Oper Frankfurt zeigt Benjamin Brittens Kirchenparabeln »The Prodigal Son« und »The Burning Fiery Furnace«

The Prodigal Son ~ Oper Frankfurt ~ in der Bildmitte v.l.n.r. Jüngerer Sohn (Brian Michael Moore) und Vater (Magnús Baldvinsson) sowie im Hintergrund Ensemble ~ © Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Fast alle Bühnenwerke des als „Orpheus britannicus“ bezeichneten britischen Komponisten Benjamin Britten wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten an der Oper Frankfurt vorgestellt. Dabei war er nicht nur einer der bedeutendsten Opernkomponisten des 21. Jahrhunderts, er wandte sich auch vielen anderen musikalischen Formen zu (Liedern, geistlichen Werken, Kammermusiken und Werke für Kinder).

Zu seinen geistlichen Werken zählen, neben der Saint Nicolas-Kantate und dem War Requiem, drei sogenannte Kirchenparabeln. Bei dem von Britten eingeführten Begriff handelt es sich nicht um eine eigenständige musikalische Gattung, sondern um Gleichnisse für Aufführungen in einer Kirche („Parabels for Church Performance“). Gleichnisse erzählen alltägliche Geschichten, handeln von wenigen Personen und haben eine moralische Botschaft.

Britten wurde zu diesen durch Reisen (Asien und Sankt Petersburg) inspiriert. In Asien lernte er das japanische Nō-Theater kennen. Auch Einflüsse der mittelalterlichen Mysterienspiele fanden Einfluss in dieses Triptychon. Alle drei Kirchenparabeln entstanden nach Texten des südafrikanisch-englischen Schriftstellers William Plomer.

Die erste ist die relativ häufig aufgeführte Curlew River. Die Oper Frankfurt stellte diese 2005 vor. Axel Weidauers Inszenierung wurde 2007 wiederaufgenommen (Besprechung). Nun folgten, zu einem Abend verbunden, die beiden andern als Frankfurter Erstaufführungen: The Prodigal Son (Der verlorene Sohn; aus dem Lukasevangelium) und The Burning Fiery Furnace (Die Jünglinge im Feuerofen; aus dem Buch Daniel), inszeniert von Manuel Schmitt.

The Prodigal Son
Oper Frankfurt
v.l.n.r. Älterer Sohn (Jarrett Porter), Jüngerer Sohn ( Brian Michael Moore) und Vater (Magnús Baldvinsson; in der Bildmitte) sowie Ensemble
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Großartiges Regiedebüt

Aus Brittens Kirchenparabeln, die weder Oper noch Oratorium sind, einen fesselnden Abend zu gestalten, ist keine leichte Aufgabe. Regisseur Manuel Schmitt hat dies bei seiner ersten Inszenierung für die Oper Frankfurt großartig gemeistert. Die beiden Einakter mit ihren etwas sperrigen Titeln zeigt er als spannende Geschichten mit Tiefgang (die auch außerhalb eines kirchlichen Rahmens ihre Berechtigung haben).

Der Doppelabend wird im Bockenheimer Depot gespielt, einem ehemaligen Straßenbahnbetriebshof. Das dreischiffige Industriedenkmal steht seit dem Jahr 1979 unter Denkmalschutz und bietet per se schon eine besondere Atmosphäre. Auf die übliche Guckkastenperspektive wurde diesmal verzichtet. Die Bühne verläuft längs durch die Halle, das Publikum sitzt auf je fünf Reihen seitlich verteilt. Sieben Ackerfurchen durchziehen die Mittelhalle (vergleichbar mit einem großen Spargelfeld). Nicht wenig Erdmasse wurde hierfür eingebracht (rund 24 Tonnen Lehm). Weitere authentische Materialien (wie Wasser, ein Eisblock, hölzerne Rankhilfen) kommen zum Einsatz. Eine spiegelnde Sonnenscheibe von fünf Metern Durchmesser sorgt vom Westen her für eine stimmungsvolle Ausleuchtung.

Von der Ostseite schwebt ein Hausgerüst aus Schilfrohren und fährt später ein goldenes Podest herein. Auf ihm befinden sich Insignien der Wollust (u. a. eine goldene Sau bei The Prodigal Son) und der Versuchung (ein Granatapfelbaum bei The Burning Fiery Furnace). Ergänzend kommt ein Schmelzofen zum Einsatz, indem die imposante goldene Büste des Merodak gegossen und sodann freigelegt wird (Bühnenbild: Bernhard Siegl).

So geht es neben den eigentlichen Geschichten der Parabeln auch um Fragen zur Gerechtigkeit in unserer Welt: „Das Verhältnis von Arbeit und Wohlstand; von wem wird etwas erwirtschaftet und wer konsumiert es? Im Vordergrund steht außerdem der Umgang mit Ressourcen – mit dem, was uns als Schöpfung anvertraut ist.“ (Manuel Schmitt).

Zur bäuerlichen Landwirtschaft passt die in Erdtönen gehaltene einfache Bekleidung der Knechte und der Bettler. Farbiger und modischer geht es bei den ausschweifenden Festen zu, sei es bei den Exzessen des abtrünnigen Sohnes oder den Feierlichkeiten anlässlich der Einweihung des Standbildes bei Nebukadnezar. Modern gekleidet sind die mit Koffern auf Wanderschaft befindlichen drei Jünglinge. Exaltiert und leicht divers wirken die Hüte nebst Schleier des Versuchers und des Astrologen (Kostüme: Dinah Ehm).

The Burning Fiery Furnace
Oper Frankfurt
auf dem goldenen Podest v.l.n.r. Der Astrologe (Abt; Danylo Matviienko), Nebukadnezar (Michael McCown) und Herold und Führer der Höflinge (Jarrett Porter) sowie Ensemble
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Filigrane Musik, subtil dargeboten

Für seine Kirchenparabeln wählte Benjamin Britten eine Orchesterbesetzung in kammermusikalischer Größe. Lediglich neun Musiker*innen sind beteiligt. Sie sind auf der Nord-Seite in der Mitte platziert. Aufgrund der Distanzen in der weiten Halle liegt hier schon allein hinsichtlich der richtigen Lautstärke eine Herausforderung vor. Bei dieser Neuproduktion hat Lukas Rommelspacher die musikalische Leitung inne. Er arbeitet als Solorepitor an der Oper Frankfurt und ist Gründer und künstlerischer Leiter des Clara Schumann Orchesters Frankfurt. Brittens filigrane Komposition fächert er subtil auf, die Mitglieder des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters vermitteln den Klang sehr plastisch.

Bei der Besetzung der Darsteller ist auffällig, dass es sich um einen reinen Männerabend handelt. Auf helle Stimmen wird aber nicht verzichtet, dafür sorgen spielfreudig fünf Solisten des Kinderchors der Oper Frankfurt (Einstudierung: Álvaro Corral Matute).
Die Hauptpartien sind durchweg mit Ensemble- bzw. Opernstudiomitgliedern besetzt (z. T. mit ehemaligen).

The Burning Fiery Furnace
Oper Frankfurt
stehend v.l.n.r. Azarja (Pilgoo Kang), Misael (Brian Michael Moore), Hananja (Barnaby Rea) und Der Astrologe (Abt; Danylo Matviienko) sowie sitzend Herold und Führer der Höflinge (Jarrett Porter; mit langem Haar) und Ensemble
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Tenor Michael McCown, bereits seit 2001 im Ensemble, gibt den Versucher und den Nebukadnezar. Die Figur des Versuchers wurde von Britten geschaffen. Er umgarnt und manipuliert in mephistophelischer Weise den jüngeren Sohn, um ihn vom rechten Weg abzubringen. McCown macht dies mit intensiver Bühnenpräsenz und ideal angepasster Stimmführung. Den Nebukadnezar zeigt er mit starker Autorität.
Die helle Tenorstimme Brian Michael Moores passt hervorragend zu dem ausbrechenden jüngeren Sohn. Zieht dieser auch, allein durch seinen Ritt auf der goldenen Sau, alle Aufmerksamkeit auf sich, geht es beim Gleichnis vom verlorenen Sohn aus dem Lukasevangelium aber eigentlich um den älteren Sohn. Denn sein Unverständnis sollte den Pharisäern zu denken geben und auf die von Jesus verkündete bedingungslose Liebe Gottes zu allen, nicht nur zu den Frommen, hinweisen. Bariton Jarrett Porter zeigt die Empörung des älteren Sohns mit angepasster Vehemenz (wie auch aös Herold und Führer der Höflinge). Den gütigen und weitsichtigen Vater verkörpert Bass Magnús Baldvinsson mit seiner gehaltvollen Stimme gänzlich glaubwürdig.

Der Astrologe in The Burning Fiery Furnace ist dank Bariton Danylo Matviienko eine faszinierende Erscheinung. Seine maskuline Ausstrahlung und seine prägnante, kernige Stimme stehen hier in einem gewissen Widerspruch zur optischen Erscheinung mit Federhut und höheren Absätzen. Als die drei Jünglinge im Feuerofen überzeugen Barnaby Rea (Hananja), erneut Brian Michael Moore (Misael) und Pilgoo Kang (Azarja). Dazu gibt es ein Vokalensemble als Schmarotzer, Bettler und den Chor der Höflinge (Kiduck Kwon, Stephen Matthews, Richard Franke, Younjin Ko, Gideon Henska, Christopher Jähnig, Agostino Subacchi).

Verbindung zur Gegenwart

Das Publikum auf diese Zeitreise zurück bis ins 6. Jahrhundert vor Christus mitzunehmen gelingt nicht zuletzt mit zwei kleinen Ergänzungen. Zu Beginn von The Prodigal Son tragen die Mönche ein Modell des Bockenheimer Depots herein und platzieren es vor dem Orchester. Zum finalen Auszug von The Burning Fiery Furnace wird es wieder herausgetragen. Außen- und Innenwelt werden hier sinnbildlich miteinander verbunden. Eine heiter anmutende Anspielung gibt es zum Ende von The Burning Fiery Furnace, wenn ein Hightech-Roboter (die Technik als Götzenbild des 22. Jahrhunderts) in Form eines Hundes ein kleines Pflänzchen hereinbringt und Hoffnung und ein Neubeginn gesät wird.

Die große Begeisterung beim Publikum zeigte sich beim lang anhaltenden Schlussapplaus.

Markus Gründig, April 23


The Prodigal Son / The Burning Fiery Furnace

Zwei Kirchenparabeln

Von: Benjamin Britten:
Texte von: William Plomer nach der Heiligen Schrift

Uraufführung The Prodigal Son: 10. Juni 1968 (Orford/Suffolk, Bartholomäuskirche)
Uraufführung The Burning Fiery Furnace: 9. Juni 1966: (Orford/Suffolk, Bartholomäuskirche)

Premiere / Frankfurter Erstaufführung der Oper Frankfurt: 2. April 23 (Bockenheimer Depot)
Besuchte Vorstellung: 5. April 23

Musikalische Leitung: Lukas Rommelspacher
Inszenierung: Manuel Schmitt
Bühnenbild: Bernhard Siegl
Kostüme: Dinah Ehm
Licht: Jonathan Pickers
Einstudierung Kinderchor: Álvaro Corral Matute
Dramaturgie: Konrad Kuhn

Besetzung:

The Prodigal Son
Der Versucher (Abt): Michael McCown
Vater: Magnús Baldvinsson
Älterer Sohn: Jarrett Porter
Jüngerer Sohn: Brian Michael Moore
Chor der Knechte, Schmarotzer und Bettler: Kiduck Kwon, Stephen Matthews, Richard Franke, Younjin Ko, Gideon Henska. Christopher Jähnig, Agostino Subacchi
Junge Knechte und Stimmen aus der Ferne: Soli des Kinderchores der Oper Frankfurt

The Burning Fiery Furnace
Nebukadnezar: Michael McCown
Der Astrologe (Abt): Danylo Matviienko
Hananja: Barnaby Rea
Misael: Brian Michael Moore
Azarja: Pilgoo Kang
Herold und Führer der Höflinge: Jarrett Porter
Chor der Höflinge: Kiduck Kwon, Stephen Matthews, Richard Franke, Younjin Ko, Gideon Henska, Christopher Jähnig, Agostino Subacchi
Fünf Begleiter: Solisten des Kinderchores der Oper Frankfurt

Frankfurter Opern- und Museumsorchester

oper-frankfurt.de