kulturfreak.de Besprechungsarchiv Theater, Teil 12

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Karl Valentin. Triumph des Unwillens

Theater Willy Praml
Besuchte Vorstellung:
14. März 09

Lange Zeit war in Frankfurt nichts von Karl Valentin zu sehen, nun bringen gleich zwei Theater einen Valentin-Abend auf ihre Bühne. Nach dem Schauspiel Frankfurt setzt nun das Theater Willy Praml die Auseinandersetzung mit dem eigensinnigen Komiker fort. Die Leiter beider Häuser (die gebürtige Wienerin Elisabeth Schweeger und der aus dem bayrischen Landshut stammende Willy Praml) hatten schon lange vor, ein Valentinprogramm zu gestalten. Das dies nun zeitgleich erfolgt ist jedoch purer Zufall. Beide Inszenierungen setzen sich intensiv mit Karl Valentins Werk auseinander, die Ergebnisse fallen dabei jedoch sehr unterschiedlich aus. Die Version des Theater Willy Praml (Buch und Idee: Willy Praml und Michael Weber) in der Naxoshalle arbeitet vor allem die tragikomische und sozialkritische Seite Karl Valentins deutlich heraus, die Komik wirkt hier subtiler als bei Tomas Schweigens Umsetzung in der schmidtstrasse12.

Karl Valentin. Triumph des Unwillens
Theater Willy Praml
v.l.n.r.: Reinhold Behling, Michael Weber, Birgit Heuser und Tim Stegemann
Foto: Herbert Cybulska

Regisseur Willy Praml lässt im ersten, längeren Teil von „vier Personen“ (Reinhold Behling, Birgit Heuser, Tim Stegmann und Michael Weber) eine Auswahl von Karl Valentins Monologen, Dialogen und Szenen spielen. Darunter welche wie „Das Aquarium“, „Der Magere“ und „Der Neinsager“. Anfangs wird im theatralen Hauptbühnenraum, unmittelbar vor dem Publikum, gespielt. Später kommt die Fläche der großen Naxoshalle dazu. Steht zunächst eine hölzerne „Deutsche Bank“ als Requisit im Bühnenraum (gekippt als Symbol für den “Bankenfall”), sind es später Verkehrsschilder. Doch statt einen eindeutigen Weg vorzugeben, sorgen die Schilder eher für ein Chaos, (Lebens-) Orientierung bieten sie keine (Bühne: Michael Weber). Die „vier Personen“ sind auch in ihrer äußeren Erscheinung vereinheitlicht: sie tragen alle Arbeitsoveralls, wenn auch farblich verschiedene. Dies forciert den Blick und das Gehör auf die kunstvoll vorgetragenen Verse.
Eingeleitet und unterbrochen werden diese Geschichten von „Drei Strohhüten“, einem Damentrio, das erzählend und singend kommentiert (Irene Buresch, Herta Georg und Maria Niesen). Zu dumm, dass ein Scheinwerfer nicht funktioniert und dunkel bleibt. Da muss der Beleuchtungstechniker (Willy Praml) ran und dem Irrsinn der modernen Technik auf den Grund gehen.

Im Mittelpunkt des zweiten Teils steht die Geschichte vom „Christbaumbrettl“, die szenisch naturalistisch gegeben wird: ein einfaches Wohnzimmer zur Mitte des vorigen Jahrhunderts. Die Mutter (Birgit Heuser) gibt sich alle Mühe, ihren aufgedrehten und kreischenden Kindern (Tim Stegemann in Windeln und Michael Weber mit Zopf) ein schönes Weihnachtsfest zu präsentieren. Und auch der Vater (Reinhold Behling) müht sich ab, indem er versucht einen Baum samt Christbaumbrettl zu organisieren. Und muss denn zu alledem noch am Heiligabend der Kaminkehrer (Willy Praml) auftauchen?
Dieser erfrischend überdreht dargebotenen Szene folgt noch ein nachdenklich stimmender Epilog über das, was im Leben zählt und bleibt.
Die Vielschichtigkeit Karl Valentins aufzeigend, seiner Person und seines Werks, wird mit „Karl Valentin. Triumph des Unwillens“ eine vielschichtige und überaus „valentineske“ Aufführung geboten.

Markus Gründig, März 09


Die Valentin-Methode. Ein Humor-Labor

schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung:
5. März 09 (Premiere)

„Ah, heit is zünftig!“

Aus der Mottenkiste der in der breiten Öffentlichkeit weitestgehend Vergessenen, holt schauspielfrankfurt für eine der letzten Inszenierung in der Außenspiel und Experiementierbühne schmidtstrasse12, den legendären Komiker, Kabarettisten und Autor Karl Valentin hervor. Hätte es zu seiner Zeit (1882 -1948) schon das Fernsehen oder gar das Internet gegeben, seine Popularität wäre sicher eine andere. Ob er damals nur zu früh oder einfach zur falschen Zeit am falschen Ort war, ist offen. Trotz unbestrittenen künstlerischen Talents und großer Popularität (weit über seine Heimatstadt München hinaus, bis hin nach Hollywood), schaffte er es nicht, seine Kunst auf einen wirtschaftlich soliden Grund zu stellen, er starb verarmt. Sein eigenwilliger Humor, seine Situationskomik und sein Sprachwitz beeinflusste eine Reihe von Schriftstellern (darunter Brecht, Polgar und Tucholsky) und selbst zeitgemäße Komiker und Kabarettisten dient er als Vorbild.
Wer war dieser Karl Valentin, was zeichnete seinen  Art von Humor aus? Diesen Fragen geht die Produktion „Die Valentin-Methode“ in der schmidtstrasse12 nach. Als ein „Humor- Labor“ bezeichnet schauspielfrankfurt diesen Abend, der von nahezu dem gleichen Team gestaltet wird, das vor einem Jahr Kafkas „Das Schloss“ szenisch umgesetzt hat („Das Schloss“ wurde übrigens im Januar 09 beim Fadjr Theaterfestival in Teheran ausgezeichnet).

In einem Labor wird experimentiert, probiert, nichts ist wirklich fertig, ein Endprodukt gibt es nicht. Wer hierbei jedoch daran denkt, eine halb fertige Produktion vorgesetzt zu bekommen, irrt gewaltig. Mit hingebungsvoller Akribie wird hier versucht, dem Phänomen Karl Valentin auf die Spur zu kommen.
Gespielt wird in vier Räumen und das gleichzeitig! Diese vier Räume stehen für vier Aspekte von Karl Valentins Œuvre: Bühne, Film, Hörspiel und Museum. Dafür wird das Publikum zu Beginn in vier Gruppen aufgeteilt und erforscht im Wechsel jede dieser vier Aspekte. So wird in einem Raum, einem dem Münchner Germania-Brettl nachempfundenen Gasthaustheatersaal, u.a. “Der Firmling” gespielt. Im Filmsaal auf die korrekte Schreibweise von „Semmelnködeln“ hingewiesen. Beim Live-Hörspiel erfährt der Zuschauer was was Frau Huber und Frau Maier über die Atombombe denken und auch der legendäre Buchbinder Wanninger kommt bei seinem vergeblichen Bemühen, telefonisch eine Auskunft zu erhalten, zu Gehör. Im Valentinschen Panopitikum des Nonsens gilt es dann Exponate wie „Das Ei, mit dem Kolumbus Amerika entdeckte“, „80jähriger Greis im Alter von einem Jahr“ oder „Berliner-Luft-Replikat“ zu ergründen.

Was den Zauber dieser Inszenierung ausmacht ist, dass die Schauspieler nicht simpel auf diese vier Räume aufgeteilt sind, sondern selbst innerhalb der Szenen von Raum zu Raum wechseln, ohne das es zu Brüchen oder Pausen kommt (Ausstattung: Susanne Hiller). Dies setzt eine punktgenaue Planung voraus, schließlich müssen die Darsteller zur rechten Zeit am rechten Ort sein und alle vier Teile stets zeitgleich zu Ende sein. Das ganze geht auf, ohne das Hektik aufkommt. Eine großartige Leistung von Regisseur Tomas Schweigen und den sechs langnäsigen Darstellern (Nadja Dankers, Stefko Hanushevsky, Sascha Maria Icks, Max Landgrebe, Sebastian Schindegger und Silvester von Hösslin).

Markus Gründig, März 09


Der Kirschgarten

schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung:
24. Januar 09 (Premiere)

“Das Leben ist vorbei gegangen, als wäre es gar nicht da gewesen“

Der Übergang von zwei Zeiten. Die Vergangenheit ist Geschichte, doch die Zukunft ist noch nicht da, eine aktive Gegenwart scheint es nicht zu geben. Zumindest nicht in Tschechows Komödie „Der Kirschgarten“, einem Lehrstück über gesellschaftliche Veränderungen und die unterschiedlichen Umgänge damit.

Nachdem vor knapp einem Jahr Karin Neuhäuser auf großer Bühne im schauspielfrankfurt einen Tschechow-Abend präsentierte, folgt nun Urs Troller. Bäume oder Äste werden hier, im Gegensatz zu Neuhäuser, nicht zerhackselt.
Die Bühne von Stefanie Wilhelm erstrahlt in ansprechender, schlichter und warmer Eleganz. Keine Fenster, keine Fensterläden, kein Ausblick in den Garten, das Publikum ist der Garten, die Illusion von einer beseelten und besseren Welt.
Die Räume des hoch verschuldeten Familiensitzes werden geschickt durch unterschiedlich tapezierte und versetzt hintereinander stehende Wände abstrakt angedeutet (der Bühnenraum wurde zudem seitlich und von oben gering verkleinert). Das Licht von Nicol Hungsberg lässt die Räume meist in warmer Atmosphäre erscheinen, der im Stück berichteten winterlichen Kälte außerhalb trotzend. Die Optiken bei den vier Akten erinnern an Bilder von Edward Hopper.
Für Gefallen sorgen auch die sorgfältig ausgewählten ansprechenden Kostüme von Katharina Weißenborn, wie die an der Entstehungszeit angelehnten prächtigen Mäntel und schlichten Kleider. Was ihr Äußeres anbelangt, zeigt sich die Familie um die Gutsbesitzerin Ranjewskaja mondäner, als sie es von ihrer geistigen Entwicklung her ist.
Präzise und mit humorvoller Note ist die Personenführung von Regisseur Urs Troller. Zwei herausragende Inszenierungen hat er bereits im Kleinen Haus auf die Bühne gestellt: „Quartett“ und „Medea“, dazu Goethes „Torquato Tasso“ im Großen Haus. Tschechows „Kirschgarten“ ergänzt seine Arbeit am schauspielfrankfurt nun zu einem Urs Troller Quartett. Die Familiengeschichte um den Kirschgarten erzählt er in zweieinhalb kurzweiligen Stunden, mit einer Pause (was dankenswerterweise im Vorfeld über die Theater Webseite kommuniziert wurde). Äußerst großzügig ist die Besetzung mit nahezu allen Darstellern von Rang und Namen des Hauses, wenn manche auch nur in kleineren Rollen dabei sein können.

Der Kirschgarten
schauspielfrankfurt
Ensemble
© Alexander Paul Englert ~ englert-fotografie.de

Friderike Kammer gibt eine starke Gutsbesitzerin, die zwar vom Leben gebrandmarkt ist, nicht aus ihrer Haut herauskommt, aber dennoch immer weiter macht. Sandra Bayerhammer verleiht der Tochter Anja ein passendes Maß an Unbeschwertheit und Abak Safai-Rad der arbeitsamen Adoptivtochter Warja menschliche Größe. Als hätte sie einen Verjüngerungstrunk zu sich genommen wirkt Leslie Malton in der Rolle der Gouvernante, leichtfüßig schwingt sie sich mit ihren langen Zöpfen durch die familiären Abgründe. Im engen schwarzen Kleid und hohen Pumps gibt Anne Müller das beflissene Dienstmädchen Dunjascha. Jung wirkt auch der Kaufmann und Bauer Lopachin des Oliver Kraushaar, der durch Geschick und Glück seinen Erfolg fortführt. Als Kontrast dazu Heiner Stadelmann als grandioser Diener Firs, der Dank seiner Alterssenilität von den ganze Wirren nur die Hälfte mit bekommt. In weiteren Rollen dabei: Daniel Christensen (Student), Wolfgang Gorks (Simjonow-Pischtschik), Andreas Haase (Jepichodow), Felix von Manteuffel (Gajew), Horst Templin (Reisender) und Bert Tischendorf (Jascha).
Troller verzichtet auf zeitgemäße Aktualisierungen und präsentiert einen sehr klassischen „Kirschgarten“, dessen Gegenwartsbezug sich der Zuschauer gerade bei der gegenwärtigen Wirtschaftskrise schnell selbst herstellen kann und mal wieder ernüchternd feststellt, dass die Mehrheit heute genauso träge ist, wie die Mehrzahl der Protagonisten im Stück (nur dass unser Speckmantel heute vielleicht etwas dicker ist).

Markus Gründig, Januar 09


Zeit zu lieben, Zeit zu sterben

schauspielfrankfurt in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt (Fachbereich Schauspiel),
Besuchte Vorstellung:
17. Januar 09 (Premiere)

Datsche, Trabbi und VEB sind einige der gängigen Schlagwörter, die für die ehemalige DDR stehen. Heute drohen sie in Vergessenheit zu geraten, zumindest im Westen. Und wie lebten die Menschen „drüben“, hinter dem Eisernen Vorhang? Wer erinnert sich daran und hält diese Erinnerung für nachfolgende Generationen fest? Der Autor und Regisseur Armin Petras (alias Fritz Kater) setzt sich regelmäßig mit seiner Vergangenheit, dem Leben in der DDR, auseinander (er wurde in Bad Kleinen (Mecklenburg-Vorpommern) geboren).
Sein Stück „Zeit zu lieben, Zeit zu sterben“ wurde 2002 in Hamburg uraufgeführt, er selber führte die Regie. Die Inszenierung am Thalia Theater wurde mehrfach ausgezeichnet (Mülheimer Dramatikerpreis 2003, Einladung zum Berliner Theatertreffen 2003, bei der Kritikerumfrage von „Theater heute“ wurde Kater mit diesem Stück zum „Autor des Jahres 2003″ gewählt).
In „zeit zu lieben zeit zu sterben“ begibt er sich auf Spurensuche zurück zur Jugendzeit in der DDR. Die Inszenierung in der schmidtstrasse12, der Außenspielstätte vom schauspielfrankfurt, beginnt schon beim Durchschreiten eines langen Ganges um vom Foyer in den Bühnenraum zu gelangen. Junge Frauen und Männer stehen wie eine Eskorte aufgereiht an der Wand, sie tragen Uniformen mit einem Abzeichen der Freien Deutschen Jugend (FDJ), der sozialistischen Jugendorganisation. An den Wänden hängen typische DDR-Gegenstände (wie eine zusammengelegte Datsche und eine Flasche Rotkäppchensekt). In deutscher und sozialistischer Gründlichkeit wurde jeder dieser Gegenstände mit einer Archiv-Nummer ordnungsgemäß katalogisiert (was sich im Bühnenraum bei den Requisiten und Bühnenteilen fortsetzt).
Nach diesen ersten optischen Eindrücken beseelter DDR-Vergangenheit beginnt der erste von drei Teilen, „Eine Jugend / Chor“, mit einem Einzug der FDJler, die sich über den mit Türen, Gardinen und Jalousien begrenzten Raum (Grundraum und Ausstattung: Maria-Alice Bahra) verteilen. In diesem ersten Teil zeichnet Kater collagenhaft das Lebensgefühl von Jugendlichen in der DDR, das sich in weiten Teilen nicht von dem im Westen unterschied, wie bei den ersten zaghaften Liebesannäherungen und bei Problemen mit den Eltern. Doch stets schwingt auch die Präsenz des DDR-Staats, einer kafkaeske Großbehörde ähnelnd, mit. Regisseur Florian Fiedler lässt die Darsteller (Marios Gavrilis, Katharina Hackhausen, Leonard Hohm, Yevgenia Korolov, Lucie Mackert, Moritz Pliquet, Victoria Schmidt, Raül Semmler, HendrikVogt), allesamt Studenten der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt (Fachbereich Schauspiel), während dieses Teils unbeweglich auf der Stelle stehen, den Blick streng nach vorne gerichtet. Fünf Neonröhren sorgen bei dem schlichten Vortrag für eine kühle Atmosphäre.
Grandios nahtlos erfolgt der Übergang zum größeren zweiten Teil (Ein alter Film / Die Gruppe), bei dem die Studenten beweisen, dass sie in den vergangenen Jahren das Rüstzeug für die Schauspielkunst gelernt haben. Die Familiengeschichte bietet ihnen beste Gelegenheit alles zu zeigen, Fiedler lässt sie sich entfalten und sie geben alles. Mit sehr guter Artikulation belegen sie, dass sie bereit für die großen Bühnen sind. Die ungebremste Gier nach Erfahrungen, nach Leben und Liebe führen sie mit vollem Körpereinsatz vor, ohne dass der Eindruck des „gespielten“ entsteht, ganz natürlich.
Nahtlos erfolgt dann auch der Übergang zum kurzen dritten Teil, einem chorisch vorgetragenen „Dialog“ über die Unmöglichkeit einer beständigen Liebesbeziehung, bei dem die Darsteller frontal vor dem Publikum stehen.
„Zeit zu lieben, Zeit zu sterben“ ist ein charmanter und mit jugendlicher Unbeschwertheit präsentierter Rückblick auf einen kleinen Teil jüngster deutscher Geschichte.

Markus Gründig, Januar 09


Das Produkt

schauspielfrankfurt, nachtschwärmer
Besuchte Vorstellung: 10. Januar 09 (Premiere)

Nichts als Gewalt und Liebe

Mit dem Stück „Shoppen & Ficken“ gelang dem Briten Marc Ravenhill Mitte der 90er Jahre der Durchbruch als Bühnenautor. Ums Ficken geht es ihm teilweise auch in seinem im Jahr 2005 uraufgeführten Stück „Das Produkt“, in dem der Filmproduzent James scharf auf die attraktive Schauspielerin Olivia ist. Da er nicht wirklich an sie ran kommt, will er sie zumindest für die Hauptrolle in einem Film mit abgefahrener Liebesstory gewinnen (die Oscars und Sterne Hollywoods schweben bereits von Anfang an vor seinen Augen).

Das Produkt
schauspielfrankfurt
James (Stefko Hanushevsky)
Foto: PhillipHaines

In der nachtschwärmer-Reihe des schauspielfrankfurt präsentierte jetzt Publikumsliebling Stefko Hanushevsky Ravenhills überdrehte Geschichte, die freilich mit mehr als nur mit Kopulationssehnsüchten aufwartet.
Hanushevsky führte Regie und setzte sich gleichzeitig als Hauptdarsteller treffend in Szene, die ganze Palette seiner famosen Schauspielkunst auffahrend. Die Geschichte in der Geschichte um die Callcenter-Managerin Amy, die, obwohl ihr Freund beim Attentat vom 11. September 2001 umkam, sich ausgerechnet in einen überaus attraktiven Al-Qaida-Aktivisten mit Messer und Gebetsteppich verliebt und ihm verfällt, bietet Hanushevsky reichlich Gelegenheit, nicht nur die mannigfaltigsten Grimassen zu schneiden, artistisch durch die Szenerie zu turnen, sondern vor allem für den Zuschauer intensiv die unterschiedlichsten Emotionen erlebbar zu machen. So zaubert er aus der Person des James viele weitere hervor: Mohammed (den Liebhaber), Bin Laden (Mohammeds Auftraggeber) und die auf eine heiße Affäre zielende Amy. Das alles gelingt ihm mit großem authentischen Enthusiasmus und mit musikalischer Klang-Unterstützung durch Janko Hanushevsky (seinem Bruder). Gemeinschaftlich verschlingen ihre liebreizenden Blicke geradezu die stumm auf einem Stuhl vor Ihnen sitzende Olivia (Sandra Bayrhammer).
Die Spielfläche im kahlen Foyer wurde für diese Produktion von Stephanie Rauch in ein offenes Gefängnis verwandelt: Metallstangen begrenzen den Raum, der das Büro eines Hollywoodproduzenten (mit elegantem Schreibtisch auf einem weißen Podest, nebst Benjamini- und Dracaenapflanze) und das, aus einem umgebauten Schlachthaus entstandene, coole Loft Amys, darstellt.
Je weiter Stefko Hanushevsky seinen knapp einstündigen Monolog mit intensivem Spiel vorantreibt, um so mehr verschwindet das Produzentenzimmer und taucht der Zuschauer mit in die Geschichte ein. Die Stärke von Ravenhills sarkastischem Sex- and Crime-Stück auskostend, bietet Stefko Hanushevsky erneut eine brillante Leistung, absolut kurzweilig, amüsant und dennoch ergreifend. Bravo!

Markus Gründig, Januar 09


Das Käthchen von Heilbronn

schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung:
16. November 08 (Premiere)

Nach „König Arthur“ und „Ein Sommernachtstraum“ präsentiert das schauspielfrankfurt nun als drittes Weihnachtsstück für Kinder (und Erwachsene) einen Klassiker: Heinrich von Kleists „Das Käthchen von Heilbronn“. Uff! Solch ein Brocken für Kinder ab 7 Jahren? Nun, immerhin handelt es sich um ein großes historisches Ritterschauspiel und um ein Zaubermärchen. Jens Groß, Chefdramaturg am schauspielfrankfurt, hat das Stück für Kinder, Jugendliche und Erwachsene gekürzt (inhaltlich und an Personen) und gründlich umgeschrieben, jedoch ohne ihm seinen zauberhaften Charakter zu nehmen. Der Traum von einer aufrichtigen und bedingungslosen Liebe wird hier zur Realität.

Das Käthchen von Heilbronn
schauspielfrankfurt
Kunigunde (Leslie Malton) und Waldbewohner
Foto: Alexander Paul Englert ~ englert-fotografie.de

Vieles von dem was Theater ausmacht, ist in dieser fesselnden Umsetzung auf der großen Bühne von schauspielfrankfurt zu sehen: ein durch die Lüfte schwebender Engel (aus dem Gleichgewicht geratend, aber mit großem Herzen: Felix von Manteuffel), eine unterschiedliche Gestalt annehmende böse Hexe (mal alte Frau, mal vor lauter Energie schier berstende jugendliche Dancingqueen mit langen blonden Locken: Leslie Malton als Kunigunde von Thurneck), Ritter, phantastische Fabelwesen, eine brennende und einstürzende Burg und nicht zuletzt ein kleiner Einblick in eine dunkle Unterwelt (Bühne: Adriane Westerbarkey, Kostüme: Judith Oswald). Dazu begeistert ein überaus spielfreudiges Ensemble von der ersten bis zur letzten Minute die vielen kleinen, wie auch die großen Zuschauer. Kurzum: eine unbedingt sehenswerte Annäherung an einen großen Theaterklassiker.
Kleist hat „Das Käthchen von Heilbronn“ als Gegenstück zu „Penthesilea“ geschrieben. Die Figur des Käthchens stellt quasi die Kehrseite der Amazonenkönigin Penthesilea da. Eine starke, mächtige Frau ist dieses Käthchen. Aber nicht vom äußeren Schein her, sondern vom Herzen. Dies folgt dem, durch einen Engel geweckten Ruf, mit grenzenloser Hingabe. Nadja Dankers vermittelt diese innerlich so starke Frau mit leichtfüßigem Spiel. Kühn gibt Bert Tischendorf den Friedrich Wetter, Graf von Strahl. Inszeniert hat das Stück die 34jährige Christiane J. Schneider, die seit der Saison 2006/07 Hausregisseurin am Nationaltheater Mannheim ist.
Nach „Die Fledermaus“ zeigt die fantasiereiche und opulente Inszenierung von „Das Käthchen von Heilbronn“ in der laufenden Saison erneut eine erfrischend andere Seite des schauspielfrankfurt.

Markus Gründig, November 08


Herzschritt

schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung:
15. November 08 (Premiere)

Es ist nie zu spät, für den ersten Schritt

“Vielleicht gibt es schöne Zeiten, aber diese ist die meine“, so könnte Ursula, die Hauptfigur in Jan Neumanns neustem Stück denken. Schließlich hat sie sich an ihr Leben, trotz aller unerfüllten Wünsche, gewöhnt. Der Job beschäftigt sie genug. Nur ab und an sind da so Momente, wo sie ins Grübeln und Träumen gerät: über einen muskulösen Glücksritter, über Familie und Kinder, über all das, was ihr fehlt. Doch diese Momente sind selten. Nur die Mutter nervt regelmäßig, wenn sie auf diese Zustände hinweist und nicht nachlässt, die Tochter auf den rechten Weg bringen zu wollen. Solch elterliche Ratschläge kennt fast jeder, egal ob Mann oder Frau. Da spielt auch das Alter der Personen keine Rolle. Schließlich ist Ursula keine junge Frau mehr, sondern steht kurz vorm Ende ihres Berufsweges. Doch in Augen ihrer treu sorgenden Mutter bleibt sie stets das Kind.
Es dauert eine ganze Weile bis Ursula eine neue Perspektive für ihr Leben erfährt und einen entscheidenden Neuanfang wagt. Ein Kalenderjahr lang kann sie der Zuschauer begleiten, im Alltag in der Küche, vor dem Verwaltungsgebäude, wo sie arbeitet, im Reisebüro, im Café und auch in ihrer Traumlandschaft mit Sonne, Mond und Sternen.

Herzschritt
schauspielfrankfurt
v.l.n.r.: Schering (Roland Bayer), Ursula (Traute Hoess) und Sabine (Sabine Waibel)
Foto: Alexander Paul Englert ~ englert-fotografie.de

Jan Neumann (Jahrgang 1975) hat das Stück in dreizehn Monate eingeteilt, ein Monat für jede Szene. Nach „Goldfischen“, „Liebesruh“ und „Kredit“ inszeniert Neumann mit „Herzschritt“ nun zum vierten Mal ein eigenes Stück am schauspielfrankfurt. Thomas Goerge hat ihm dafür ein nüchternes Bühnenbild ins Kleine Haus gestellt. Eine große Drehscheibe, an deren Rand allerhand Utensilien stehen (wie ein Waschbecken, Gläser, Blumen, Töpfe, Kränze oder gar ein Ritterhelm). Auf dieser Scheibe spielt sich Ursulas Leben ab, kocht die Mutter ihre XXL-Portion „Indisches Hochzeitshuhn“, trifft sie Freundin Sabine und Kontaktanzeigenmann Schering. Die zunächst wahllos ausgewählt erscheinenden Utensilien erfahren im Laufe des Stückes ihre Verwendung. Der Einsatz dieser Drehscheibe kann dabei als Bild des sich immer wiederholenden Kreislauf des Lebens oder als das sich stets drehende Rad der Zeit interpretiert werden. Der Klang einer Spieldosenuhr begleitet Ursula auf ihrem Weg mit unterschiedlichen Tempi und verschiedenen Melodien. Mitunter bleibt die Zeit auch stehen, dreht sich die Scheibe nicht weiter, wie bei der umständlichen sexuellen Annährung von Ursula und Schering. Surreal wirken die Traumsequenzen mit Möchtegern-Mann Harald (Oliver Kraushaar).
Wie auch bei Neumanns vorherigen Inszenierungen am schauspielfrankfurt, sorgen großartige Darsteller für ein überaus gelungene Umsetzung. Allen voran die tatsächlich 80 -jährige Regine Lutz als enervierende, treu sorgende Mutter und verkaufsorientierte Reiseverkehrskauffrau Hagenbeck. Traute Hoess, ebenso wie Regine Lutz aus Filmen und dem TV bekannt, führt die Ursula als reife, trotz Fügung zu ihrem Lebensweg, als unglücklich wirkende, sich nach etwas unbestimmten Sehnende vor. Von Nini von Selzam zunächst mit einem zeitlosen unifarbenen, blassen Rock und ebensolcher Bluse ausstaffiert, erscheint sie nach der Affäre mit Schering im schwarzen Negligé wie verwandelt. Schering kitzelt es zwar auch im Alter noch in der Hose, doch auch sein Leben ist nach zwei Ehen und einem nicht gewollten Sohn nicht so, wie er es gern hätte. Roland Bayer führt ihn als freudlosen Rentner vor. Vor Vitalität platzt dagegen nahezu die Sabine der Sabine Waibel, da spürt man Leidenschaft, Feuer, das volle Leben. Sie hat alles: einen Mann, einen Sohn, ein Haus. Doch auch hinter ihrer Fassade sieht es anders aus, kam alles anders als gedacht. Wenn Sohn Fernando nicht wäre und das Haus, hätte sie ihren Gerhard schon längst verlassen. Und so bewundert Sabine Ursula und Ursula Sabine.
Nach einem Jahr mit unterschiedlichen Erfahrungen und Schicksalsschlägen schafft es Ursula, sich von ihrem Traummann Harald zu verabschieden. Damit ist ein Keim für einen Neuanfang gelegt. Der Mond, der anfangs unerreichbar schien, auf einmal ist er zum Greifen nah.

Markus Gründig, November 08