La finta giardiniera – Die Gärtnerin aus Liebe
Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot
Besuchte Vorstellung: 24. Juni 09
In der Liste der Opern Mozarts steht „La finta giardiniera – Die Gärtnerin aus Liebe“ an vierter Stelle (KV 51, nach „Die Schuldigkeit des ersten Gebots“, „Apollo und Hyacinth“ und „Bastien und Bastienne“). In der Hitliste der am meisten aufgeführten Opern Mozarts nimmt sie aber einen der hintersten Plätze ein, was zunehmend als nicht gerechtfertigt angesehen wird. 1775 uraufgeführt (als Auftragswerk für den Münchner Karneval), gab es in ihrer ursprünglichen Gestalt nur noch zwei weitere Aufführungen zu Lebzeit Mozarts (die nur ein Jahr zuvor uraufgeführte gleichnamige Oper von Pasquale Anfossi war dagegen sehr erfolgreich und wurde in ganz Europa gespielt).
Was macht nun Mozarts „Gärtnerin“ aus, die er achtzehnjährig komponierte und bei der Christian Friedrich Daniel Schubart „Genieflammen“ aufzucken sah?
Es ist das Neue von Mozarts Musikdramatik, das sich bei dieser Oper ankündigt und sie nicht mehr als „Frühwerk“ auszeichnet. Die damals vorherrschende Opera buffa lässt Mozart hinter sich. Er fängt an in theaterspezifischen Kategorien zu denken, psychologisiert das Bühnengeschehen und achtet darauf, dass die Nummern dramaturgisch logisch aufgebaut sind. Teilweise erhält die Musik bereits eine dramaturgische Funktion. Was diese Oper noch von seinen großen Meisterwerken unterscheidet ist, dass sie nur eine Anordnung heterogener Prozesse ist, ihr ein großer homogener Bogen jedoch noch fehlt.
Für die Produktion der Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot wurde die Oper leicht gekürzt, die Aufführungsdauer beträgt dennoch gute drei Stunden (inkl. einer Pause nach zwei Stunden, bzw. nach dem zweiten Akt). Nachdem sich mit dem ursprünglich vorgesehenen Regisseur nicht über das Konzept geeinigt werden konnte, übernahm im Februar 09 Katharina Thoma die Regie. Dabei wurde sich an den Bühnenbildentwurf der ebenfalls im Bockenheimer Depot entstandenen Produktion von Mozarts La finta semplice (Die Einfältige aus Klugheit) von Christof Loy und Herbert Murauer aus der Spielzeit 2005/06 orientiert.
Ein hölzerner Nachbau des Bockenheimer Depots steht im Mittelpunkt der Bühne von Herbert Murauer und Katharina Thoma. In unterschiedlichen Größen taucht das „Depot“ während der Aufführung immer wieder auf und wird so zum Sinnbild eines häuslichen Traumidylls, unter dessen Dach die Liebe gedeihen und wachsen kann.
Dem nicht leicht nachvollziehbaren Handlungslauf des Dramma giocoso trotzt Katharina Thomas mit einem Feuerwerk an Ideen unterschiedlicher Couleur. Die dem Stück immanente Länge lockert sie mit humoristischen Einlagen auf. So schwebt zu Beginn der junge Graf Belfiore (zurückhaltend: Jussi Mylls) mit einem Miniaturhubschrauber ein, wachsen Pflanzen aus dem Bühnenboden empor, fliegt das verliebte Paar Sandrina und Graf Belfiore durch Raum und Zeit, wird hinter aufgehängten Bettlaken kopuliert, eine Wasserschlacht geführt und sich entblößt (allerdings nicht vor dem Publikum).
Den Protagonisten wurden vier Gartenkobolde (Christopher Flach, Abdul Issa, Lou Mahboob und Philip Rau) an die Seite gestellt, die nicht nur zu Beginn einzelne Orchestermusiker an den Platz bringen, sondern auch zwischendurch immer wieder in die Handlung eingreifen.
Die vielschichtige Musik Mozarts, vom einfachen Lied über leidenschaftliche Monologe und lebensvollen Ensemblenummern, untermalen die von Kapellmeister Hartmut Keil geleiteten Mitglieder des Frankfurter Museumsorchesters sehr plastisch. Sängerisch stehen vor allem die vier Damen im Vordergrund. Allen voran Brenda Rae als Andrina / Gräfin Violante Onesti. Als die Gärtnerin gibt sie sich zunächst mit komödiantischer Leichtigkeit, bestreitet später einen Kampf mit einer riesigen Pflanze, von der sie sich nur mühsam befreien kann (das, was sie einst säte, scheint sie jetzt fast zu überrollen). Über zwischen den Musiker verteilt aufgestellten Baumstämmen findet sie schließlich den Weg zurück, zu sich und zum Graf Belfiore.
Mit starker Präsenz besticht Anna Ryberg als Arminda, Jenny Carlstedt kämpft tapfer als Ritter Ramiro (eine Hosenrolle). Souverän über all den Liebesbemühungen stehend: Michael McCown als Don Anchise.
Als Gewinn für die Produktion erweist sich die Teinahme von zwei Mitgliedern des Frankfurter Opernstudios: Nina Bernsteiner (Serpetta) und Yuriy Tsiple (Roberto / Nardo).
Katharina Thomas „Gärtnerin“ im Bockenheimer Depot ist ein sehenswertes intelligentes Spiel mit viel Humor in sommerlich leichter Atmosphäre.
Markus Gründig, Juni 09
Turandot
Staatstheater Darmstadt
Besuchte Vorstellung: 14. Juni 09 (Premiere)
Paul Potts Beitrag für „Britain’s Got Talent“ (dem britischen Äquivalent zu „Deutschland sucht den Superstar“) verzeichnet auf youtube.com aktuell 54.131.925 Aufrufe. Eine unglaubliche Zahl, nicht nur im Hinblick auf den ehemaligen Handyverkäufer, sondern auch darauf, dass er eine Opernarie sang: Puccinis „Nessun dorma“ aus „Turandot“. Hat je eine andere Arie eine solche Popularität erhalten? Wie viele neue Besucher durch diesen Auftritt den Weg in ein Opernhaus schaffen, wird nie in Zahlen zu messen sein, eine unerwartete Promotion stellen sein Auftritt und die sich anschließende Vermarktung jedenfalls dar. Inwieweit auch Premierenbesucher von „Turandot“ am Staatstheater Darmstadt von diesem Auftritt angeregt wurden, ist natürlich auch offen.
Die Neuproduktion von „Turandot“ hat jedoch auch so die Voraussetzungen, zu einem Publikumserfolg zu werden.
Regisseur (und Intendant) John Dew beschert dem Haus zusammen mit Heinz Balthes (Bühne) eine schon allein ästhetisch ansprechende Inszenierung, die trotz schlichten Bühnenbilds (mit chinesischem Kolorit), große Gefühle weckt und zu Herzen geht. Bildgewaltig wirkt bereits die Eröffnungsszene. Die Mauern der Kaiserstadt bestehen lediglich aus hohen roten Lamellen auf schwarzem Hintergrund, in der Mitte befindet sich zunächst ein breiter Steg (auf dem später auch der Kopf des jungen Prinzen von Persien zur Schau getragen wird). Von oben hängen viele kleine Einzelleuchten herab, die dem Raum eine zauberhafte Atmosphäre verleihen (und am Ende gar einen „Freudentanz“ hinlegen). Bis auf die Nachtszene im dritten Akt, ist ein warmes Rot die beherrschende Farbe, nicht nur als Symbol für Begehren, Eros und Leidenschaft, aber auch für Höllenfeuer und Tod. Rot ist auch die große Marmortreppe zum Kaiserpalast, auf dem der um Extra- und Kinderchor ergänzte und von André Weiss bestens einstudierte Chor steht. In Schwarz und mit roten Versatzstücken ist das Volk gekleidet, im schlichten grünen Umhang Calaf, Turandot trägt ein zugeknöpftes goldenes Kleid. Die chinesisch anmutenden Kostüme stammen von José-Manuel Vázquez.
Zum besonderen Erlebnis der romantisch und fernöstlich angehauchten Oper, tut Puccinis Musik ein Übriges dazu. Martin Lukas Meister am Pult des Staatsorchesters Darmstadt macht bereits von den eröffnenden Takten an klar, dass dieses Werk voller explosiver Höhepunkte und farbiger Differenziertheit ist.
John Dew verzichtet auf eine Neudeutung oder Hinterfragung des Stücks. Vielmehr interessiert ihn, das Verhalten der beiden sehr unterschiedlichen Frauen zu verstehen. Woraus für ihn folgt, dass dies nur möglich ist, „wenn Turandot und Liù als verschiedene Teile der gleichen Psyche zu sehen sind, die vereinigt werden müssen, um eine ausgeglichene Persönlichkeitsstruktur zu ergeben“ (so Dew im Programmheft). Um hierfür ausreichend Zeit zu haben, entschied er sich für die von Franco Alfano vollendete längere Fassung (Puccini starb vor Vollendung der Oper).
Katrin Gerstenberger gibt die Turandot zunächst als gefühlskalte, distanzierte und verstört wirkende Frau. Selbst als im intimen dritten Akt Calif ihr vor Raserei das Kleid vom Leib reißt, sie nur noch im Unterrock da steht und widerwillig seinen Kuss erduldet, taut sie nicht auf. Erst ganz am Schluss, als sie wieder die Hand über sein Leben hat, erkennt sie das Licht der Welt: die Liebe und beginnt sich ihr zaghaft zu öffnen. Als ihr Gegenpol ist die opferbereite Sklavin Liù angelegt, die Susanne Serfling mit bewundernswerter Innigkeit gibt. Alles andere als ein Macho ist der Calaf des Zurab Zurabishvili, stimmlich sicher und souverän. Lockerer hat Dew die Nebenrollen angelegt. Wie den ehrwürdigen greisen Kaiser Altoum (Markus Durst) als tattrigen Altrocker-Verschnitt (mit langem weißen Oberlippenbart) oder die drei kaiserlichen Minister: Kanzler Ping (David Pichmaier), Küchenmeister Pong (Lucian Krasznec) und Marschall Pang (Sven Ehrke) als Komiker und akrobatische Tänzer (Choreografie: Anthoula Papadakis) im Stil der Commedia dell´Arte.
Puccinis Intension die fernöstliche Welt mit der westlichen Welt einzufangen, ist hier sowohl eine musikalisch, wie auch sängerisch und szenisch runde Sache. Die letzten Vorstellungen vor der Sommerpause sind am 19. und 26. Juni, sowie am 9. Juli 09. Nach der Sommerpause steht “Turandot” ab dem 12. September 09 wieder auf dem Spielplan des Staatstheater Darmstadt.
Markus Gründig, Juni 09
Palestrina
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 11. Juni 09
Nach Beethoven und seinem „Fidelio“ im letzten Jahr, steht derzeit der Komponist Hans Pfitzner und seine 1917 uraufgeführte „Musikalische Legende“ „Palestrina“ im Mittelpunkt des Saisonabschlusses „Oper Finale“ der Oper Frankfurt. Die Aufführungsserie wird mit einer Vielzahl von anregenden Begleitveranstaltungen (bei denen Pfitzners Zeit in Frankfurt/Main und seine umstrittene Persönlichkeit im Mittelpunkt steht) ergänzt und vertieft.
Pfitzner, geboren 1869 und gestorben 1949, durchlebte Zeiten großer Veränderungen, auch und gerade in musikalischer Hinsicht. In seinen Kompositionen verschloss er sich diesen nicht und erweiterte seine Tonalität. Doch mit R. Wagner und R. Schumann als Vorbild, blieb seine Tonsprache letztlich traditionsbewahrend, was ihm auch den Ruf eines Epigonen einbrachte. In dem italienischen Komponisten Giovanni Pierluigi da Palestrina (1514/15 – 1594) sah Pfitzner einen Gleichgesinnten des musikalischen Konservativismus (damals wurde um die Ablösung des Gregorianischen Choral durch die kunstvolle Vokalpolyphonie gestritten), woraus die titelgebende Oper entstand.
Über 50 Jahre ist es her, dass „Palestrina“ in Frankfurt gespielt wurde und auch anderenorts wird diese Oper nur sehr selten inszeniert, zuletzt allerdings erst im Januar 09 an der Bayerischen Staatsoper in München. Zeigte dort Regisseur Christian Stückl die Oper in einem abstrakten Umfeld, bietet Regielegende Harry Kupfer in Frankfurt einen konkreteren Interpretationsansatz.
Den Kirchenmusiker Palestrina, der im 16. Jahrhundert die kirchenmusikalische Ordnung in der katholischen Kirche retten soll, transferiert Kupfer in die totalitäre Sowjetunion unter Stalin. Palestrina wird gleichgesetzt mit Schostakowitsch, der System fügig gemacht werden soll. Eine Sicht, die sich zwar nicht zwingend aus dem Werk ergibt (auch wenn es um das Verhältnis von Künstler/Kunstwerk und Gesellschaft geht), aber legitim ist, schließlich muss bei jeder Neuinszenierung ein Werk auf seinen Gegenwartsbezug hinterfragt werden. Und totalitäre Systeme gibt es leider auch noch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion (wie das Beispiel Nordkorea zeigt). Dabei wäre es sogar möglich den Totalitarismusbegriff frei weiter zu interpretiert und auch auf die ökonomische Lage der Künstler in demokratischen Staaten auszudehnen, wo die Regel der Marktwirtschaft (und des wirtschaftlichen Erfolgsdrucks) den kreativen Output massiv beeinflussen.
Das nüchtern gehaltene Einheitsbühnenbild von Hans Schavernoch zeigt auf der kleinen Drehbühne zwei Tribünen, auf denen teils vereinzelt, teils versammelt, die Konzilmitglieder sitzen. Auf die Seitenwände werden Bilder projiziert (wie ein Portrait Stalins und immer wieder ein vergoldetes Stacheldrahtgeflecht), die sich auf in der Mitte herabgelassenen Mosaikflächen spiegeln (Video: Peer Engelbracht).
Die Fläche hinter und unter den Tribünen dient als Sicherheitscheckzone wie an einem Flughafen, und als Café. In einem seitlichen WC werden unter dem Waschtisch Wanzen befestigt: Big Brother is watching you…
Korrespondierend zur Bühne sind die Kostüme von Yan Tax ausgefallen: schlichte Uniformen in grauen Tönen.
Pfitzner hat diese Männeroper einem Triptychon gleich angelegt, mit drei sehr unterschiedlichen Akten. Im ersten, sehr handlungsarmen und langen, Akt, begeistern der Tenor Kurt Streit in der anspruchsvollen Hauptrolle und Falk Struckmann als Carlo Borromeo. Im zweiten, aufgelockerten Akt (mit wechselnden Handlungsorten) sind fast alle Größen des männlichen Ensembles vertreten (Alfred Reiter, Johannes Martin Kränzle, Frank van Aken, Magnus Baldvinsson, Franz Mayer, Michael Nagy, Peter Marsh, Hans-Jürgen Lazar und Dietrich Volle). Zudem in Hosenrollen dabei sind Britta Stallmeister (Ighino) und Claudia Mahnke (Silla). Zusammen mit dem von Matthias Köhle einstudierten Chor untermauern sie alle das hohe Niveau der Oper Frankfurt. Großes Einfühlungsvermögen beweist Kirill Petrenko, der nach Chowanschtschina in der Spielzeit 2007/08 nun zum zweiten mal das Frankfurter Museumsorchester leitet. Die vielen unterschiedlichen Nuancen von Pfitzners melancholisch gefärbter Musik vermittelt er mit hingebungsvoller Intensität.
Markus Gründig, Juni 09
Elektra
Oper Frankfurt, Wiederaufnahme Saison 2008/09
Besuchte Vorstellung: 11. April 09 (Wiederaufnahmepremiere)
Mach keine Türen auf in diesem Haus!
Wurden die ersten Aufführungen der frühen Richard Strauss´ Oper „Elektra“ im Jahr 1909 von der Presse noch zurückhaltend bis abwertend beurteilt, hat sich diese Oper dessen ungeachtet einen festen Platz im weltweiten Spielplanrepertoire erobert. An der Oper Frankfurt fand jetzt die dritte Wiederaufnahme der ambitionierten Falk Richter Inszenierung aus dem Jahre 2004 statt (erneut bei einem sehr gut besuchten Haus). Trotz ihrer düsteren, ja brutalen Handlung (Librettist Hugo von Hofmann hat die Vorlage von Sophokles für einen schonungslosen Blick auf die griechische Antike genutzt), übt die Oper einen Reiz aus, oder gerade deshalb?
Ist die Blutrache auch in unserer Gesellschaft seit Jahrhunderten längst ad Acta gelegt, kann sie hier bequem vom Opernsessel aus betrachtet werden. Möglicherweise werden dabei auch persönliche Feinbilder auf die Protagonisten projiziert. Oper als Ersatztherapie? Nun, das genauer zu untersuchen führt hier zu weit.
Schließlich ist die Oper auch und vor allem ein musikalischer Hochgenuss. Sie ist ein Extrem an musikalischer Herausforderung, an das Orchester und die Sänger (insbesondere für Sängerin der Elektra). Schließlich hat Strauss hier seinen musikalischen Expressionismus zum Abschluss gebracht (unter Fortführung von Wagners leitmotivischer Kompositionstechnik). Eruptive Klangausbrüche untermalen die schrecklichen Geschehnisse und die Protagonisten müssen ihr Innerstes nach außen kehren. Michael Boder (Nachfolger von Sebastian Weigle auf der Position des Generalmusikdirektors am Gran Teatre del Liceu in Barcelona) und das Frankfurter Museumsorchester erschüttern mit Strauss´ überwältigender Kraft das Haus und bringen es zum Beben. Gleichzeitig fesseln sie aber auch bei den vielen außergewöhnlichen Zwischentönen.
Exzellent ist die hochkarätige Besetzung, die auch einige Rollendebüts beinhaltet. Caroline Whisnant in der höchst anspruchsvollen Rolle der Elektra, kann nahtlos an ihre außerordentlich intensive Rollengestaltung bei den vorherigen Aufführungen anknüpfen. Sie brilliert mit innigem, verzweifeltem Ausdruck und gestaltet die mörderische Partie mit nie nachlassender Kraft. Trotz aller ungezügelter Exaltiertheit zeichnet Whisnant die Elektra nicht als Furie, sondern lässt stets den Menschen dahinter durchscheinen, der tief verletzt eigentlich nach Liebe schreit. Ein grandioses Rollendebüt präsentierte Sonja Mühleck als Elektras jüngere Schwester Chrysothemis. Ihre große Stimme hatte sie stets unter bester Kontrolle und überzeugte mit starkem und selbstbewusstem Spiel, ganz so wie es sich für eine junge Dame vom Hofe gehört. Als letzte im Trio der weiblichen Hauptpersonen mit ausgedehnten monologischen Abschnitten, sorgt Tichina Vaughn in der Figur der „Big Mama“ Klytämnestra für ein weiteres erstaunliches Rollendebüt.
Der Chor, wie auch die Männer, haben bei dieser Oper keine dramaturgisch tragende Funktion. Sie sind Erfüllungsgehilfen für die mächtigen Frauen. Dietrich Volle (Pfleger des Orest) und Peter Marsh (junger Diener) erfüllen ihre Pflicht souverän. Ist Orest auch nur ein Werkzeug Elektras, Simon Bailey als Orest wirkt eine Spur zu brav für das vom Fluch belastete Haus der Atriden, dessen Türen besser geschlossen bleiben sollten, um weiteres Unheil zu vermeiden.
Die Türen der Oper Frankfurt sind für weitere Vorstellungen der Oper Elektra noch offen am 19., 24. April, 1. und 9. Mai 09.
Markus Gründig, April 09
Il trittico
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 4. April 09 (Wiederaufnahme-Premiere)
Große Oper
Hochdramatische Gefühlsausbrüche, Weinen und Lachen, Blicke auf intimes Glück und auf Grundfragen des Daseins, das Ganze eingebunden in eine überaus ohrenfreundliche Musik: Puccinis „Il trittico“ bietet großen Genuss für viele Sinne. An der Oper Frankfurt wurde dies jetzt von Yuval Zorn und dem Frankfurter Museumsorchester feingliedrig dargeboten. Unterstützend kommt die die außergewöhnliche Inszenierung von Claus Guth hinzu, die drei inhaltlich verschiedenen Einakter thematisch zusammenführt. Der Tod kennzeichnet alle drei Stücke, hier ist er allgegenwärtig. Das großzügig angelegte Einheitsbühnenbild, ein angedeuteter Luxusliner, gefällt nach wie vor in seiner weißen Eleganz und bewegt sich im Fahrwasser des Lebens hin und her.
Kurz gesagt: hier wird große Oper geboten. Kein Wunder also, dass diese Erfolgsproduktion bereits ein Jahr nach der ersten Aufführungsserie erneut auf dem Spielplan der Oper Frankfurt steht. Für die Wiederaufnahme konnten Sänger der ersten Aufführungsserie vom vergangenen Jahr gewonnen werden, dazu gibt es aber auch etliche Neubesetzungen. Bei „Il tabarro – Der Mantel“ debütieren an der Oper Frankfurt die gebürtige Ukrainerin Oksana Dyka (als verführerische Giorgetta) und der gebürtige Kalifornier persischer Abstammung und jetziger Wahl-Münchner, Anooshah Golesorkhi (als betrogener Michele). Erneut dabei ist unter anderen Frank van Aken (als heißblütiger Luigi).
Bei „Sour Angelica – Schwester Angelica“ berührt in der gleichnamigen Hauptrolle Juanita Lascarro, die hier ihr Rollendebüt gibt.
Britta Stallmeister erweicht als Lauretta mit „O mio babbino caro“ nicht nur das Herz ihres Vaters Gianni Schicci (sympathisch und mit lustvollem Spiel der famose Donato Di Stefano), sondern auch das des Publikums, hierfür erhielt sie als Einzige einen Szenenapplaus.
Ein Glücksfall für die Oper Frankfurt ist erneut Julia Juon, die in allen drei Stücken mit ihrer starken schauspielerischen Präsenz und fokussierter Stimme brilliert.
Weitere Vorstellungen: 9., 12., 18., 26. April, 2. und 6. Mai 09 (Beginn: 19.00 Uhr).
Markus Gründig, April 09
Die spanische Stunde / Das kurze Leben
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstelung: 22. Februar 09
Im vergangenen September eröffnete der spanische Kronprinz Felipe und Prinzessin Letizia im ehemaligen Amerika-Haus Frankfurt das Instituto Cervantes. Seitdem kann sich dort intensiv mit der spanischen Sprache und den hispanischen Kulturen beschäftigt werden. Einen außergewöhnlichen Beitrag zur spanischen Musikkultur bietet die Oper Frankfurt nun mit den beiden Kurzopern „Die spanische Stunde“ von Maurice Ravel und „Das kurze Leben“ von Manuel de Falla. Die beiden zeitnah entstandenen Opern handeln von der Liebe und (Un-) Treue, wobei die erste eine Komödie und die zweite eine Tragödie verkörpert.
Der französische Komponist Maurice Ravel ist fast ausschließlich durch sein Orchesterstück „Bolero“ bekannt, als Opernkomponist weniger. Mit „Die spanische Stunde“ schuf er, vom Wunsch getrieben die italienische opera buffa wieder zu beleben, eine leichtfüßige musikalische Komödie. Mit französischem Text versehen, hat die einstündige Oper durch ihren Handlungsort und vor allem durch die Musik, einen großen Bezug zu Spanien. Verschiedenartig klingen hispanische Klänge an, die in eine große Habanera münden.
Ort des Geschehens ist ein Uhrmacherladen in der spanischen Stadt Toledo (die nah an Madrid liegt). Bühnenbildner Christof Hetzer hat hierfür eine gelungene optische Umsetzung gefunden: Eine große, wabenförmige Wand mit einer Vielzahl von weiß leuchtenden Kreisen, die die vielen Uhren im Laden des Uhrmachers Torquemada andeuten. Der Laden an sich besteht lediglich aus verschieden hohen Podesten, einer Couch und aus zwei in der Mitte platzierten großen Standuhren. Diese dienen den Liebhabern als Versteck. Dabei ist der Raum nicht geschlossen, die Seiten sind offen. Im Hintergrund ist ein Sonnenuntergang zu sehen (der einer Fototapete aus den 70 er Jahren entsprungen sein könnte). Die Kehrseite dieser heilen Welt wird mit Einsatz der Drehbühne deutlich, wenn der Blick auf einen offenen Bereich frei wird. In diesem herrscht Armut und Not, eine nüchterne Müllhalde am Rand der Stadt. In diesen zwei Welten, der reichen und der armen, der Innen- wie der Außenwelt, spielen beide Opern (der Laden transformiert in „Das kurze Leben“ kurzerhand zu Pacos Heim).
“Die spanische Stunde“ folgt keiner herkömmlichen Form und bietet einen Deklamationsstil. Ravel hat sein Faible für Uhren in einnehmende Musik umgesetzt, die mit ihren geheimnisvollen und zauberhaften Klängen betört (am Pult des Museumsorchester alle Feinheiten der Partitur auslotend: Johannes Debus). Die Sänger (Claudia Mahnke als Concepcion, Hans-Jürgen Lazar als Torquemada, Aris Argiris als Maultiertreiber Ramiro, Daniel Behle als Gonzalve und Simon Bailey als Don Inigo Gomez) überzeugen, nicht zuletzt mit ihrem großen darstellerischen Talent. Die im Werk enthaltene Ironie setzen sie glänzend um.
De Falls bereits 1913 uraufgeführte Oper „Das kurze Leben“ weist eine prächtige Instrumentation auf, eine starke Einheitlichkeit und eine stimmige Synthese von Harmonie und Melodie. Hier wird die Nähe zum Verismus deutlich, womit de Falla dem zeitgenössischen Geschmack sehr entgegenkam. Und seine an Filmmusik erinnernden Melodien berühren auch heute noch. Barbara Zechmeister beeindruckt in der Rolle der unglücklich verliebten und ausgenutzten Salud, Elisabeth Hornung hinterlässt als fürsorgliche Großmutter nachhaltigen Eindruck, Gustavo Porta zeigt den Paco als gleichgültigen und gefühlslosen Schuft. Anstelle eines Flamencotanzes sorgen drei Tänzer für eine heiße Einlage an Tanzstangen (Jochum de Boer, Satya Roosens, Hoyoung min Kim) und der von Matthias Köhler einstudierte Chor zeigt sich als knallig bunt gekleidete Spaßgesellschaft.
David Hermanns Regiekonzept mit einer zurückhaltenden Personenführung überzeugt, trotz und gerade wegen der Unmittelbarkeit (wie bei Saluds brutalem Freitod, die sich mit ihrem Kopf in einen Kerzenständer stürzt), das wirkliche Leben ist nicht weniger grauenvoll. Die optische Verbindung durch die beiden, offen gehaltenen, Bühnenbilder gibt dem Abend zudem einen schlüssigen Bogen.
Markus Gründig, Februar 09
Love and Other Demons
Oper Chemnitz
Besuchte Vorstellung: 31. Januar 09 (Premiere, DEA)
Chemnitz prescht vor
Nicht in Berlin, Frankfurt, Hamburg oder München fand jetzt die deutsche Erstaufführung der Péter Eötvös Oper „Love and Other Demons“ statt, sondern im sächsischen Chemnitz. Damit fällt das Opernhaus Chemnitz erneut bundesweit auf, nachdem es bereits Jonathan Doves „Pinocchios Abenteuer“ im Juni 08 als deutsche Erstaufführung zeigte.
“Love and Other Demons“ entstand als Auftragswerk des Glyndebourne-Festivals (und der BBC), wo es am 10. August 08 uraufgeführt wurde. Erstmals in seiner Geschichte hatte das britische Glyndebourne-Festival einen Kompositionsauftrag an einen ausländischen Komponisten vergeben. Der am 2. Januar 1944 im ehemals ungarischen Székelyudvarhely geborene Péter Eötvös arbeitet nicht nur als Komponist, sondern auch als Dirigent, Schlagzeuger, Pianist und Klangmischer. Bekannt wurde der Stockhausen-Schüler vor allem durch seine Vertonung des Tony Kushner Schauspiels „Angels in America“.
“Love and Other Demons“ beruht, wie Eötvös erste Oper „Drei Schwestern“ (nach Tschechow), auf einem Roman: Gabriel García Marquez’ „Del amor y otros demonios“ – „Von der Liebe und anderen Dämonen“ (von 1994). Der kolumbianische Literaturnobelpreisträgers Marquez wurde 1927 geboren und ist u.a. durch seine Romane „100 Jahre Einsamkeit“ oder „Die Liebe in den Zeiten der Cholera“ weltweit geachtet.
Das Libretto zur Oper verfasste der Ungar Kornél Hamvai. Er kürzte die Romanvorlage nicht unerheblich. Mit Eötvös Musik entstand ein neues Werk, das die bereits im Roman vorgegebene musikalische Vielfalt (Wolfgang Sandner in der FAZ „Dieser Roman ruft nicht nach Musik – er ist selbst Musik“) zu einem packenden, zweistündigen Extrakt assimiliert.
Auch in Hinblick auf die Gestaltung der Gesangspartien verwendet Eötvös viel Energie und bemühte sich, das Beste aus den jeweiligen Stimmen herauszuholen und große Gefühle und Leidenschaften umzusetzen. Durch das multilinguale Libretto kommt neben Englisch, Spanisch und Lateinisch auch das afrikanische Yoruba zu Gehör (deutsche Übertitel helfen für das Verständnis).
Eötvös spricht im Zusammenhang der Stimmausprägung in dieser Oper von einer Wiederbelebung des Belcanto. Dies darf aber nicht in dem Sinne verstanden werden, dass zuckersüße Schmachtarien eines Puccini oder Verdi geboten werden. Eötvös Arien weisen durchaus Klangschönheit, Beweglichkeit und Ausgewogenheit der Stimmen aus, dennoch ist seine musikalische Sprache der Postmoderne zuzuordnen und entsprechend „offene Ohren“ sollte der Zuschauer mitbringen.
Besonders deutlich wird dies bei der Rolle der Kindfrau Sierva Maria, die sich von einem anfänglichen sphärischen Schwebezustand in ekstatische Wildheit wandelt. Szenisch wie sängerisch (mit sehr vielen Koloraturen) gestaltet die Berlinerin Julia Bauer diese schwierige Rolle bravourös und intensiv. Beeindruckend umgesetzt ist auch die Figur der Martina Laborde (Susanne Gasch), einer im Kloster verrückt gewordenen Mörderin. Als Mulattenmagd und Sklavin Mama Dominga gelingt es Tiina Penttinen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen.
Als wankelmütiger Kirchenbibliothekar und unfähiger Exorzist durch Verliebtheit überzeugt Andreas Kindschuh in der Rolle des Delaura. Mit diabolischer Finsternis und schwarzen Nickelbrillengläsern gibt Renatus Mészár einen Furcht einflößenden Bischof. „Normal“ scheint hier keiner zu sein, jeder ist auf seine Art besessen: von dem was für Liebe gehalten wird, von seinen Trieben, seiner Leidenschaft oder vermeintlichen Berufung.
Die Chemnitzer Inszenierung ist erst die zweite überhaupt (die Uraufführungsinszenierung war im Herbst 08 noch einmal in der Litauischen Hauptstadt Vilnius zu sehen). Der 2007 für seine Chemnitzer Inszenierung von Prokofjews „Liebe zu den drei Orangen“ mit dem Theaterpreis FAUST ausgezeichnete Regisseur Dietrich Hilsdorf übernahm für „Love and Other Demons“ die Regie. Die im 19. Jahrhundert im kolumbianischen Cartagena de Indias spielende Oper belässt Hilsdorf an ihrem Ort, lediglich eine etwas modernere Zeit wird durch einen Deckenventilator angedeutet. Das Einheitsbühnenbild von Dieter Richter ist publikumsfreundlich bunt, naturalistisch und funktional angelegt (was auch für die Kostüme von Renate Schmitzer gilt). Ein großer freier gefliester Bereich in der Mitte, an den Seiten Fragmente von einem Wohnhaus, Klosterbereich, Kirche, Kruzifix, Bibliothek und einfacher Sklavenwohnstätte. Im Hintergrund ist ein riesiger, in die Jahre gekommener Kirchenraum zu erkennen (der auch ein Palazzo eines Drogenbosses sein könnte). Zu Anfang und am Ende vermittelt ein halb hoher Bühnenprospekt eine idyllische Landschaftsstimmung, eine ungeteerte Straße und Felder, eine Reise mit Neugier ins Ungewisse… Dazu passt das stimmungsvolle Licht von Holger Reinke.
Um die musikalische Klangvielfalt und das Hörerlebnis zu erhöhen, wurde das Orchester, der Vorgabe Eötvös folgend, anders platziert. In der Mitte Schlagwerk und von der Mitte aus sich jeweils spiegelnd, die sonstigen Musikinstrumente. Um das Bühnengeschehen noch unmittelbarer erlebbar zu machen entschied sich das Chemnitzer Kreativteam dafür, den Orchestergraben hochzufahren und als Spielfläche zu nutzen. Das Orchester selber sitzt im hinteren Bühnenbereich, von einem nicht raumhohen Gazevorhang vom Bühnengeschehen abgetrennt. Dirigent Frank Beermann gibt sich hier ganz als magischer Voodoozauberkünstler, denn die Robert-Schumann-Philharmonie gestaltet Eötvös derart expressiv, plastisch und lebendig, das man die zwei Stunden über aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Vogelgezwitscher und undefinierbare Klänge erfüllen den Raum und lassen so ein Atmosphäre jenseits üblicher Operhörgewohnheiten erleben. Als Zuschauer fühlt man sich unvermittelt mitten im schwülen kolumbianischen Urwald, jede Sekunde gespannt, was wo wie als nächstes an diesem magischen Ort zu hören und zu sehen sein wird.
Großes Verdienst dieser Inszenierung ist es, bei aller immanenter Dramatik, Musiktheater der Moderne nicht dem Expertenpublikum vorzuenthalten, sondern zu einem beeindruckenden und schönen Erlebnis für jedermann zu machen.
Am Ende ungewöhnlich langer und intensiver Beifall, zudem Freude auf der Bühne und im Saal über die gelungene Umsetzung und dass sich die Kraftanstrengung der letzten Wochen gelohnt habe. Chemnitz liegt sicher nicht im Zentrum Deutschlands, eine Fahrt dorthin lohnt sich auf jeden Fall (und wie jüngst im ZDF-Theaterkanal zu sehen war, bietet das 5-Spartenhaus auch sonst noch außergewöhnlich viel).
Markus Gründig, Februar 09
Arabella
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 29. Januar 09
In seiner Lyrischen Komödie „Arabella“ hat Richard Strauss das Thema Geldnot thematisiert und geschickt mit zwei Liebesgeschichten verbunden. „Arabella“ war die letzte Zusammenarbeit zwischen Strauss und dem Librettisten Hugo von Hofmannsthal (der das Libretto vor seinem unerwarteten Tod zwar noch fertig gestellt hat, die endgültige Fassung aber nicht mehr redigieren konnte). Nach „Elektra“, „Der Rosenkavalier“, „Ariadne auf Naxos“ und „Die Frau ohne Schatten“ sollte mit „Arabella“ zwar eine „echt Wienerische“ Oper geschaffen werden, jedoch keine Operette, in dessen Nähe „Arabella“ oft gerückt wird. Dies liegt nicht nur an den enthaltenen Walzertakten, sondern auch an der zugrunde liegenden Geschichte (einem typischen Komödien-/Operettenstoff): Ein adliger Vater hat hohe Spielschulden, nur die Heirat der älteren Tochter mit einem finanzstarken Partner kann da noch helfen. Bevor es zum Happy End kommt, wird das junge Glück noch auf eine Probe gestellt und am Ende lösen sich alle Probleme und Sorgen im Nichts auf…
“Arabella“ beinhaltet verschiedene musikalische Ebenen: Konversationston, kroatische Volksmusik und Walzer. Dabei ist keine dieser Ebenen ausschließlich einer Figur zugeordnet (was zumindest für die Rolle der Arabella und des Mandryka denkbar wäre).
Der mehrfach ausgezeichnete Regisseur Christof Loy inszenierte diese „Arabella“ bereits im November 2006 an der Göteborgs Operan, als Koproduktion mit der Oper Frankfurt, wo sie jetzt, zum Zeitpunkt einer aktuellen Finanzkrise, zu sehen ist. Intendant Bernd Loebe hatte scheinbar hellseherischen Weitblick bei der Planung, so ZDF Moderator Steffen Seibert beim Podiumsgespräch „“Oper lieben“, dass im Anschluss an die besprochene Aufführung statt fand. Max Hollein, Gast des Podiumsgesprächs: „Finanzsorgen waren und sind in Wien immer aktuell, in der Stadt wo sich jeder gerne präsentiert und im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Leben stehen will, aber oft nicht kann“.
Loy setzt das Stück weder in der von Strauss vorgegebenen Zeit (1866), noch zur Zeit der Uraufführung (1933), sondern, wie er im Programmheft anmerkt, zur „Christof Loy-Zeit“ an. Auch meidet er einen deutlichen Bezug zu Wien. Derart ort- und zeitlos konzentriert er sich intensiv auf die Personencharakterisierungen und führt so Strauss´ Intension fort. Mit seinem Bühnenbildner Herbert Murauer schuf er ein doppeltes Bühnenbild. Vorangestellt ist eine weiße, nackte und leere Guckkastenbühne, die während der fast vierstündigen Aufführung meistens den Blick auf eine dahinter befindliche karge Hotelszenerie frei gibt, die in ihrer minimalistischen und stilvollen Ausführung jedoch mehr angedeutet wird. Zum Ende des ersten Aktes und am Schluss taucht Arabella (bzw. Arabella und Mandryka) gar in ein schwarzes Nichts. Damit überlässt Loy die Interpretation dem Betrachter. In Erinnerung wird vor allem die Szenerie beim Fiakerball bleiben, die wie ein Stillleben arrangiert ist: die Partygesellschaft hängt erschlafft in den letzten Zügen über Sofas und Treppen. Einzelne Ballbesucher stehen quasi auf dem Kopf und rutschen in halber Zeitlupengeschwindigkeit in eine andere Position (Hollein: „typisch Wien um 4h früh“).
In einer Welt voller Geld-, Spiel- und Vergnügungssüchtigen nimmt die Titelfigur eine Ausnahmestellung ein. Arabella allein hat moralische Integrität, bleibt rein und unschuldig. Anne Schwanewilms gelingt es famos, der Arabella eine fast überirdische Aura zu geben und vollzieht die Wandlung vom unbedarften Mädchen zur gereiften Frau authentisch. Sie ist eine erfahrene Strauss-Interpretin und schafft mit Leichtigkeit, die vielfältigen Kantilenen äußerst farbenreich zu gestalten. Äußerst innig gelingt ihr mit Britta Stallmeister (mit großer Empathie als Zdenka) das berühmte Duett „Aber der Richtige, wenn’s einen gibt“. Das gefällt, wie Alfred Reiter bei „Oper lieben“ berichtete, auch den Kollegen, die diese Szene stets zahlreich vom Bühnenrand verfolgen würden. Auch die anderen Damen tragen zum positiven Gesamteindruck bei: Helena Döse mit warmherzigen Mezzo als bekümmerte und oberflächliche Mutter, Susanne Elmark mit starken Koloratursopran als peitscheschwingende, furiose Fiakermilli und Barbara Zechmeister in der kleinen Rolle als Kartenaufschlägerin.
Robert Hayward (Mandryka) bezeichnet sich selbst treffend als ein zu Geld gekommener Bauer, „langsam aber kräftig“. Die Wiener Gesellschaft scheint ihm nicht ganz geheuer, so zurückhaltend wie er ihn gibt. Gesanglich gefällt er mit seinem gut geerdeten Bassbariton umso mehr. Alfred Reiter vermeidet als Graf Waldner (optisch auf alt getrimmt) jegliche buffoneske Anspielung. Richard Cox leiht dem Mandryka die nötige Einfältigkeit. Arabellas Verehrer (Peter Marsh, Florian Plock und Dietrich Volle) versuchen mit großer Leidenschaft Arabellas Herz zu erobern.
Vom Museumsorchester unter der Leitung von Sebastian Weigle werden die Sänger auf Samtpfoten getragen. Die in der Regie bereits angelegte Personencharakterisierung wird dadurch zusätzlich untermalt, so dass diese „Arabella“ zwar eine ernste, aber nicht minder musikalisch und szenisch herausragende Produktion ist.
Markus Gründig, Januar 09
Die Räuber (I masnadieri)
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 7. Dezember 08
“Ach du gehst heute in „Die Räuber“. Ist das nicht von Goethe? Oh nein, von Schiller! Aber da geh ich eigentlich auch nicht hin, sondern in die Opernversion von Giuseppe Verdi. Ach so, na dann viel Spaß.“
Verdi, neben Mozart einer der ganz großen Opernkomponisten (mit Werken wie Aida, Nabucco, La Traviata) schuf viel mehr, als die gemeinhin bekannten Werke (insgesamt allein 28 Opern).
Eine seiner bei uns unbekannten Opern ist „I Masnadieri“ („Die Räuber“), basierend auf Schillers gleichnamigem Stück. Diese Oper zählt zu Verdis Frühphase. Nicht nur daß diese Oper nun erstmals in Frankfurt inszeniert wird, selbst in den meisten Opernführern wird sie allenfalls namentlich aufgeführt. Grund genug für Bernd Loebe, Intendant der Oper Frankfurt und nachhaltiger Förderer unbekannter Opern, den Blick auf Verdi mit diesem Werk zu erweitern. Dieser Blick richtet sich vor allem auf die tragische Figur der Amalia, für die Verdi ein einzigartiges Rollenportrait am Rande des Wahnsinns skizzierte, was für Loebe mit ausschlaggebend war, „Die Räuber“ in den Spielplan aufzunehmen.
Verdi hat gemeinsam mit seinem Librettisten Andrea Maffei die Schillersche Vorlage auf eine publikumsfreudige Operversion zurechtgestutzt (dabei wurden Rollen gestrichen, verschmolzen oder auf den Chor verlegt). Von Sturm und Drang und gesellschaftlicher Umwälzung ist hier nichts zu spüren. Beherrschend sind die persönlichen Konflikte. Als Regisseur wurde von der Oper Frankfurt der 31-jährige Benedikt von Peter verpflichtet, der damit seine erste Inszenierung in Frankfurt präsentiert. Er hat bereits mit Produktionen in Berlin, Hamburg und Heidelberg auf sich aufmerksam gemacht hat. Von Peter richtet seinen Blick ganz auf das Ende, den Tod zu. Dieser sitzt bereits vor Beginn am Bühnenrand und macht somit deutlich, wer hier das Sagen hat. Mit Tod ist hier aber nicht nur der physische Tod gemeint, sondern auch Tod in einem übergeordneten Sinn.
Auf nahezu leerer, seitlich offener und kalt ausgeleuchteter Bühne beginnt nach einem das Publikum teilweise in Schrecken setzenden Intro, die aus vier Akten bestehende Oper. Im zweiten Akt verwandelt sich die abstrakte, zeitlose Szenerie in einen nahezu naturalistischen Wald. Nahezu deshalb, weil das Dutzend Bäume verkehrt herum vom Himmel baumeln, abgeschlagen, abgesägt, vom Lebensnerv getrennt, so wie auch der alte Graf von Moor bereits auf einer Bahre seinem Ende entgegensieht (Bühnenbild: Annette Kurz). Einzig heiteres Vogelgezwitscher zeugt davon, dass das Leben immer weiter geht. Die Waldszenerie ist ein stimmungsvolles Licht gestellt, es herrscht eine wahre Lagerfeueratmosphäre (Licht: Olaf Winter).
Der Chor der Jünglinge ist hier ein Chor von Greisen. Ihre Gegenwartskittel, die sie zu Beginn tragen, legen sie im zweiten Akt ab und tauschen sie gegen historisierende Räuberkostüme, die für diese Produktion aus den Tiefen des Opernfundus hervorgeholt wurden (Kostüme Ursula Renzenbrink). Nach der Pause entwickelt sich die Szenerie dann langsam wieder zu ihrem Anfangsstadium zurück, sodass sich der Kreis des Lebens schließt.
Durch einen Streik der Musiker konnte bei der Premiere vor einer Woche diese Oper nur mit Klavierbegleitung gegeben werden. Überraschend war die Resonanz besser als vermutet. Dennoch, zum Erlebnis Oper gehört ein großes Orchester, ein satter, voller Klang, mit feinen Zwischentönen und elegischen Ausschweifungen. Bei der besuchten Vorstellung (die Tarifverhandlungen wurden zwischenzeitlich wieder aufgenommen und der Streik ausgesetzt) sorgte Zsolt Hamar am Pult des Frankfurter Museumorchester für einen typischen Verdiklang, bei dem kraftvolle Passagen sich mit ruhigen, lieblichen Melodebögen abwechseln. Queen Victoria soll zur Uraufführung 1847 in London ausschließlich gesagt haben „zu laut“. Das trifft auf die Frankfurter Aufführung nicht zu, denn Hamar gelang ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Orchester und dem durchweg sehr gut agierenden Sängern herzustellen.
Die Rolle der Waise Amalia (die einzige Frauenrolle in diesem Stück) ist von Verdi groß angelegt. Hier bestach die gebürtige ukrainische Koloratursopranistin Olga Mykytenko nicht nur mit ihrer gossen darstellerischen Präsenz, sondern vor allem mit ihrer warmen und gut geführten Sopranstimme. Allein wegen ihr ist ein Besuch dieser Opernrarität in Frankfurt unbedingt zu empfehlen.
Die drei männlichen Hauptrollen (Massimiliano, Graf von Moor (mit brillant gegründeten Bass: Magnus Baldvinsson), Carlo, sein älterer Sohn (mit musterhafter Tenorstimme: Alfred Kim) und Francesco, sein jüngerer Sohn (diabolisch und kraftvoll: Ashley Holland)). Der Chor, nur aus Männerstimmen bestehend, begeistert mit kraftvollen Auftritten.
Markus Gründig, Dezember 08
Lucia di Lammermoor
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 2. November 08
Donizetti in Frankfurt. Donizetti, wer? Der 1797 in Bergamo geborene Gaetano Donizetti war nicht nur ein erfolgreicher Gesangsmeister, Repetitor, Regisseur und Dirigent, er war auch ein überaus eifriger Komponist. Neben zwei Oratorien, 29 Kantaten, fünf Hymnen, Kirchenmusik und Orchester-Werken, komponierte er über 70 (!) Opern. Dennoch wurde in den vergangenen 50 Jahren keine seiner Opern in Frankfurt szenisch aufgeführt. Dafür, wie dem Oper Frankfurt Magazin zu entnehmen ist, hat selbst Dramaturg Zsolt Horpácsy keine Erklärung. Sei’s drum. Nach zwei Opern der Moderne zum Saisonbeginn (Reimanns “Lear“ und Joneleits „Piero – Ende der Nacht“) gibt es nun mit „Lucia di Lammermoor“ ein Glanzstück aus dem Belcanto zum zuckersüßen musikalischen Goutieren.
Regisseur Matthew Jocelyn hat die tragische Liebesgeschichte vom schottischen Hochland in ein heutiges Großraumbüro einer Zeitungsredaktion, der Ashton-Press, versetzt. Die Bühne von Alain Lagarde besteht aus unheilvoll dunkel getäfelten Wänden, ein paar blanke Stellwände deuten an, dass dieser Raum nicht immer als Redaktionsbüro genutzt wurde. Seitlich gibt es zwei Nebenräume. Rechts einen Flurbereich und links ein nüchtern gehaltenes Chefzimmer (mit Boxsack und attraktivem Sportler auf einem großen Poster).
„Ashton-Press“ ragt mehrfach in großen Lettern von den Wänden. Dieser Firma geht es finanziell schlecht, dringend wird neues Kapital benötigt. Geldnot, ein zeitloses Thema, nicht nur zur Zeit der Finanzkrise im Frühherbst 2008. Inhaber und Mafiosi Enrico Ashton (außerordentlich vital: George Petean, mit starker stimmlicher Präsenz und gut geführter Stimme), hat die rettende Idee, der Firma durch Heirat seiner Schwester eine kräftige Finanzspritze zukommen zu lassen. In Lord Arturo Bucklaw (souverän: Peter Marsh, wenn auch von Kostümbildner Alain Lagarde in einen auberginefarbenen Mantel gesteckt, während alle anderen Männer schwarz und grau gekleidet eher als Macho-Typen gegeben werden) hat er auch schon einen Kandidaten gefunden. Doch wie es das Schicksal will, liebt Lucia stattdessen Enricos Erzfeind Edgardo. Als dieser besticht besonders mit seinen beiden Arien zum tragischen Ende hin, der junge maltesische Tenor Joseph Calleja. Die Klangfarbe seiner Stimme, die er mit lyrischer Gestaltungskraft vorführt, wirkt wie Balsam. Calleja begeisterte in Frankfurt zuletzt im vergangenen Juni im Rahmen der Festa Opera Malta rund 2.000 Konzertbesucher in der Alten Oper Frankfurt. Dort wird er im Februar 2009 in einer konstanten Aufführung von Bizets „Die Perlenfischer“ zu erleben sein, dazu im nächsten Jahr u.a. in den Opernhäusern von München, Wien, London und New York (MET).
Callejas Ehefrau Tatiana Lisnic ist nicht nur auch Sängerin, sie steht in der Titelrolle der Lucia mit ihm auf der Bühne. Anfangs leicht und unbeschwert, gelingt ihr glaubwürdig die schwierige Wandlung zur verzweifelten Mörderin. Die äußerst gefühlvolle Arie „Il dolce suono“ („Wahnsinnsarie“), wurde auch durch die Space Opera „Das 5. Element“ (mit Bruce Willis) einem großen Kreis bekannt (im Film singt die Diva Plava Laguna im Vergnügungsraumschiff Fhloston Paradise diese Arie. Regisseur Jocelyn lässt Lucia in Ihrer Verzweiflung nicht einfach am Bühnenrand singen, sondern über ein Treppengerüst irrend. Dennoch gelang Lisnic diese fast zehnminütige Arie bravourös, wie sie auch sonst mit ihrer lyrischen Wärme erfreute.
Wie von Donizetti vorgegeben (aber selten praktiziert), untermalt hier eine Glasharmonika diese Arie. Sascha Reckert spielte sie bereits bei der „Lucia“ des Staatstheater Mainz in 2007. Auch in Frankfurt sorgt er nun für unbedingt hörenswerte, traumwandlerische Klangbögen, die die „Wahnsinnsszene“ zusätzlich von der Realität in eine Zwischenwelt entrücken.
In weiteren Rollen gefielen: Bálint Szabó (Raimondo Bidebent), Katharina Magiera (Alisa) und Michael McCown (Normanno).
Leidenschaftlich und kämpferisch agierte der von Matthias Köhler gut eingestimmte Chor. Roland Böer leitete das Frankfurter Museumsorchester und sorgte für einen differenzierten, sängerfreundlichen Klang und hob dabei auch Donizettis melancholischen Unterton hervor.
Markus Gründig, November 08
The Turn of the Screw
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 1. November 08 (Wiederaufnahme-Premiere)
Eine Saison ohne einem Werk von Benjamin Britten ist an der Oper Frankfurt mittlerweile kaum mehr vorstellbar. Auch wenn es in der aktuellen Saison keine Neuinszenierung gibt, so doch immerhin eine besondere Wiederaufnahme: die Erfolgsproduktion von Brittens Kammeroper „The Turn of the Screw“. Es ist die 3. Wiederaufnahme dieses Stückes seit der Premiere vom 3. November 2002. Zeitlich wurde für die Wiederaufnahme ein gutes Datum gewählt: Allerheiligen. Dieser Tag gilt vor allem in der katholischen Kirche als Gedenktag der verstorbenen Heiligen. Der Abend davor ist als Halloween bekannt, nicht nur in Nordamerika, sondern zunehmend auch bei uns.
Von Geistern und Verstorbenen handelt Brittens rätselhafte Oper „The Turn of the Screw“, die Geschichte einer jungen, namenlosen Gouvernante, die ein ihr auferlegtes Gebot, aus innerer Not heraus, außer Acht lässt. Je länger sie sich im Haus Bly befindet, um so mystischer und unheilvoller, ja dramatischer werden die Vorkommnisse. Wie sich eine Schraube gleichmäßig immer tiefer in einen Gegenstand windet, so bohrt sich auch diese Oper immer tiefer in die Erlebnisebene des Zuschauers. Dies erfolgt einerseits in musikalischer Hinsicht, aber auch genial in der sparsamen szenischen Umsetzung durch Christian Pade (Regie) und Alexander Lintl (Bühne & Kostüme). Auf der großen, mit schwarzen Vorhängen eingerahmten Bühne drehen sich zwei freistehende große Mauerkörper, der eine im anderen verankert, von Szene zu Szene dem fatalen Ende zu. Sie sind hell angeleuchtet und vermitteln je nach Blickwinkel, unterschiedliche, abstrakte Ansichten.
Diese Wiederaufnahmeserie wird komplett vom Ensemble der Oper Frankfurt bestritten, wobei bis auf Sonja Mühleck alle Darsteller ihr Rollendebüt geben. Einzig Ludwig Haide (Miles; alternierend mit Constantin Callies) ist als Gast dabei. Beide sind Mitglieder der Aurelius Sängerknaben Calw. Sonja Mühleck hatte die Rolle der strengen Haushälterin Mrs.Grose bereits bei der letzten Wiederaufnahmeserie inne.
Obwohl diese vielschichtige Kammeroper auf großer Bühne spielt, besteht das „Orchester“ aus lediglich 13 Musikern, die zum Teil mehrere Instrumente spielen. Großer Orchesterklang ist folglich gar nicht vorgesehen, es sind die vielen schillernden Klangfarben, die bestechen und unter der Leitung von Yuval Zorn, seit August 08 Kapellmeister an der Oper Frankfurt, bestens herausgearbeitet wurden. Mit seiner klaren Stimme beeindruckte der junge Ludwig Haide in der Rolle des Buben Miles. Richard Cox überzeugte nuancenreich als diabolischer Verführer Quint. Das Damenquartett (Die Gouvernante: Brenda Rae , Flora: Christiane Karg, Mrs. Grose: Sonja Mühleck und Miss Jessel: Barbara Zechmeister) bot eine überaus geschlossen wirkende Leistung mit intensiver, darstellerischer Präsenz..
Was ist hier Einbildung, was ist real? Diesen Fragen kann noch bei Vorstellungsbesuchen am 8., 21. & 23. November 08 nachgegangen werden.
Markus Gründig, November 08
Norma
Oper Frankfurt
Konzertante Aufführung in der Alten Oper Frankfurt
Koproduktion mit der Alten Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 28. Oktober 08 (Premiere)
Belcanto Highlight in Frankfurt
Keine 35 Jahre ist Vincenzo Bellini alt geworden, dennoch komponierte er zehn Opern, wovon drei auch heute noch gespielt werden (neben „Norma“ sind dies „La sonnambula“ und „I puritani“). Im Musikbusiness seiner Zeit (1801-1835) sorgte er mit einer neuen musikalischen Sprache für Furore, indem er für die Melodik der Gesangspartien einen neuen Stil erfand: Augenblicksbeseelung mit elegischem Ausdruck. Wie bei keinem anderen Komponisten zuvor galt es ihm, über die Melodie die Gefühle des Publikums zu erreichen.
Seine „Norma“ gilt als einer der Höhepunkte des Belcanto, bei der Wohlklang und Brillanz der Stimme eine vollendete Symbiose bilden können. Dennoch wird sie viel zu selten aufgeführt. Das mag an der Schwierigkeit liegen, die Eifersuchtstragödie um die gallische Seherin Norma zeitgemäß interpretieren und szenisch umsetzen zu können, aber auch an den hohen Anforderungen an die Sängerin der Hauptpartie (u.a. mit vielen hohen C´s).
Auch ist die Oper untrennbar mit der Ausnahmekünstlerin und Diva Maria Callas verbunden, die hier Interpretationsgeschichte geschrieben hat.
Vielleicht wird „Norma“ in eine der nächsten Spielzeiten auf dem Spielplan der Oper Frankfurt stehen. Jetzt gab es mit zwei konzertanten Aufführungen in der Alten Oper Frankfurt zumindest eine hauptsächlich akustische Begegnung mit „Norma“. Für Opernfreaks ein Highlight der Saison, was auch an Silvana Dussmann und Mario Malagnini in den Hauptrollen lag.
Silvana Dussmann war in Frankfurt bereits in „Die Frau ohne Schatten“, „Un ballo in maschera“ und „La clemenza di Tito“ zu Gast. Die Rolle der Norma erfüllte sie mit scheinbarer Leichtigkeit. Als einzige Sängerin sang sie ihre große Partie vollkommen ohne Blatt (und stand daher etwas zurück mit Blickkontakt zum Dirigenten). Sie sorgte mit großer darstellerischer und selbstsicherer Präsenz für Begeisterung im vollen Großen Saal der Alten Oper. Dabei wusste sie bestens die zwischen hingebungsvoller Liebe und grenzenlosem Hass wechselnden Gefühle der Norma mimisch und vor allem sängerisch umzusetzen. Großartig schaffte sie Bellinis, alle Tonhöhen auslotenden, Melodiebögen intensiv zu gestalten, nicht nur bei der als sängerisches Glanzstück aller Primadonnen geltenden Kavatine „Casta diva“ (Keusche Göttin). Dussmann verfügt über einen großen Atem und besitzt eine wunderbare Beweglichkeit für die Koloraturen. Überaus bewegend gestaltete sie zusammen mit Emma Vetter als ihrer Rivalin und spätere Freundin Adalgisa, die Duette „Ah si, fa´core, abbracciami“ und „Si, fino all´ore estreme compagna tua m´avrai“. Emma Vetter war kurzfristig für Stella Grigorian eingesprungen. Mit ihrem lyrisch intensiven Gesang war auch sie ein Glanzpunkt der Aufführung. Das Trio der erstklassigen Sänger an diesem Abend rundete der brillante italienische Tenor Mario Malagnini mit seiner hohen Gesangskultur ab.
Welche Laus Bálint Szabó, der im Programmheft noch mit Lockenpracht freundlich lächelt, an diesem Abend über den Weggelaufen war, ist nicht bekannt. Jedenfalls wirkte er den ganzen Abend über leicht genervt. Vielleicht war es aber auch nur sein Ausdruck für den reifen Oroveso. Im zweiten Akt war er dann zumindest auch stimmlich angekommen und gefiel mit kräftigen Tönen. In gewohnt unbekümmerter Freude bildete Tenor Hans-Jürgen Lazar als Flavio dazu einen Kontrapunkt.
Als Clotilde konnte die irische Mezzosopranistin Paula Murrihy ihr Können unter Beweis stellen. Sie ist Mitglied des Opernstudios der Oper Frankfurt und man darf sich auf weitere Aufführungen mit ihr freuen.Der Chor gefiel besonders bei den groß angelegten Nummern, allen voran beim kraftvollen Schluss. Leider war die Textverständlichkeit des Chores nicht immer optimal. Pier Giorgio Morandi am Pult des Frankfurter Museumsorchesters setzte auf vorwärtsdrängende, rasante Tempi, ließ aber auch genug Raum für die zarten, intimen Momente.
Markus Gründig, Oktober 08
Lear
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 28. September 08
Der König von der traurigen Gestalt
Gibt es eine brutalere und tragischere Geschichte als Shakespeares „König Lear“, die das Märchenmotiv vom Vater der sein Erbe unter seinen Töchtern aufteilen will, aufgreift? Hier geht es gar um ein ganzes Königreich. Die Liebe der jüngsten Tochter wird missverstanden und ihm wird in der Folge alles genommen. Eine brutale Spirale der Gewalt wird entfacht: es wird gemeuchelt, vergiftet, geblendet und erstochen.
Aribert Reimann (Jahrgang 1934) vertonte diesen Stoff in einer Textbearbeitung von Claus H. Henneberg. Er wurde angeregt vom legendären Sänger Dietrich Fischer-Dieskau (die Hauptrolle wurde gar für seine Stimme komponiert). Beeinflusst von der Gewalt der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts, wurde die Oper vor dreißig Jahren in München uraufgeführt. Seitdem folgten 20 Inszenierungen, nationale wie internationale (was für ein Stück modernes Musiktheater sehr viel ist). „Unbegleitete Cluster-Schichtungen, Schlagzeug-Ausbrüche, Vierteltonklänge, geheimnisvolles Raunen der Bässe, rhythmische Verschiebungen von auf- und absteigenden oder umeinander kreisenden Linien, Streicherflächen, Einzelteile, die sich gelegentlich wiederholen, verändert freilich, Koloraturen-Hysterie, durchgehaltene Personencharakteristik – in „Lear“, seiner dritten Oper, markiert Aribert Reimann eine kompositionstechnische Meisterschaft, eine Materialbeherrschung auf höchstem Niveau.“(Wolfgang Loeckle)
Sebastian Weigle, Frankfurts neuer Generalmusikdirektor, wählte „Lear“ als Eröffnungsstück für sich und gleichzeitig für die neue Spielzeit. Ein mutiger Schritt, hat die Oper doch einen „negativen“ Helden, keine Liebesgeschichte und Protagonisten mit höchst differenzierten seelischen Entwicklungsgängen. Dazu stellt sie extrem hohe Anforderungen an das Orchester und die Sänger. Tosender Applaus am Ende der Premiere belegte, dass es sich gelohnt hat, dieses Projekt erstmals in Frankfurt zu stemmen.
Für die Regie konnte die Oper Frankfurt den Briten Keith Warner gewinnen, der in Frankfurt mit „La Cenerentola“, „Volo di notte“ „Il prigioniero“, „Macbeth“ und „Death in Venice“ bereits für Furore gesorgt hat. Reimanns „Lear“ zeigt er als mahnende Parabel mit epischen Dimensionen, ohne größere Aktualisierungen (von einem gigantischen Müllberg aus Plastiktüten und Kleidern für die „Heide-Szene“ mal abgesehen). Die imponierende Szenerie mit düsterer Untergangsstimmung besticht mit kleinen, kammermusikalisch artigem Szenen, die mit großen Bildern wechseln.
Neben einem kleinen Königsgemach gibt es eine großzügige, schlichte Halle, aber auch Orte ohne jedweden Bezug, wie ein schwarzes Irgendwo für das französische Lager in Dover oder ein freies Feld. Feinfädriger Regen unterstreicht stellenweise die kalte Atmosphäre (Bühne: Boris Kudlicka).
Überaus ansprechend wirken die zwischen Lack und Leder und historisierenden Kleidern chargierenden detailverliebten Kostüme von Kaspar Glarner.
Bei allem Bestreben in die Grenzbereiche orchestralen Möglichkeiten vorzustoßen, ist Reimann auch ein sängerfreundlicher Komponist, der die Rollen musikalisch sehr streng abgrenzt. Wolfgang Koch besticht mit gut fokussierter Stimme in der Traumrolle des gefallenen, leidenden Lear („Ich bin ein Mann, an dem man mehr gesündigt, als er sündigte“). Für „aufhören“ sorgt der Countertenor Martin Wölfel (Helicon in „Caligula“) in der Rolle von Graf Glosters Sohn Edgar, eine Rolle die besonders während seines Versteckspiels als „verrückter Tom“, extreme Höhenlage erfordert. Für Gänsehaut sorgen die beiden machtbesessenen und vor keiner Gewalttat zurückschreckenden Frauen Goneril (Jeanne-Michèle Charbonnet ) und Regan (Caroline Whisnant Regan). Mit lyrischen Farben besänftigt dagegen die reine Cordelia (Britta Stallmeister). Quasi als zusätzlichen Bonus für das Frankfurter Publikum ist die Rolle des Narr mit Graham Clark besetzt, die dieser mit großem körperlichen Einsatz und stimmlicher Präsenz bestens ausfüllt.
Der Chor fügte sich in dieses großartige Gesamtwerk unter der Leitung seines neuen Direktor Matthias Köhler bestens ein. Hörenswert ist schon allein das von Sebastian Weigle ausgezeichnet einstudierte Museumsorchester, das Reimanns immensen Klangmassen in ihrer dunklen Farbenpracht mit großer Spiellust ausführte und dabei nicht das Gespür für die zarten instrumentalen Dialoge verlor.
Aribert Reimanns überdimensionale Klangwelt des tragischen „Lear“ an der Oper Frankfurt ist musikalisch wie szenisch ein großartiger Auftakt der neuen Saison.
Markus Gründig, September 08
Die Premiere wurde vom CD-Label OehmsClassics mitgeschnitten und ist im Handel und in der Oper Frankfurt erhältlich.
Tannhäuser
Festspielhaus Baden-Baden
Besuchte Vorstellung: 29. Juli 08
Opernleckerbissen an der Oos
Sommerzeit ist Festspielzeit und so locken vom Norden bis zum Süden, vom Westen bis zum Osten, allerorts Festspiele Besucher aus nah und fern an. Höhepunkt der diesjährigen Sommerfestspiele des Festspielhauses Baden-Baden war Richard Wagners „Tannhäuser“. Die Inszenierung von Nikolaus Lehnhoff (eine Koproduktion zwischen dem Festspielhaus Baden-Baden und der Nederlandse Opera Amsterdam) hatte im Februar 07 in Amsterdam Premiere und war nun erstmals in Deutschland zu sehen.
Die Premiere am Freitag den 25. Juli 08 fiel datums- und zeitgleich mit der Eröffnung der diesjährigen Bayreuther Festspiele zusammen, was aber nur ein reiner Zufall war. Dennoch gibt es zahlreiche Verbindungen zwischen Bayreuth und Baden Baden (letzteres war einst neben Bayreuth als Standort für ein Festspielhaus von Richard Wagner in Erwägung gezogen worden). Hochkarätige Produktionen bieten beide Festspielorte und wer keine Karte für Bayreuth bekommen konnte, musste nicht darben, sondern konnte im Festspielhaus Baden-Baden ein vergleichbares Klassikhighlight erster Güte genießen.
Regisseur Nikolaus Lehnhoff ist zudem ein Schüler von Richard Wagners Enkel Wieland Wagner (1917 – 1966), womit sich eine weitere Verbindung zwischen Baden-Baden und Bayreuth ergibt, Lehnhoff zeigte in Baden-Baden bereits Wagners „Parsifal“ (2004) und „Lohengrin“ (2006).
Tannhäuser im Spannungsfeld zwischen Venus und Elisabeth
In Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner Raimund Bauer verzichtete Lehnhoff auf eine naturalistische Darstellung des Venusbergs und der Sängerhalle. Das abstrakte Einheitsbühnenbild zeigt eine fast die gesamte Bühne einnehmende mächtige Wendeltreppe (im ersten Aufzug mit einer weiteren, inneren Treppe). Diese steht für die Windungen des Lebens, für eine Bewegung ohne Anfang und ohne Ende, für sich näher und sich entfernen. Die Lebensschraube läuft und läuft, nimmt Menschen mit, lässt Menschen los, lässt Menschen straucheln, allen voran solche zwischen Sinnlichem und Geistigem hin- und hergerissenen, wie den Künstler Tannhäuser.
Platziert ist die mächtige Treppe in einem umschlossenen, schmucklosen Raum, der nur wenige Türen hat und ohne Fenster ist. Eine kleine Welt für sich, in der hochdramatisch die Geschichte des Tannhäuser verläuft. Im zweiten Aufzug funkeln mit Hilfe hunderter kleiner Minilämpchen die Wände, wodurch der an sich nüchterne Raum unerwartet eine festliche Atmosphäre erhält. Im dritten Aufzug herrscht dann ein Endzeitszenario: Die Treppe ist zerborsten, einzelne Teile hängen herab, die Welt ist aus den Fugen geraten.
Lehnhoffs sorgsam herausgearbeitete Personenführung ist dezent und schlüssig, zu keinem Zeitpunkt plakativ. Das Licht von Duan Schuler untermalt, überwiegend mit dunklen Farben, effektvoll die Szenerie.
Als androgyne Wesen erscheinen, zunächst in einer Art Kokon, die Najaden (Wassernymphen). Aus ersten zaghaften Bewegungen finden sie zueinander, bis sich, den orgiastischen Auf- und Abschwingungen der Musik folgend, ihre Lust immer leidenschaftlicher steigert. Die Mitglieder des Ballett der Nederlandse Opera Amsterdam winden ihre Körper mit ihren geschmeidigen Bewegungen und biegsamen Körpern umher und wirken dabei wie Wesen ohne Rückgrat (Choreographie: Amir Hosseinpuor und Jonathan Lunn). Auch die konzeptionelle Idee der Wendeltreppe und Tannhäusers Zerrissenheit spiegelt sich in ihren Bewegungen wider.
Effektvoll und dekorativ sind die Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer. Die Grafen und Edelfrauen des 2. Aufzugs tragen einheitliche schwarze Gewänder und Lackpanzer, die Männer zusätzlich schwarze Hörner auf dem Kopf, feuerrote Gesichtsmasken die Ritter. Die Minnesänger erinnern in ihren goldenen Anzügen ein wenig an den Star Wars Droiden C-3PO. In schlichten weißen Gewändern wandeln schließlich die Pilgerer aus Rom zurück.
Musikalisches und sängerisches Festspielformat an der Oos
Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin spielte unter der musikalischen Leitung des 33 jährigen Philippe Jordan (designierter Directeur Musical der Pariser Opéra Bastille) einen schlanken und gleichwohl detailverliebten Wagnerstil: Klangfarbenvoll, temperamentvoll, energisch und einfühlsam, ohne wulstigen Pathos und dennoch Leidenschaft schürend. Als besonderes Schmankerl wurde die aus der Fülle verschiedener Entwicklungsstufen entstandene „Wiener Fassung“ des Tannhäuser gespielt. Glanzvoll präsentierte sich der Festspielchor (Chorleitung Walter Zeh, Choreographie Chor: Denni Sayers).
Eine großartige Sängerbesetzung verwöhnte zusätzlich die Baden Badener Festspielhausbesucher. Mit der Mezzosopranistin Waltraud Maier, Bayerische sowie Österreichische Kammersängerin und für ihre Leistung als Venus in der Einspielung des Tannhäuser unter der Leitung von Daniel Barenboim mit einem Grammy Award ausgezeichnet, stand eine der besten und populärsten Wagnerinterpretinnen auf der Bühne. Anfangs zum langen Stillstand verpflichtend, verkörperte sie, unterstützt durch rote Haare, eine sehr sinnliche Venus.
Als anmutige Elisabeth überzeugte mit verinnerlichtem Spiel an diesem Abend die junge norwegische Sopranistin Solveig Kringelborn, die in Baden Baden bereits als Elsa in Lohengrin (gemeinsam mit Waltraud Meier) zu erleben war.
Mit herrlich kräftigem Baß begeisterte Stephen Milling als Landgraf Hermann. Die Rolle von Tannhäusers Mitbewerber Wolfram von Eschenbach war konträr zu Tannhäuser angelegt. Tannhäuser, wild und leidenschaftlich, ganz der Außenseiter. Eschenbach diszipliniert, sich vollkommen unter Kontrolle haltend und in die Hofgesellschaft integriert. Roman Trekel, mit wenigen Gesten und voller Noblesse, gab so einen bescheidenen, zurückhaltenden Wolfram von Eschenbach, mit bester Textverständlichkeit und schönem Timbre.
Den größten Schlussapplaus erhielt aber zu Recht der niederländische Tenor Robert van Aken (Ensemblemitglied der Oper Frankfurt), der diese Rolle zuletzt in Bayreuth und Frankfurt verkörperte. Mit bravouröser darstellerischer Präsenz vermittelte er klangschön Tannhäusers Konflikt und Zerrissenheit authentisch.
Die Oper Tannhäuser steht nicht nur für brillante Wagner’sche Leitmotive, sondern auch für deren Verpackung in beliebte Arien (wie „Dich, teure Halle, grüß‘ ich wieder“ oder „O du, mein holder Abendstern“). An der Oos bezauberte dieser Tannhäuser als visueller und musikalischer Opernleckerbissen..
Markus Gründig, Juli 08