kulturfreak.de Besprechungsarchiv Oper, Teil 4

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Simon Boccanegra

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
24. Mai 07

Oft verdeckt vor Vorstellungsbeginn kein Vorhang die Bühne. Nicht so bei dieser Inszenierung, hier ist anfangs sogar der mächtige eiserne Vorhang herabgelassen. Kein warmes Rot empfängt so den Zuschauer, sondern eine nackte kahle graue Wand. Schließlich fährt der eiserne Vorhang langsam hoch und gibt den Blick frei auf das in großer Schar versammelte Genueser Volk, dass wie eingefroren frontal zum Publikum steht. Von einer üppigen Kulisse ist nichts zu erkennen, keine Kirche San Lorenzo im Hintergrund, kein Palast der Fieschi an der Seite. Große Traversen aus Aluminium bestimmen das Einheitsbühnenbild von Johannes Leiacker, die seitlichen Flächen sind mit weißen Tüchern bespannt: eine mächtige Alukonstruktion, ganz so wie man sie von großen Open-Air Konzerten her kennt. Es ist ein unwirklicher, zeitloser Raum für Verdis politischste und dunkelste Oper (entsprechend zeitlos sind auch die dezenten Kostüme von Bettina Walter).
Regisseur Christof Loy lässt diesen Raum erst einmal auf das Publikum wirken, denn zunächst passiert nichts. Publikum und Volksmassen schauen sich minutenlang Aug ins Aug. Die Stille, diese Spannung gilt es auszuhalten, was einigen Besuchern in Zeiten multimedialer Dauerbeeinflussung schwer fällt, so daß gar „anfangen!“-Rufe zu vernehmen sind. Anfänglicher Skepsis ob der reduzierten Bühnenoptik zur verworrenen Handlung, weicht schon bald Respekt und Achtung für Loys ausgefeilte Regie. Er verzichtete auf jegliches Beiwerk, konzentriert sich detailliert allein auf das Seelenleben der Personen in dieser patriarchalischen Gesellschaft und schuf damit eindrucksvolle Bilder. Weniger ist mehr, hier trifft dieser Satz voll zu.
Die Oper vereinigt politische Verwicklungen und Intrigen mit einem Drama persönlicher Tragik und selbst Verdi benötigte Hilfe von Arrigo Boito bei der dramaturgischen Umsetzung der Textvorlage. „Simon Boccanegra“ ist aber nicht nur reich an psychologischen Themen, es gibt auch viele emotionale musikalische Themen. Frankfurts Generalmusikdirektor Paolo Carignani unterstützt Loys ausgefeilte Regie, in dem er das Frankfurter Museumsorchester mit äußerst differenziertem Spiel zu brillanter Hochform führte.

Ebenbürtig zur außerordentlichen Leistung der Regie und des Orchesters, stand die Sängerleistung in nichts nach. Dabei ist die Oper nicht unbedingt der Sänger Liebling, hat sie doch nur wenige Arien (und gar keine für die titelgebende Hauptperson). Željko Lučić, superb in der Rolle des Simon Boccanegra, verwandelt dieses Manko zu seinem Vorteil. Neben seiner ausgeprägten darstellerischen Präsenz macht er mit seiner kraftvollen, dunkel timbrierten Baritonstimme diese Aufführung zum Saisonhöhepunkt der Oper Frankfurt.
Johannes Martin Kränzle präsentiert sich in Höchstform als Plebejer-Schurke Paolo Albiani und Bálint Szabó gibt Simons noblen Gegenspieler Jacopo Fiesco. In der einzigen weiblichen Hauptrolle besticht die italienische Sängerin Annalisa Raspagliosi in der Rolle der Amelia Grimaldi (Maria). Aber auch die anderen Stimmen – Paul Charles Clarke in der Rolle des Gabriele Adorno oder Pavel Smirnov als Pietro – heben diese Inszenierung weit über das ohnehin hohe Niveau der Oper Frankfurt noch hinaus.

Markus Gründig, Mai 07


La traviata

Oper Frankfurt, Wiederaufnahme 2006/2007
Besuchte Vorstellung: 28. April 07 (Wiederaufnahmepremiere)

Ein junges Paar liebt sich aufrichtig, doch weil nicht sein darf, was sich nicht gehört, hat ihre Liebe keine Chance. Am Ende finden Sie dann doch noch zueinander, da liegt sie aber bereits im Sterben. Giuseppe Verdi hat mit seiner sozialkritischen „La Traviata“ (= „die vom Weg Abgekommene“) eine traurige, anrührende Geschichte nach der Vorlage von Alexandre Dumas Kameliendame zu einem musikalischen Glanzstück vertont. La Traviata ist nicht nur eine der am meist gespielten Opern, ihre emotionsgeladenen Lieder vom Martyrium einer liebenden Frau sind fast jedem Opernfreund bekannt, weltweit.
Außerordentlich erfolgreich ist auch die schon legendäre „La Traviata“-Inszenierung von Axel Corti (1933-1993) an der Oper Frankfurt, die im Oktober 1991 Premiere feierte und nun zum neunten Mal wiederaufgenommen wurde (bei einem bis auf den letzten Platz vollem Opernhaus, szenischen Leitung: Bettina Giese). Die Pariser Spaßgesellschaft verlegte Regisseur Axel Corti dezent in das von der Hitler-Armee okkupierte Paris der frühen vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Er verstärkte dadurch den ohnehin schon vorhandenen Charakter von einem über der Gesellschaft schwebenden Unheil. Die fünf fabelhaften Bühnenbilder von Bert Kistner sind von zeitloser Eleganz und ganz klassisch gehalten. Dank Einsatz der großen Drehbühne erfolgen die Wechsel schnell (und zeigen dem Publikum gleichzeitig das Potenzial des Hauses). Drohendes Unheil deutet sich im prunkvollen Festsaal (mit Galatreppe) an: hier hat im oberen Bereich bereits eine Bombe eingeschlagen (ebenso in Valerias Landhaus). Sirenengeheul zum Fliegeralarm vertreibt die Partygäste der Demimonde. Die Schlussszene in einem Pariser Bahnhof ist dunkel gehalten, die Bahnhofsuhr ist nur noch verschwommen wahrzunehmen, die deutschen Besatzer patrouillieren mit einem Schäferhund. Ausgleichend und ausgesprochen heiter wirkt das Schlussbild des zweiten Akts, statt in einem großen Saal in Floras Palais spielt die Szene in einem rasch aufgebauten Zirkuszelt mit Varietécharakter (dazu gibt es große Stabpuppen und riesige Schwellköpfe, die Gäste ziehen durch den Publikumsraum ein).
Eine Pause gibt es nach dem zweiten Akt, also erst nach rund 100 Minuten, das hat fast Wagner-Format. Allerdings dürfte Niemandem diese 100 Minuten als lang vorkommen, die Inszenierung ist derart packend, dass die Zeit im Gegenteil viel zu schnell vergeht. Entscheidenden Anteil daran hat das Sängerensemble, bei dem sich insbesondere die drei Hauptrollen in Höchstform präsentierten. Die gebürtige Bulgarin Svetlana Doneva ist eine erfahrene Violetta, hat sie diese Rolle doch nicht nur schon in Frankfurt, sondern u.a. auch in Barcelona, Madrid, Rom und Zürich interpretiert. Mit ausgreifender Expressivität offenbarte sie glaubhaft Violettas schmerzvolles Seelenleben und führte ihre Stimme zu eleganten Koloraturen und raffinierten Pianissimowirkungen.
Als Alfredo Germont ist der russische Tenor Andrej Dunaev erneut zu Gast in Frankfurt, der hier bereits als Rodolfo in Puccinis La Bohème sowie in der Titelpartie von Gounods Faust zu erleben war. Mit belkantischer Strahlkraft betörte er mit biegsamer und höhensicherer Stimme.
Aufgrund Erkrankung von Paolo Ruggiero verkörperte der Bariton Željko Lučić bereits bei dieser Wiederaufnahmepremiere die Rolle des Giorgio Germont (Vater). Seit 1998 im Ensemble der Oper Frankfurt, startete er seine internationale Karriere 2005 im Londoner Covent Garden und debütierte 2006 an der Metropolitan Opera in New York. Da kann man nur hoffen, dass er dem Frankfurter Publikum noch lange erhalten bleibt. Denn sein Germont ist ein auf den Punkt besetzter selbstgefälliger Patriarch, mit bravourösen warmen wie dunklen Klang.
Das Frankfurter Museumsorchester spielte unter der Leitung von Pier Giorgio Morandi mit raschen, vorwärtsdrängenden Tempi, sängerfreundlich zurückhaltend. Mit großer Spielfreude präsentierte sich auch der Chor der Oper Frankfurt, bei dem besonders die Damenstimmen sich beim Starkmachen für Violetta hervorhoben.

Wer nicht bis zur zehnten Wiederaufnahmeserie warten möchte, hat noch am 1., 5., 12., 17. und 26. Mai 07 die Gelegenheit, diese traviata zu sehen und zu hören.

Markus Gründig, April 07


Eine florentinische Tragödie / Der Zwerg

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
21. April 07

Zemlinsky wer? Gemeinhin ist der 1871 in Wien geborene Komponist und Dirigent Alexander Zemlinsky nur den wenigsten bekannt. Dabei umfasst sein musikalisches Œuvre neben acht Opern unter anderem auch eine Vielzahl an Lieder, Kammermusik und Orchesterwerken. Er lernte bei Brahms, unterrichtete u.a. Arnold Schönberg und Erich Wolfgang Korngold, hatte engen Kontakt zu Gustav Mahler. Zemlinski folgte der Radikalität seines Schülers Schönberg nicht, in seinem musikalischen Schaffen blieb er stets tonal, was neben dem Vorwurf des Eklektizismus zur pauschalen Etikettierung als „Spätromantiker“ führte. Dennoch: auch wenn sein musikalischer Stil unverkennbar von Brahms, Wagner, Mahler und Schönberg beeinflusst ist, verstand Zemlinsky es aus diesen Vorlagen genial seinen eigenen unverwechselbaren Stil zu formen.

Die beiden Einakter „Die florentinische Tragödie“ und „Der Zwerg“ beruhen beide auf Textvorlagen des irischen Skandalautors und Dandys Oscar Wilde, der seine Andersartigkeit und Exzentrik offen zur Schau stellte und dadurch seine Landsleute stark provozierte. Beiden Geschichten lassen autobiografische Bezüge zu Zemlinsky erkennen, der in der Liebe kein dauerhaftes Glück fand und stark an sich selbst zweifelte.

Für den wohlhabenden Tuchhändler Simone in „Eine florentinische Tragödie“ schuf Bühnenbilder Tobias Hoheisel einen großen eleganten Wohnsaal. Mit dunklem Holz vertäfelte Wände, eine mondäne Deckenkonstruktion mit goldenen Mosaiksteinen und ein festlich gedeckter Tisch vermitteln Wiener Eleganz zu Begin des 20. Jahrhunderts (der Zeit entsprechen auch die Kostüme von Eva Dessecker). Statt einem Bett für die in flagranti erwischte Bianca (Claudia Mahnke) und Guido (Carsten Süß), stellt Regisseur Udo Samel ein nacktes Paar (Aphrodite und Eros) an ihre Seite, das sich nach wenigen Sekunden dezent verzieht. Was folgt ist der Dialog zwischen Simone und Guido (letztlich mehr ein Monolog Simones). Dass die Beziehung zwischen Bianca und Simone schon länger gestört ist, verdeutlicht eine Kindereisenbahn als Ersatzspielzeug für Simone. In Abwandlung des Originals geht Regisseur Udo Samel konsequent mit Biancas Gefühlen weiter, die ja ihren Freund anstachelte, den Ehemann zu töten. Statt nach dem Tod Guidos die beiden in Ekstase übereinander herzufallen zu lassen, lässt Samel Bianca ihren Ehemann und Mörder ihres Liebhabers, Simone töten. Robert Hayward gibt den Simone mit großer Anmut und voller stimmlicher Autorität, er zeigt die Entwicklung von anfänglicher Zurückhaltung bis zur kampfbereiten Eifersucht authentisch nach.

Der zweite Einakter, “Der Zwerg“, spielt im Schloss des spanischen Königs, demgemäß ist der Saal noch größer, noch eleganter und mit viel Licht durchflutet. Raumhohe Öffnungen geben den Blick in den durch eine Hecke begrenzten Garten frei. Doch die freundliche, lockere Atmosphäre mit Ball spielenden Jungerwachsenen und einen über die Bühne laufenden Hund täuscht: das Böse lauert versteckt in den Köpfen des Haushofmeisters Don Estoban (Florian Plock) und der Infantin (Kronprinzessin) Donna Clara (Juanita Lascarro). Zu ihrem 18. Geburtstag bekommt sie wertvolle Geschenke vom Papst und vom Kaiser, aber „das Schönste ist… scheußlich“: ein vom Sultan gesandter Zwerg, klein und verwachsen, der von seiner Hässlichkeit nichts weiß, da er sich noch nie in einen Spiegel gesehen hat. Er gibt sich als stolzer Ritter, verliebt sich in Donna Clara doch bleibt er nur ihr kurzweiliger Zeitvertreib, mit fataler Folge für ihn. Peter Bronder überzeugt in der Rolle des Zwerges grandios, sowohl darstellerisch wie sängerisch und lässt diesen Einakter zu einem außergewöhnlichen, eindrucksvollen Erlebnis werden. Er wurde nicht auf hässlich getrimmt. In schlichter schwarzer Kleidung und schick frisiertem blondem Haar gelingt es ihm, die Not des Zwerges auch so bildlich aufleben zu lassen und das Mitgefühl nicht nur der Zofe Ghita, sondern auch der Zuschauer zu erwecken (sein starker Tenor belegt zudem dass es nicht das Format eines Pavarotti bedarf, um eine Bühne zu beherrschen).
Einen optischen Leckerbissen für Liebhaber klassischer Kostüme bilden die historischen Kleider der Gespielinnen der Infantin. Die Dienerschaft ist dem Hause angemessen in eleganten Arbeitskleidern ausgestattet (Kostüme: Tobias Hoheisel).

Das in beiden Einaktern die Gefühlswelt der Protagonisten so deutlich zu Tage trat, war nicht zuletzt ein Verdienst von Paul Daniel. Unter seiner Leitung spielte das blendend disponierte Frankfurter Museumsorchester Zemlinskys Traum- und Leidenswelten die volle Klaviatur der Gefühle: von sanfter Zärtlichkeit bis zur explosiver Erregung.
Beide Einakter werden ohne Übertitel geboten, die Libretti sind jedoch im beachtenswerten Programmheft abgedruckt. Ein Besuch dieser Operraritäten ist noch am 27. April, 4., 6. und 11. Mai 07 möglich.

Markus Gründig, April 07


Mozart und Salieri – ein Requiem

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
10. März 07 (Premiere)

Mozart und Salieri ist eine schon an sich nur sehr selten aufgeführte (Kurz-) Oper von Nikolai Rimski-Korsakow. Die Oper Frankfurt präsentiert dieses Werk jetzt quasi als Nachschlag zum vergangenen Mozartjahr in Koproduktion mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main(HfMDK) im Rahmen der Hessischen Theaterakademie, als ein noch ungewöhnlicheres Werk, nämlich in Verbindung mit Mozarts Totenmesse, seinem Requiem. Zwar hatte bereits Rimski-Korsakow einen Teil des Requiems in die Oper integriert (das „Lacrimosa“), Jungregisseur Benjamin Schad hat hier jedoch die komplette Oper in das Requiem eingerahmt. Das Requiem dient dem handlungsarmen Stück als Gelegenheit, zusätzlich einen Chor als Volk zu integrieren und das Stück somit zu erweitern (nicht nur in zeitlicher Hinsicht).
„Mozart und Salieri – Ein Requiem“, da schwingt der Tod schon im Titel mit. Grundlage dieser Oper ist das gleichnamige Theaterstück von Alexander Puschkin. Puschkin benutzt die Figuren Mozart und Salieri, doch behandelt er sie mehr als Archetypen. Salieri, der sich seine Kunstfertigkeit mit viel Verzicht hart erarbeitet hat und Mozart, der mit Leichtigkeit gar zum Himmlischen strebt. So geht es um den Neid als Motiv für Salieris Tötungsabsicht, aber auch um die Rolle der Kunst. Diese ist für Salieri etwas Heiliges, während sie für Mozart mehr der Unterhaltung dient (was durch den von Mozart mitgebrachten blinden Geigenspieler deutlich gemacht wird, der eine Szene aus seinem „Don Giovanni“ spielt; Mozarts Musik genießt im Gegensatz zur Musik von Salieri bereits im gemeinen Volk große Popularität).

Das Zwiegespräch der beiden findet in einem Gasthaus statt und so ist es nur konsequent, wenn Robert Vargas karge Bühne vor allem aus mehreren quadratischen Tischen nebst Stühlen besteht, die immer wieder verschoben werden und gar dazu dienen, Mozart den Boden unter den Füßen wegzuziehen.
In dem größeren Part des Salieri ist, mit herrlichem Baß, Bálint Szabó zu erleben. Peter Marsh erobert sich die Herzen der Zuschauer als, auch stimmlich, gut aufgelegter und fideler Mozart. Beide sind in historische Kostüme gekleidet (was die Identifikation erleichtert), das junge Volk zeigt sich dagegen modern und leger gekleidet (Kostüme: Konstanze Walldorf). Bestens gefallen auch die beiden Requiem-Solosängerinnen: Tamara Weimerich und Katharina Magiera.
Beim Vokalensemble der HfMDK (verstärkt mit Mitgliedern des Extrachores) stechen vor allem die Damenstimmen hervor, die Herren sind teilweise etwas zu zurückhaltend (oder vielleicht auch nur zu schwach besetzt).
Freunde russischer Musik kommen bei dieser Produktion nicht auf ihre Kosten, da Salieri und Mozart in Deutsch singen. Dies dient hervorragend der Verständlichkeit, der typisch russische, schwere und melancholische Klang ging dabei allerdings verloren. Die Passagen des Requiems werden auf Latein gesungen (wobei man sich auf die Teile des Requiems beschränkte, die Mozart selber geschrieben hat).
Liebhaber des Requiems können diese wunderbar emotionalen Melodien in einem neuen, interessanten Kontext erleben. In der Tat ist aus diesen zwei Werken hier etwas ganz Neues entstanden. Am Ende stürmischer, ja heiterer Applaus, vor allem von den hohen Rängen.

Markus Gründig, März 07


Curlew River

Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot
Besuchte Vorstellung: 9. Februar 07 (Wiederaufnahme-Premiere)

Mit Curlew River“ präsentierte die Oper Frankfurt im Jahr 2005 eine außergewöhnliche Rarität. Jetzt, zwei Jahre später, wurde dieses Ausnahmestück für fünf Vorstellungen wieder in den Spielplan aufgenommen. Benjamin Britten ist ja vor allem durch seine Opern „Peter Grimes“ (aktuell von Sebastian Baumgarter in Dresden inszeniert) und „The Turn Of The Screw“ bekannt (Stücke, die bereits auch erfolgreich in Frankfurt liefen). „Curlew River“ dagegen wird nur überaus selten aufgeführt. Dies liegt zum einen daran, dass es eine Kirchenparabel ist, zum anderen an der zugrunde liegende Form des traditionellen japanischen Nō-Theaters (welches durch die Einheit von Wort, Musik, Bewegung und Darstellung gekennzeichnet ist).
Angeregt duch den Erfolg seines „Noye’s Fludde“ überlegte Britten, wie er Grundzüge aus dem Bereich der Oper in die Kirche übertragen kann. Fündig wurde er bei dem mittelalterlichen Nō-Spiel Sumidagawa (von Juro Motomasa), dass er bei seiner Japanreise 1956 zweimal gesehen hatte. Sein Freund William Plomer fertigte für ihn aus dieser Vorlage ein Libretto, bei dem die Geschichte von der japanischen Provinz Musashi nach Fenland (Grafschaft Cambridgeshire, England) verlegte wurde und der Sumida-Fluss in „Curlew River“ (Fluss der Möwen) umbenannt wurde. Plomer hatte viele Jahre in Japan gelebt und war mit den Besonderheiten des Nō-Theaters bestens vertraut. Die Schwierigkeit bei der Übertragung war weniger die Handlung, als die im Stück, wie bei allen No-Stücken, beinhaltende buddhistische Lehre, hier der Übergang menschlichen Lebens und die Aussicht auf Schmerzen und Leiden die Menschen widerfahren können, wenn sie ohne Anerkennung einer höheren Philosophie leben. So entstand die erste Kirchenparabel (eine dem Gleichnis verwandte Form), bei der es auch um die Vermittlung einer Sinnebene geht (zwei weitere folgten: „The Burning Fiery Furnace“ (1966) und  The Prodigal Son  (1968)).

Zeitlich beließen Britten und Plomer das Stück im Mittelalter. Eröffnet wird es mit dem gregorianischen Chorgesang „Te lucis ante terminum“, auf dem Britten das ganze Werk aufbaute. In der Inszenierung der Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot ziehen zu Beginn die Mönche vom Bühnenhintergrund bis vor das Publikum, die Musiker folgen. Als Tribut an das Nō-Theater ist das Kammerorchester praktisch im Bühnenhintergrund untergebracht. Wobei die Bühne hier ein großer Quader mit zwei Ebenen ist. Auf der höheren, hinteren Ebene sitzen die Musiker hinter einem Gazevorhang, auf der vorderen Ebene findet sodann das Mysterienspiel (im Spiel) statt (dazu gibt es einen freien Platz zwischen diesen beiden Ebenen). Die Mönche tragen schwarze Einheitstracht, wobei auch, die zwar farbigen, Kleider des Abts, des Reisenden und des Fährmanns, einen ähnlichen fernöstlichen Charakter haben (Bühne und Kostüme: Moritz Nitsche).
Axel Weidauer (Inszenierung und szenische Leitung der Wiederaufnahme) greift die Tradition des Nō-Theaters, die Langsamkeit, auf. Bewegungen werden äußerst zurückhaltend und ökonomisch verwendet. Jede kleine Handbewegung, jede Drehung des Kopfes, hat hier ihre Bedeutung. Simon Bailey als Fährmann und John Mark Ainsley als Die Verrückte sind dabei ganz besonders gefordert und sie spielen mit starker Präsenz. Bailey´s kraftvoller Bassbariton verleiht dem Fährmann große Autorität, der Tenor Ainsley erfreut mit einem starken Nuancierungsvermögen, mit beeindruckendem Volumen und dennoch lyrisch weichem Stil.
Ainsle trägt als Kenzeichnung seiner Frauenrolle eine Halbmaske, wie bereits Peter Pears bei der English Opera Group Produktion von 1964.
Ebenfalls als Tribut an das Nō-Theater fügte Britten weitere Instrumente ein, erhöhte ihre Bedeutung und isolierte sie. Dies führte dazu, dass Britten für dieses Stück eigentlich keinen Dirigenten mehr vorgesehen hat (zumal das Orchester aus nur sieben Musikern besteht). Bei der Inszenierung der Oper Frankfurt leitet Erik Nielsen das Instrumentalensemble der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main, reizend sind vor allem die selten gehörten Klänge, wie beispielsweise die der Glocken, oder auch das Spiel der Flöte und der Harfe.
“Curlew River“ bietet die seltene Gelegenheit, einmal eine ganz andere Theaterform zu erleben und einen überaus sehenswerten, 90minütiger Ausflug in eine andere Welt.

Markus Gründig, Februar 07


Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
1. Februar 07

Die Geschichte des zwischen den Sinnesrausch der Venus und der normalen Welt hin und her gerissenen Tannhäuser hat Richard Wagner im 13. Jahrhundert angesiedelt, eine Zeit, die er nicht kannte, genauso wenig wie wir heute. So ist es nur zu verständlich zu fragen, wie diese Oper im Jahr 2007 auf die Bühne gebracht werden kann. Die junge Regisseurin Vera Nemirova entschied sich, angeregt durch gesehene Szenen bei einem Pabstbesuch, die zeitlose Sehnsucht der Menschheit nach etwas Höherem, einem Sinn und nach Erlösung einprägsam mit der Musik Wagners zu verbinden. In der aktuellen Neuinszenierung ziehen bereits vor dem ersten Orchesterton eine bunt gemischte Schar Pilger auf den Venusberg ein. Dort breiten sie gelassen Decken aus, auf denen sie sich, nachdem sie ein großes Kreuz aufgestellt haben, ablegen. Es herrscht eine entspannte Stimmung wie bei einem Open-Air-Concert oder auch wie bei einem Kirchentag. Während der leidenschaftlichen Ouvertüre, ändert sich auch die Stimmung dieser Pilger. Sie ziehen zum Baden ans Wasser, tanzen, sind euphorisch und vereinigen sich entkleidet (mit körperfarbenen Trikotagen) zum leidenschaftlichen Liebesspiel. Ein bildgewaltiger, starker und schlüssiger Auftakt.
Die Szenerie für die drei Akte ist nüchtern gehalten, Johannes Leiacker (auch Kostüme) entschied sich für einen kühlen, überwiegend leeren Grundraum, bei dem nur im Hintergrund ein Wolkenprospekt für Stimmung sorgt. In der Mitte steht eine Straßenlaterne, die allen Räumen einen öffentlichen Charakter verleiht.
Besonders abwechslungsreich geht es im zweiten Akt zu, wo sich die Sänger vor einer Stadiontribüne einfinden, eingerahmt von vier flotten Hostessen und Bier trinkenden Juroren. Schließlich lässt eine große deutsche Brauerei in ihrem Werbespot eine Sequenz dieser Oper erklingen. Da diese Brauerei auch noch ihren Sitz in Frankfurt hat, ist der Brückenschlag perfekt und ihr Name und Emblem wird, leicht abgeändert, großflächig eingeblendet (als kleine Reminiszenz an Frankfurt wurde sie in „Rödelheimer“ umbenannt, Rödelheim ist ein Stadtteil von Frankfurt). Eine TV-Kamera filmt den Song Contest, die Bilder werden auf den großen Wolkenprospekt übertragen.
Dem Titel „Sängerkrieg auf Wartburg“ gerecht zu werden, ist nicht einfach. Zumal die Partie des Tannhäuser als mörderischste aller Wagnertenorpartien gilt. Ian Storey zeigt sehr gut die Zerrissenheit Tannhäusers zwischen Venus und Elisabeth auf und bleibt ein ewig Zweifelnder. Christian Gerhaher führt den Wolfram von Eschenbach als Edelmann vor, auch gesanglich (seinen wunderbaren Bariton hatte er zuletzt ausführlich bei seinem Liederabend im Juni 06 vorgeführt). Danielle Halbwachs eröffnet als Elisabeth ihre „Dich teure Halle grüß ich wieder“ im Publikum und überzeugt mit ihrem klar geführtem Sopran. Elena Zhidkova gibt eine kühle und elegante Liebesgöttin im schwarzen Leder. Stimmgewaltig präsentiert sich wie gewohnt der Chor, Generalmusikdirektor Paolo Carignani und das Frankfurter Museumsorchester lassen die Wagnerischen Leidenschaften ordentlich toben, ohne sie aber vollends zu entfesseln.
Eine moderne und doch zeitlose Interpretation, eine Aufführung die szenisch überzeugt, ohne in Effekthascherei zu verfallen und die nicht zuletzt auch musikalisch bestens gefällt (einziges Manko: leider werden keine Übertitel angezeigt).

Markus Gründig, Februar 07


Giasone

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
24. Januar 07

Welch schöne Wirkung hat doch die Liebe

Zur Vorbereitung auf „Giasone“ kann man ein Antikenlexikon studieren um sich mit den Figuren Jason, Medea, Isifile, Orest etc, sowie über Begriffe wie das Goldene Flies oder über die Argonauten zu informieren. Man kann sich diese Oper aber auch einfach vollkommen unvorbereitet ansehen und stellt schnell fest, dass es sich bei „Giasone“ um eine ganz normale Boulevardkomödie handelt. Francesco Cavalli benutzte mit der Textvorlage Giacinto Andrea Cicogninis einfach Figuren der Antike, um eine besinnliche und gleichwohl heitere Geschichte über einen Mann zu vertonen, der sich nicht zwischen zwei starken Frauen entscheiden kann. In Hollywood würde aus so einem Thema heute vermutlich ein hochemotionaler, effektvoller Film um Sex und Crime machen. Cavalli hatte diese Möglichkeiten nicht, gleichwohl gelang es ihm, das italienische Publikum mit dieser Oper bestens zu unterhalten. Er gilt als der Begründer der venezianischen Oper, nach dem Tod seines Vorbildes Monteverdi wurde er zum erfolgreichsten und mit den meisten Aufführungen bedachte Opernkomponist Italiens, sein „Giasone“ gar zur populärsten Oper des 17. Jahrhunderts.

Eine Woche vor der Neuinszenierung von Richard Wagners „Tannhäuser“ hatte „Giasone“ Premiere an der Oper Frankfurt, zwei Premieren innerhalb so kurzer Zeit, das ist ungewöhnlich, selbst für ein so produktives Haus wie es die Oper Frankfurt ist. Dass dies möglich wurde, liegt nicht nur daran, dass die Oper Frankfurt mit dem Bockenheimer Depot eine zweite Spielstätte hat, sondern auch daran, dass hier eine Produktion übernommen wurde, die im Jahr 2004 bereits im österreichischen Theater Klagenfurt gezeigt wurde. Die Übernahme stand kurz vor Probenbeginn auf der Kippe, denn die Regisseurin Anouk Nicklisch verstarb im Dezember 06 unerwartet. Doch mit gemeinsamer Anstrengung aller Beteiligter wurde die Oper von Andrea K. Schlehwein und Roland Aeschlimann einstudiert, nicht zuletzt um das Werk Anouk Nicklischs zu würdigen.

Ein alter Stoff-Bezug und Barockmusik lässt eine antiquierte Inszenierung vermuten, die Bühne von Roland Aeschlimann ist demgegenüber jedoch konträr, zeitlos, modern und abstrakt: ein großer weißer Quader mit multiplen Erscheinungsformen steht auf einer Drehscheibe, mit geschlossenen Fronten, schwenkbaren Dreieckswänden und ringförmigen Scheiben, die sich zu einer Kugel auffächern lassen. Modern sind auch die Kostüme von Andrea Aeschlimann. Die böse Medea trägt ein schwarzes Kleid, später ein leidenschaftlich, kämpferisches Kleid in rot und abschließend eins im versöhnlichen blau. Die naive, zurückhaltende Isifile trägt dagegen ein für Unschuld stehendes weißes Kleid.
Wo im alten Venedig Oper früher als Event verstanden wurden, ist es heute eine besondere Herausforderung an die Regie, die Aufmerksamkeit des Publikums für die lange Aufführungsdauer aufrechtzuerhalten, sitzt das Publikum doch anders als früher, die ganze Zeit über fest in den Sitzen.
Die Inszenierung bringt nicht nur durch die Drehbühne und eine fließende Personenführung Bewegung in das Geschehen, auch allerhand Requisiten sorgen für Abwechslung, etwa eine historische Windmaschine für die Sturmszenen, ein Berg von Liebesbriefen für die betrübte Isifile, ein großes schwarz/weißes Herz für den stotternden und dadurch unfreiwillig komisch wirkenden, Demo (Christian Dietz).

In den Hauptrollen überzeugen die starken Frauen, stimmlich wie darstellerisch. Stella Grigorian als leidenschaftliche Medea und Juanita Lascarro als empfindsame Isifile. Den leicht beeinflussbaren Giasone verkörpert bestens der Countertenor Nicola Marchesini.
Neben den Hauptfiguren gibt es noch deren illustre Dienerschaft, die natürlich auch mit intensiven Herzschmerzliebesangelegenheiten zu kämpfen hat oder sich, wie die alte, aber nicht minder liebestolle, Delfa, mit den Gegebenheiten arrangiert hat (Countertenor Martin Wölfel).
Cavalli schuf damals einen neuen musikalischen Stil, als er die Monotonie des Rezitativs mit Arien und Duetten und kurzen instrumentale Intermezzi unterbrach. Ein besonderer Genuss ist daher auch das musikalische Spiel des Frankfurter Museumsorchester unter der Leitung des Barockspezialisten Andrea Marcon, das hierfür mit Gästen verstärkt wurde: neben den klassischen Streichern untermalen Zink, Laute, Barockgitarre und Cembalo dieses hochemotionale Lustspiel. Zum Schlussapplaus tanzt das Ensemble ausgelassen miteinander, die Amors Pfeile hat die Menschen verändert. So ist die Inszenierung nicht zuletzt eine Empfehlung für alle Verliebte und solche, die es gern mal wieder wären.

Markus Gründig, Januar 07


Pelléas et Mélisande

Staatstheater Mainz
Besuchte Vorstellung:
13. Januar 07 (Premiere)

„Pelléas et Mélisande“ beruht auf dem gleichnamigen Drama von Maurice Maeterlinck, einem der wichtigsten Vertreter des Symbolismus. Innerhalb des gängigen Opernrepertoires nimmt diese Oper trotz einer grandiosen Konzeption und seiner speziellen Klangmagie, bei der die Ausdrucksebenen Musik und Bühnengeschehen besonders eng miteinander verbunden, ja verschmolzen sind, eine Randstellung ein, manche sprechen gar von einer „Antioper“. Die Musik dient hier vor allem als Untermalung für den Gesang, übersteigert nie die Dichtung (wie beispielsweise bei Wagner). Claude Debussy schuf mit kargen Melodien Musik für das Unaussprechliche, er verzichtete auf pathetische Töne und auch ganz auf Arien (damit die Handlung der Oper nicht ins Stocken gerät). Wie ein Seismograph hat das Orchester auf die sensiblen Nuancen des Bühnengeschehens zu achten, ohne den Dialog der Personen zu stören. Was dazu führt, das es mitunter auch ganz aufhört zu spielen, beispielsweise bei dem intimen Liebesgeständnis zwischen Pelléas und Mélisande. Bei der Premiere im Staatstheater Mainz gestaltete das Philharmonische Staatsorchester Mainz unter der Leitung von Catherine Rückwardt diesen feinstimmigen Klangteppich, diese nahezu kammermusikalische Musik äußerst zart, intensiv in den wenigen dramatischen Momenten.

„Pelléas et Mélisande“ spielt ohne zeitlichen Bezug in der erdenfernen Märchenwelt von „Allemonde“, einem von Wald und Meer umgebenen Schloss. Das Inszenierungsteam am Staatstheater Mainz (Regie: Sandra Leupold, Bühne und Kostüme: Moritz Nitsche, Licht: Ernst Schießl) wählte hierfür keine dunkel bedrohliche düstere Schlossszenerie, sondern überlässt den Symbolismus ganz dem Wort und der Musik. Sie zeigen das Seelendrama als Spiel auf absolut leerer und seitlich offener Holzbretterbühne (bei der allenfalls ein Brett nach oben klappt und so den Brunnen andeutet, in den Pelléas ihren Ring fallen lässt). Bei diesem Stück, das sich nachdrücklich auf die innere Vorgänge der Protagonisten konzentriert, passt das sogar ausgesprochen gut (verlangt aber, sich vorher gründlich mit dem Inhalt vertraut zu machen, ist doch Maeterlincks Text gespickt mit vielen Symbolen und Andeutungen). Nebeneffekt der Leere ist, dass aufwendige Umbauzeiten zwischen den Akten entfallen und so (oder gerade deshalb) die Originalfassung ohne die bühnentechnisch bedingt hinzukomponierten Zwischenspiele gezeigt werden kann. Für räumliche Abgrenzungen innerhalb der 13 Bilder sorgt ein ausgeklügeltes Licht-/Schattenspiel, bei dem Flächen verschoben, fokussiert und aufgelöst werden und dass so die stets vorhandene mystische, schweigsame Atmosphäre der Angst simpel wie eindrucksvoll herbeizaubert.

Die junge Regisseurin Sandra Leupold lässt die Sänger hochkonzentriert auftreten und verzichtet auf jegliches Rampensingen. Mit ihren mittelalterlich anmutenden fahlen langen Hosenröcken und Kleidern (Männer wie Frauen) schweben die Sänger in Zeitlupentempo über die Bühne. Richard Morrison (mit zusätzlicher Bauchschärpe) wirkt als Pelléas leicht androgyn und gefällt mit seiner angenehmen Tenorstimme. Markant gibt Armand Arapian die tragische Figur des Golaud. Ein leichtes Spiel für den Franzosen griechisch-armenischer Abstammung, hat er diese Rolle doch schon über 100 Mal gesungen. Von abgegriffener Routine aber keine Spur, vielmehr besticht er mit einem ausdrucksstarkes Spiel, magische Präsenz und wundervollen kraftvollen baritonalen Klang. Einer Elfe aus der Filmtrilogie „Herr der Ringe“ gleicht Patricia Roach als geheimnisvolle, verschlossene und verklärte Mélisande (mit rötlichen Haar das länger ist, als sie groß ist), die sie mit gut geführter, schlanker Stimme singt. Die Rolle des Jungen Yniol wurde mit Friedemann Slenczka besetzt, einem Altisten der Mainzer Domknaben. Hans-Otto Weiß verströmt mit seiner Bassstimme als Arkel wundervolle Ruhe. In weiteren Rollen: Edith Fuhr als Geneviève und Patrick Pobeschin als Arzt.

Sicher ist diese Oper und diese Inszenierung keine leichte Kost, sie schafft es aber, ohne starke Bilder tiefe Einsichten zu vermitteln.

Markus Gründig, Januar 07


Macbeth (Ernest Bloch)

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
30. Dezember 06 (Wiederaufnahmepremiere)

Abwechslungsreich geht es an der Oper Frankfurt im bunten Reigen weiter. Nach der selten gespielten Oper Tiefland, folgte zum Jahresschluss 2006 die Wiederaufnahme einer noch größere Opernrarität: Ernest Blochs „Macbeth“. Beide Opern entstanden zu Anfang des 20. Jahrhunderts und sind doch sehr unterschiedlich. Wobei zu beachten ist, dass der schweizamerikanische Komponist Ernest Bloch nicht zu verwechseln ist mit dem Philosophen Ernst Bloch. Auch ist Blochs Version musikalisch ganz unterschiedlich zur Macbeth-Oper von Giuseppe Verdi.
Ernest Blochs komponierte gute fünf Jahre an dieser, seiner einzigen, Oper, die 1910, in Paris uraufgeführt wurde. Für die Frankfurter Inszenierung, die erst 16. Inszenierung dieser Oper überhaupt, wurde nicht die französische Originalfassung gewählt, sondern die englischsprachige Fassung, die Ernest Bloch auch bearbeitet hatte. Da die Oper auf Shakespeares Drama „Macbeth“ beruht, ist dies nur folgerichtig, so ist der Text nah am Original ausgerichtet.

Im frühen Morgengrauen der Wiederaufnahmepremiere wurde der irakische Diktator Saddam Hussein, der unzählige Morde zu verantworten hatte, gehängt, . Bei Macbeth gibt es auch reichlich Tote, allerdings nicht so viele wie Hussein angelastet wurden. Die Zufällige zeitliche Übereinstimmung zwischen Husseins Hinrichtung und der Macbeth-Wiederaufnahme macht betroffen, da deutlich wird, dass Gewaltherrschaft und Tyrannei auch heute noch aktuell sind wie eh und je.

„Beeindruckter Jubel im Publikum. Die Frankfurter Oper setzt mit diesem hochexpressiven Abend ihren Höhenflug fort“, so hieß es in einer Pressekritik anlässlich der Premiere im November 2004. Und in der Tat nimmt diese Opernproduktion eine herausragende Position ein. Keith Warner (Regie) und Es Devlin (Bühnebild & Kostüme) schufen hier nicht nur eine ästhetisch hochgradig ansprechende Szenerie, die die psychische Verfassung der Akteuer widerspiegelt. Sie zündeten zugleich ein Feuerwerk an Ideen, das Werk dem Publikum packend und verständlich zu erzählen. Bühnen beherrschend sind zwei diagonal versetzt aneinander stehende dreieckige Räume. Durch Spiegelwände entstehen optische Eindrücke von normalen rechteckigen Räumen. In der Gesamtform bilden die beiden Räume wiederum ein großes Rechteck, leicht auseinander geschoben entsteht eine hohle Gasse. Die Drehbühne auf der sie stehen, ist nahezu unentwegt am rotieren und ständig ergeben sich neue faszinierende, teilweise mystische Ansichten (Lichtdesign: Wolfgang Göbbel).
Wie bei der Premierenserie ist auch bei der aktuellen Serie der Australier Daniel Sumegi als Macbeth zu erleben. Mühelos bewältigt er mit seinem melodiös-geschmeidigem Baß-Bariton und schier unendlicher Kraft die mörderischen Passagen und zeigt dabei eine großartige Bühnenpräsenz. Eine finster dämonische Lady Macbeth mit klarem und temperamentvollem Sopran gibt die Finnin Taina Piira, die an der Oper Frankfurt schon länger keine Unbekannte mehr ist. Bravourös ihre Wahnsinnsarie, lediglich bei den langsamen, fast gesprochenen Passagen fällt ihre etwas harte Aussprache des englischen Textes auf.
Auch die weiteren Sänger überzeugten auf voller Linie, wenn sie auch leider teilweise rollenbedingt nicht so viel Anteil haben: Johannes Martin Kränzle (Macduff), Dietrich Volle (Banquo), Hans-Jürgen Lazar (Duncan / First Apparition), Peter Marsh  (Malcolm), Michael McCown  (Lennox) und vor allem die drei Hexen Sonja Mühleck, Michaela Friedrich und Enikő Boros. Ernest Bloch beendete die Akte mit großen Chornummern, die der von Alessandro Zuppardo exquisit einstudierte Chor der Oper Frankfurt leidenschaftlich darbot.
Ernest Blochs „Drame lyrique“ Macbeth zeigt zwar Einflüsse von Debussy, Mussorgsky und Wagner, hat aber dennoch seinen ganz eigenen Stil mit Vorliebe für dunkle Klangfarben. Das Museumsorchester spielte diese sieben Szenen und die Zwischenmusiken unter der musikalischen Leitung des Briten Martyn Brabbins mit großer Suggestivität.

Nach Dortmund ist die Frankfurter Inszenierung (eine Koproduktion mit dem Wiener Klangbogen Festival) erst die zweite Inszenierung dieser Oper in Deutschland. Gelegenheit diese Rarität kennen zu lernen gibt es noch am 4., 6., und 13. Januar 07. Die Vorstellung am 4. Januar erfolgt in der Reihe „OPER für ALLE“, d.h. hier gibt es Karten zu einheitlich 15 Euro (zzgl. VVK-Gebühr).

Markus Gründig, Januar 07


Tiefland

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
10. Dezember 06 (Premiere)

Als ausgesprochenes Wunschstück von Sebastian Weigle (designierter Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt) ist Tiefland nach vielen Jahren endlich in Frankfurt wieder zu erleben. Weigle leitet bei dieser Neuinszenierung das Frankfurter Museumsorchester und bringt schon mit den ersten Takten der Klarinette seine besondere Handschrift deutlich zu Gehör. Die Soloklarinistin Martina Beck steht nicht im Orchestergraben sondern in einem Lichtkegel am Bühnenrand. Ihren Eröffnungsteil spielt sie dann auch nicht wie von d´Albert vorgesehen in gleicher Lautstärke, sondern bereits den Kontrast von Bergwelt und Tiefland aufnehmend, wechselnd zwischen Forte und Piano und mit unterschiedlichen Tempo. Ohne der Musik ihren Liebreiz zu nehmen, führt Weigle durch Tiefland, eine Oper die nicht zuletzt wegen ihrer Musik umstritten ist. Zu wenig eigenen Charakter, zu viel stilistischer Anleihen an die Komponisten seiner Zeit, lautet der Vorwurf an d´Albert, der im Urteil „Kitsch“ gipfelt. Andererseits: Kitsch kann auch geil sein und die Musik von Tiefland ist voller starker Themen, die zu Herzen gehen. Weigle vermeidet bei seinem Dirigat den Kitsch und präsentiert mit Verve zusammen mit dem Frankfurter Museumsorchester Tiefland als effektvolle Stimmungsmalerei.
Der akustische Genuss wird durch die starke Sängerleistung noch verstärkt. John Treleaven gibt den einfältigen Hirten Pedro mit wundervollem Nuancierungsvermögen und beeindruckt, wie er die unterschiedlichen Gefühlswelten als verletzter und rachesüchtiger Liebhaber vermittelt. Michaela Schuster singt die tiefen Seelenqualen der Marta stimmlich gut geführt und darstellerisch geradezu perfekt. Mit prägnanter männlicher Stimme gibt Lucio Gallo den bösartigen Sebastiano. Geradezu verschwenderisch besetzt sind die Nebenrollen, allen voran mit Juanita Lascarro als kindliche Nuri.

Bei der Premiere gab es für das Inszenierungsteam heftige Buhrufe, was nicht nachzuvollziehen ist. Wie bei der vorhergehenden Tiefland-Inszenierung in Zürich, wo der designierte Burgtheaterleiter Matthias Hartmann inszenierte und die Geschichte mit einem Genlabor einrahmte, wählte auch die Oper Frankfurt mit Anselm Weber einen Fachmann, der seinen Schwerpunkt im Schauspiel hat. Für die Vorspiel-Szene in den Bergen gibt es einen Gebirgsprospekt nebst Höhle für Pedro zu sehen, die beiden Akte spielen dann im inneren einer großen Mühle, mit Laderampen und gelb-schwarzen Markierungen und einem „Arbeit für alle“ Transparent recht neuzeitlich (Bühnenbild: Hermann Feuchter). Was gibt es da zu buhen? Als Tänzerinnen im zweiten Akt lässt Weber acht Bauchtänzerinnen auftreten und eine kleine Windmühle dreht sich rot leuchtend, doch das ist schon das Ausgefallenste dieser Inszenierung, die sich bemüht, die Oper frei von den ihr anhängenden Klischees zu präsentieren.

Tiefland gilt als einzige versistische deutsche Oper, die Chance sie auf großer Bühne zu erleben sollte man sich nicht entgehen lassen.

Markus Gründig, Dezember 06


La clemenza di Tito

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 9. November 06 (Wiederaufnahmepremiere)

Auf ein beachtliches Interesse stieß zu Beginn des Mozartjahrs 2006 die Inszenierung von Mozarts Spätwerk „La Clemenza di Tito“ in Frankfurt, eine Gemeinschaftsproduktion der Oper Frankfurt und dem Wiener Theater an der Wien (wo diese Produktion im März/April 06 zu sehen war).
Die Inszenierung von Christof Loy verlegt die Geschichte um den römischen Kaiser Titus, der die Gnade zum obersten Prinzip seines Regierens erhoben hat (und damit im krassen Gegensatz zum Tyrann Caligula steht, der in dieser Saison bereits Gegenstand der gleichnamigen Oper von Detlef Glanert war), in die Moderne. Auf Rom als Amtssitz von Kaiser Titus, wird nicht Bezug genommen. Loy führt das Seelenleiden der Unglücklichen mit ruhiger Hand vor und vermeidet dadurch hektisches Agieren.
Herbert Murauers Bühnenbilder sind klassisch gehalten. Sie zeigen ein luxuriöses Schlafgemach, einen Festsaal (nebst schwebendem Engel) und nutzt die kleine Drehbühne des Hauses für eine Art Veranstaltungssaal nebst Hinterraum. Bewusst zur Schau gestellte Kulissenteile und Rückansichten verdeutlichen den offenen Charakter dieser Räume.

Bei der ersten Wiederaufnahme dieser Inszenierung wurden vier der sechs Hauptrollen neu besetzt, dabei gab es drei Rollendebüts. Am augenfälligsten ist zu Beginn die rein optische Dissonanz zwischen der ehrsüchtigen Vitellia (Sonja Mühleck) und dem heftig verliebten Sextus (Stella Grigorian). Sonja Mühleck hatte die Rolle der Vitellia bereits bei der Premierenserie im Januar/Februar gesungen und gefiel darstellerisch wie sängerisch.
Gegenüber der starken Vitellia mit ihren wilden Abgründen wirkte Stella Grigorian in der Hosenrolle des Sextus zunächst recht zierlich. Von Bild zu Bild gewann sie aber an Sicherheit, innerer Größe und trumpfte in stimmlicher Hinsicht gar voll auf, mit glühender Leidenschaft und ausdrucksstarker Verzweiflung.
Geradlinig und mit kraftvollen Mezzo führte Annette Stricker die zweite Hosenrolle vor: Annius, Sextus Schwager in Spe. Der belgische Tenor Yves Saelens zeichnet den Titus mit feinem Timbre und passend feinfühlig. Rollenbedingt nur wenig Möglichkeit sich zu profilieren hatte Simon Bailey als Publius und Elin Rombo als Servilla, die Schwester von Sextus.
Der Chor der Oper Frankfurt zeigte sich wie das Frankfurter Museumsorchester (unter der musikalischen Leitung des jungen Erik Nielsen) voller Elan auf gewohnt hohem Niveau, wobei das (reduzierte) Museumsorchester insbesondere die intimen Momente der Partitur schön herausgearbeitet hat.

Markus Gründig, November 06


La Cenerentola

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
3. November 06 (Wiederaufnahmepremiere)

Das Gute siegt

Ungewohnt viele Kinder im Foyer der Oper weisen bereits vor der Aufführung darauf hin, dass mit „La Cenerentola“ eine Oper für Jedermann zu sehen ist. Eine Sitzreihe voller Italiener und weiter Besucher aus Europa zeugen davon, das Aschenputtel (oder auch Aschenbrödel, Cinderella, Cendrillon , La Cenerentola oder Soluschka ) eine im europäischen Kulturraum weit verbreitete und bekannte Märchenfigur ist. Der Traum von Gerechtigkeit, der Glaube an das Gute und Aufrichtige im Menschen berührt Herzen, überall und nicht nur zur Weihnachtszeit.
Gioacchino Rossini und sein Librettist Jacopo Ferretti haben die Märchengeschichte von Charles Perrault (1628 – 1703) als Grundlage für ihre Oper genommen. Statt einer bösen Schwiegermutter gibt es hier einen bösen Stiefvater, der Cinderella das Leben zur Hölle macht (natürlich fehlen auch die beiden Schwestern nicht).
Die zeitlose Inszenierung von Keith Warner an der Oper Frankfurt vom Juni 2004 wurde jetzt bereits zum zweiten Mal wiederaufgenommen, mit Rollendebüts von Florian Plock (Alidoro) und Elin Rombo (Clorinda).
Die Bühne (Jason Southgate) zeigt einen schwarzen Grundraum, der mit großen, feudalen Möbeln bestückt wird, nutzt aber auch klassisch gestaltete Fassadenteile für den Fürstenpalast. Wurden die beiden Bühnenräume auch dunkel gestaltet, umso farbenprächtiger sind die knallig bunten Kostüme von Nicky Shaw, die die Charaktere deutlich überzeichnet vorführen und im Publikum für Begeisterung sorgen. Als Spiel im Spiel gibt es ein Puppentheater, in dem sich Angelina selbst wieder erkennt und das für sie einen Zufluchtsort darstellt.

Die Entwicklung von der schüchternen Angelina zur selbstbewussten Frau gelingt der italienischen Mezzosopranistin Daniela Pini darstellerisch sehr gut, stimmlich überzeugte sie von Anfang an (bei den Aufführungen Ende Dezember 06 wird Stella Grigorian die Rolle der Angelina übernehmen, Daniela Pini wird im Mai/Juni 07 bei der Wiederaufnahme von Händels Ariodante in der Rolle der Polinesso erneut an der Oper Frankfurt zu erleben sein). Als Prinz Don Ramiro gefiel Gioacchino Lauro LiVigni, wobei der hochverschuldete Schluri Don Magnifico des Eric Roberts beim Publikum besonders viel Sympathie erhielt.
Die beiden „nervigen“ Töchter Clorinda (Elin Rombo) und Tisbe (Tina Hörhold) geben sich in bester Buffa-Manier. Als Dandini, kaum wieder zu erkennen und ein wenig an Thomas Gottschalk erinnernd: Nathaniel Webster.
Der nur aus Männern bestehende und von Alessandro Zuppardo einstudierte Chor hatte keinerlei Probleme, dem bunten Treiben zu folgen. Johannes Debus vermittelte mit dem Frankfurter Museumsorchester die Musik Rossinis leicht und spritzig.

“OPER für FAMILIEN“ heißt es wieder am 11. November 06, wo jeder vollzahlende Erwachsene bis zu drei kostenlose Karten für Kinder bzw. Jugendliche im Alter bis 18 Jahren erhält. Doch auch außerhalb dieser Reihe bietet sich diese „La Cerenterola“ als Einführung in die Welt der Oper bestens an.

Markus Gründig, November 06


Caligula

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellungen:
7. (Premiere, Uraufführung) & 13. Oktober 06

Uraufführungen gibt es jede Woche, zumindest in der deutschen Theaterlandschaft. Im Bereich der Oper sind es schon deutlich weniger. Doch sind für die aktuelle Saison im deutschsprachigen Raum immerhin ca. 20 Uraufführungen geplant. Wer will da noch sagen, die Oper sei Tod? Dabei schafft es kaum eine dieser neuen Opern, einen festen Platz im Opernrepertoire einzunehmen. Eine Ausnahme bilden Opern des Henze Schülers Detlev Glanert (Jahrgang 1960), für dessen Opern es bereits mehrere Inszenierungen gegeben hat und dessen Oper Caligula, wie die Publikumsreaktion zeigt, mit Sicherheit auch noch öfters inszeniert werden wird. Das Genre Oper hat für Glanert auch heute noch eine Daseinsberechtigung, da sie für ihn die Fortführung der Kindheit mit intellektuellen Mitteln ist.

Frankfurts Operintendant Bernd Loebe ist durch die Bremer Aufführung von „Joseph Süß“ auf Detlev Glanert aufmerksam geworden. Schon im Jahr 2001 gab es erste Gespräche hinsichtlich einer Auftragskomposition. Der Caligula Stoff beschäftigte damals bereits Glanert. Dabei interessierte ihn weniger die historische Person, noch sollte es eine Anatomie des Terrors werden. Das 1938 entstandene gleichnamige Ideendrama von Albert Camus wurde Grundlage dieser Oper, deren Libretto Hans-Ulrich Treichel („Tristanakkord“) verfasst hat. Treichel verallgemeinerte die literarische Vorlage etwas und strich auch etliche Rollen. Vorstufen zur Oper Caligula waren Glanerts Orchesterwerke „Katafalk“, „Burleske und  „Theatrum bestiarum“ (letzteres war in großen Teilen beim ersten Komponistenforum an der Oper Frankfurt im September 06 zu hören gewesen).

Caligula ist Glanerts erste Oper, die sich ganz auf eine Person und deren Innenleben konzentriert. Ausgehend von der Erkenntnis des als absurd erkannten Daseins (Caligula: „Die Menschen sterben und sind nicht glücklich“) und der schicksalhaften Auslieferung des Menschen ihm gegenüber, erzählt Caligula die Geschichte eines Diktators, der mit willkürlicher Ausschöpfung seiner Amtsgewalt die Menschen mit Leiden zu belehren versucht und sich dabei selber immer mehr eine Schlinge um den Hals legt. Der Blick des grenzenlos einsamen Despoten auf die Anderen konstituiert deren sein.
Wobei es in historische Hinsicht während Caligulas kurzer Amtszeit keine nennenswerten kriegerischen Auseinandersetzungen gab. Auch ist nicht überliefert, dass er die Weltherrschaft anstrebte. In gewisser Hinsicht war er ein friedfertiger Kaiser. Für Camus war der Tod seiner innig geliebten Schwester Drusilla Auslöser von Caligulas Gewaltherrschaft. Detlev Glanert nennt das eine „Unwucht“, die sich ständig steigert und die von ihm musikalisch entsprechend umgesetzt wurde. Dem Orchester hat er keine Mitten zugestanden, die mittleren Instrumente wurden in allen Instrumentengruppen herausgestrichen. Musikalische Basis der Oper ist ein einziger, allerdings sehr verzwickter, Akkord: bestehend aus 28 Tönen durch sieben Oktaven, übereinander geschichtet und mit komplizierten Intervallverhältnissen. Schon dieser „Caligula-Akkord“ weist eine kleine infame „Vergiftung“ auf, ein Bezug zur „Unwucht“, die sich im Laufe der Oper immer mehr vergrößert. Caligulas Körperspiel, seine muskulären Dehnungen und das Zusammenziehen, wurden in eine musikalische Sprache übertragen, die auch für ungeübte Ohren Neuer Musik sehr zugänglich ist.

Der Bühnenvorhang zeigt eine weiße Ziegelsteinmauer, ein großer Kreis fokussiert den Blick in die Mitte. Ein greller Schrei Caligulas steht zu Beginn der Oper. Der Vorhang hebt sich und für einen kurzen Augenblick sieht man in der Mitte des Bühnenraums schwebend die sterbende Drusilla (fast Scherenschnittartig, nebst Hinterfigur). Für den Einheitsbühnenraum der vier Akte hat sich das Kreativteam von den Resten des „domus aurea“, des Goldenen Hauses des Kaiser Nero, inspirieren lassen. Die Zielvorgabe war einen Raum für einen optimalen Klang zu schaffen. Die Bühne von Alexander Lintl zeigt einen großen Palast in Form von hohen, längs gestreiften schwarz-grauen Wänden, die mit vielen Griffen versehen wurden. Ein dunkler Raum, der auch für einen modernen Büroraum stehen könnte. Verschiedene Wandelemente sind schwenkbar und dienen für Auf- und Abtritte, sowie für Lichtspiele und Erscheinungen.
Die unterschiedlichen Räume im Palast während der vier Akte (mit den Titeln „Die Verzweiflung Caligulas“, „Das Spiel Caligulas“, „Die Göttlichkeit Caligulas“ und „Der Tod Caligulas“) werden durch in der Bühnenmitte platzierte Elemente verdeutlicht. So greift ein drehbares Raumgebilde mit Spiegeln das Thema der Relativität von Zeit auf und dient als Projektionsfläche für kurzzeitige Videoeinspielungen. Drei Käfige und darin Eingesperrte zeugen im zweiten Akt von Caligulas Machtmissbrauch. Seinen Wahn folgend hat er sich im dritten Akt zur Venus erklärt. Lintl lässt in hier mit blauen Tatü-Röckchen auftreten. Zum Fest leuchten die Wände im tiefen rot, ein Bezug zur besungenen Bordell-Thematik (Licht Olaf Winter/Joachim Klein). Orgelklänge untermalen die bedrohliche Szenerie. Lustknaben und Lustfrauen in weißer Unterwäsche zeigen sich bei diesem Fest erst räkelnd auf schmalen Bänken, unter denen sie sich später verstecken, bevor sie aufgeschreckt das Weite suchen. Umgekippte Balkenkonstruktionen lassen die Bühne im vierten Akt wie ein Schlachtfeld erscheinen.
Blut fließt bei dieser Inszenierung nicht, die Vergewaltigung Livia geschieht unsichtbar unter dem großen Esstisch. Caligula ist zwar im hinteren Bühnenraum nackt zu sehen, aber nur von hinten (während er „duscht“). Christian Pade, der in Frankfurt bereits durch seine „The Turn of the Screw“ und „Chowanschtschina“ für Aufsehen sorgte, verdichtet die Geschehnisse und verzichtet auf vordergründige Effekthascherei.

Die Oper ist als Auftragsarbeit der Oper Frankfurt und der Kölner Oper entstanden. Detlef Glanert hatte hierbei den Luxus wie Mozart, bereits im Vorfeld die Sänger zu kennen, für die er komponierte. Dabei bewies er sich als ausgenommen Sängerfreundlich, denn an keiner Stelle muss ein Sänger gegen das Orchester ansingen. Der Brite Ashley Holland hat in der Rolle des Caligulas die größte Bühnenpräsenz und besticht durch ein enormes Durchhaltevermögen. Bei zwölf von den insgesamt siebzehn Szenen ist er anwesend und beherrscht mit seinem kräftigen Bariton alle geforderten Nuancen.
Die Rolle seiner Frau Caesonia wurde für diese Oper erweitert. Michaela Schuster verkörpert sie nicht nur darstellerisch bezaubernd mit viel Anmut, sie gibt ihr mit ihrer warm timbrierten Mezzostimme auch gesanglich ein markantes Profil. Den musikalischen Höhepunkt der Oper bildet das Duett von Caesonia und Caligula im vierten Akt.
Als Caligulas Diener Helicon ist mit Genuss der Countertenor Martin Wölfel zu erleben. Zeigte er sich bei der Oper-Extra Veranstaltung im Vorfeld der Uraufführung noch mit Zurückhaltung, ist er in der Oper als frech agierender Helfer Caligulas zu erleben und besticht mit seinem kräftig strahlenden Klang.
Auch die weiteren Rollen wurden erstklassig besetzt. Gregory Frank (Cherea) erfreute mit seinem starken Baß ebenso wie der Tenor Hans-Jürgen Lazar (Mucius), Jurgita Adamonyté (Scipio), Dietrich Vole (Mereia, Lepidus) und Barbara Zechmeister (Livia).
Gesungen mit sehr guter Textverständlichkeit, wobei nicht nur Übertitel halfen den Text zu erfassen. Erstmalig ist im Programmheft der gesamte Text abgedruckt. Markus Stenz, Generalmusikdirektor der Stadt Köln, leitete das um die mittleren Instrumente reduzierte Frankfurter Museumsorchester überaus virtuos, was besonders bei den beiden Zwischenspielen zu genießen war.

Gelegenheit Caligula an der Oper Frankfurt zu erleben gibt es noch am 18. 20., 22. und 28. Oktober 06. Im November ist diese Produktion dann an der Oper Köln zu sehen.

Markus Gründig, Oktober 06


Oberon

Staatstheater Mainz
Besuchte Vorstellung: 14. September 06 (Premiere)

Gelungener Auftakt

Nach dem Wechsel von Georges Delnon an das Theater Basel hat mit Beginn der Spielzeit 2006/07 Matthias Fontheim die Intendanz am Staatstheater Mainz übernommen. Für das erste Stück innerhalb der neuen Spielzeit unter neuer Leitung fiel die Wahl auf die letzte Oper von Carl Maria von Weber: „Oberon“. Weber schrieb diese Oper als Auftragswerk für das Londoner Royal Theatre Covent Garden und dirigierte selbst die Uraufführung im April 1826.
Nicht zuletzt durch diese Oper übte von Weber auf nachfolgende Komponisten wie Mendelssohn, Schumann, Wagner und Mahler, nachhaltigen Einfluss aus. Auch ausländische Komponisten wie Berlioz, Debussy und Strawinsky, würdigten Webers musikalische Errungenschaften, die Herausbildung einer charakteristischen Musiksprache.
Gleichwohl hinkt „Oberon“ Webers „Freischütz“, was die Zahl der Inszenierungen anbelangt, deutlich hinterher. Dies wird meist mit dem schwierigen Libretto von James Robinson Planché begründet, das „Oberon“ mehr als „Drama mit Liedern“ erscheinen lässt. Einige Hauptdarsteller singen nicht, bei wesentlichen Momenten der Handlung fehlt es sogar ganz an Musik. Hinzu kommen Absurditäten und Ungereimtheiten innerhalb der Handlung. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass Weber und Planché hierbei im großen Umfang Rücksicht auf die Konventionen des englischen Publikums genommen hatten (das durch die große Theatertradition gesprochene Worte und spektakuläre Bühneneffekte erwartete). Planché und Weber bezogen deshalb auch schauspielerische und tänzerische Elemente mit ein. Die Uraufführung war ein umjubelter Erfolg und erfüllte dazu Webers Absicht, seine Familie über seinen nahenden Tod hinaus, finanziell abzusichern.

“806 n. Chr.“ prangt auf einem Schild, das über der Bühne hängt, es ist die Zeit der Handlung. Ein Gazevorhang trennt die Bühne noch vom Zuschauerraum ab. Im Bühnenhintergrund ist ein großes Bildnis Carl Maria von Webers zu sehen. Dieses Bild zeigt Weber zwar nicht wirklichkeitsgerecht, drückt dafür aber deutlich seinen Zustand im Jahr der Uraufführung aus: mit markanten Gesichtszügen und als schon deutlich von seiner Krankheit schwer Gezeichneter.
Klopfgeräusche dringen aus der Bühnenmitte nach vorne. Fünf TänzerInnen bewegen sich innerhalb der Bühne, während aus den Seitentüren am vorderen Bühnenrand ein Puck nach dem anderen aus den Türen tritt, insgesamt sind es fünf sich gleichende: alle mit blass lila Jacketts im Stil einer Autovermietung, helle Hosen, blonden Haaren und Hornbrillen.
Als Erläuterung von Oberons und Titanias Problem erzählen die Pucks von den Menschen, den halben Wesen. Die vom Ursprung Abgeschnittenen sind ziellos auf der Suche nach Geborgenheit und erfüllter Liebe. Fünf TänzerInnen des Mainzer Balletts, im Programm als „Die Halben“ bezeichnet, drücken unter der Bewegungsregie von Martin Schläpfer dies durch ihren Tanz aus: nähern sich langsam an, wollen sich verbinden und trennen sich doch wieder. In ihren eng anliegenden schwarz-weißen Yin/Yang Gymnastikanzügen geben sie diese „Halbheit“ auch optisch wieder (Kostüme: Etienne Plus). Der Prolog endet mit einem anrufen „Carl Marias“ hier doch Abhilfe zu schaffen. Sodann beginnt das einleitende Horn die Ouvertüre (der bekannteste Teil dieser Oper).
Ritterwelt, Orient und Feenreich öffnen sich. Etienne Pluss schuf neben dem Mix aus barock anmutenden Kostümen und zeitgemäßer Kleidung auch die Bühnebilder von bestechender Optik. Eindrucksvoll das geheimnisvolle Aufleuchten des Elfenchores im Hintergrund, später das Schiffsbuggerüst mit den zwei Meerjungfrauen.
Bestimmendes Element ist ein Bollerwagen, der ständig zwischen den Bühnenseiten hin- und hergezogen wird. Er dient als Podest für Oberons Thron, Segelschiff, Insel, Scheiterhaufen und vielem mehr). Regisseur Philip Tiedemann umschiffte damit die notwendigen massiven Szenenwechsel ganz elegant.

Gesanglich stark geben sich besonders die beiden Damen Rezia (Kerrie Sheppard) und Fatima (Patricia Roach), sowie sehr einfühlsam der im zarten lila der neuen Staatstheaterfarben gekleidete Oberon (Martin Erhard). Catherine Rückwardt ließ mit dem Philharmonischen Staatsorchester Mainz hervorragend Webers außergewöhnlichen musikalischen Einfallsreichtum erstrahlen.
Der Österreicher Gert Jonke hat für diese Inszenierung eine neue Dialogfassung geschrieben. Jonkes Sprache ist dabei modern und zeitgemäß. Ein gelungener Kunstgriff, Tradition und Moderne zu verbinden und Webers Oberon dadurch einen aktuellen Gegenwartsbezug verleiht. Die Handlung ist verständlicher und zugänglicher.
Was schon im Jahre 1826 den Londonern Bürgern gefiel, bietet sich auch heute an, wenn es darum geht, das künstlerische Potential eines Hauses in allen Bereichen vorzustellen: Oper, Schauspiel und Ballett. So gab es bei der Premiere aus gutem Grund am Ende lang anhaltenden Beifall für einen zauberhaften und romantischen Abend mit Gegenwartsbezug.

Markus Gründig, September 06


Die verkaufte Braut

Oper Frankfurt – Wiederaufnahme in der Saison 2006/07
Besuchte Vorstellung: 7. September 06

“Die verkaufte Braut“ gilt als die tschechische Nationaloper par excellence, so wie “Der Freischütz” für “die” deutsche Volksoper steht. Im Mittelpunkt stehen einfache Leute vom Land: Bauern, keine Könige. Die Oper verbindet volkstümliche und komische Elemente und bietet eine Liebesgeschichte mit einem „Happy End“.  “Die verkaufte Braut“ ist eine Oper ohne tiefgründige Mythen, aber mit einer gefühlsseligen Musik für einen entspannten Abend.
Die Premiere von Bedrich Smetanas „Die verkaufte Braut“ an der Oper Frankfurt fand erst im Mai statt (siehe auch die Besprechung auf kulturfreak.de). Für diejenigen, die aufgrund der Fußball-WM oder wegen des schönen Wetters keine Gelegenheit hatten, eine Aufführung zu besuchen, gibt es in der gerade begonnenen neuen Saison weitere Termine im September und Oktober (szenische Einstudierung der Wiederaufnahme: Katharina Thoma).

Stein Winges Inszenierung stellt die Menschen in den Mittelpunkt, denn die zahlreichen Fachwerkhäuser sind nur Gerippe. Durch den spiralförmigen Aufbau dieser Häuserschlucht vermischen sich Außen- und Innenwelt. Für den Einzug der bunten Zirkustruppe müssen deshalb Wände durchbrochen werden, was auch effektvoll geschieht. Viele kleine Details wie der Gruß der Handwerker am Anfang, das eifrige Putzen, der Auftritt der Zirkusleute samt der Übertritt von Háta zu ihnen, unterstützen dieses komische Singspiel auch szenisch hervorragend.

Die Wiederaufnahme ist zugleich eine Premiere, denn die meisten Hauptrollen sind neu besetzt. Danielle Halbwachs, die hier auch ihr Rollendebüt hat, gibt die Marie mit großer emotionaler Wärme. Dazu passt bestens der bodenständige Hans des Frank van Aken.
Jussi Myllys gibt seinem stotternder Bruder Wenzel ein jugendliches Profil, auch er findet sein Glück, sogar doppelt: in der Zirkuswelt und in Person der Tänzerin Esmeralda (verlockend: Elin Carlsson Rombo).
Mit bewundernswerter darstellerischer Präsenz und kräftigem Baß überzeugt wiederum Gregory Frank als umtriebiger Heiratsvermittler Kecal (im Oktober wird Magnus Baldvinsson diese Rolle übernehmen). Roland Böer leitet erneut das Frankfurter Museumsorchester (im Oktober wird dies Solorepetitor Hartmut Keil tun).

Ein leichtgängiger Opernabend, der auch bestens zum Sommerausklang geeignet ist.

Markus Gründig, September 06


Die Meistersinger von Nürnberg

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 3. September 06

Die Meistersinger von Frankfurt
 
Sechs Stunden für einen Opernbesuch (inklusive ausgiebiger Pausen) sind durchaus eine Herausforderung, selbst für einen Kulturfreak. Doch wenn Inszenierungsstil und Sangeskunst derart erfreulich dargeboten werden, wie bei dieser Wiederaufnahmepremiere von Wagners „Die Meistersinger aus Nürnberg“ an der Oper Frankfurt, dann vergehen diese Stunden viel zu schnell, möchte man doch gar, dass dieser Hochgenuss nimmer enden möge.

Regiemeister Chritof Nel verzichtet bei dieser Inszenierung auf konkrete Hinweise auf Ort und Zeit, vermeidet Idyll und Heimatklischee. Zusammen mit Dorien Thomsen und Max von Vequel-Westernach schuf er einen abstrakten weißen Bühnenraum, im Format eines längs gestellten Schuhkartons. Eine weiße, drehbare Wand grenzt den Raum nach hinten ab. Im ersten Akt  („Aufzug“ nach R. Wagner) steht in der Mitte dieser Wand den gesamten ersten Akt über ein Mann (Martin Georgi) auf einem kleinen Brett. Der Mann ist lediglich mit einem Lendenschurz bekleidet, die Arme seitlich in je einer Schlinge, ganz so wie Jesus am Kreuz. Dies ist der einzige Hinweis auf den Ort des Geschehens (die Nürnberger Katharinenkirche).
Der gleiche Grundraum dient auch als Kulisse für den zweiten Akt. Jetzt allerdings überwiegend ohne Zwischenwand, dafür mit einer Batterie von Schuhen für das Heim von Sachs auf der rechten Seite und einem aufgeklappten Quader als Vordach für das Heim Pogners links. Um die Szenerie trotz der Weite nach hinten intim zu halten, wird der vordere Bühnenteil leicht angehoben, von oben senkt sich ein Art Dach herab.
Beim dritten Akt schließlich sitzt Sachs auf einem Berg von Schuhen, bei noch immer gleichem (weißen) Grundraum. Für die Schlussszene, das fünfte Bild im dritten Akt (Aufzug), verwandelt sich die Szene nicht in eine Wiesenlandschaft, sondern in schlichtes schwarz: rechts, links, vorne, hinten und unten. Schwarz gekleidete Figuren mit überdimensionalen weissen „Flaschenverschlüssen“ stellen zunächst lose einen Naturbezug dar, bevor dann ein Stuhl für die Braut und ein Podest für den Sänger platziert werden.
Insgesamt also eine recht abstrakte Bühne, mit einigen Symbolen (wie beispielsweise den großen gelben Davidsternen), zeitlos (gemäß Vorgabe von R. Wagner spielt die Oper im 16. Jahrhundert) und dadurch aktuell und zum Nachdenken anregend. Verbunden mit einer gut gelösten Personenführung und schönen Kostümen (Ilse Welter) ein schlüssiges Konzept um die Geschichte von Eva und Walter, die Diskussion über die Kunst und nicht zuletzt die Auseinandersetzung mit der Frage über den rechten Umgang mit Außenseitern.

Meisterhaft die teilweise recht junge Besetzung dieser Wiederaufnahme, nicht wenige hatten ihr Debüt an der Oper Frankfurt und/oder auch ihr Rollendebüt, weshalb der harmonisch runde und ausgewogene Gesamteindruck umso mehr erfreut. Magnus Baldvinsson als Vater Veit Pogner, Carsten Süß als David, Franz Mayer als Fritz Kothner und Claudia Mahnke als Magdalena seien hier stellvertretend für das Ensemble erwähnt. Erfrischend leicht und mit ganz viel Charme gibt Juliane Banse eine junge Eva, die ganz ihrem Geliebten Walter von Stolzing (Raymond Very) verfallen ist.
Sich selbst übertroffen hat der Anwärter auf den Titel „Hauskomiker“: Johannes Martin Kränzle“, der dem Sixtus Beckmesser nicht nur Wohlklang sondern auch ein sehr menschliches Profil gibt, über den sich das Publikum amüsiert und zugleich mit ihm leidet. Trumpf der Wiederaufnahmeserie ist jedoch Wolfgang Koch in der Rolle des Hans Sachs. Ist er auch lässig gekleidet und alles andere als ein Spießer, gibt er den Sachs mit großer Autorität, begeistert dabei mit seinem kraftvoll strahlenden Klang.

Die Leistung der Sänger unterstützten die Lehrbuben, mit überzeugender Klangfülle zudem der von Alessandro Zuppardo einstudierte Chor und Extrachor der Oper Frankfurt. Die gute Textverständlichkeit dieser Aufführung ist auch ein Verdienst von Kapellmeister Roland Böer, der das Frankfurter Museumsorchester forciert und mit warmem Klang dirigiert.

Am Ende rundherum Begeisterung für ein Opernerlebnis der Extraklasse.

Markus Gründig, September 06


Cosi fan tutte

Kammeroper Frankfurt im Palmengarten Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
25. Juli 06

Heiterer Opersommernachtstraum

Eine Opernaufführung ist heutzutage oft eine hoch ästhetische Angelegenheit, bei der die Zuschauer andächtig, ehrfurchtsvoll und wie erstarrt in ihren, meist zu engen, Sitzen verharren. Dass ein Opernabend auch ganz anders sein kann, zeigt seit vielen Jahren die Kammeroper Frankfurt, die im Sommer in der Konzertmuschel des Palmengartens gastiert. Die Bänke sind zwar härter als ein Theatersessel (weshalb ein Sitzkissen als Unterlage zu empfehlen ist), bieten aber viel mehr Platz. Nicht nur zum Sitzen, sondern auch um mitgebrachte Leckereien abzustellen oder sich ruhig ein Glas Wein nachschenken zu können. Es gibt ein gastronomisches Angebot, die Mehrzahl der Besucher hat sich jedoch ein eigenes Picknick mitgebracht. So werden schon vor der Aufführung Brot und feine Käsesorten geschlemmt, ergänzt mit frischen, knackigen Weintrauben. Andere genießen bei der noch immer sehr hohen Temperatur lieber einen frischen Garten- oder Obstsalat.
Mit Einzug des Orchesters und den ersten Mozarttakten herrscht freilich auch hier, Ruhe im Publikum. Dennoch bleibt stets die Möglichkeit, an einem Glas zu nippen oder das letzte Stück Baguette zu essen.
Demokratisch bunt gemischt ist das Publikum: Banker, Student, Hausfrau und Hausmann, dazu Angestellte, Senioren und Kindern. Vergnügen macht vor keinem Alter und vor keiner sozialen Schicht halt.

Cosi fan tutte
Kammeroper Frankfurt
Ensemble
© Kammeroper Frankfurt
Cosi fan tutte
Kammeroper Frankfurt
Ensemble
© Kammeroper Frankfurt

Mozarts „Cosi fan tutte“ passt wunderbar in den Rahmen einer lauen Sommernacht. Die Geschichte ist für jeden verständlich und die Musik eingängig. Rainer Pudenz und das Team der freien Kammeroper Frankfurt lassen den Alltag vergessen und verzaubern das Publikum. Wäre an dem Rollentausch nicht so viel Wahrheit dran, könnte das lustige Drama „Cosi fan tutte“ fast als Klamotte bezeichnet werden, wonach sie oberflächlich scheint.
Rainer Pudenz setzt auf die amüsante Seite, führt die Damen Fiordiligi (Sibylle Fischer, alternierend Monika Rebholz)) und Dorabella (Dzuna Kalnina) an die Grenze der Groteske. Die jungen Offiziere Ferrando (Omar Gerardo Garrido Mendoza) und Guglielmo (Markus Matheis) geben den Affen entsprechend Zucker. Großartig besetzt ist insbesondere der mehrfach durch das Publikum ziehende Don Alfonso mit Bernd Kaiser und die quietschfidele Kammerzofe Despina (Ingrid El Sigai; alternierend: Adriane Kienzler). Gesungen wird, bei allen Schabernacken, auf hohen Niveau, publikumsfreundlich in Deutsch (mit einer hervorragenden Textverständlichkeit).

Das Einheitsbühnenbild von Joao Malheiros vor einem sich langsam entfaltenden großen Bildnis eines Läufers mit Milchglas („Corre detras de la zu que eleva en su mano“ von Mateo Vilagrasa) zeigt lediglich ein großes Podest und einen weißen Sessel nebst Alkoholflaschen und Bücher für die Welt Don Alfonsos. Dank des schauspielerischen Könnens der Sänger mit ihren übertriebenen Gesten (insbesondere die der Frauen) gibt es viele Lacher im Publikum, bei dieser gemeinen Männerwette um „1.000 Euro“ und Despina´s Extraverdienst von „50 Euro“.
Phallisch anmutende Maschinengewehre und Raketen, Suppen schlürfende Soldaten, Männer in Frauenkleidern und Despina´s Monstertitten runden die Inszenierung ab, unterstützt vom reinen Männnerchor der Kammeroper Frankfurt (der mal militärisch in Anzug, mal als Putztruppe erscheint).

Eine große Stütze der Aufführung sind die Kostüme von Margarete Berghoff. Die beiden Frauen sind anfangs in eleganten Reifröcken mit hohen Hüten gekleidet. Im Verlauf der Handlung wechseln nicht nur die Kleider zu mehr Farbe, sondern lassen im schulterfreien Dress dann auch Ihre vom Anstand befreite Leidenschaft erkennen. Zusätzlich sind den beiden Schwestern die Farben rot und blau zugeordnet, so dass die beiden stets gut zu unterscheiden sind. Damit Zuschauer auch auf den hinteren Plätzen erkennen können, für welchen Liebhaber das Herz schlägt, tragen die Damen statt eines Medaillons eine Tasche mit großem aufgedrucktem Foto ihres jeweiligen Liebhabers. Griechisch mediterran anmutend geben sich die verkleideten Offiziere: ganz in weiß mit langen Schals. Ein Hit ist Guglielmo, hier mit langen Haarsträhnen und Sonnenbrille, er könnte auch glatt ein Modeschöpfer sein (mit Blitzlichtgewitter um ihn herum, so stark ist seine Ausstrahlung).

Dem Orchester unter der Leitung von Christian Ludwig ist die bis in die Nacht anhaltende sommerliche Hitze weder anzusehen noch zu hören. Sängerdienlich lässt Ludwig das Orchester der Kammeroper spielen. Reichlich Zwischenapplaus und Begeisterungsstürme am Ende machen deutlich, diese Inszenierung kommt bestens an. Picknick und Operngenuss ala´ Verona im grünen Herzen von Frankfurt ist noch bis zum 20. August 06 möglich.

Markus Gründig, Juli 06


Das Rheingold

Deutsches Nationaltheater Weimar
Besuchte Vorstellung:
15. Juli 06

Von keinem anderen Opernwerk geht eine solche Faszination aus, wie von Richard Wagners „Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend“: dem „Ring der Nibelungen“. Wagner arbeitete über 25 Jahre an dem Zyklus, der erstmals 1876 im eigens errichteten Festspielhaus Bayreuth vollständig aufgeführt wurde. Die Geschichte von Göttern, Zwergen und Riesen ist mystisch, komplex und zugleich höchst menschlich.

Den „Ring“ auf die Bühne zu bringen bedeutet für jedes Theater mehr wie eine Herausforderung, es ist ein immenser Kraftakt, der nicht nur eine lange Vorplanung benötigt, sondern auch die Sänger, das Orchester und die gesamte Technik stark fordert. In der Kulturstadt Weimar startete jetzt nach über 50 Jahren mit „Das Rheingold“ ein „Ring“-Zyklus, der bis zum Frühjahr 08 abgeschlossen werden soll. Das Deutsche Nationaltheater Weimar lässt sich im Gegensatz zu Bayreuth (wo in wenigen Tagen (25.7.) ein komplett neuer „Ring“ mit Tankred Dorst (Regie) und Christian Thielemann (musikalische Leitung) gespielt wird, Zeit.
Operdirektor und Regisseur Michael Schulz legt den Weimarer „Ring“ nicht als (Medien-) Event, sondern als Repertoire-Stück für ein breites Publikum ab 12 Jahren an. Bis sich der Weimarer „Ring“ mit der Premiere von „Götterdämmerung“ am 18. Oktober 08 schließen wird, bleibt genug Gelegenheit, „work in progress“ zu betreiben, also sich Teil für Teil entwickeln zu lassen. Für 09 ist zudem ein „Ring“ speziell für Kinder geplant. Unterstützt wird der “Ring” in Weimar von der Jenoptik AG.

Bemerkenswerte Leistung des Deutschen Nationaltheater Weimars ist, dass es auf Fremdsänger verzichtet und den Ring aus dem eigenen Ensemble heraus besetzt. Dabei werden Sängerinnen und Sänger im Verlauf des Zyklus mehrere Partien in den unterschiedlichen Opern übernehmen (beispielsweise wird aus Freia in „Das Rheingold“ die Sieglinde in „Die Walküre“, später Brünnhilde in „Siegfried“ und Gutrune in „Götterdämmerung“).
Ein besonderer Schwerpunkt, eine außergewöhnliche Sichtweise ist nach „Das Rheingold“ noch nicht auszumachen, wobei hier nur echte (klassische) Theatermittel verwendet werden (also keine Laser- oder Videoeffekte) und die Zeit in der das Stück angesiedelt ist (noch) unbestimmt ist. Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem „Bühnenfestspiel“ entnommenen Begriffen „Bühne“ und „Spiel“.

Die Bühne von Dirk Becker ist sehr gegenständlich und ansprechend gestaltet, ebenso zeitlos angelegt sind auch die Kostüme von Renée Listerdal.
Drei junge Rheintöchter eröffnen den Abend noch vor dem ersten Rauschen des Rheines mit einem Spiel mit Kröten-Handpuppen, bei dem sie sich gegenseitig Zauberformeln zusprechen. Dies geschieht vor einer metallisch strukturierten Wand, während Alberich und Wotan bereits seitlich an einem Tisch sitzen. Die eiserne Wand öffnet sich für einen großen Spalt, hinter dem ein blaues Transparent die Wasserstimmung des Rheins stimuliert und aus dem heraus die Rheintöchter (Silona Michel, Marietta Zumbült & Christiane Bassek) erscheinen.

Anstelle einer freien Gegend auf Bergeshöhen gibt es im zweiten Bild Wotans Zuhause, ein sich perspektivisch verkleinernder Raum, mit Ausblick auf die Schemen von Walhall. An einem großen Tisch (der später auch als Brücke zur Burg dienen wird) sitzt und bewegt sich die Götterfamilie herum. Anstelle einer Tür hängt ein großer Plastikvorhang, als Hinweis auf die Bautätigkeit der Riesen Fafner (Hidekazu Tsumaya) und Fasolt (Renatus Mészár). Diese heben von hinten die Zimmerdecke an und verleihen so dem Götterraum fast Puppenhauscharakter. Auf biegsamen Stelzen und mit ihren vergrößerten Köpfen wirken Sie tatsächlich riesig, allerdings eher naiv als bösartig. Donner (stimmlich stark: Alexander Günther) schwingt schwungvoll einen großen Hammer.
Nibelheim, das in Klüften des Erdinneren gelegene Reich der Zwerge oder Nibelungen zeigt am deutlichsten den Bühnen-Spiel Charakter dieser Inszenierung. Wotans Raum verschwindet im Bühnenhintergrund während auf die nun auch an den Seiten offene Bühne vier Containerähnliche Objekte herein geschoben werden. Einzelne Buchstaben auf deren Stirnseite deuten auf „Wahrheit“ hin, Alberich verwandelt sich unter Feuerblitzen in eine Kröte.
Für das Schlussbild wurde erneut ein Raum gewählt, diesmal aber nicht so beengt. Am Bühnenrand steht vorne der große Tisch, jetzt quer, auf einem roten Teppich, vor einem weißen Vorhang. Für die Entscheidung der Riesen, ob das in graue Säcke abgefüllte Rheingold oder Freia als Belohnung für den Bau von Walhall akzeptiert werden soll, werden zwei große Metallkörbe herabgelassen, die als Waage dienen. Kurz vor Schluss noch ein effektvoller Auftritt multiplizierter Rheintöchter in Gestalt Freias, die unter dem Vorhang hervorgekrochen kommen. Wenn der Vorhang dann fällt, wird der Blick frei auf einen golden eingerahmten Raum mit getafelten Holz in festlicher Beleuchtung: Walhall. Innen sitzt links eine Harfenistin vor ihrem Instrument und die Götter gelangen über den Tisch der zum Steg umfunktioniert wurde (ohne einen Regenbogen) hinein, womit sie Ihr erstes Etappenziel erreicht haben.

Gesungen wurde mit einer hervorragenden Textverständlichkeit, zusätzlich gab es für ungeübte Ohren Untertitel zur Hilfe. Bei den Sängern ragten am stärksten Thomas Möves als machtgieriger Alberich und von Freia verzauberter Riese Fasolt, Renatus Mészár heraus (Mészár wird nächstes Jahr bei „Die Walküre“ den Wotan geben). Wobei Mario Hoff als Wotan mit Mantel und Augenklappe genauso gefiel, wie die restlichen Sängerinnen und Sänger: Christine Hansmann als Fricka, Catherine Foster als Freia, Axel Mendrok als Loge, Jean-Noel Briend als Froh, Frieder Aurich als Mime und mit großen Anmut Alexandra Kloose als Erda.

Die Staatskapelle Weimar spielte unter der Leitung von Carl St. Clair, der hier seinen ersten Ring dirigiert und sich für „Das Rheingold“ 2 Stunden 40 Zeit ließ, die das Publikum in jeder Sekunde vollends genießen konnte. Dabei gelang es St. Clair Wagners motivreiche Partitur klar herauszustellen und gleichzeitig den Sängern genügend Raum zu lassen.
Ein verheißungsvoller musikalischer Auftakt und eine abwechslungsreiche, angenehm zugängliche Inszenierung lassen die weiteren Teile mit Spannung erwarten.

Markus Gründig, Juli 06


Tiefland

Opernhaus Zürich / Zürcher Festspiele
Besuchte Vorstellung:
1. Juli 06

Eugen D´Alberts Oper „Tiefland“ zählte einst zu den meist gespielten Stücken, nach 1945 jedoch gab es lediglich in den 70er Jahren mehrere Inszenierungen. Vollständig aus den Spielplänen verschwunden ist die Oper aber zu keiner Zeit. Im Jahr 2003 gab es sogar nach über zwanzig Jahren wieder eine (hörenswerte) CD-Aufnahme (ein Mitschnitt einer konzertanten Aufführung aus dem Wiener Konzerthaus). Zuletzt wurde die Oper in Flensburg (Juni 05) und Duisburg (Januar 06) neu inszeniert. In der kommenden Spielzeit steht „Tiefland“ in Braunschweig, Frankfurt und Wiesbaden auf dem Spielplan.
Die letzte Züricher Produktion ist mehr als 50 Jahre her, so dass es längst Zeit war, D´Alberts erfolgreichstes Werk neu auf die Bühne zu bringen, zumal der Kosmopolit auch zeitweise in Zürich gelebt und gearbeitet hat.

Von Kritikern und Musikwissenschaftlern wird „Tiefland“ gemischt beurteilt, vom Publikum jedoch geliebt. Dies mag zum einen daran liegen, dass sich bei „Tiefland“ mühelos die wohlklingenden Motive aneinander reihen, andererseits an D´Alberts Leistung, diese tränenrührende Musik im Stil großer Filmmusik zu einem harmonischen Ganzen zusammengefügt zu haben. Der Einfluss der Wagner’schen Leitmotivtechnik ist auch für ungeübte Ohren hörbar (wie das Quartenmotiv des Hochgebirges und das Sehnsuchtsmotiv), ebenso der Einfluss weiterer Kollegen (wie u.a. auch Mascagni). Die Motive haben sogar schon eine richtige Ohrwurmqualität. Gleichzeitig gilt „Tiefland“ als einer der wenigen deutschsprachigen Beiträge zum Verismus, jener „Wirklichkeitskunst, die stärker als das Leben selber ist“ (Dietbert Reich).

Tiefland
Opernhaus Zürich
Peter Seiffert
Foto: Suzanne Schwirtz

Die Züricher Neu-Inszenierung wurde in die Hände von Matthias Hartmann gegeben, der seit Sommer 05 künstlerischer Direktor des Schauspielhauses Zürich ist. Sein Name stand kürzlich erneut in allen Feuilletons, da er ab der Saison 09/10 die Funktion des künstlerischen Leiters des Wiener Burgtheaters (dem “Theater-Olymp”) übernehmen wird. Für den Dreiundvierzigjähren ist „Tiefland“ die dritte Opern-Inszenierung (nach „“Die verkaufte Braut“ in Zürich und „Elektra“ in Paris).

Tiefland handelt vom einfältigen Bergburschen Pedro, der wegen einer Frau von der heilen, sorglosen Bergwelt, hinab ins verruchte Tiefland steigt und erfahren muss, das Weib und Glück nicht zwangsläufig zusammen gehören.
Das ausgedehnte Vorspiel findet laut D´Albert’ s Vorgabe in einer felsigen Halde, hoch oben in den Pyrenäen unter einem Sternenhimmel statt. Regisseur Hartmann hat sich zusammen mit seinem Bühnenbildner Volker Hintermaier von diesem Bild gelöst und die Szenerie in ein virtuelles Genlabor transformiert, wo vier Klone in getrennten Glasvirtinen stehen. Am Machthaber am Steuerpult: der alles beherrschende Sebastiano, wie er sich aus den Klonen die Menschen so formt, wie er sie haben will. Über den Vitrinen jeweils TV-Monitore, mit vier unterschiedlichen Bildern: Strand, Bergwelt, Wüste und Großstadtbusinessskyline. Aus den vier gesichtslosen Klonen werden kurzerhand die zu den Landschaften passenden Menschnachbildungen. Mit dem „Ohe“-Ruf des Nando (mit medizinisch-technischen Geräten quasi an einen Stuhl gefesselt: Rudolf Schaching) wird das bisher verzerrte Bild auf der Großbildleinwand im Hintergrund scharf: es zeigt eine idyllische Berg-/Tallandschaft, dämmerig zwischen Tag & Nacht. Die Portraits der Sänger werden live effektvoll in diese Szenerie eingeblendet (Video: Sven Ortel).

Für die beiden Hauptakte wird sich an der vorgegebenen Mühle im Tiefland Kataloniens orientiert. Hier ist es ein halbkreisförmiger, Macht repräsentierender, hölzerner Verwaltungsraum eines Grossbetriebs im 30er Jahre Stil. Viel dunkles Holz, Ventilatoren, Schreibmaschine, Schreibtisch und ein Minifenster in die Montagehalle, wo am Fließband ein Paket nach dem anderen vorbei läuft. Auf einer zweiten, höheren Ebene dann aufklappbare Lamellen, die den Mühlencharakter lose aufgreift und hinter der die Angestelltenschar lauert. Hartmann zeigt auch keine Angst vor Sentimentalität: für die Braut lässt er rote Rosenblätter regnen.
Auch wenn es noch reichlich Arbeiter gibt (sehr präsent der von Ernst Raffelsberger einstudierte Chor), Matthias Hartmann verdeutlicht, dass die Technik dem Menschen schon längst überlegen ist, denn der Mensch dümpelt und strauchelt in seiner Beschränktheit wie stets daher.
Am Ende stehen Marta und Pedro jeweils in einer Vitrine, der Bogen schließt sich, während auf der großen Videoleinwand per UFA-Filmausschnitt ein Liebespaar sich in der friedlichen Bergwelt zärtlich einen Kuss gibt. Das wahre Glück passt nicht in diese Welt, es kann nur in der virtuellen Welt bewahrt werden. So ist der Zuschauer/Zuhörer gefordert sich seine eigene virtuelle Glückswelt zu schaffen. D´Alberts romantische Musik ist dabei eine wunderbare Starthilfe.

Elegant die Kostüme von Su Bühler, die im Stil der 30er und 40er Jahren ausgerichtet sind, mit strengen und kühlen Formen, dem Gefühlsballast des Stückes entgegengesetzt. Plakativ allein das feurig rote Kleid, das Martha am Tag nach der Hochzeit trägt.

Tiefland
Opernhaus Zürich
Petra Maria Schnitzer, Matthias Goerne, Peter Seiffert, Liuba Chuchrova, Kismara Pessatti, Christiane Kohl
Foto: Suzanne Schwirtz

Das Opernhaus Zürich leistet sich für diese Aufführungsserie im Rahmen der Zürcher Festspiele 06 eine großartige Besetzung. Mit dem in Bayreuth erprobten Petra Maria Schnitzer (Martha) und Peter Seiffert( Pedro) steht ein Paar auf der Bühne, das auch im wirklichen Leben ein Paar ist. Peter Seiffert begeistert mit seinem kräftigen und strahlenden Tenor und verleiht dem Pedro glaubwürdig eine naive wie leidenschaftliche Seite. Die Entwicklung vom abhängigen Liebchen zur reifen Frau vollzieht Schnitzer nicht zuletzt Dank ihres starken Soprans. Dem überschuldeten Schuft Sebastiano gab der vor allem durch seine einfühlsamen Liedinterpretationen gefeierte Bariton Matthias Görne das Profil eines eleganten Verführers, eines Wolfs im Schafspelz.
Ausgezeichnet auch die kleineren Rollen: Eva Liebau als berührende Nuri, Laszlo Polgár als Dorfältester Tommaso und mit leuchtendem Schönklang Valery Murga als Moruccio. Die drei schwatzhaften Damen in schmissigen Posen: Christiane Kohl (Pepa), Liuba Chuchrova (Antonia) und Kismara Pessatti (Rosalia).
Das alle Sänger in ihren Rollen debütierten ist angesichts der seltenen Aufführungen nur zu verständlich. Im Übrigen wurde auch sehr deutlich gesungen, wobei zusätzlich Übertitel halfen, dem Text zu folgen.

Tiefland bietet nicht nur den Sängern große Möglichkeiten, auch das Orchester kann mächtig auftrumpfen.
Dabei gelang es Franz Welser-Möst am Pult hervorragend die Balance zwischen Musiker und Bühne zu halten. Vom äußerst zarten Spiel der Soloklarinette am Beginn, bis hin zu den affektgeladenen Ausbrüchen, Welser-Möst gab sich ganz diesen Gefühlsexplosionen hin.

Markus Gründig, Juli 06