten. Das hat wohl auch mit der guten Stimmung zu tun, die innerhalb der Macher und der Darsteller vorzuherrschen scheint und die sich am Premierenabend auf das Publikum übertragen hatte. Der Schlosssaal kochte schon vor Beginn und Produktionsleiter Peter Scholz konnte ein euphorisch gestimmtes Publikum begrüßen, das, wie sich nach einer kurzen Umfrage herausstellte, zum großen Teil aus Wiederholungstätern bestand.
Im Mittelpunkt steht unzweifelhaft Bonifatius, den Reinhard Brussmann famos als glaubwürdigen Kämpfer Gottes darstellt und dies bei „Ein Mann, ein Wort“ und „Herr, gib mir Kraft“ auch gesanglich bestens untermauerte. Dieses Jahr neu dabei sind u.a. Sabrina Weckerlin als Alrun und Dirk Johnston als Sturmius. Weckerlin war bereits bei „Elisabeth – Die Legende einer Heiligen“ in der Hauptrolle zu sehen (bereits bei den Musicals „Die 3 Musketiere“, „Marie Antoinette“ und „Wicked“ avancierte sie zum Musicalstar). Als Alrun glänzt sie mit Anmut, starker Präsens und innigem Spiel. Johnston gefällt als gewissenhafter Schüler, kaum zu glauben, dass er hier sein professionelles Bühnendebüt gibt, so gut wie er hier zu erleben ist. Christian Schöne begeistert als lüsterner Bischof Gewilip von Mainz, der mit effektvoll eingesetzter Kopfstimme immer wieder das volle Potenzial seiner umfangreichen Stimme auslotet. Ausnehmend gesangliche Tiefen erreicht Daniel Dodd-Ellis als kampfbereiter Friesenherzog Radbod, dessen große Erfahrung als ausgebildeter Opern- und Soulsänger mit balsamisch anmutenden Tönen positiv durchschlägt.
Simone Kerchner ist mit ihrer charaktervollen Stimme aus dem Ensemble herauszuhören. Der Figur der Mutter gibt sie zudem eine bedrückende Authentizität. Das Duo Steffen Dargatz (Pippin) und André Haedicke (Karlmann) ist für den humoresken Teil zuständig. In bester Pat & Patachon-Manier gelingt ihnen das von Anfang an. Den Saal aber rockt eine kleine Frau: Mara Dorn sorgt als Bonifatius´ bodenständige und leidenschaftliche Cousine Lioba mit dem neuem, Gospellied „Starke Frauen“ für kräftiges Mitklatschen und Swingen im Publikum (beiderlei Geschlechts). Damit hat das Musical nicht nur ein neues Lied, sondern auch einen neuen Hit!
Mit sonorer Stimme und unprätentiösem Stil erzählt Artur Ortens als „Willibald“ die Geschichte vom Weizenkorn, das sterben muss, um Frucht zu bringen. Insgesamt stehen 35 Darsteller auf der Bühne, darunter ein großartiges Tanzensemble, das mit artistischen und ausgefallenen tänzerischen Einlagen aufwartet (Choreografie: Julia Poulet).
Am Ende tosender Applaus von den vielen alten und neu gewonnenen Bonifatius-Fans. Trotz massiver „Zugabe“-Rufe gab es jedoch kein Medley/Liedwiederholung, dafür aber eine bis tief in die Nacht andauernde Premierenfeier.
Bonifatius ist ein Musical für alle Altersklassen, es bietet anrührende, fesselnde und amüsante Szenen, die von eingängigen Songs unterschiedlichen Couleurs eingerahmt sind. Drei Stunden beste Unterhaltung mit Tiefgang.
Markus Gründig, Juli 10
Je schöner der Schlager – Eine Musikrevue der 70er Jahre
Burgfestspiele Bad Vilbel
Besuchte Vorstellung: 30. Juni 10 (Premiere)
Willkommen zu Fönwelle, Koteletten, Schlaghosen und Plateauschuhen
„Lollipop und Strandbikini“ (mit Hits aus den 50er Jahren) hieß es in 2008, „Minirock und Hitparade“ (mit Hits aus den 60er Jahren) dann in 2009 und in diesem Jahr lautet das Motto der Musikrevue bei den Burgfestspielen Bad Vilbel „Je schöner der Schlager! / Licht aus – Spot an“. Sie bietet eine bunte Auswahl von Hits aus den 70er Jahren. Willkommen also zu Fönwelle, Koteletten, Schlaghosen und Plateauschuhen. Willkommen zu einer Zeit, als die Nachrichten Themen wie Willy Brandts Kniefall in Warschau, die Ölkrise, die erste Fußballweltmeisterschaft in Deutschland, die Friedensbewegung und die Anti-Atomkraft-Bewegung bestimmten. Diese Themen werden in der Show am Rande kurz erwähnt, viel stärkeres Interesse weckt beim Publikum aber die damalige Mode. „Liefen die damals wirklich so rum?“ fragen sich die einen, „so ein Teil hatte ich auch“ sagen breit grinsend die anderen. Die Jugendlichen von damals sind die mittleren Jahrgänge von heute und insbesondere diese amüsierten sich gar köstlich ob der bunten Auswahl an Clogs mit Birnenmuster, blauen Samtanzügen, braunen Haushaltskitteln, langen Kleidern mit orangefarbenen Blumen und kurzen Miniröcken, die Christine Rademacher für diese Revue zusammengetragen hat.
Die Revue entstand nach einer Konzeption von Ruth Schröfel und Angelika Zwack, mehr als zwei Dutzend Schlager der damaligen Zeit wurden hierfür ausgewählt. Diese werden nicht einfach an der Rampe vorgetragen, sondern sind vielmehr liebevoller Bestandteil von vielen kleinen Geschichten, die hier mit viel Witz und großer Spielfreude erzählt werden (Regie: Egon Baumgarten). Jeder macht hier alles, egal ob singen oder tanzen (Choreografie: Angela Hercules-Joseph), ob Regenschirme oder Torten schwingend, ob im Ensemble oder Solo. Dieses bei zwölf Darstellern zu realisieren ist gar nicht so einfach, wie es vielleicht auf den ersten Blick erscheint. Das Team scheint jedenfalls bestens eingespielt zu sein, da ist es kaum vorstellbar, dass der Tenor Raphael Koeb erst seit letztem Samstag mit dabei ist. Mit seinem die Herzen schmelzenden Blick erreicht er nahezu jede Frau (und manchen Mann) im Publikum. Sein „Und es war Sommer“ ist das Lied eines Jungen an der Hand einer liebeserfahrenen Frau, der sodann als Mann die Sonne aufgehen sieht… An den glänzenden Augen der Zuschauer konnte man so manchen Traum ablesen. Doch auch Träume enden und schon steht die reifere Frau (Rosemarie Wohlbauer) mit einem Glas Rotwein da und erinnert sich anrührend „Er war gerade 18 Jahr“.
Dass Leidenschaft keine Frage des Alters ist, beweist die jung gebliebene Inez Timmer („So ein Mann“), mit Gang zum Publikum, inklusive auf dem Schoß sitzen und einem Bussi gebend. Auch in den Armen von starken Männern macht sie noch immer eine klasse Figur.
Jan Schuba wandelt sich bei „Buenos Dias, Argentina“ vom ängstlichen zum selbstbewussten Mann und überstrahlt alle beim Finalmedley mit einem beeindruckenden „Sugar baby love“. An die Zeiten, wo zuhause und unterwegs eifrig Langarmpullis gestrickt wurden, erinnern Elisabeth Markstein und Ursula Ruperti („Ein Indiojunge aus Peru“). Ein schönes Gespann geben auch Klaus Brantzen und Constanze Fischbach ab, während sie bei „Im Wagen vor mir fährt…“ 100 km Landstrasse entlang düsen.
Sexy und selbstbewusst präsentiert sich Mareike Hüsing bei „Wenn du denkst du denkst dann denkst du…“. Peter Trautwein überzeugt als radelnder Teenager („Ich fahr´ so gerne Rad!“ und betört bei „Ich Möcht‘ Der Knopf An Deiner Bluse sein“. Stefan Nagel und Sonja Tiéschky freuen sich ob des Lebens („Schön ist es auf der Welt zu sein“). Erwin Bruhn moderiert mit trockenem Humor und singt umso intensiver als melancholischer Grieche („Griechischer Wein“). Während Stefan Nagel „Das schöne Mädchen von Seite 1“ heraufbeschwört, läuft parallel eine Modenschau ab.
Passend zu den 70ern wurde auf die Bühnenrückseite ein großer Regenbogen hochgezogen, auch Sonne und Wolken fehlen nicht, vier große Blumen an den Seiten runden den Zeitbezug treffend ab (Ausstattung Thomas Pekny). Die schwungvoll spielende kleine Band unter der Leitung von Thomas Lorey sitzt im hinteren Bereich der Bühne.
Liebe kann auch enden, daß zeigt sich dann spätestens beim Frühstücksei. Ein Sketch, nach Loriots Dialog, zieht ein ernüchterndes Fazit eines Ehelebens: „Gott, was sind Männer primitiv!“ / „Ich bringe sie um … morgen bringe ich sie um!“. So war das sich gerade in den 70er Jahren wandelnde Rollenverhältnis zwischen Frauen und Männern (und auch die aufkommende Popularität von Ehescheidungen), mehrfach Thema der Revue. Beim großen Finale „Disco-Medley“ sind aber wieder alle friedlich vereinigt („We are Family“) und das tosende Publikum ist kaum noch zu halten (bereits bei „Tür an Tür mit Alice“ hat es lautstark, ungebeten und immer wieder den Zwischeneinwurf gesungen „Who the Fu** is Alice?“). Fast alle Lieder wurden in Deutsch gesungen, lediglich beim Finale entschied man sich für die schmissigeren englischen Texte. Da es sich dabei aber um allseits bekannte Hits wie „“Love is in the air“, „I will survive“ und „YMCA“ handelte, fiel das nicht weiter auf. Eine gute Laune Stimmung, die sich von Anbeginn auf das Publikum übertrug und sich von Schlager zu Schlager furios steigerte.
Markus Gründig, Juli 10
Best of Musical Gala 2010
Besuchte Vorstellung: 9. März 10 (Festhalle Frankfurt/M)
Eine Musicalgala findet immer ihr Publikum, sei es eine Musicalgala in einem Hotelsaal, auf einem Schiff oder in einem Stadttheater. Die Produktionen fallen dabei jedoch sehr unterschiedlich aus. Von lediglich bemüht, bis hin zu einfach nur perfekt. Wenn nun die Stage Entertainment mit acht der angesagtesten Sänger des Genres in die größten Hallen der Republik zieht und somit nach eigenem Bekunden die größte Musical-Gala Europas (mit ausschließlichen Highlights der Original-Musicals) präsentiert, sind die Erwartungen hoch. Um den Abend zusammenzufassen: Sie werden nicht enttäuscht! Die Show begeistert und fesselt vom ersten Augenblick an, weil einfach alles perfekt stimmt: Großartige Darsteller, ein fantastisches Tanzensemble (die ausgefallenen Choreografien stammen, wie die Gesamtregie, von Jani Walsh-Weber), ausgefallene und bezaubernde Kostüme (Reto Tuchschmid, oftmals aus den Originalshows) und dazu ein in der großen Showbühne versenktes Live-Orchester (mit Bernhard Volk als leidenschaftlicher musikalischer Leiter). Das Bühnenbild von Jürgen Schmidt-André sorgt mit dem passenden Lichtdesign von Manfred „Ollie“ Olma immer wieder für stimmungsvolle Atmosphäre (es werden stets an die Originalinszenierung angedeutete Bilder eingeblendet). Erfreulich ist auch, dass fast alle Songs in Deutsch gesungen werden.
Das Programm der „Best of Musical Gala 2010“ ist zwei geteilt: Im ersten Akt stehen unvergessene, im 2. Akt aktuelle Musical-Hits im Mittelpunkt. Wobei das nur ein loser Aufhänger ist und keinesfalls zu eng gesehen werden darf. Das wird schon bei der Eröffnungsnummer „Lass den Zauber entstehn“ aus dem 70er-Jahre Musical „Pippin“ deutlich. Denn diesen Song dürften die wenigsten Besucher schon kennen (da sind noch eher die „Pippin“-Songs „With You“ oder „Morning Glow“ von diversen Sängerporträt-CDs bekannt). Als Einstimmung eignet sich das Lied vor allem vom Text her „Lass den Zauber entstehen, wir verführen Dich mit Magie…Irgendwann erkennst du dann das Wunder der Fantasie“. Vom musikalischen Drive her könnte man sich gut auch eine schmissigere Eröffnungsnummer vorstellen. Dabei sind die Darsteller von Anfang an dabei, die 4. Wand zu überwinden und begrüßen so schon bei dieser groß angelegten Ensemblenummer per Handschlag und mit strahlendem Lächeln einzelne Besucher auf ihren Plätzen.
Das Musical „Chicago“ erhielt durch die (noch weiterhin laufende) Broadway-Revival-Produktion von 1996 einen weltweite Fangemeinde. Im Jahr 2002 sorgte die grandiose Verfilmung von Rob Marshall (mit Stars wie Catherine Zeta-Jones, Renée Zellweger, Richard Gere und Queen Latifah) für Furore. Bei der „Best of Musical Gala 2010“ wird der „Zellenblocktango“ nicht nur als verführerischer Tanz heißer Damen gezeigt, die gefallenen Engel in heißen Strapsen erzählten halbszenisch ihre jeweilige Mördergeschichte.
„West Side Story“ ist sicherlich einer der populärsten Musicalklassiker (eine spannende Neuinszenierung steht zudem im April am Theater Magdeburg an). Gleichwohl sind die Melodien und Lieder vielen bekannt, nicht zuletzt von Aufnahmen mit absoluten Weltstars. An dieses Niveau kann Patrick Stanke bei „Maria“ noch nicht ganz anschließen, fehlt es doch noch an Strahlkraft bei den hohen Tönen. Doch dafür kann er dann als Saal-Einheizer und als Big Bopper mit „Chantilly Lace“ aus „Buddy – Das Buddy Holly Musical“ umso mehr auftrumpfen und sorgte mit seiner sympathischen Art auch als Edna Turnblad („Hairspray“) für einen nachhaltig starken Eindruck.
Das Musical Sunset Boulevard war von Dezember 1995 bis Juni 1998 im Rhein-Main-Theater in Niedernhausen als Großproduktion zu sehen. Andrew Lloyd Webbers dramatische und suggestiv wirkende Melodien haben von ihrem Reiz indes nichts eingebüßt und so dürften sich viele Besucher in der Frankfurter Festhalle gerade über die beiden gebotenen Nummern gefreut haben. Zunächst hatte der smarte Mark Seibert sein erstes Solo mit dem Titelsong „Sunset Boulevard“, den in Niedernhausen zuerst Uwe Kröger interpretiert hatte. Seibert passt diese Rolle wie angegossen, vielleicht ist er ja im November in Magdeburg dabei, wenn sich dort der Vorhang für die erste Stadttheaterproduktion dieses Musicals hebt.
Über Pia Douwes zu schreiben, gleicht Eulen nach Athen zu tragen. Die Grande Dame des Musicals überzeugt einfach in jeder Nummer, sei es als Männer verschlingende Mörderin in „Chicago“, als Stummfilmdiva Nora Desmond, als nervende Fernsehtussi in „Ich war noch niemals in New York“ oder als schlichte Brooklyn im gleichnamigen Musical (mit dem einst von Eden Espinosa gesungenen Song „Once Upon A Time“, der wohl extra für sie in dieses Programm eingefügt wurde).
Willemijn Verkaik stand noch am Tag vor der ersten Frankfurter „Best of Musical Gala“ in Oberhausen bei der Premiere von „Wicked – Die Hexen von Oz“ auf der Bühne des Metronom Theaters. Dass sie viel mehr als grüne Hexe Elphaba kann, bewies sie hier mit großer Wandlungsfähigkeit u.a. als Sommergirl (mit „Do you love me?“ aus „Dirty Dancing“) und als Killer Queen (mit „Another one bites the dust“ aus „We Will Rock You“).
Elisabeth Hübert ist ebenfalls weit mehr als die Jane, mit der sie in der Hamburger Produktion von Disneys Musical „Tarzan ®“ glänzt. Wie Anton Zettelholm ist auch sie aus der SAT.1 Castingshow „Ich Tarzan, du Jane“ als Sieger hervorgegangen. Zettelholm schwingt sich auch in der Frankfurter Festhalle überaus sportlich und singend von einem Urwaldbaum herab, vermittelt mit „Rave on / Oh boy“ aus „Buddy“ aber auch melancholische Stimmung, während er an der Seite von Mark Seibert am Marterpfahl („Der Schuh des Manitu“) wieder für Komik sorgt. David-Michael Johnson, kurz DMJ, machte sich bereits als Brit in „We Will Rock You“ einen Namen, hier begeistert er beim Eröffnungssong „Lass den Zauber entstehen“ und in „Er lebt in dir“ aus Disneys „Der König der Löwen“. Nicht zu vergessen ist die charismatische Ana Milva Gomes, die als feurige Latina in „West Side Story“ zeigt was es heißt in „America“ zu leben, mit „Dir gehört mein Herz“ das Herz erwärmt und mit Ausblick auf die neue Musicalsensation „Sister Act“ selbst in Nonnentracht mitreißt.
Am Ende Standing Ovations und als Zugabe den Titelsong aus dem im November in Berlin startenden Udo Lindenberg Musical „Hinterm Horizont geht’s weiter“. Ist auch die diesjährige „Best of Musical Gala“ Tournee inzwischen beendet, eine Neuauflage dieser großartigen Show wird hoffentlich in 2011 folgen (dann vielleicht mit Ausschnitten aus den angesagtesten allerneusten Musicals, wie Andrew Lloyd Webbers “Love Never Dies” , Andrew Lippas “Addams Family” oder Green Days “American Idiot”). Wer die diesjährige “Best of Musical Gala” versäumt hat kann Pia Douwes gemeinsam mit Annika Bruhns auf der “Still Friends”- Tour im März und April 10 in ausgewählten Städten erleben.
Markus Gründig, März 10
Jesus Christ Superstar
Katakombe, Frankfurt/M
Besuchte Vorstellung: 24. Februar 10 (Premiere)
Am 23. Februar 2010 begannen im Londoner Adelphi Theatre die Voraufführungen (Previews) des neuesten Musicals von Andrew Lloyd Webber: «Love Never Dies». Es ist die Fortsetzungsgeschichte seines Musicals «Das Phantom der Oper», das 1986 seinen Siegeszug um die Welt antrat. 15 Jahre davor, im Jahr 1971, feierte Webbers Musical «Jesus Christ Superstar» seine Premiere, das seitdem ebenso wie das «Phantom» zum populären Musicalkanon gehört (von Webber wird es gar als «Rock-Oper» bezeichnet). Mit diesem Stück, das im Rhein-Main-Gebiet zuletzt im Sommer 2007 bei den Burgfestspielen Bad Vilbel zu sehen war, bereichert die Frankfurter Katakombe ihre aktuelle Jubiläumsspielzeit (die stolze 50.).
Dabei ist die letzte Musicalpremiere der Katakombe erst vier Monate her, im Oktober gab es bereits ein christliches Musical: «Martin L.» Das wurde in der Frankfurter Alten Nikolaikirche gespielt. Von sakraler Atmosphäre ist dagegen in den Räumen der Katakombe (einem ehemaligen Kino) nichts zu spüren. Dafür Theaterluft pur: die Zuschauer sitzen in diesem 100-Plätze-Theater nahe an der Bühne, teilweise sogar auf ihr. Der Raum mit seinen offenen, schwarzen Wänden erinnert an New Yorker Off-Off Broadwaytheater. Hier, mit kleinem Ensemble, ein solch großes, durchkomponiertes Musical zu präsentieren ist schon mutig (Konzeption für die Katakombe: Marcel Schilb und Carola Moritz). Mit großer Spiel- und Singfreude meistern die zwei Damen und die sechs Herren diese Herausforderung jedoch hervorragend. In der Inszenierung von Carola Moritz wird überwiegend auf leerer Bühne gespielt. Was bei der Eröffnungsnummer noch etwas zaghaft wirkt, wandelt sich schnell zu einer erfrischenden, zeitgemäßen Umsetzung. Jesus Christ Superstar ist hier ein moderner Typ, dessen Tod zum Medienereignis stilisiert wird (und bei dem am Kreuz dann ein kleines Meer von Blumen, Stofftieren, und Teelichtern der Jünger Trauer widerspiegelt).
Raphael Dörr gibt den Jesus mit starkem Charisma und Format (besonders innig sein «Gethsemane»). Im kurzen Rock und roten Stiefeln verkörpert Christine Richter eine leicht laszive Maria Magdalena, die später aber auch anrührend ihr «Wie soll ich ihn nur lieben» singt. Mit seinem Vollbart und Wollmütze verkörpert Biagio Spatola als Judas am stärksten einen Juden, ganz so als sei er einer Zeichnung Kees de Korts entsprungen.
Ein Live-Orchester gibt es nicht, aber auch keine Konserven. Mit Ulrich Jokiel wurde ein Allroundtalent engagiert, der in Frankfurt schon in der Komödie und im Fritz-Remond-Theater zu erleben war: auf der Bühne, am Piano und als musikalische Leiter. So hat er hier nicht nur die musikalische Leitung inne und spielt das einzige Keyboard, sondern gleichzeitig auch die Rolle des Hohepriesters Annas. Wie die meisten Beteiligten Mehrfachrollen übernehmen und so mal Partygäste, Handwerker, Reporter oder Geschäftsleute mimen (mit dabei sind noch Ben Engel, Michael Jackl, Carola Moritz und Jan Reimitz).
Die gegenwartsbezogene Kostüme (Schals mit JCS Initialen auf Alltagskleidung, Blaumannanzug für die Handwerker, Discohemd, Glanzanzug und Glitterjacket für die «Superstar-Szene») stammen von Marie-Luise Macey. Fast schon ein wenig trashig wird «Herodes´Song» dargeboten, mit einer fetzigen tänzerischen Einlage (Choreographie: Jan Reimitz).
Jesus Christ Superstar an der Katakombe Frankfurt besticht gerade durch den Verzicht auf alles Spektakuläre und wirkt durch den intimen Rahmen besonders eindringlich (zumal ohne Verstärkung von Mikrophonen gesungen wird).
Markus Gründig, Februar 10
English Theatre Frankfurt: 30 Years of Entertainment
Musical Revue für Sponsoren und Freunde
English Theatre Frankfurt, 31. Januar 10
30 Jahre jung ist das English Theatre Frankfurt. Gegründet von Kevin Oakes, Jon Johnson, Mary Jackson und Ken Elrod, wurde die erste Spielzeit 1979/1980 des damals noch unter „“Café Theater” firmierenden Hauses in Frankfurt Sachsenhausen gegeben. 1980 kam Judith Rosenbauer zum Ensemble, bald übernahm Sie auch die Leitung. Sie führte das Haus über 20 Jahre, zu zuvor ungeahnter Größe: über die Spielstätten in der Hamburger Allee und in der Kaiserstrasse bis kurz vor den Umzug zur gegenwärtigen Spielstätte im Galileohochhaus. Im Jahr 2002 übernahm der jetzige Intendant, Daniel John Nicolai, die Leitung. Seitdem wird das Theater als gemeinnützige GmbH geführt. Die gute Stimmung im Team spiegelt sich in der sagenhaft positiven Resonanz beim Publikum wider, ist das English Theatre Frankfurt doch mittlerweile ein nicht mehr weg zu denkender Bestandteil des kulturellen Angebots im Großraum Rhein-Main.
In der ersten Dekade wurden ausschließlich Theaterstücke gespielt. „A Slice of Saturday Night“ war das erste Musical, es wurde in der Saison 1990/1991 gespielt. Seitdem haben Musicals einen festen Platz im Spielplan des Theaters. Den Rekord stellte in der Saison 1997/1998 das Musical „Rocky Horror Show” auf, es lief neun Monate bei ständig ausverkauftem Haus. Neben den Musicals als Publikumsmagneten spielen aber auch die Sponsoren und Freunde des Theaters eine immer wichtigere Rolle. Auch auf diesem Gebiet kann das größte englischsprachige Theater auf dem Kontinent eine stolze Bilanz ziehen. Dank des großen Einsatzes, hier sei vor allem die charmante, gebürtigen Wienerin, Ulrike M. Jefcoat (Head of Marketing) genannt, engagieren sich nicht nur die Städte Frankfurt und Eschborn und die Commerzbank AG als Hauptsponsor, sondern viele weitere namhafte Firmen und Bürger für dieses Theater.
Jetzt war für das English Theatre Frankfurt Zeit, sich einmal bei den Sponsoren und Freunden mit einer ganz besonderen Vorstellung zu bedanken: einer Musicalrevue mit Liedern aus allen bisher gezeigten Musicals. Bedingt durch die Vorstellungen von „The Full Monty“ fand diese Feier an einem Sonntagnachmittag statt, der Spiel und Sangesfreude der Darsteller tat dies aber keinen Abbruch und auch dem Publikum gefiel das 90-minütige Programm außerordentlich gut. Das Team um Thomas Lorey (Musikalischer Leiter) und Emma Kelly (Choreographie) hatten sich gehörig ins Zeug gelegt. Viel zu schade, dass es bei dieser einen Vorstellung bleiben soll. Die 24 (!) Songs wurden mit viel Liebe, ideenreich und oftmals mit ausgefallenen Choreographien dargeboten. So gab es selten zu sehende Charleston-Tanzschritte bei „Won´t You Charleston With Me“ aus dem Musical „The Boyfriend“ (gesungen und getanzt von Julia J. Nagle und Oliver Brenin). Ein Klassiker des Musicaltanzes bildet mittlerweile Bob Fosses Gruppenchoreografie zu „All that Jazz“ aus dem Musical „Chicago“, die hier unter Führung von Emma Kelly gezeigt wurde.
Jeder der vorgetragenen Songs bildete ein Juwel für sich. Wobei Tom Gilling im Frank ‘N’ Furter Kostüm inklusive High Heels das Publikum am meisten zum toben brachte, aber auch Valda Aviks mit ihrer Interpretation von „When You´re Good To Mama“ (aus „Chicago“). Für anrührend leise Momente sorgten unter anderem Matthew Hendrickson (mit „Mr. Cellophane“ aus „Chicago“) und Lucy (mit „Maybe ThisTime“ aus „Cabaret“).
Seasons Of Love (Rent) und „Let The Sun Shine In“ (Hair) beendeten diesen großartigen Nachmittag, den als besonderes Bonbon (neben den exquisiten Speisen vom Intercontinental Hotel) die Schauspielerin und Talkmeisterin Sonya Kraus charmant, galant und strahlend moderierte.
Markus Gründig, Februar 10
The Full Monty
English Theatre Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 6. November 09 (Premiere)
Der Großteil der Musicalbesucher sind Frauen. Wenn es in einem Musical dann auch noch über eine Gruppe gestandener Männer geht, die professionellen Strippershows Konkurrenz machen wollen, in dem sie „Alles“ zeigen, ist eigentlich klar, dass dieses Musical ein Selbstläufer sein muss. Insoweit ist es schon verwunderlich, dass die erste Aufführung des Musicals „The Full Monty“ in Deutschland erst jetzt, im November 2009, also neun Jahre nach der Broadway-Premiere, erfolgte.
Das English Theatre Frankfurt, das größte englischsprachige Theater auf dem europäischen Festland, krönt damit seine Jubiläumsspielzeit (30 Jahre).
„The Full Monty“ basiert auf dem gleichnamigen britischen Film von 1997. Das Musical (Buch Terrence McNally), im Jahr 2000 im Old Globe Theatre in San Diego uraufgeführt, verlegt die Handlung vom britischen Sheffield in die US-amerikanische Stadt Buffalo, einst ein bedeutender Standort der Stahlindustrie.
In der Banken- und Dienstleistungsstadt Frankfurt wurde für diese Produktion im English Theatre ein imposantes, in die Jahre gekommenes Stahlwerk auf die Bühne gezaubert (Bühne: Diego Pitarch). Bei der schon mächtig Eindruck schindenden Eröffnungsszene können die Zuschauer den Prozess der Stahlherstellung beobachten. Hier raucht und zischt es, während das heiße Roheisen in die Bodenfugen abgelassen wird. Thomas Lorey unterstreicht als musikalischer Leiter bereits bei der Ouvertüre den jazzigen Charakter der Pop-Rock-geprägten Musik von David Yazbek.
Dazu beweist sich dieses Einheitsbühnenbild auch als äußerst wandlungsfähig, mit wenigen Mitteln wird es zum Tanzsaal mit Discokugel, heimischen Wohn- und Schlafzimmer, Backstage- und Showbühne, bis hin zum Friedhof. Die vielen Bildwechsel erfolgen überaus fließend, Personal in dicken Schutzanzügen (Kostüme: Constanze Walldorf) hilft bei den Umbauten (ebenso ein fast ständig im Betrieb befindliches Laufband, das sich quer über die Bühne zieht).
Die Faszination dieser Show liegt in den unspektakulären Alltagstypen, die mit ihren kleinen oder größeren Schwächen für Sympathie sorgen. Regisseur Ryan McBryde leistete wieder einmal ganze Arbeit, mit gutem Gespür die Balance zwischen Ernst und Witz zu halten.
In Zeiten der aktuellen weltweiten Rezession besitzt das Stück eine zusätzliche Aktualität, auch wenn im Musical allein die Männer die Arbeitslosen sind und die Frauen im Geschäftsleben erfolgreich ihren Mann stehen.
Casting Dircetor Amy Rycroft bewies wieder einmal ein gutes Gespür für rollengerechte Typen, denn die Auswahl der, überwiegend britischen, Darsteller ist als äußerst gelungen zu beurteilen. Als der wegen ausstehender Alimentzahlungen um sein Besuchsrecht bangende und deshalb die Show organisierende Jerry, hat Mark Powell die größte Rolle und trumpft bereits mit seinem ersten Song „Man“ auf und berührt mit seinem Wiegelied „Breeze Off the River“. Mit intensiver Präsenz und rundum guten Stimmen spielen sich aber auch alle anderen Darsteller von Szene zu Szene in die Herzen der Darsteller: Sei es Muttersöhnchen Malcolm (Kristopher Milnes), der Liebesglück mit dem zwischen den Lenden gut ausgestatteten Ethan (Oliver Brenin) erfährt (herrlich sentimental ihr auf Mollys Beerdigung gesungenes Duett: „You Walk with Me“), oder der wegen seiner Leibesfülle mit seiner Frau nicht mehr intim werden könnende Dave (Tom Giling), bis hin zu Harold (Matthew Hendrickson), der seit Monaten seiner ihn unendlich liebenden Ehefrau die Arbeitslosigkeit verschweigt. Mit dem muskulösesten Körper wartet der auf alt getrimmte Adé Sapara in der Rolle von Noah („Horse“) auf. Ein Highlight für sich stellt Valda Aviks in der Rolle der in die Jahre gekommenen, liebenswert schrulligen Bühnendiva Jeanette dar.
Bis am Ende „The Full Monty“ gezeigt wird, vergehen die knapp drei Stunden (inkl. einer Pause) im Fluge. Dank makelloser,jugendfreier Unterhaltung mit leisen sozialkritischen Tönen und Mut stiftender Perspektive in die persönliche Zukunft.
Markus Gründig, November 09
Martin L.
Die Katakombe Frankfurt in der Alten Nikolaikirche am Römerberg
BesuchteVorstellung: 20. Oktober 09 (Premiere)
Edgar Allan Poe, Kaiserin Elisabeth, Ludwig II, Buddy Holly, Falko, aber auch Bonifatius, Elisabeth von Thüringen bis hin zu Jesus Christus: schon oft wurde über Leben historischer Persönlichkeiten ein Musical geschrieben. So wundert es nicht, dass es auch ein Musical über Martin Luther, den großen Kirchenreformator, gibt. Ungewöhnlich ist höchstens, dass dieses Musical von einem norwegischen Autorenduo stammt und erst im vergangenen Jahr in Erfurt uraufgeführt wurde.
In Erfurt wurde das Musical, das respektvoll wichtige Stationen Martin Luthers skizziert (nebst dazu erfundener Liebesgeschichte), groß im Rahmen der dortigen Domfestspiele inszeniert. In Frankfurt ist es in einer speziell für Kirchenaufführungen zugeschnittenen Fassung zu sehen. Das hat Vor- und Nachteile. Die Produktion der Frankfurter Katakombe (in Zusammenarbeit mit der Evang.-luth. St. Paulsgemeinde und der Ev. Kirche in Hessen und Nassau) lebt in erster Linie von ihrer Unmittelbarkeit. Denn gespielt wird in der kleinen Alten Nikolaikirche, die Bestuhlung ist für diese Aufführung kreuzähnlich angeordnet. Die Handlung läuft überwiegend vor dem Altarraum und in den Gängen. Große Nebenräume für die zahlreichen Kostümwechsel gibt es nicht, diese erfolgen hinter abgehängten Bereichen. So hat das Ganze schon vom Formalen her einen besonderen, intimen Charme. Dazu geben die neun Darsteller über 20 Rollen, viele sind also in Mehrfachbesetzung zu erleben. Die vielen Szenen laufen schnurlos ab, da sitzt jeder Auftritt. Was hier nicht so einfach ist, da ja von allen vier Seiten aus gespielt wird.
Vorteilhaft ist auch die räumliche Umgebung, da allein durch den Kirchenraum eine sakrale Stimmung und Bühnenlandschaft gegeben ist, die nicht viel mehr benötigt. Dazu gibt es eine stimmungsvolle Ausleuchtung und einen hervorragenden Sound (beides Folker Seipelt). Das Musical beginnt hier im heute, denn die Protagonisten tragen zunächst moderne Alltagskleidung. Erst langsam kommen historische Kostüme und Gewänder hinzu, die Überleitung zum Historischen wird dadurch immer dichter (Kostümstudio: Marie-Luise Macey). Wobei bei der großen Papstszene auch nicht vor modernen Showkostümen zurückgeschreckt wird, mit Fummel, Glitter und Sonnenbrillen. Und selbst Tanzszenen werden geboten, wie bei der großen Ensemblenummer „Was für ein prächtiger Tag“ (Choreographie: Vivien van Deventer). Regisseurin Carola Motitz zeigt ein großes Gespür an richtigem Timing und sorgt für spannende, pausenlose, 1 3/4 Stunden Spieldauer.
Die musikalische Begleitung kommt vom Band, dabei sind überwiegend eintönige Synthesizerklänge zu hören, die das Musical unter Wert wiedergeben. Übertrumpft wird dies jedoch durch die guten Stimmen (auch wenn manchem Sänger in der Höhe mitunter etwas die Luft ausging). Jürgen Amonath überzeugt in der Figur des wahrheitssuchenden Martin L. und gibt der Rolle ein großes Maß an Authentizität. Sein stets alles hinterfragender Alter Ego „Jörg“ (unter dem Pseudonym Junker Jörg lebte Luther inkognito auf der Wartburg) wird von Markus Dinhobl mit mephistofischem Spaß gegeben. Felicia Groh bezirzt als Ursula mit Anmut und Liebreiz.
Der Parforceritt durch die wichtigsten Lebensstationen Martin Luthers (Gewitter, Reichstag zu Worms, Bibelübersetzung, Bauernkriege) verdeutlicht, wie wichtig es auch heute noch ist, Unrecht beim Namen zu nennen und den Blick auf das Wesentliche nicht zu verlieren. Dem Team der Katakombe ist es gelungen, dies sogar noch unterhaltsam zu vermitteln. Bravo!
Markus Gründig, Oktober 09
Kiss me, Kate
Staatstheater Wiesbaden
Besuchte Vorstellung: 11. Oktober 09 (Premiere)
Broadwayfeeling in Wiesbaden
1948 in Philadelphia uraufgeführt, erlebte „Kiss me Kate“ seine deutschsprachige Erstaufführung sieben Jahre später in Frankfurt/Main (Städtische Bühnen, Kleines Haus), wo es zuletzt im Jahr 2002 in der Komödie (mit Petra Constanza und Hardy Rudolz) zu sehen war. Nun ist das Stück in einer nahezu broadwayreifen Inszenierung am Staatstheater Wiesbaden zu erleben: 13 Darsteller, 8 Tänzer, dazu noch ein großer Chor und Statisterie, sorgen für eine glänzende Musicalproduktion, die dieses Musicalurgestein behutsam in die Neuzeit transferiert. Beim furiosen Schlussbild sind über 60 Personen auf der Bühne zu zählen. Doch allein schon der Auftakt weckt Erinnerungen an große Musicalshows wie „A Chorus Line“ oder „42nd Street“. Auf der leeren Bühne fangen die Darsteller an sich zu strecken und zu recken, die Tänzer machen sich warm und legen los. Mit dem Openingsong „Premierenfieber“ überträgt sich bereits der sagenumwobene Bühnenzauber, die Spannung und das Fieber vor der Show direkt in den Publikumsaal, selbst auf weit hinten liegende Sitzplätze. Großartig auch die Eröffnungsnummer „Es ist viel zu heiß“ im zweiten Teil (mit Simone Brähler als Inspizientin). Hier sorgt das aufreizende Tanzensemble für prickelnde Momente, wobei etwas mehr Sinnlichkeit anstelle von extrem hohen Tempo auch nicht schlecht wäre (Choreografie: Andrea Heil).
Dass die vielen Beteiligten auf der Bühne locker Platz haben, liegt auch an dem nüchternen, ja nahezu leeren Bühnenbild von Florian Etti. Abgesehen von zwei Holzkisten, einem Tisch und einem Klavier ist die Bühne die ganzen drei Stunden über eine leere Fläche. Allein durch zwei unterschiedliche Arten von Bühnenprospekten wird ein Unterschied deutlich, ob es sich gerade um eine Szene auf oder hinter der Bühne handelt. Für Szenen auf der Bühne gibt es nur großflächige, pastellfarbene Prospekte, für Szenen hinter der Bühne stimmungsvollere Ansichten eines roten Vorhangs und einer dunkelbraunen Theaterrückwand. Umso origineller sind die historisierenden Kostüme für die Schauspieler (auch Florian Etti), die an Shakespeares Zeit erinnern.
Regisseurin Iris Gerath-Prein zeigt diesen Klassiker, der mit seinem traditionellen Frauenbild durchaus mit einer gewissen Patina behaftet ist, als zeitloses Stück. Natürlich nicht als ein Stück pro Patriarchat oder als Emanzipationsstück, aber als eine zeitgemäße Form für eine beständigere Partnerschaft. Am Ende kehrt Lilli zu ihrem Fred zurück, macht ihm aber auch unmissverständlich deutlich, dass er auch künftig mit ihrer widerspenstigen Art zu rechnen hat.
Mit Annette Luig als Lilli Vanessi (Katharina) und Dirk Schäfer als Fred Graham (Petruchio) bietet das Staatstheater Wiesbaden ein hochkarätiges und rasend streitendes Traumpaar, das auch gesanglich vortrefflich harmoniert und glänzt. Mit ihrem „Schlag nach bei Shakespeare“ avancieren die beiden Ganoven (Eric Biegel und Klaus Krückemeyer), die bei Fred seine vermeintlichen Spielschulden eintreiben wollen, zu Publikumslieblingen.
Das Stück wird komplett in Deutsch gegeben (mit stets guter Aussprache), in der neuen Übersetzung von Susanne Felicitas Wolf, die erstmals im vergangenen Jahr bei der Produktion der Komischen Oper Berlin zu hören war. Zu Gehör kommt die Orchestration von Don Sebesky, die für das Broadwayrevival 1999 geschrieben wurde. Am Pult des Staatsorchester Wiesbaden sorgt Wolfgang Wengenroth dafür, dass Cole Porters Hits mit viel Schmiss gespielt werden. Manch Lieder werden gar leise vom Publikum mitgesummt („wie z.B.“Wunderbar“).
Markus Gründig, Oktober 09
Der Skandal
Showbühne Mainz
Besuchte Vorstellung: 3. Oktober 09
Vor zehn Jahren überraschten die Showstoppers im Hattersheimer Posthofkeller mit ihrer Revue „Musical Konfusical“, bei der bekannte Melodien mit neuen, oftmals satirisch bissigen Texten versehen wurden.
Sebastian W. Wagner, damaliges Mitglied der Showstoppers, gründete dann vor drei Jahren mit seiner Frau die Mainzer Showbühne, ein Theater, dass ganz ohne staatliche Förderung auskommt. Hier hat er u.a. bereits drei selbstgeschriebene satirische Revuen auf die Bühne gebracht. Vorläufiger Höhepunkt seines kreativen Schaffenstalents bildet „Der Skandal“, sein erstes Musical, das in seinem familiär geführten Theater seine Uraufführung erlebte.
Es gibt wohl kaum ein Thema, das nicht schon im Musicalbereich bearbeitet wurde. Den wahrscheinlich größten Skandal in der Baubranche zu thematisieren ist allerdings neu. Das junge Start-Up Unternehmen Investigating Media braucht bringend Aufträge und hängt der International Buildings Association KG kurzerhand einen fetten Skandal an. Der Betrug fliegt natürlich schnell auf, doch ist damit auch das Ende von Investigating Media besiegelt? Hier sei nur soviel verraten, dass Wagner mit einer salomonischen Lösung überrascht, bei dem Hilfe aus einer ungeahnten Ecke eine wesentliche Rolle spielt.
Doch kann so ein Thema für einen unterhaltsamen Abend sorgen, wo schon die Medien tagein tagaus über alle möglichen Skandale berichten und man bei einem Theaterbesuch eher in eine andere Welt versetzt werden möchte, als die nackte Realität vorgespielt zu bekommen? Im ersten Akt lässt sich schon etwas daran zweifeln, zu bemüht und kopflastig kommt die Geschichte daher, auch wenn die sechs Darsteller alles geben und in wilden Tanzszenen (Choreografie: Walter Baumilas) durch ihre schlichtes Büro fegen. Doch im zweiten Akt ist alles anders. Regisseurin Sabine Koch sorgt für eine Wende. Der Erfolg durch den Skandal sorgte für Geld in der Firmenkasse, die Schlabberkleidung wurde gegen schicke Kostüme und Anzüge getauscht. Doch diese äußeren Veränderungen sind es nicht, die zählen, sondern dass jetzt alles ein Gang ruhiger angegangen wird und auch das Herz der Zuschauer erreicht wird. Hier sind es vor allem Julia Heiser als Alessa Lechler und Sabine Koch als Ihre Mutter Ricarda Lechler, die mit Ihren Balladen berühren. Carloin Isabelle Ruthig wandelt sich von der oberflächigen, Mäusespeck futternden Programmiererin Tamara Luft zu einer verantwortungsbewussten reifen Frau. Plötzlich geht es um viel mehr als nur um einen Skandal, es geht darum, seinen eigenen Weg zu finden, um Freundschaft und Liebe.
Meike Jeismann gibt die hintergangene Christina Zeltik, Bastian Korff den Ideenstifter Alexander Baier und Patrick Twinem den findigen Sicherheitsbeauftragten Alfred Wunderlich.
Wagners gute Laune Musik untermalt die Geschichte stimmig. Er spielt nicht nur am Klavier, sondern leitet auch das kleine Liveorchester, das für einen schmissigen Soundmix aus Rock-, Pop und Jazzmusik sorgt. Grundweg hervorragend und ein Genuss war die sängerische Leistung, sei es bei den solo vorgetragenen Liedern, als auch bei den kunstvoll arrangierten Chorsätzen. Am Ende rockte der Saal und die Hoffnung wuchs, dass sich auch so manches Problem im realen Leben lösen wird.
Markus Gründig, Oktober 09
Cabaret
Schauspiel Frankfurt (Bockenheimer Depot)
Besuchte Vorstellung: 2. Okotber 09 (Premiere)
“Willkommen, bienvenue, welcome“ heißt es ab sofort im Bockenheimer Depot, allerdings nur bis zum 19. Oktober 09 (danach wird das Depot für andere Veranstaltungen benötigt). Dieses Willkommen bei der 2. Premiere unter der neuen Intendanz von Oliver Reese heißt nicht nur, dass mit der Wiederbespielung des Bockenheimer Depots die Theatergemeinde sich über diesen außergewöhnlichen Ort freuen kann, sondern es ist auch eine Einladung an den klassischem Theater fern stehenden Bürger, wieder Produktionen des Schauspiel Frankfurt zu besuchen.
Das Musical „Cabaret“ hat im Raum Frankfurt schon eine gewisse Tradition, war es hier in den letzten Jahren doch schon zweimal in Bad Vilbel (mit dem Theater Willy Praml in der Alten Mühle und bei den diesjährigen Burgfestspielen) und am English Theatre Frankfurt zu erleben. Wenn sich nun das Schauspiel Frankfurt zum Saisonauftakt dieses Stückes annimmt, sind die Erwartungen natürlich hoch gesteckt, da das künstlerische Potenzial hoch ist. Herausgekommen ist eine künstlerisch hochinteressante und dabei unterhaltsame Inszenierung, die viele Dinge in ungewohnter Art präsentiert, bei der die sängerischen Leistungen mit den schauspielerischen und tänzerischen Hand in Hand gehen (diese aber nicht übertreffen).
Das Publikum sitzt sich auf zwei Tribünen gegenüber, in der Mitte befindet sich eine hölzerne Drehbühne, zu der zwei breite Stege führen, das sechs-Mann Orchester in futuristisch ulkigen (Schlaf-) Anzügen, sitzt seitlich vor einem samtroten Vorhang. In den Zuschauerbereich hereinführende Lampenketten sorgen für eine warme Clubatmosphäre, ein Ort zum Wohlfühlen.
Ein Schaffner (und späterer Conferencier im weißen Frack mit schwarzen Lackstiefeln) betritt die Bühne und illuminiert mit Rauch die Bahnfahrt, bei der sich Cliff Bradshaw und Ernst Ludwig erstmals begegnen. Eine schöne Idee von Michael Simon (Regie und Bühne), von deren Art es bei dieser Produktion mehrere gibt und die beim Publikum gut ankommen. Auch wenn die Geschichte hier mehr vom Spaßfaktor aus gezeigt wird als das Erwachen des Nationalsozialismus herauszustellen, wie bei der Produktion der Burgfestspiele Bad Vilbel. Dementsprechend wurde das Stück auch auf pausenlose 1 ¾ Stunden gekürzt. Die Band „Theatermusikensemble“ unter der Leitung von Johannes Bartmes sorgt für einen frischen Cabaret-Sound, abseits gewohnter Hörgewohnheiten. Kanders Musik wird dabei stark verfremdet, leicht verjazzt und leicht soulig gespielt. Dazu passen die ausgefallenen und schrillen Kostüme von Janine Werthmann die die Kit Kat Club Girls tragen.
Gänzlich anders ist die Sally Bowles gezeichnet, nicht schwarzhaarig wie eine Liza Minelli, sondern fast engelhaft mit weißen Haaren (Franziska Junge). Frl. Schneider, die Pensionswirtin, ist hier keine verhärmte alte Frau, sondern ein lebenslustiges Energiebündel, deren gute Laune ansteckend wirkt (Josefin Platt). Torben Kessler als Cliff spielt ganz den gewissenhaften Schriftsteller (singt zwar nicht, dafür tanzt er sich durch das Leben mit Sally). Christian Bo Salle gibt einen mehr sauber gewaschenen Strahlemann als undurchsichtigen, zynischen Conferencier. Mit seiner balsamischen Stimme ragt der unter seinem langen schwarzen Bart und Mütze nicht zu erkennende Joachim Nimtz in der Rolle des Herrn Schultz heraus.
Die intensiven Begegnungen mit Frl. Schneider erfolgen rührend als Schattenspiel.
Der Conferencier ist eigentlich als bisexuell vorgegeben, davon ist aber wenig zu spüren, dafür überrascht Ernst Ludwig (Mathis Reinhardt) mit einer zweideutigen Einladung an Cliff. Daneben begeistert Frankfurts „Tanzschlager“ James Rizzi oberkörperfrei als Matrose und Liebhaber für Frl. Kost (Valery Tscheplanowa), muss allerdings als Drag Queen im Song „If you could see her through my eyes“ anstelle eines Affen herhalten (in Zeiten wo die Bundesrepublik wohl bald ihren ersten schwulen Außenminister haben wird, hätte dies durchaus abseits klassischer Klischees gezeigt werden können). Irene Klein lässt als Kit Kat Tänzerin Frenchie vermuten, man sei im Tigerpalast, ob ihrer famosen Beweglichkeit (sie zeichnet auch für die Choreografie verantwortlich).
Das Musical wird in deutscher Sprache gegeben, die Songs werden in Englisch gesungen, manche auch nur kurz angeschnitten. Ein kurzweiliger Rausch, sehr unterhaltsam und eine erfrischend andere Cabaret-Inszenierung.
Markus Gründig, Oktober 09