kulturfreak.de Besprechungsarchiv Theater, Teil 13

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Der fröhliche Weinberg

Volkstheater Frankfurt Liesel Christ
Besuchte Vorstellung:
21. Juni 09

«Ich wollte nichts Programmatisches […] ich wollte an die Natur heran, ans Leben und an die Wahrheit, ohne mich von den Forderungen des Tages, vom brennenden Stoff meiner Zeit zu entfernen.» Carl Zuckmayer

Es muss nicht immer «Der Hauptmann von Köpenick» sein, auch wenn es Carl Zuckmayers bekanntestes Stück ist. Daneben gibt es unter anderem ja auch noch die Schauspiele «Schinderhannes», «Des Teufels General» und sein Lustspiel «Der fröhliche Weinberg». Mit letzterem erzielte Zuckmayer 1925 seinen Durchbruch als Dramatiker. Hans Werner Kraehkamp, seit 30 Jahren mit dem am Volkstheater Frankfurt verbunden, inszeniert jetzt erstmals, nachdem er am 1. Januar 2009 die Position des Künstlerischen Leiters am Volkstheater übernommen hat (vormals Wolfgang Kaus).

Der fröhliche Weinberg
Volkstheater Frankfurt Liesel Christ
vorne, v.l.n.r.: Myriam Tancredi, Armin Dillenberger, Sina-Valeska Jung, Giovanni Romano, Axel Küffe und Steffen Wilhelm. Auf der Treppe: Michael Schatkowski, Jochen Döring, Horst Krebs, Thomas Koob und Kurt Spielmann
Foto:Stu Gra Pho

In «Der fröhliche Weinberg» will der Weingutsbesitzer Gunderloch (vor ungehemmter Lebenslust sprühend: Armin Dillenberger) sich zur Ruhe setzen, Platz für den Nachwuchs machen und hierfür seine Tochter Klärchen («Verbotene Liebe»-Star Sina-Valeska Jung, die hier ein überzeugendes Theaterdebüt gibt) sicher unter der Haube wissen. Und weil der Vater in Stimmung ist, lädt er die anlässlich der Hofversteigerung versammelte Bagage zu einem Schoppen ein. Natürlich wird reichlich nachgeschenkt. Alkohol enthemmt, da werden Dinge ausgesprochen, die unter normalen Umständen nicht gesagt werden und entsprechend gelöst geht es im Wirtshaus und auf dem Hof einher. Der Wein fließt, zum Pinkeln geht es an den Misthaufen, später fällt der hart im Nehmen und stets missverstandene und dazu volltrunkene Knuzius (Gabriel Spagna) in den Misthaufen und wie es sich für ein zünftiges Bauerntheater gehört, fehlt auch eine gebührliche Schlägerei nicht. Fast ein kleines Wunder, dass sich am Ende acht Herzen treffen.

Der im rheinhessischen Nackenheim geborene Zuckmayer hat in seinen Stücken stets einen besonderen Blick auf die Menschen gelenkt, seine lebendigen Charakterzeichnungen setzt Regisseur Kraehkamp stückgerecht fröhlich und plakativ um. Hierzu passen die stimmungsvollen Bühnenbauten aus den bewährten Händen von Rainer Schöne, die farbenfrohen Kleider der Damen und die Anzüge der Herren (Kostüme: Bärbel Christ-Heß und Claudia Rohde) runden die Optik schön ab.

Herzhaftes Lachen und Fröhlichkeit ist hier garantiert (und das Volkstheater kann dem Wetter mit seiner Spielmöglichkeit im Stammhaus sogar trotzen).

Markus Gründig, Juni 09


Floh im Ohr

Burgfestspiele Bad Vilbel
Besuchte Vorstellung: 6. Juni 09

Die Lust auf eine Liaison

“Spritzige Boulevardkomödie“ lautet der Untertitel der ersten Eigenproduktion der diesjährigen Bad Vilbeler Burgfestspiele und trifft damit voll ins Schwarze. Die eingeschränkte „Manneskraft“ des Ehemannes setzt seiner Frau einen Floh ins Ohr, so dass sie schnell zu dem zwangsläufigen Schluss kommt, er habe ein Verhältnis. Georges Feydeau spannte aus dem Thema Beziehungs(un)treue eine der erfolgreichsten Komödien, bei der sich Rollenspiele und Verwechslungen von Szene zu Szene steigern. Regisseurin Barbara Neureiter setzt dem ohnehin flotten Tempo des Stücks (in der Übersetzung von Elfriede Jelinek) noch eins drauf und zeichnet die Figuren im Pariser Haus der Chandebises und im pikanten Hotel „Zur zärtlichen Miezekatze“ mit plakativen Gesten, die beim Publikum bestens ankommen. In der romantischen Bad Vilbeler Wasserburg wird nicht nur schallend gelacht, sondern auch mitgefiebert, wie sich wohl das Beziehungschaos auflösen wird und gezittert, wenn etwa der vor Energie fast platzende Hoteldirektor Augustin Ferraillon (Volker Niederfahrenhorst) aus Versehen einen Schluck Ammoniakwasser zu sich nimmt oder gefürchtet, wenn Hotelgast Rugby (Frank Rebel) ungestüm aus seinem Zimmer herauspoltert.

Floh im Ohr
Burgfestspiele Bad Vilbel
Victor-Emmanuel Chandebise (Maximilian Wigger), Augustin Ferraillon (Volker Niederfahrenhorst) & Etienne (Herbert Schöberl)
Foto: Eugen Sommer

In der Doppelrolle des ernsten Geschäftsmanns Victor-Emmanuel Chandebise und des einfältigen Hoteldieners Poche bewegt Maximilian Wigger. Marina Matthias zeichnet die Rolle der Raymonde Chandebise ganz aus der Sicht einer starken Frau, die keine nicht von ihr initiierten Unregelmäßigkeit duldet. Voller Charme, Grazie und Esprit steht ihr Angelika Bartsch als beste Freundin Lucienne an der Seite. Vor Eifersucht rasend, stürmt Luciennes Macho-Ehemann Carlos (Volker Weidlich) über die Bühne. Mit rollengemäßen Sprachfehler sorgt Jens Wachholz als Camille für herzhafte Lacher auf der Bühne und im Publikum, bis ihm am Ende gar ganz die Worte fehlen. In weiteren Rollen mit ebenso großem Einsatz beteiligt: Stephan Ullrich (als Charmeur Romain Tournel), Kai Möller (als Liebestoller Dr. Finache), Herbert Schöberl (als Etienne/Baptistin), Jessica Walther-Gabory (als verführerische Haushälterin Atoinette und Miriam Kohler (als ergraute, ehemalige Skandalnudel und jetzige Frau des Hoteliers Eugenie).
Die Bühne von Dorit Lievenbrück zeigt mit altrosa farbigen Wänden, einem großen barocken Engelsbild und sechziger Jahre Möbeln das konservative Heim der wohlsituierten Chandebises. Das Hotel, mit einem in kräftigem grün gehaltenen Flur und einem lilafarbigen Liebeszimmer (nebst Engelsfigur an der Wand), deutet seinen zwielichtigen Charakter nur dezent an. Während der kurzen Umbaupause im ersten Akt sorgt Hotelgöre Olympe (Magdalena Helmig) mit einem lasziven Tanz für Kurzweil.

Der Wunsch aus gewohnten (Ehe-) Bahnen auszubrechen, die Lust auf eine Liaison und die Teilhabe an groteske Situationen kann hier gute 2 ½ Stunden genossen werden.

Markus Gründig, Juni 09


Die Stunde da wir nichts voneinander wussten

schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung:
3. Juni 09 (Premiere)

In den acht Jahren der Intendanz Elisabeth Schweegers hat das schauspielfrankfurt ein neues Profil gewonnen, einen intensiven Dialog mit der Stadt und den Menschen, die hier leben (viele ja nur temporär) geführt, dabei oftmals polarisiert und vor allem ein jüngeres Publikum gewonnen. Durchschnittlich 40 Inszenierungen pro Saison, das macht bei acht Jahren 320 Inszenierungen. Allein mengenmäßig ein enormer Output, dazu noch zahlreiche Gastspiele, Kunstprojekte, die Frankfurter Dialoge (Philosophische Salons), Autorenlesungen, Vorträge u.v.m.
Wanda Golonka, Choreographin und langjährige Hausregisseurin am schausielfrankfurt, fasst jetzt diese acht Jahre in Peter Handkes „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“ zu einem hochkonzentrierten, ihr sehr typischen, sinnlichen Bilderrausch zusammen. Das gesamte Ensemble ist bei dem, 1992 verfassten, Schauspiel ohne Worte beteiligt. Denn gesprochen wird kein einziges Wort. Es gibt weder Monologe noch Dialoge, allenfalls wird genießt, gestöhnt oder melancholisch ein fremdsprachiges Lied angestimmt (Sandra Bayrhammer). Peter Handkes „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“ besteht allein aus Regieanweisungen, die detailliert jede Bewegung der Darsteller vorgeben.

Die Stunde da wir nichts voneinander wussten
schauspielfrankfurt
Nadja Dankers, Julia Penner, Friederike Kammer, Sabine Waibel, Joachim Nimtz
Foto: Alexander Paul Englert ~ englert-fotografie.de

Die Raumkünstlerin Wanda Golonka bietet den Darstellern im Großen Haus des schaupsielfrankfurts für ihren letzten Auftritt (bis auf Oliver Kraushaar, Felix von Manteuffel und Joachim Nimtz verlassen alle Ensemblemitglieder das schauspielfrankfurt), einen großen weiten Raum für den vorgesehenen Platz in einer Stadt: offen, nackt und ehrlich. Golonka verzichtet auf räumliche oder zeitliche Bezüge, auf Videoprojektionen oder sonstige Ablenkungen. Lediglich einige schwarze Regenschirmsonnenständer, ein paar Gartenstühle und ein flacher Teich finden sich auf der weiten Bühne, die schwarzen Bühnenwände decken die Szenerie wie ein schützendes Gehäuse zu. Ansonsten ist Golonkas Fokus ganz auf die Darsteller gerichtet.
Menschen laufen über diesen Platz, einzeln und in Gruppen. Sie verweilen, suchen Ruhe und sind voller Unruhe. Sie stolpern, tanzen, raten aneinander und sind auf sich allein fixiert, sie tauchen ab und an anderer Stelle wieder auf. Sie lieben und betrügen. Sie spiegeln ein pointiertes Sammelsurium all dessen wider, was in einer Stadt wie Frankfurt täglich zu sehen ist: Eine alte Frau, die mühsam einen Einkaufswagen vor sich herschiebt, eine Airline-Crew, Sportler, Angler, Reisende, Kellner, ein trauriger Eintracht-Fan, Wanderer, Künstler, Geisha, Cowboy, Kinder, Könige und Straßenfeger, Blaumann, Charly Chaplin, Teenager die eifrig simsen… Dazu Kinder, Hunde und sogar ein Falke.
Die vielen bezaubernden und poetisch anmutenden Bilder zeigen den Tanz des Lebens: von der Geburt bis zum Tod und alles, was dazwischen liegt. Dabei gibt es für treue Besucher des schauspielfrankfurt viel zu entdecken, wecken viele Rollen doch Erinnerungen zu vergangenen Inszenierungen (beispielsweise trägt Anita Iselin wie in „Beeing Lawinky“ ein Baby und Stefko Hanoushevsky und Sebastian Schindegger bilden erneut ein Komikerduo).
Einen Bogen spannt dabei auch die begleitende Musik: am Anfang und Ende stehen sich kalte Fieptöne (wie von einem medizinischen Gerät) und warme klassische Klaviermusik kontrastierend gegenüber. Feiner Regen und ein Feuerwerk aus großen Holzspänen (getreu dem Motto „Seht was wir hier alles verhackstückt haben“) ergänzen das temporeiche Spektakel.

Die Ära Schweeger am schauspielfrankfurt endet mit dieser Inszenierung. Der Premierenapplaus fiel ungewöhnlich stark aus, ihm folgten gar Standing Ovations als Dank für acht Jahre der kunstvollen, kreativen und intensiven Auseinandersetzung mit dem Theater, seiner Stadt und ihren Bewohnern, dargeboten von leidenschaftlichen Darstellern unter der Obhut ihrer starken Chefin.

Markus Gründig, Juni 09


Onkel Wanja

Eine Produktion von Theater T1 und Sophiensaele, Theater im Pumpenhaus Münster, Theater am Neumarkt Zürich / Zürcher Festspiele, Kampnagel Hamburg und schauspielfrankfurt

Besuchte Vorstellung:
10. Mai 09 (schauspielfrankfurt)

“Was für eine herrliche Nacht“

Die Suche nach einem Sinn im Leben, die Enttäuschung über die Trivialität des Alltags, der ungenutzten Chancen und nicht zuletzt das (oftmals erfolglose) Streben nach Anerkennung, Liebe und Zuneigung sind Themen vieler Stücke. Für die Werke von Anton Tschechow sind sie typisch. Insbesondere in seinem 1899 uraufgeführten „Onkel Wanja“, bei dem sich Beziehungsgestörte und Lebensenttäuschte auf einem Landgut zusammen finden.
Die Inszenierung der Gemeinschaftsproduktion von Theater T1 und der oben aufgeführten Häuser, hatte vor gut einem Jahr Premiere und hat seitdem an allen Spielorten für Begeisterung gesorgt, bei Publikum und Presse gleichermaßen. Und dass, obwohl das Regie Duo Thorsten Lensing und Jan Hein nicht zimperlich mit dem Stück umgehen. Brutalität, sexuelle Gewalt, Nacktheit, Sauferei und nicht zuletzt der bis in die Zuschauerreihen ziehende Rotweinduft fordern die Darsteller und das Publikum. Lensing und Hein geht es in ihrer Inszenierung jedoch nicht um die Effekte um der Effekte wegen. Sie erzählen „Onkel Wanja“ durchaus werkdienlich und -getreu mit ein paar wenigen zeitgemäßen und lokalen Anpassungen. Nicht zuletzt Dank der großartigen Schauspieler lebt der Geist Tschechows auf, gerät die dreistündige Aufführung zu einem vergnüglichen und kurzweiligen Theatererlebnis, was für einen Tschechowabend ja nicht gerade typisch ist. Pech für jeden, der die Chance verpasst hat, eine der Aufführungen zu besuchen.
Die Bühne von Hannah Landes ist die ganze Zeit über nahezu leer, auf ihr stehen lediglich ein paar einfache Tische und Stühle,eine Schaukel hängt herab. Ein Samowar ist der einzige Bezugspunkt zu Russland, ansonsten herrscht eine kalte Atmosphäre. In Frankfurt sitzt das Publikum mit auf der großen Bühne, nah am Geschehen und es wird durch das intensive Spiel fast ein Teil des Ganzen. Durch seine Leibesfülle beherrscht Josef Ostendorf allein schon optisch die Szenerie, doch auch mit seinem jähzornigen, gewalttätigen und depressiven Profil des Onkel Wanja zieht er die Blicke auf sich, gibt sich vielseitig auch voller Charme und verliebt. Ökologisch denkend, über die Menschheit philosophierend und sich selbst dem Alkohol hingebend, trumpft Devid Striesow als Arzt Astrow mächtig auf. Gleiches kann über die zunächst auf hohen und schweren Schuhen daherstelzende Ursina Lardi als junge Andrejewna gesagt werden, die mit Sarkasmus ihren eigenen Weg geht, egal was die Leute über sie denken. In dieses starke Trio reihen sich die weiteren Darsteller bestens ein (Margot Gödrös als Wojnizkij/Marina Timofeijewna, Karoline Haefer als Knecht, Ursula Renneke als fleißige aber traurige Sonja, Christoph Tomanek als verarmter Gutsbesitzer Telegin und Rik van Uffelen als geschäftstüchtiger Professor.

Markus Gründig, Mai 09


Waiting for Godot

English Theatre Frankfurt, Drama-Club
Besuchte Vorstellung:
5. Mai 09 (Premiere)

Über 50 Jahre ist es nun her, dass Samuel Beckets „Warten auf Godot“ für Furore sorgte. 20 Jahre nach seinem Tod bietet das Stück nun dem Drama Club des English Theatre Frankfurt Gelegenheit, dem großen Autor seine Referenz zu erweisen, schließlich befasst sich der Drama Club unter der Leitung von Michael Gonszar mit Stücken des klassischen und postmodernen experimentellen Theaters.
Während bei der nahezu zeitgleichen Premiere des Stückes am New Yorker Broadway mit Nathan Lance (The Birdcage / The Producers) und John Goodman (Roseanne und The Flintstones) prominente Namen auf der Besetzungsliste stehen, sind es hier überwiegend Schauspielern aus der freien Szene, die bereits auch schon bei früheren Produktionen im English Theatre Frankfurt auf der Bühne zu erleben waren.

Waiting for Godot
English Theatre Frankfurt Drama Club
Wladimir (James Morgan)
Foto: Anja Kühn

Regisseur Michael Gonszar hat mit seinen Schauspielern in monatelanger Arbeit detailliert am Stück gearbeitet, um es jetzt in einer erfrischenden und amüsanten Darbietung auf der kleinen und intimen Bühne im James der Bar im English Theatre zu präsentieren.
Im Zentrum der kargen Bühne von Michael Neitzert steht lediglich der obligatorische Baum, den Beckett vorgibt (hier gleicht er in seiner kargen Ausführung mehr einem Kleiderständer). Auf die ebenfalls vorgegebenen frühlingshaften Triebe im 2. Akt wird bewusst verzichtet, stattdessen werden diese lediglich mit zwei roten Nasenknollen angedeutet. Die Vagabunden Wladimir und Estragon ziehen zu Beginn jeweils einen Türrahmen auf die Bühne, wie ein Teil ihrer Selbst, mit dem Wunsch einen neuen Raum zu betreten, etwas Neues zu erfahren und doch bleiben sie, bleiben alle Dinge beim Alten, wiederholt sich das Warten auf Godot von einem Tag zum nächsten.
Schon in der beschwingten und clownesken Art wie Estragon die Treppe herunterkommt (Clowntraining: Etta Streicher) wird deutlich, das Becketts Zynismus hier unter dem Deckmantel von gestrandeten Zirkusleuten gegeben wird. Das sorgt für viele Lacher im Publikum und für zwei kurzweilige Stunden.
Dabei gibt James Morgan dem Wladimir ein beachtliches Format, mit viel Feingefühl und existenzieller Tiefe. Mit britischem Humor zeichnet Mike Marklove den Estragon. lan McNulty gibt einen kraftstrotzenden, herrschsüchtigen Pozzo, während Mario Mateluna in der traurigen Figur des Lucky hinter einer Affenmaske verborgen bleibt.
Zum Ende der beiden Akte ist jeweils der Mond zu sehen, womit die Fragen der Protagonisten nach Godot (was und wer immer er auch sei) auch hier zu denen des Zuschauers werden. Michael Gonszar ist es gelungen, trotz oberflächlicher Heiterkeit auch eine sehr berührende, nachdenklich stimmende Aufführung zu gestalten, die von zarten musikalischen Klängen stimmungsvoll untermalt wird.

Markus Gründig, Mai 09


Der Grimm-Code- Ein urbaner Märchenthriller in vier Teilen

schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung: 
23. April 09 (1. Teil)

Als letzte Produktion in der Außenspielstätte schmidtstrasse12 des schauspielfrankfurts beschäftigt sich Regisseur Simon Solberg mit einem scheinbar einfachen Stoff, der Märchenwelt der Gebrüder Grimm. Genauer gesagt: mit dem Grimm-Code. Nachforschen, einer Sache auf den Grund gehen, sie zerlegen, analysieren, zu hinterfragen, die unsichtbare Botschaft dahinter zu entdecken, all dies lässt sich mit dem Wort „Code“ verbinden. Doch welche Bedeutung hat es mit dem Grimm-Code auf sich, einem urbaner Märchenthriller in vier Teilen, wie es im Untertitel heißt?
Dies wollen die Gebrüder Grimm im Hier und Jetzt erkunden. Nach einem fulminanten Auftakt mit nachgemachter Hollywoodstudiofanfare, beginnen Wilhelm (Stefko Hanushevsky) und Jakob (Sebastian Schindegger) zunächst mit viel Witz und Charme die Geschichte vom Dornröschen im Schnelldurchlauf zu durchspielen (Hanushevsky gibt dabei u.a. den König, eine Fee und einen Ritter, Schindegger eine Wiege, ein altes Weib und eine Dornenhecke). Doch schon bald ist es aus mit der Einigkeit. Streit und Trennung stehen an. Eigentlich ein Unding für die Gebrüder Grimm (die tatsächlich in enger Gemeinschaft gelebt haben). Aber was soll´s und so entbrennt ein herrlicher Rosenkieg, bei dem sie ihr Zuhause gestenreich und äußerst akkurat aufteilen: vom Küchentisch über den Kühlschrank bis zum Essen.
Doch es geht ja auch um deren Subtext, die Bedeutung der Geschichten und Märchen für uns heute, in Zeiten der globalen Weltwirtschaftskrise, von Terror, Kriegen und Katastrophen. Und so entsteigen sie ihren irdischen Sorgen und Wohnwagen (Ausstattung: Sebastian Hannak), um sich im urbanen Frankfurt neue Beschäftigungen zu suchen (nicht ohne dabei die Schauspielerei auf die Schippe zu nehmen) und um sich am Hanauer Grimm-Denkmal einen Rat zu holen. Hier beginnt die Überleitung zu vorbereiteten Filmsequenzen (Kamera: Florian Kirchler), stets wechselnd mit live gespielten Sequenzen. Wilhelm findet einen Job in Özdemirs (Özgür Karadeniz) Internetcafé „Global-Net-Center“ und Jakob ist dabei, sich einen Job in einer Bibliothek zu erschleichen.
Wie wird es weitergehen, welche Abenteuer werden Sie erleben? An noch drei Abenden werden sie nachforschen (30. April, 6. und 13. Mai 09, die Auflösung erfolgt dann mit der Filmpremiere „Der Grimm-Code“ am 29. Mai 09 beim Abschlussfest der schmidtstrasse12) und eins ist schon jetzt sicher: Spaß und Lust am Spielen wird ein wesentliches Element des Grimm-Codes sein.

Markus Gründig, April 09


Heute bin ich blond

schauspielfrankfurt ~ nachtschwärmer
Besuchte Vorstellung:
29. März 09 (Premiere)

Wer in der Tiefe war
ganz unten
entsetzt
verzweifelt
verloren
am Ende
und wieder leben darf
kann nicht schweigen
muss reden singen danken
beten erzählen
und loben…

Johannes Hansen

Das Buchcover von “Heute bin ich blond” zeigt das Bildnis einer jungen Frau, die ernst und gefasst nach vorne schaut. Im leporellomäßigen Buchcover sind es dann neun junge Frauen, die den Betrachter wie ein Model von Heidi Klum anlächeln: Platina, Blondie, Daisy, Bebé, Lydia, Sue, Oema, Pam und Stella. Scheinbar neun verschiedene Frauen und doch nur eine Geschichte. Nämlich die von Sophie, die 21 jährig schwer an Krebs erkrankt. Die Holländerin Sophie van der Stap hat ihre Erfahrungen mit ihrer besonderen Form von Lungenkrebserkrankung in Form eines Buches verarbeitet, das mittlerweile nicht nur als Hörbuch vorliegt, im kommenden Jahr soll die Geschichte gar in Amsterdam verfilmt werden.
Am schauspielfrankfurt wurde Sophies Geschichte nun im Rahmen der nachtschwärmer-Reihe in Form einer „szenischen Lesung“ für die Bühne aufbereitet (Regie: Mina Salehpour, Ausstattung: Anna Dischkow). Julia Penner spielt die Sophie, betroffen, trübsinnig und verzweifelt. Dies jedoch nur im geringen Maße. Denn Sophie kann sich einerseits nicht all den Gefühlen entziehen, wenn die Lebensplanung aus den Fugen gerät und nur noch der nächste Tag zählt. Wenn das Krankenhaus, die Ärzte und Schwestern zum Alltag werden, Bestrahlungen, Chemotherapie, Haarausfall und Übelkeit das Leben bestimmen, wenn ein Portkatheter auf ihrer Brust wie eine Extratitte aussieht und der Tod greifbar nahe rückt. Doch da gibt es auch andere Seiten. Wie den attraktiven, begehrenswerten Doktor K mit seinen schwarzen Lederschuhen mit Lochmuster, den guten Freund Rob, den zwar ruppigen aber dennoch wichtigen Doktor L, die Familie, die beste Freundin Annabel und viele mehr. Und vor allem: die Lust am Leben, die Lust weiterzuleben. Erst notwendiges Übel, dann Stütze in Sophies Leben: Perücken. Hiermit schafft sie sich nicht nur neue Identitäten, sondern auch neue Freunde, kann sogar wieder flirten und vorsichtig beginnen, ihr Leben neu auszurichten. Julia Penner gelingt es, viele Facetten der Sophie aufzuzeigen und einer Krebserkrankung eine gewisse Leichtigkeit zu geben.

Markus Gründig, März 09


Opening Night

schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung:
19. März 09

Bereits im Jahr 1977 kam John Cassavetes (1929 – 1989) Film „Opening Night“ in die Kinos. Armin Petras nahm jetzt diesen Independentfilmklassiker zum Anlass für seine vorläufig letzte Inszenierung am schauspielfrankfurt und bietet damit, passend zum Saisonslogan „hin und weg“ eine Hommage eigenen Stils an Schauspieler und die Schauspielkunst, denn Petras hat den Film auch für die Bühne bearbeitet.
Wo liegt die Grenzen zwischen Privatperson und Rolle? Wie viel Mensch ist ein Schauspieler, zu wieviel ist er nur ein Abbild seiner Rollen?

Opening Night
schauspielfrankfurt
Susan/Clara (Sabine Waibel, links) und Frida/Virginia (Friederike Kammer, rechts)
Foto: Alexander Paul Englert ~ englert-fotografie.de

Im Mittelpunkt steht die gefeierte Schauspielerin Frida, die ihren künstlerischen Höhepunkt schon längst hinter sich gelassen hat. Friedrike Kammer zeigt die Frida selbstverliebt und glamourös. Und doch ist Frida am Ende ohne Grund und Boden, zerstört, unsicher und nach einem Strohhalm ringend. Doch das Stück handelt nicht nur von einer Schauspielerin und ihrem beruflichen wie privaten Umfeld, im weiteren Sinne trifft es jeden, denn den Alterungsprozess kann sich niemand entziehen. Ist man mit 20 noch angesagt, kann man schon bald an 30+ Partys teilnehmen und ab da geht sowieso alles viel schneller.
Die Zeiten der Unbeschwertheit verfliegen, erste körperliche Beschwerden tauchen auf und das Leben hat inzwischen auch schon die eine oder andere Spur in der Persönlichkeit hinterlassen.
Dafür dass Friedrike Kammer groß zur Geltung kommen kann, sorgen ihre Bühnenpartner Oliver Kraushaar (als schwer krank werdender Chris/Clas) und Wilhelm Eilers (als softer Martin). Als jugendliches Traumbild an ihrer Seite gibt Anne Müller eine emphatische Nancy, Sabine Waibel schöpft als prolliges Nervenbündel Susan aus den Vollen. Ein Wiedersehen gibt es mit Robert Kuchenbuch als agiler und kletterfreudiger Otis/Charly.
Gespielt wird lediglich auf einem vom Bühnenraum bis zu den Zuschauern reichenden roten Samtvorhang (Bühne Olaf Altmann).

Markus Gründig, März 09


Hysteria

English Theatre Frankfurt
Besuchte Vorstellungen:
20. (1. Akt; Premiere) und 24. (2. Akt) März 09

Josef F. aus dem österreichischen Amstetten schockierte vor einem Jahr die Weltöffentlichkeit und ist seitdem zweifellos einer der bekanntesten Inzesttäter. Nicht nur, dass er eine jegliche Vorstellungskraft sprengende perverse Art und Weise an den Tag legte, er ist leider bei weitem kein Einzelfall, wie ständig neue Fälle von Kindermissbrauch zeigen. Tragisch ist zudem, dass Kindesmissbrauch nicht nur ein Produkt der heutigen Zeit ist. Schon Sigmund Freud (1856-1939), der Begründer der Psychoanalyse, hatte sich bei seinen Studien intensiv mit dem Thema der Hysterie auseinandergesetzt. Dabei entwickelte er zunächst die so genannte „Verführungstheorie“, nach der alle HysterikerInnen in der Kindheit sexuell missbraucht worden sind, in der Regel innerhalb der eigenen Familie. Später wird diese Theorie von ihm verworfen, wobei über die Gründe warum er das tat, Unklarheit herrscht.
Hier setzt das 1993 uraufgeführten Stück von Terry Johnson an, das einen Tag im Leben des bereits durch seine Krebserkrankung gezeichneten Sigmund Freud in seiner Londoner Exil-Wohnung im Jahr 1938 zeigt. Johnson hat hierbei einen tatsächlich stattgefundenen Besuch des surrealistischen Malers Salvatore Dali bei Freud in das Stück frei eingearbeitet.
Im Mittelpunkt der Handlung steht aber der mysteriöse Besuch einer weiteren Person: Jessica, eine aufdringliche und junge Frau. Sie will Freud durch ihre persönliche Geschichte mit seiner „Verführungstheorie“ konfrontieren und stürzt ihn dabei in tiefe Selbstzweifel. Dieses anspruchsvolle und ernste Thema ist jedoch derart charmant mit einer turbulenten komödiantischen Nebenhandlung verknüpft, das man zwar nachdenklich das Theater verlässt, aber dennoch ein lachendes Herz mit nach Hause trägt (im Englischen wird das Stück auch treffend als „ComedyFarce“ bezeichnet).

Hysteria
English Theatre Frankfurt
Sigmund Freud (Ged McKenna) und Jessica (Melanie Gray)
Foto: Anja Kühn

Für das Bühnenbild bemühte sich Neil Prince um eine starke Authentizität. Es zeigt detailverliebt eine Kombination aus Freuds bürgerlichem Arbeits- und Behandlungszimmer, bestehend aus dunklem Bücherschränken, einem Ofen und einem großer Schreibtisch, auf dem allerhand antike Figuren und Skulpturen stehen (ganz den Originalzimmern nachempfunden). Die legendäre Couch für die Patienten, Freuds einziges therapeutisches Werkzeug, fehlt natürlich auch nicht. Auf ihr liegt, wie typisch für Freud, ein Perserteppich auf und Freuds Stuhl befindet sich dahinter (schließlich wollte er seine Patienten während der Behandlung nicht sehen). Das Zimmer ist nicht nur dem Original nachempfunden, es befinden sich viele Details darin, die in Zusammenhang mit Dali und Freud stehen. Wie beispielsweise über Schnecken, die sich auf dem Fahrrad von Abraham Yahuda, einem weiteren Besucher, befinden. Schnecken finden sich in Dalis Werken, doch auch bei Freud waren sie ein Thema, gelten sie doch als Symbol für sich einkapseln, für Beständigkeit und Selbstbeherrschung und als weibliches Genitalsymbol. Dalis Gemälde „Metamorphose des Narziss“, das er als Gastgeschenk mitbringt, zeigt, wie die surrealistische Malerei das Unbewusste vergegenwärtigt.

Regisseur Ryan McBride, der am English Theatre Frankfurt bereits Deathtrap und HAIR erfolgreich inszenierte, gelingt es auch bei dieser ComedyFace einen Spannungsbogen aufzubauen, trotz und gerade durch viele komische Szenen (wie Dalis Besessenheit in Bezug auf Jessicas Achseln oder ein klamottenhaftes Versteckspiel). Fast schon irritierend wirkt die Aussprache von Freud und Dali. Denn obwohl beide Darsteller Engländer sind, sprechen sie einen derart gebrochenen Akzent, das man meinen könnte, es handelt sich wirklich um einen Österreicher und um einen Spanier.
Ged McKenna gefällt als souveräner Sigmund Freud, Melanie Gray brilliert in der Rolle der Jessica durch ihr berührendes und intensives Spiel, Simon Clark gibt einen treuherzigen Abraham Yahuda und Anthony Spargo besticht als leidenschaftlicher und umtriebiger Salvador Dali (zudem dabei: Anna Libbach als Anna Freud und Frau).

All das, was im längeren ersten Akt aufgebaut wurde, löst sich dann im zweiten schnell auf, wenn auch vielleicht anders als erwartet. Höhepunkt ist zweifellos eine alptraumhafte Sequenz Freuds, bei der sich das Wohnzimmer in einen Geisterraum verwandelt. An allen Ecken und Kanten passiert plötzlich irgend etwas. Ist es zunächst ein Hummer den Freud statt dem Telefonhörer greift, spukt es von allen Seiten, verschwinden Menschen, tauchen Bilder und Symbole aus Dalis und Freuds Werken auf, wie große Elefanten, die vorüberziehen (Elefanten als Symbol für die Kraft des Unterbewusstseins). Zu alledem läuft auch noch eine Frau nackt durch den Raum und eine Lokomotive droht Freud zu überrollen.
Das Ende gleicht dem Anfang: draußen regnet es, eine junge Frau steht vor der Veranda und bittet um Einlass. War alles nur eine Halluzination, ein Traum und wer ist hier hysterisch…?

Markus Gründig, März 09