kulturfreak.de Besprechungsarchiv Theater, Teil 30

© Auri Fotolia

Erste letzte Menschen

Schauspiel Frankfurt ~ Junges Schauspiel (im Bockenheimer Depot)
Besuchte Vorstellung: 10. Dezember 17 (Premiere)

kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Es könnte der Titel für ein Science Fiction Film sein, wie für Terminator oder 2001: Odyssee im Weltraum. Denn Erste letzte Menschen handelt von den großen Themen, die die Menschheit beschäftigen, von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende und ist dabei mitten im Leben. Das inklusive Jugendtheaterprojekt wurde von Martina Droste und Chris Weinheimer zusammen mit zwölf Jugendlichen („manchmal eingeschränkt, manchmal frei von Grenzen“, wie es im Programmflyer heißt), Mitgliedern des Jugendclubs des Schauspiel Frankfurt , erarbeitet (Luka BucheleSarah HallwachsLilly HausmannTina HerchenrötherLeon HitzerothCan HormannValentin ImmenschuhAdel KhanSiavash MoeiniCaecilia PraschmaValentina Rensinghoff, Yohanna Semere).
Inspiriert wurden sie dabei von den kollektiven Erzählweisen in A.S. Neills 1938 erschienenem Märchen Die grüne Wolke und von Apichatpong Weerasethakuls Film Mysterious Objekt at Noon aus 2000, der mit der Exquisite Corpse-Technik entstand, die dem Zufall bzw. dem inneren Gefühl bei der Entstehung von Kunst weiten Raum lässt. Es geht um ein Kernthema des Theaters, dem Erzählen von Geschichten. Und das tun die zwölf Performer, unterschiedlichen Alters und Geschlechts, als ein homogenes Ganzes. Dabei nehmen sie, mit ihren oftmals kurzen Sätzen („Leichte Sprache“), die Zuschauer mit in ihr Leben. Wobei offen ist, welchen Wahrheitsgehalt eine jeweilige Geschichte hat.

Erste letzte Menschen
Schauspiel Frankfurt ~ Junges Schauspiel
Ensemble
© Jessica Schäfer

Von der alttestamentarischen Schöpfungsgeschichte, über die Entstehung der Welt aus Yin und Yang, die Einheit von Mensch und Tier, die sich über Laute verständigten (und die hier nachempfunden werden) geht es über Allgemeines zunehmend zu persönlichen Geschichten. Ein Sammelsurium an Spielzeug, Skulpturen, Tieren und Bekleidungsteilen dient dabei als haptisches Hilfsmittel (Bühne und Kostüme: Michaela Kratzer). Dabei haben die Geschichten durchaus eine tiefere Ebene. So erzählt beispielsweise jemand von seiner Klassenfahrt nach England, bei dem er durch einen Streit einen Zahn verloren hat. Die Gruppe weist ihn darauf hin, dass sei doch „nur“ ein Zahn, wobei im direkten Anschluss auch auf einen im Rollstuhl sitzenden Performer hingewiesen wird, das sei auch „nur“ ein Rollstuhl. Vieles kann also einen ganz anderen Wertungsbereich haben.
Als gruppendynamischer Prozess wird eine ungewöhnliche Geschichte vom Hotzenplotz vorgelesen, die auf großen Pappkartons zum Mitlesen angeboten wird. Lustig flankiert wird die Erzählung von Rapunzels Geburt (bei der ein Jugendlicher unter Qualen gebiert). Eine sehr viel Selbstbewusstsein ausstrahlende Jugendliche erzählt, dass sie schon sehr viel erlebt hat und es unter ihrer coolen Oberfläche ganz anders aussieht. Auch werden immer wieder Fragen in den Raum gestellt, mit denen sich ein jeder beschäftigen kann. Schließlich wird das Leben vergleichbar einer leeren Leinwand begonnen und nach und nach kommen weitere Elemente hinzu. Ein gerade wegen seiner unperfekten Art ein Mut stiftender Abend, sehr viel Applaus.

Markus Gründig, Dezember 17


Husbands and Wifes

Schauspiel Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
9. Dezember 17 (Premiere)

Mit ungeheurer Wucht sorgt aktuell die Bewegung um den Hashtag #MeToo für weltweite Schlagzeilen. Vom US-Magazin „Time“ wurde sie vor wenigen Tagen zur „Person des Jahres“ erklärt. Auch Multitalent Woody Allen ist beim Thema „Sexueller Missbrauch“ immer wieder in den Schlagzeilen, auch wenn dies bisher seiner Karriere nicht geschadet hat. Bei seiner 1992 erschienenen Filmkomödie Husband and Wifes (Ehemänner und Ehefrauen) geht es freilich nicht um Derartiges. Zwei Paare aus der gehobenen Mittelschicht hinterfragen ihre Beziehungen und positionieren sich dann neu. Als der Film in die Kinos kam, flankierte er die medienwirksame Trennung von Woody Allen und Mia Farrow.

Für das Schauspiel Frankfurt hat Regisseur Christian Brey den Film übersetzt und eine Bühnenfassung erstellt, die jetzt in den Kammerspielen eine stark bejubelte Uraufführung feierte. An gleicher Stelle überzeugte Christian Brey, der auch Musicals und Opern inszeniert, bereits vor drei Jahren mit David Gieselmanns Container Paris.

Husbands and Wifes
Schauspiel Frankfurt
Jack (Sebastian Kuschmann), Sally (Anna Kubin ), Judy Roth (Friederike Ott), Gabe Roth (Matthias Redlhammer)
© Felix Grünschloss

Die Bühne von Anette Hachmann (auch Kostüme) zeigt ein weißes Treppenplateau, das links von einem kleinen Garten und rechts von einem kleinen Pool umsäumt ist, im Hintergrund stehen zahlreiche farbige Plexiglaskantenprofile in unterschiedlichen Größen, die so etwas wie die Lichter einer Großstadt symbolisieren. Die exponiert hervorgehobene Reinheit des Treppenplateau, mitsamt vorgelagerter weißer Sitzquader, ist ein universeller Ort für die unterschiedlichen Wohnungen und öffentlichen Plätzen und ein neutraler Hintergrund für den Liebeskampf der beiden Paare.
Wer den Film gesehen hat, wird sich an die für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Kameraführung erinnern (wie den intensiven Einsatz von Handkameras und harten Schnitten). Die Inszenierung verzichtet vollständig auf den Einsatz von Videoprojektionen, greift aber ein anderes Element des Films auf, die Stimme aus dem Hintergrund (hier: Wolfgang Draeger). Ein Psychoanalytiker im Off, zu dem die Figuren immer wieder über ihre größeren oder kleineren seelischen Defizite sprechen.

Das Spiel ist voller Slapstick. Matthias Redlhammer macht dabei als Universitätsprofessor Gabe ganz auf Sonderling Woody Allen, der diese Rolle im Film spielte. Friederike Ott gibt seine zarte Ehefrau Judy (im Film Mia Farrow), die aber dennoch sehr genau weiß, was sie will und was sie nicht will. Am überdrehtesten ist die Sally der Anna Kubin. Schon äußerlich, in ihrer zu großen Bluse und weiten Hose, drückt sie ihre Unsicherheit aus. Sie tritt von einem Fettnäpfchen ins nächste und kämpft wacker darum, nicht ihre Contenance zu verlieren. Sebastian Kuschmann gefällt als ihr charmanter und umtriebiger Partner Jack. Als Gast ist der Schauspieler Benjamin Grüter gleich in mehreren Rollen zu erleben (u. a. als ausgeglichener, sensibler und attraktiver Kollege und Freund Michael), wie auch Christina Thiessen (vom Studiojahr Schauspiel) mehrere Rollen spielt (wie die junge, aber durchaus erfahrene, Studentin Rain oder das einfältige Blondchen Sam).

Husbands and wifes ist ein köstlicher kurzweiliger und aus dem Leben gegriffener Spaß, über Bindungs- wie Verlustängste, eine wunderbare Komödie, die in dieser Inszenierung das Potential hat, sich zu einem Dauerbrenner zu entwickeln.

Markus Gründig, Dezember 17


Das Ministerium der verlorenen Züge

Schauspiel Frankfurt (im Bockenheiner Depot)
Besuchte Vorstellung: 1. Dezember 17 (Premiere)

kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Der Titel allein hat schon etwas Abstruses und Mythisches: Das Ministerium der verlorenen Züge. Dahinter verbirgt sich ein Reisebericht über eine Fahrt entlang der transsibirischen und transmongolischen Route von Moskau über Jekaterinburg, Irkutsk, Baikal, Mongolei nach Peking. Eine knapp zweiwöchige Fahrt, die durch sieben Zeitzonen führt und bei der 7622 Kilometer zurückgelegt werden.
Im Auftrag vom Schauspiel Frankfurt, und durch die Unterstützung des Kulturfonds Frankfurt RheinMain (Themenschwerpunkt „Transit“), machten sich im Mai dieses Jahres der ungarische Regisseur Viktor Bodó, der ungarische Autor Péter Kárpáti, ein Kamerateam und weitere künstlerische Mitstreiter (wie Darsteller) auf genau diese Reise. Dabei spielt der Titel auf den vermeidlichen Mythos an, das bei früheren Eurasienreisen sehr viel gestohlen wurde, selbst ganze Züge, weshalb es ein eigenes Ministerium gäbe.

Das Ministerium der verlorenen Züge
Schauspiel Frankfurt
Moritz (Sebastian Reiß), Ensemble, Statisterie
© Robert Schittko

Im Bockenheimer Depot erlebt der Zuschauer eine außergewöhnliche Inszenierung, die sehr stark von filmischen Elementen geprägt ist, ähnlich intensiv wie bei Kay Voges Inszenierung von Tennessee Williams‘ Endstation Sehnsucht (2014) oder Bastian Krafts Inszenierung von Dostojewskis Schuld und Sühne (2016). Hier ist es die ungarische Kamerafrau Ágnesh Pàkozdi, die außerordentliche Bilder einfängt, die den Abend prägen. Dabei sind es nicht nur ausgefallene Nahaufnahmen der großartig agierenden Darsteller, die beeindrucken, sondern auch die Zurschaustellung, wie ungewöhnliche Filmmomente gedreht werden (wie beispielsweise eine Actionszene, bei der sich zwei Darsteller auf dem Boden, einem Abgrund gleich, verzweifelt entlang hangeln oder wie die Hauptfigur in einem Zugabteil scheinbar auf den Kopf gedreht wird).
Das Thema „Unterwegs sein“ ist in der Inszenierung von Viktor Bodó und in der Bühne von Juli Balázs allgegenwärtig. Schon im Foyer warnen an den Treppenaufgängen Schilder in russischer Sprache, beispielsweise beim Überqueren der Gleise aufzupassen. Und beim Betreten des Bahnhofs (also des Saals) werden die Zuschauer von einer in Landestracht gekleideten Frau, an deren Seite ein bewaffneter Soldat steht, freundlich auf Russisch willkommen geheißen. Die Bühne besteht aus einem Eisenbahnwaggon (fast in Originalgröße). Innen mutet er durch die Fenster betrachtet, zunächst seltsam an, hat er doch einen extrem breiten Flur, der das Innere eher wie das von einem Container aussehen lässt. Doch dieser Wagen ist besonders, er kann aufgeklappt werden. Dann tun sich in der Mitte drei Abteile (jeweils mit Oberbetten) auf. An den Seiten befinden sich die Zuggänge mit großen Fenstern, hinter denen, technisch hervorragend gemacht, Landschaftsbilder im Tagesverlauf vorüberziehen und so dem Zuschauer die thematisierte Stimmung des Transitorischen, vermitteln. Eingespielte Töne und Musik intensivieren die optischen Eindrücke und spielen somit auch eine entscheidende Rolle (Musik: Klaus von Heydenaber, Sounddesign: Gábor Keresztes).

Im Mittelpunkt von Péter Kárpátis Stück steht die Figur des Moritz (vielseitig: Sebastian Reiss), ein jüngerer, in einer Lebenskrise steckender, Mann aus Frankfurt/M, der sich auf die Reise von Moskau nach Peking begibt und währenddessen das Drama Das Ministerium der verlorenen Züge schreibt und dabei auf die unterschiedlichsten Menschen trifft. Allen voran auf den gut gelaunten Reiseleiter (Torsten Flassig) und die achtsame und erfahrene Bahnbedienstete Olga Fjodorowna (Katharina Linder). Auf Mitreisende wie den trinkfreudigen Fenteflej (André Meyer) und seinen Kumpel Psoi (Nicolas Matthews), den schmierigen Geschäftsmann Pjotor Rudolfowitsch (Peter Schröder), die attraktive Nina (Luana Velis) oder auf des alten Mannes Enkelin (Nelly Politt). Und auf die schillernde und betörend singende Klawdija (großartig: Melanie Straub). Dazu erscheinen weitere normale wie skurrile Personen und nicht zuletzt mit einem vorbeifliegenden Superman und zwei hereintrabenden Eisbären wird die Grenze zwischen Realem und Fiktion aufgebrochen.
Die Geschehnisse sind allerdings recht allgemein und bedienen Klischees. So wird natürlich viel Tee und Wodka getrunken, Karten gespielt und klangschön gesungen (Chorleitung: Yuriy Shunevych), die Raucher unter den Reisenden haben Probleme, ihre Rauchpausen dem Fahrplan des Zuges anzupassen. Über die bereiste Strecke und die darin lebenden Menschen erfährt der Zuschauer allerdings so gut wie gar nichts. Insoweit besticht der Abend in erster Linie durch seine Optiken (und durch zahlreiche Comedyeinlagen).

Markus Gründig, Dezember 17


Tintenherz

Schauspiel Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
19. November 17

In den letzten Wochen eines Jahres haben die großen Theater allesamt ein besonderes Herz für junge Zuschauer, wird dann doch ein unter professionellen Bedingungen erstelltes Kinder-/Jugendstück auf großer Bühne gespielt. Wie dieses Jahr Väterchen Frost am Staatstheater Wiesbaden, Peterchens Mondfahrt am Staatstheater Mainz und Die rote Zora und ihre Bande am Staatstheater Darmstadt. Das Schauspiel Frankfurt hat mit Cornelia Funkes Roman Tintenherz ein Stück gewählt, das insbesondere Bücherfreunden besonders gefallen wird, ist es doch eine einzige Hommage an das Lesen und dem Entwickeln von Fantasie. Der Roman erschien 2003 und war sofort überaus erfolgreich. Zusammen mit den Fortsetzungen Tintenblut (2005) und Tintentod (2007) bildet er die Tintenwelttriologie. 2004 wurde die Tintenherz Bühnenadaption von Robert Koall am Niedersächsischen Staatstheater Hannover uraufgeführt. Regisseur Iain Softley verfilmte den Fantasyroman 2008. Bei dieser Bekanntheit wundert es dann nicht, wenn nahezu alle Vorstellungen am Schauspiel Frankfurt schon vor der Premiere sehr gut verkauft waren und für viele sogar „ausverkauft“ gemeldet wurde.

Tintenherz
Schauspiel Frankfurt
Meggie (Lisa Eder), Staubfinger (Fridolin Sandmeyer)
© Jessica Schäfer

Ein die ganze Bühnenbreite einnehmendes überdimensionales aufgeklapptes Buch steht zu Beginn für das Zuhause vom Buchbinder Mo (kernig und sich stark für die Familie einsetzend: Uwe Zerwer) und seiner lesesüchtigen Tochter Meggie (vom Studiojahr Schauspiel: Lisa Eder voller Leidenschaft). Doch diese geschützte Welt ist schon bald in Gefahr, der zwielichtige Gaukler Staubfinger (mit starker Präsenz, vielseitiger Mimik und körperlichem Einsatz sich zum Publikumsliebling spielend: Fridolin Sandmeyer) kreuzt auf und er ist bald nicht mehr der Einzige, der aus dem magischen Tintenherz-Buch in die reale Welt kam. Per angedeutetem Auto und mit zugespielten passenden Landschafts-Videoprojektionen geht es dann zu Meggies Großtante Elinor, die sich ihre Besucher zunächst ganz genau durch den Türspion anschaut (diese aufgezeichneten Projektionen sind nicht nur lustig, sondern auch super gut gemacht; Video: Sami Bill). Susanne Buchenbergers Elinor ist, bei aller Besessenheit für ihre Bücher, aufgeweckt und lässig. Sie trägt auf ihren Samtschlaghosen viel Glitzer und ihre schwarze Hornbrille hat schon fast das Format einer Taucherbrille (später gibt sie im grauen Kittel auch die stumme Mutter, Resa). Elinors Heim ist eine riesige Burg aus Büchern, ein optisch beeindruckendes Bild (Bühne und Kostüme: Thomas Rump). Es dient im Folgenden, leicht um arrangiert und leer geräumt, für die weiteren Handlungsorte.

Als Farid, dem Jungen aus 1001 Nacht und Anhänger Staubfingers, macht Vincent Lang (Studiojahr Schauspiel) durch seine starke Präsenz auf sich aufmerksam. Andreas Vöglers Capricorn präsentiert sich mehr wie ein Fernsehstar, denn wie ein finsterer Fiesling. Seine ihm treu ergebenen Gehilfen geben engagiert Felix Vogel (Basta) und Philippe Ledun (Flachnase). Ein Wiedersehen gibt es nicht nur mit Susanne Buchenberger, die schon während der Intendanz von Elisabeth Schweeger Ensemblemitglied war, sondern auch mit Roland Bayer. Er gibt den sympathischen weißhaarigen Schriftsteller Fenoglio, der von seinen eigenen Figuren total fasziniert ist.

Rüdiger Papes Inszenierung ist packend gemacht, bietet in 90 pausenlosen Minuten viel Action, Kämpfe und mancherlei Zaubertricks, aber weckt vor allem die Lust am Lesen und am Vorlesen, für junge und jung gebliebene Zuschauer gleichermaßen. Vom überwiegend jungen Publikum lautstarker und langanhaltender Applaus!

Markus Gründig, November 17


Invisible Hand

Schauspiel Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
10. November 17 (Premiere)

kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Die Bedeutung des Finanzplatzes Frankfurt/M ist zwar nicht mit der Wallstreet zu vergleichen, doch spielen Banken eine immer wichtigere Rolle in dieser prosperierenden Stadt. Neben zahlreichen nationalen und internationalen Bankhäusern, Tendenz steigend, nicht zuletzt durch den bevorstehenden Brexit, haben auch die Deutsche Bundesbank und die Europäische Zentralbank (EZB) hier ihren Sitz. Und wichtige Symbole der Börse, stehen für alle Bürger deutlich sichtbar in Form der bronzenen Skulpturen von Bulle und Bär (die im Finanzwesen für steigende bzw.fallende Kurse, Hausse und Baisse, stehen) vor der Frankfurter Wertpapierbörse. Dabei macht die Finanzwelt weit mehr aus, als nur der Handel mit Aktien. Er ist so vielschichtig geworden, dass zahlreiche Finanzprodukte nur für Insider zu verstehen sind.
Ayad Akhtars Stück The Invisible Hand (Die unsichtbare Hand) passt perfekt in die traditionsreiche Handelsstadt Frankfurt/M, in der heutzutage neben klassischen Aktien auch Anleihen, Futures, Hebelprodukte, Optionsscheine und Zertifikate gehandelt werden. Denn das Stück erzählt von einem in Pakistan illegal gefangen genommenen Broker, der sich sein Lösegeld mangels Zahlungswillen seines Arbeitgebers durch windige Finanzgeschäfte selbst erwirtschaften will. Dabei nimmt der Titel Bezug auf den Urvater der Ökonomie: Adam Smith. Dieser hat den Begriff der „Invisible Hand“ geprägt, wonach das eigennützige Handeln des Individuums zu einer Harmonie der gesamten Wirtschaft führt und er hat daraus abgeleitet, dass eine staatliche Intervention unnötig sei, dafür aber volle Handels- und Gewerbefreiheit bestehen müsse. Im Programmflyer zur Inszenierung ist eine informative Betrachtung des tschechischen Ökonomen Tomáš Sedláček zu Smith „Invisible Hand“ abgedruckt.

Invisible Hand
Schauspiel Frankfurt
Imam Saleem (Matthias Redlhammer), Bashir (Omar El-Saeidi), Nick Bright (Heiko Raulin)
© Thomas Aurin

Anselm Weber hat das Drama Invisible Hand im Dezember 2016 als deutschsprachige Erstaufführung am Schauspielhaus Bochum inszeniert. Diese Inszenierung ist nun auch in Frankfurt zu sehen. Ab 12. Mai 2018 wird das Stück zudem in einer eigenständigen Inszenierung unter der Regie von Jonathan Fox im English Theatre Frankfurt gespielt (das 2016 bereits Akhtars Disgraced gezeigt hat). Hinter der gezeigten Geschichte, die dramaturgisch gut aufgebaut ist (allerdings etwas konstruiert anmutet) und mit einem überraschenden Schluss endet, stehen zahlreiche Fragen. Wohin führt die unendliche Gier des Menschen? Wieviel Egoismus ist für den Erhalt der Menschheit notwendig? Und was ist bei alledem mit der Moral?
Losgelöst von Raum und Zeit ist die Bühne von Raimund Bauer, die eine dreidimensionale Maxtrix darstellt. Eingespielten Bildern von Überwachungsdrohnen (oder von Satelliten; Video: Bibi Abel) zeigen, dass eine unsichtbare Hand auch von außen auf alles blickt.
Es herrscht eine coole, fast klinische Atmosphäre, in der wenige schlichte Möbel (Bett, Tisch, Stühle) zunächst vor einer Wand stehen. Als Zuschauer ist man dadurch umso intensiver auf die Dispute der vier Figuren konzentriert. Da ist der Aufpasser Dar des Samuel Simon, der zwar mit einem dicken Maschinengewehr herumläuft, dem die Angst aber damit tatsächlich umgehen zu müssen, ins Gesicht geschrieben steht. Oder der stets ruhig, fast schon beseelt, sprechende Imam Saleem des Matthias Redlhammer, der große Ideale vor Augen hat, aber an seiner eigenen Gier und Schwäche für seine Frau scheitert. Und da ist der ständig aufbrausende Bashir, die rechte Hand des Imams, des Omar El-Saeidi, der am Ende einen Wahnsinnscoup landet. Im Mittelpunkt steht aber der Broker und Familienvater Nick Bright des Heiko Raulin. Schonungslos kämpft er um sein nacktes Überleben. Raulin zeigt ihn als sympathisch wirkenden Familienvater, der nur zu gerne seinem dreijährigen Sohn eine Videobotschaft schicken möchte, aber von seinen Emotionen übermannt wird, als umtriebigen und gerissenen Finanzmakler und als bis ins Mark verzweifelten und dem Tod ins Auge schauenden Gefangenen von Terroristen. Akhtar nimmt für keine Figur Partei ein, jeder hat Dreck am Stecken (sei es der unerlaubte Handel mit Kartoffeln oder drei Millionen geparkter Dollar auf den Cayman Inseln). Langanhaltender Applaus.

Markus Gründig, November 17


Kampf des Negers und der Hunde

Schauspiel Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
3. November 17 (Premiere)

kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Viel zu jung ist der französische Dramatiker Bernard-Marie Koltès 1989 in Paris an den Folgen der Immunschwäche-Krankheit AIDS gestorben (* 1948). Bekannte Stücke von ihm sind u. a. Quai West (2006 am Theater Willy Praml) und Roberto Zucco (2012 am Schauspiel Frankfurt). Seinen internationalen Durchbruch feierte Koltès 1981 mit dem Drama Kampf des Negers und der Hunde, das in New York uraufgeführt wurde. In Frankfurt war das Stück zuletzt als Gastspiel der Berliner Volksbühne (Regie: Dimiter Gotscheff; Horn: Wolfram Koch; Albourny: Samuel Finzi, Léone: Almut Zilcher,Cal: Milan Peschel) im Jahr 2007 im Schauspielhaus zu sehen. Als Übernahme vom Schauspielhaus Bochum, wo es im Mai Premiere feierte, ist es jetzt in den Kammerspielen des Schauspiel Frankfurt zu sehen.

In den späten 1970er Jahren war die Globalisierung zwar schon im Gange, doch hatte sie nicht die heutige Dimension. Afrika war vielen noch ein weit entfernter und fremd anmutender Kontinent. Koltès´ starke Polarisierung, das unterdrückte Individuum einerseits und die imperialistischen Kapitalisten andererseits, ist aber weiterhin ein hoch brisantes wie aktuelles Thema. Regisseur Roger Vontobels zeigt das Stück als düstere Dystopie, bei der die erzählte Geschichte, der Mord auf einer Brückenbaustelle irgendwo in Afrika, letztlich nur als Folie dient. Die Welt der Europäer befindet sich im Bühnenbild von Fabian Wending im Vordergrund. Zwei Stühle, zwei Kühlboxen, ein überdimensionaler Koffer, dahinter eine Batterie von acht Doppelscheinwerfer. Der Hintergrund bleibt meist im Dunkeln. Dieser steht  für das fremde, wie den eigenen Gesetzen folgende Afrika, verbildlicht durch ein wildes Gestrüpp aus dicken Elektroleitungen, die zivilisatorische Dominanz und ihr Scheitern gleichzeitig verdeutlichen.

Kampf des Negers und der Hunde
Schauspiel Frankfurt
Cal (Max Mayer), Horn (Werner Wölbern)
© Arno Declair

Die Rolle des Ingenieurs Cal erfährt mit Max Mayer eine ungemeine Aufwertung. Mayers Cal ist ein hochgradiger Intellektueller, den aber die tägliche Arbeitsroutine und das Leben in der Fremde mehr als überfordern. Er ist ein seelisches Wrack, Ruhe ist für ihn ein Fremdwort. Zudem treibt ihn die Angst, dass seine Tat doch noch unangenehme Folgen haben kann. Er ist manisch umtriebig, radikal sich und seiner Umwelt gegenüber. Mayer spielt ihn in seiner Maßlosigkeit grandios. Der Kettenraucher und Whiskytrinker Horn des Werner Wölbern ist ein souveräner Repräsentant des Establishments. Hat er auch längst nicht das Fachwissen wie Cal, ist er doch ob seiner Redegewandtheit der große Boss auf der Baustelle. Naiv, neugierig und mit Kindsaugen von der sich ihr zeigenden Welt Afrikas sofort verzaubert, ist die attraktive Léone der Luana Velis, die diese Figur mit Selbstbewusstsein und strahlendem Lächeln ausfüllt. Die Rolle des Einwohners Alboury ist mit Vontobels‘ Lieblingsschauspielerin Jana Schulz besetzt, die derzeit auch in Rose Bernd und Woyzeck im Schauspielhaus zu erleben ist. Als Alboury wirkt sie androgyn und besticht durch ihre starke Präsenz. Selbst wenn sie nur im Hintergrund steht und die Baustelle beobachtet, dabei den Leuten Urlaute zuruft, spricht ihre Mimik Bände.
Musik als Vermittler von Gefühlen und Stimmungen nimmt auch in dieser Vontobels-Inszenierung einen weiten Raum ein. Weniger durch die zwei aufwühlenden Songs, die Jana Schulz als Alboury aus dem Hintergrund beiträgt, als durch einen im seitlichen Bühnenhintergrund sitzenden Cellisten (Matthias Herrmann), der Koltèzs nihilistische Stimmung intensiv musikalisch grundiert.

Sehr viel Applaus.

Markus Gründig, November 17


Verbrennungen

Schauspiel Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
28. Oktober 17 (Premiere)

Der Fluchtgeschichte von Georg Heisler (Anna Seghers Das siebte Kreuz) im Schauspielhaus folgt einen Tag später die Geschichte von Nawal, der Frau die immer singt (Wajdi Mouawads Verbrennungen) in den Kammerspielen. Das im März 2003 im französischen Meylan uraufgeführte Stück des frankokanadischen Dichters handelt von der Aufarbeitung einer Familiengeschichte, deren zentralen Erlebnisse inmitten eines erbarmungslosen und hassgetriebenen Bürgerkriegs erfolgten. Ein bestimmtes Land wird zu keiner Zeit ausgesprochen, wie auch keinerlei Religionen, dennoch werden eindeutige Bezüge zum Libanonkrieg (1975-1990) genannt. Ein Vergessen der Gräueltaten, wo Töten für das eigene Überleben fast schon notwendig ist, gibt es auf beiden Seiten nicht, schon gar nicht bei erlebten Traumata. Doch ist Vergebung möglich?
Wajdi Mouawad konzentriert sich auf die Figur der Nawal, die in ihrem Testament ihren Kindern einen besonderen Auftrag anvertraute. Während die Kinder diesem nachkommen, werden in Rückblenden die zurückliegenden Geschehnisse erzählt. Was anfangs noch unbestimmt wird, steigert sich dramaturgisch geschickt aufgebaut zu einer fesselnden Geschichte, dass der Schmerz der Frau förmlich zu spüren ist und dermaßen unter die Haut geht, dass einige Zuschauer sogar zu schluchzen anfangen (wobei die geschilderte Gewalt lediglich erzählt wird).

Verbrennungen
Schauspiel Frankfurt
Nawal (Heidi Ecks), Nihad (Stefan Graf)
© RobertSchittko

Einer farbigen Welt zu Beginn, bestehend aus einem roten Streifenvorhang (Feuerbrunst?) und einem blauen Vorhang (das Meer?), stellt Bühnenbildnerin Janne Sterkes eine nüchterne, wie ein Provisorium wirkende Szenerie gegenüber. Nachdem die Kunststoffvorhänge gefallen sind, wird der Blick frei auf einen nahezu leeren Raum im Nirgendwo. Eine Couch und ein Sideboard sind mit einer schwarzen Plane abgedeckt. Ein wirkliches Zuhause hat hier niemand. Die Bilder eines Kriegsgebiets mit zerstörten Häusern, ein Flüchtlingslager etc. entstehen dennoch schnell in den Köpfen der Zuschauer.
Regisseurin Daria Bukvic gibt mit dieser Produktion ihr Debüt am Schauspiel Frankfurt und kann dabei auf großartige Darsteller bauen. Allen voran auf eine starke Heidi Ecks als Nawal. Ecks ist schon seit langem Ensemblemitglied des Schauspiel Frankfurt. Ihre Nawal, die für ihre Großmutter lesen, schreiben und denken lernt, wirkt beeindruckend authentisch: in ihrer Freude, Sorge, Verzweiflung und im Disput zwischen ihren Gefühlen und Erfüllung der gegebenen Versprechen. Als Nawals treuer Freund und Testamentvollstrecker Hermile Lebel sucht Thomas Meinhardt zunächst die Nähe zum Publikum, ist aber auch Arzt, Abdessamad und Malak. Die junge Altine Emini war im Frühjahr im Bockenheimer Depot in Simon Stephens Birdland zu erleben (damals war sie noch Studierende an der HfMDK FFM), inzwischen zählt auch sie zum Ensemble. Hier ist sie jedoch kein Luxusweib, sondern Nawals suchende Tochter Jeanne, die als Mathematikerin mit Logik allein nicht weiterkommt. Nils Kreutinger gibt ihren aufbrausenden und zaudernden Bruder Simon. Nach Engagements an den Staatstheatern in Mainz und Wiesbaden zählt auch Stefan Graf zum neuen Frankfurter Ensemble. Mit Verkörperung von Nawals Geliebten Nihad und als Wahab, kann er sich von verschiedenen Seiten zeigen und gefällt mit seiner klaren Artikulation. Vielseitig zeigen sich auch Thorsten Danner (Antoine, Soldat, Hausmeister, Chamseddine) und Kristin Hunold (Sawda, Journalistin, Jihane, Nazira) vom Studiojahr Schauspiel.

Am Ende einhelliger Jubel vom Publikum für die zweistündige Aufführung.

Markus Gründig, Oktober 17


Das siebte Kreuz

Schauspiel Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
27. Oktober 17 (Premiere)

„Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“
(Richard von Weizsäcker)

kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Seit Beginn dieser Spielzeit leitet Anselm Weber als Intendant das Schauspiel Frankfurt. Zuvor war er in gleicher Position am Schauspielhaus Bochum und am Schauspiel Essen tätig. Dabei ist ihm das Schauspiel Frankfurt nicht fremd, war er hier doch von 2001 bis 2003 als Oberspielleiter tätig, hat zwischendurch auch Ibsens Wildente (2005) inszeniert, zudem an der Oper Frankfurt Tiefland, Die tote Stadt und Die Passagierin. Für seinen Regieauftakt als Intendant des Hauses hat er Anna Seghers bekanntesten Roman Das siebte Kreuz gewählt, kein leichtes Sujet. Allerdings erweist er damit dem Frankfurter Publikum Referenz, denn der Roman spielt nicht nur im nahen Mainz (wo Anne Seghers 1900 als Netty Reiling geboren wurde), sondern auch in den Frankfurter Stadtteilen Bockenheim und Niederrad. Seghers‘ über 400 Seiten umfassender Roman aus Hitlerdeutschland entstand noch vor Beginn des 2. Weltkrieges (1938/39 im Pariser Exil) und erlangte schnell Weltruhm. Ihn zeichnet eine besondere Erzähltechnik aus (der Montage von inneren Monologen, erlebter Rede und parallelen Handlungssträngen). Der Roman handelt von sieben Häftlingen, die aus einem Konzentrationslager fliehen. Nur einer schafft es dauerhaft in die Freiheit. Trotz der Schilderung der bedrückenden Lebensverhältnisse zur Zeit des „Dritten Reichs“ ist er mit der Schilderung aktiven wie passiven Widerstands und der inneren Unverletzbarkeit letztlich optimistisch geprägt.

Das siebte Kreuz
Schauspiel Frankfurt
Paula Hans, Thesele Kemane, Wolfgang Vogler, Michael Schütz, Max Simonischek, Olivia Grigoli, Christoph Pütthoff
© Thomas Aurin

Bislang gab es nur eine Bühnenfassung des Romans, 1981 am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin. Somit ist die Inszenierung am Schauspiel Frankfurt die erste in Westdeutschland. Sabine Reich hat den Roman gemeinsam mit Anselm Weber für die Bühne adaptiert. Bereits beim Betreten des unteren Foyers leuchtet den Zuschauern ein Zitat des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker aus seiner Rede zur Gedenkveranstaltung im Plenarsaal des Deutschen Bundestages zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa vom 8. Mai 1985 entgegen: „Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie lässt sich nachträglich nicht ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“ Anselm Weber öffnet dezent aber eindringlich einen Blick auf eine der dunkelsten Zeiten Deutschlands. Bei seinem kurzweiligen Parforceritt durch das vielschichtige Werk zeigt er auf, wie aktuell die Themen Flucht, Zivilcourage, Vertrauen und Misstrauen sind. Innerhalb von zwei pausenlosen Stunden schildert er die sieben Tage gegliederte Handlung mit einem starken Fokus auf die Darsteller. Die Bühne von Raimund Bauer ist ein vor den Eisernen Vorhang gestelltes Plateau. Ohne jegliche Kulisse, mit lediglich einem sich öffnen lassenden Gullideckel. Im nicht bespielten Hintergrund sitzen die gerade nicht aktiven Darsteller unter dem nicht ganz herabgelassenen Eisernen Vorhang. Je nach Lichtverhältnis erscheint dieser Bereich wie das Innere eines Gefängnishofes mit einem unüberwindbaren Stabgitterzaun.

Alle Darsteller spielen mehrere Rollen und sprechen oftmals chorisch. Selbst Max Simonischek ist nicht nur die Hauptfigur Georg Heisler, sondern auch ein Kommandant. Zu Beginn stehen sechs Geflohene auf der Bühne. Unter ihren Beinen windet sich ein weiterer Geflohener hindurch. Es ist Georg Heisler, der von nun an seine erlebten seelischen wie physischen Schmerzen dauerhaft in seiner Körpersprache ausdrückt. In seinem verschmutzten und zerschlissenen Häftlingsanzug ist er auch optisch von den anderen hervorgehoben. Diese tragen überwiegend schwarze Alltagskleidung, die lose zu den 1930er Jahren Bezug nimmt (Kostüme: Irina Bartels). Georg Heisler krümmt sich am Boden, die Verletzung an seiner Hand, die er sich bei seiner Flucht durch Glasscherben auf einer Mauer zugezogen hat, ist nur ein äußeres Bild. Vielmehr ist er innerlich zerbrochen, auch wenn er einen starken und eigenwilligen Charakter hat. Erst am Schluss läuft er richtig aufrecht. Der Gastdarsteller Max Simonischek ragt nicht nur durch seine Größe heraus, er gibt den Zyniker Georg ausdrucksstark und mit hervorragender Diktion.

Facettenreich geben sich die anderen Darsteller bei ihren mehrfachen Rollen. So gibt Olivia Grigoli die Mutter Georgs, die nicht akzeptieren kann, dass sie ihren Sohn leugnen soll (u. a. aber auch eine Kellnerin mit Herz). Paula Hans verführt als attraktive, mit dem vierten Kind schwangere, Liesel (und u. a. als das Gefährliche suchende Frau Kreß aus der Riederwaldsiedlung). Der scheinbar nicht alternde Christoph Pütthoff vermittelt als sich sorgender Doktor Löwensteins, als lebhafter Artist Belloni und mit nahezu jugendlicher Attitüde, den sich engagierenden Freund Paul. Michael Schütz gefällt als Ernst, der Schäfer und als Schiffer, Wolfgang Vogler als u. a. standhafter Flüchtling Wallau und als helfender Kommunist Fiedler.

Der Clou der Inszenierung ist die Einbindung von Liedern aus Franz Schuberts Liedzyklus Die Winterreise. Entsprechend dem formalen Bezug zur Zahl sieben (sieben Tage, sieben Kreuze, etc.) mit sieben Liedern. Während die Klavierbegleitung vom Band läuft, singt der gebürtige südafrikanische junge Bassbariton Thesele Kemane die ausgewählten Lieder (dabei ist er auch szenisch eingebunden). Er ist seit der Spielzeit 2016/17 Mitglied des Opernstudios der Oper Frankfurt. Seine Beteiligung ist das erste sichtbare Zeichen der neu beschlossenen Zusammenarbeit zwischen Schauspiel Frankfurt und Oper Frankfurt. Thesele Kemane, äußerst cool mit Umhang und Sonnenbrille, verleiht er der Inszenierung durch seinen Gesang eine weitere Ebene, die zusätzliche Emotionen anspricht.

Am Ende starker und lang anhaltender Applaus.

Markus Gründig, Oktober 17


Hamlet

Staatstheater Mainz (Kleines Haus)
Besuchte Vorstellung:
7. Oktober 17

Shakespeares Hamlet-Drama ist eines der bekanntesten, nicht zuletzt wegen der vielen Zitaten, die zu geflügelten Worten oder zu Lebensweisheiten wurden. 2011 inszenierte es Oliver Reese für das Schauspiel Frankfurt, 2015 Nicolas Brieger für das Staatstheater Wiesbaden. Wurden die fünf Akte in Frankfurt innerhalb knapp vier Stunden und in Wiesbaden mit gut vier Stunden (jeweils mit einer Pause) gespielt, kommt die 2017er Inszenierung von K.D. Schmidt am Staatstheater Mainz mit pausenlosen zwei Stunden aus (trotz einiger hinzugefügter Fremdtexte). K.D. Schmidt ist Hausregisseur am Staatstheater Mainz und die starke Verdichtung des Stoffes macht das Stück auch für diejenigen interessant, die vielleicht sonst allein schon wegen der langen Spieldauer Bedenken hätten. Seine Version ist nicht nur kurz, sondern auch sehr auf die heutige Zeit orientiert. Dabei wird dennoch vorausgesetzt, dass die Grundzüge der Handlung bekannt sind, denn das Bühnengeschehen ist zwar oftmals prall und lebhaft, aber doch recht reduziert.

Gespielt wird ausschließlich vor dem Eisernen Vorhang. Nur zu Beginn fährt dieser einmal, von sphärischem lauten Dröhnen (Musik: Sebastian Purfürst) begleitet, kurz hoch, um die Darsteller vortreten zu lassen. Wäre man im Musiktheater, würde man fast von einer konzertanten Aufführung sprechen können. Hier ist die Bühne nur die schmale Fläche zwischen Eisernem Vorhang und Rampe zum Publikum. Die Darsteller haben keine Möglichkeit, diesen Raum zu verlassen, sind also alle die ganze Zeit über präsent. Wer nicht spricht, sitzt auf einen der am Eisernen Vorhang stehenden, bunt zusammengewürfelten Stühle und trägt eine Maske, die seinem Figurencharakter nachempfunden ist. Ein in der Mitte arrangiertes Grabmal, mit einem leuchtenden Kreuz und zahlreichen Blüten, weist auf die Vorgeschichte hin. Zahlreiche Totenköpfe und Kronen zieren den Bühnenrand. Königsburg zu Helsingör und dänische Küste: Fehlanzeige. Es ist ein düsterer Raum mit viel Metall, der lose auch als Gefängnis interpretiert werden kann (Bühne: Valentin Köhler). Ein wichtiges Element ist eine aus 30 Röhrenbildschirmen bestehende Videowand, auf der einzelne Szenen schlaglichtartig eine Bilderflut aus gegenwärtigen Livestyleelementen (Luxusauto, Handy, Katzenkopf, Blumen etc.) zu lauten Beats laufen und zu denen dann auch frei getanzt wird. Aber auch der norwegische Prinz Fortinbras ist dort zu sehen, wie auch das originelle, per Spielekonsole steuerbare Computerspiel „Vergifte den Bruder, heirate seine Frau und mache dich zum König“; Video: Sebastian Purfürst und Markus Bühl).

Hamlet
Staatstheater Mainz
Laertes (Nicolas Fethi Türksever), Hamlet (Henner Momann), Gertrude (Anna Steffens)
© Andreas Etter

K.D. Schmidt erzählt die Geschichte mit großen Sprüngen und bricht sie gelegentlich mit platten Witzen und Schlagerzitaten auf. Mit der Figur des gut gelaunten Totengräbers (mit Totenkopfmaske und im hellblauen Hemd mit Südseepalme auf der Brust: Murat Yeginer; Kostüme: Lucy Vonrhein) gibt es, schließlich sterben am Ende fast alle, ein Intermezzo über die Angst vorm Sterben.

Mag das reduziert wirkende Regiekonzept auch polarisieren, darstellerisch gibt es nichts zu mäkeln. Insbesondere Henner Momann überzeugt in der Titelrolle. Sein Hamlet ist ein nachdenklicher Zauderer, der dennoch nichts unüberlegt macht, auch wenn seine Gefühle mit ihm Achterbahn fahren. Mit Nicolas Fethi Türksever als sein Widersacher Laertes gibt er sich einem imposanten Zweikampf hin (bei dem letzterer beeindruckend über die Bühne fliegt). Paulina Jolande Alpen hat erst vor kurzem ihr Studium an der Folkwang Universität der Künste Essen beendet. Sie ist neues Ensemblemitglied am Staatstheater Mainz und gibt Laertes Schwester und Hamlets Geliebte Orphelia mit großer Ausdrucksstärke. Stark bringen sich auch die weiteren Darsteller ein: Anna Steffens (als Mutter und Königin Gertrude), Johannes Schmidt (als wortgewandter und von sich überzeugter Claudius), Martin Herrmann (als gewissenhafter Oberkämmerer Polonius), Lorenz Klee (als Hamlets bester Freund Horatio) und Julian von Hansemann (als lebhaftes Duo Rosenkrantz und Güldenstern, z. T. nur mit einer Socke angedeutet). Viel Applaus am Ende, sogar uneingeschränkt für das Regieteam.

Markus Gründig, Oktober 17


Ein Bericht für eine Akademie

Schauspiel Frankfurt (Box)
Besuchte Vorstellung:
1. Oktober 17(Premiere)

Eine Zusammenarbeit zwischen Schauspiel Frankfurt und der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt (HfMDK) gibt es schon lange. Mit Beginn der Spielzeit 2017/18 unter der Intendanz von Anselm Weber gibt es aber eine deutliche Intensivierung: Im Rahmen des „Studiojahr Schauspiel“ absolvieren acht Schauspielstudierende der HfMDK ihr drittes Ausbildungsjahr am Schauspiel Frankfurt. Dadurch werden sie noch während ihrer Ausbildung in Produktionen des Spielplans zu sehen sein und durch eigene Formate das Programm ergänzen. Als erstes Mitglied des Studiojahr Schauspiel ist jetzt Lisa Eder in einer Dramatisierung von Franz Kafkas Erzählung Ein Bericht für eine Akademie zu erleben. Das von Schauspieler Isaak Dentler inszenierte Solo entstand als mobiles Klassenzimmerstück, d. h. es ist auch für Aufführungen in Schulen zu buchen. Dentler ist seit 2009 festes Ensemblemitglied am Schauspiel Frankfurt und seit 2013 auch Lehrbeauftragter im Ausbildungsbereich Schauspiel an der HfMDK Frankfurt.

Ein Bericht für eine Akademie
Schauspiel Frankfurt
Rotpeter (Lisa Eder)
© Jessica Schäfer

Kafkas satirische Erzählung aus dem Jahr 1917 umfasst rund 16 Seiten. Sie handelt vom Affen Rotpeter, der nach seiner Gefangennahme an der Goldküste schon während seiner Reise nach Europa mit einer rasanten Entwicklung zum Menschen beginnt und innerhalb weniger Jahre zum umjubelten Star der Varietétheater wird. Dabei gibt es so manche Parallelen zu den aktuellen Diskussionen um die Themen Anpassung und Eingliederung von Menschen, die bei uns eine neue Heimat suchen. Gespielt wird im Foyer des Schauspiel Frankfurts, das Publikum sitzt auf den Stufen mit Blick auf die Spielstätte Box. Mit Harry Belafontes „Banana Boat Song“ als Hintergrundmusik sitzt in einem etwas zu groß geratenen weinroten Anzug Rotpeter auf einem Barhocker und futtert erst einmal drei Bananen, während er zugleich neugierig und erschrocken die Zuschauer beobachtet, die sich ihren Sitzplatz suchen (Kostüm: Raphaela Rose). Wobei er hier eine sie ist: Die junge Lisa Eder gibt den Affen Rotpeter. Und dies mit starker Mimik und körperlichem Einsatz (Choreografie: Madeline Ferricks-Rosevear). Dabei belässt es Regisseur Isaak Dentler aber nicht beim bloßen Rezitieren vom Barhocker aus. Eders Rotpeter geht aktiv gegen Vereinzelung und Entfremdung an: sie geht auf das Publikum zu, geht durch die Sitzreihen, assimiliert gewissermaßen mit dem Publikum. Dafür, dass sie noch im Schauspielstudium ist, bietet sie eine klasse Leistung, zumal sie den Text sehr schön mit Leben füllt. Und beweist als Rotpeter Trinkfestigkeit wie soziale Kompetenz: Eine 0,7-Liter-Flasche wird auf ex getrunken, eine zweite brav mit dem Publikum geteilt. Das Ende ist versöhnlicher als bei Kafka. Das Publikum ist eingeladen, mit Rotpeter auf das Leben zu tanzen. Bei der Premiere machten zahlreiche Zuschauer beim ausgelassenen Tanzen mit, dem lang anhaltender Applaus folgte.

Markus Gründig, Oktober 17


Woyzeck

Schauspiel Frankfurt (Schauspielhaus)
Besuchte Vorstellung: 30. September 17 (Premiere)

Auf Macht folgt Ohnmacht, im Schauspielhaus auf Shakespears Richard III. nur zwei Tage später Büchners Woyzeck. Für letztere Inszenierung zeichnet der gebürtige Schweizer Roger Vontobel verantwortlich. Er hatte bereits im Oktober 2007 in den Kammerspielen (damals noch Kleines Haus) Mark Ravenhills pool (no water) inszeniert. In der Zwischenzeit wurden seine Arbeiten mehrfach ausgezeichnet. Nach langjähriger Tätigkeit als Hausregisseur am Theater Bochum hat er diese Position seit 2016 am Düsseldorfer Schauspielhaus inne, 2018 wird er erstmals bei den Nibelungenfestspielen in Worms inszenieren.
Georg Büchners Dramenfragment Woyzeck ist hinreichend bekannt, letztes Jahr stand in der Oper Frankfurt Alban Bergs Opernversion dieses Stoffes auf dem Spielplan und Christopher Rüping inszenierte das Stück im Februar 2013 in den Kammerspielen (mit Nils Kahnwald in der Titelrolle). Roger Vontobel wagte sich nun in einer von ihm und Chefdramaturgin Marion Tiedtke erstellten Fassung, diesen Klassiker auf die größte Theaterbühne Deutschlands zu bringen, eine wagemutige Entscheidung.
Es ist sein erster Woyzeck und er interessiert sich ganz besonders dafür, was im Kopf der Titelperson vorgeht. Denn der Sonderling Woyzeck ist ein ganz besonderer, empathischer und hoch sensibler Mensch. Und so wurde die Titelrolle mit einer Frau besetzt, mit Jana Schulz, die mit dieser Rolle ihr Debüt am Schauspiel Frankfurt gibt. Sie ist eine erfahrene Schauspielerin, wurde mehrfach ausgezeichnet, wie 2016 mit dem renommierten, von der Stadt Bensheim und der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste für herausragende schauspielerische Leistungen vergebenen, Gertrud-Eysoldt-Ring (für ihre Rollen in Rose Bernd und Verbrechen und Strafe am Schauspielhaus Bochum). Sie füllt in Shorts und Armeejacke mit Knopfleisten (Kostüme Ellen Hofmann) die komplexe Figur, deren Ideale zerbrechen und auf die die Umwelt nachhaltig Einfluss nimmt, mit bedrückend wirkender Intensität und Innigkeit aus, steht die ganze Zeit über im Mittelpunkt, im Zentrum der großen Drehbühne, die sich langsam aber beharrlich ständig dreht und Woyzeck keine Atempause gönnt und erst zum Schluss, beim Mord an Marie zum Stehen kommt.

Woyzeck
Schauspiel Frankfurt
Marie (vorne: Frederike Ott), Woyzeck (Jana Schulz)
© Arno Declair

Ein großer Vorhang aus LED-Ketten bildet eine imaginäre Wand (Bühne: Claudia Rohner). Je nach Ausleuchtung ist der dahinterliegende Bereich, in dem sich alle anderen Darsteller die ganze Aufführung über aufhalten (so sie nicht gerade aktiv mitspielen) sichtbar oder nicht (Licht: Frank Kraus). Woyzeck ist also immer unter Beobachtung, hat keine Privatsphäre. Der LED-Kettenvorhang dient gleichzeitig als Projektionsfläche für Livebilder: Abstraktes, als Woyzecks Hirnströme/Herzschlagfrequenz deutbar (Video: Clemens Walter) und Porträtaufnahmen der Figuren (Live-Video: Oliver Rossol). Gleichzeitig deutet sie aber auch eine Welt des Kommerz und Wohlstands an, die Woyzeck nicht zugänglich ist.

Zwei Musiker (Piano: Marco Ramaglia; Perkussion: Yuka Ohta) sind an den Seiten platziert. Die Musik verdeutlicht akkustisch, wie Woyzeck die Welt wahrnimmt. So sind es zunächst leise geräuschähnliche Töne, wie Woyzecks Schnitzen, die nachempfunden werden. Doch so, wie sich sein Kopf immer stärker mit den ihm zugefügten Demütigungen und Misshandlungen füllt, umso heftiger wird auch die eigens hierfür komponierte Musik von Orm Finnendahl (seit 2013 Professor für Komposition an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main). Woyzecks Attacken entladen sich akustisch, musikalisch und visuell mit ungeheurer Wucht (Klangregie: Tobias HagedornOrm Finnendahl).

Neben der großartigen Jana Schulz, die zwar nicht dem neuen Ensemble angehört, hier aber regelmäßig zu Gast sein wird, gibt es zahlreiche neue Darsteller zu entdecken, die vor allem Funktionsträger sind. Wie Friederike Ott als Marie (ein lebenslustig aufgeschlossenes, aber auch mit sich haderndes Blondchen), Matthias Redlhammer (als dominanter Doktor im weißen Kittel), Wolfgang Pregler (als provozierender Hauptmann auf einem Frisierstuhl) und André Meyer (als bulliger und maskuliner Tambourmajor), zudem Anna Kubin (Magareth), Fridolin Sandmeyer (Unteroffizier) und Andreas Vögler (Andres). Einen besonderen Akzent erhält die Inszenierung durch die Figur des Kindes (alternierend: Liam EngelKarol NiewiadomskReinhart Laurenz) von Woyzeck und Marie, deren heller Soprangesang die Verletzlichkeit und Verwundbarkeit Woyzecks unterstreicht.

Am Ende bleibt es offen, wie es mit Woyzeck weitergeht: Ist der Mord an Marie nur ein erster Schritt hin zu einen noch größeren Abgrund, in den sich Woyzeck begibt? Am Ende sehr viel Applaus für Roger Vontobels Sicht auf die Unerbittlichkeit von Zuständen, die Menschen zum Äußersten treiben können und für die schauspielerische Leistung, allen voran für Jana Schulz.

Markus Gründig, Oktober 17


Das hässliche Universum

Schauspiel Frankfurt (Kammerspiele)
Besuchte Vorstellung: 29. September 17 (Premiere/Uraufführung)

Mehr denn bisher sollen unter der Intendanz von Anselm Weber die Kammerspiele zu einem Ort des Zeitgenössischen werden. Und so feierte ein Auftragswerk des Schauspiel Frankfurt als Auftaktinszenierung zur neuen Spielzeit seine Uraufführung: Laura Naumanns Das hässliche Universum. In der Inszenierung von Julia Hölscher (seit 2015 Hausregisseurin am Theater Basel) fordert es vom Publikum durch einen sehr hohen Performanceanteil zum zugespielten Text, neue Betrachtungsweisen. Denn in den ersten 60 Minuten der insgesamt 95-minütigen Aufführung sprechen die fünf Darsteller kaum ein Wort. Dafür kommen ihre Stimmen aus Lautsprechern. Nur die letzten 35 Minuten wird traditionell gespielt. Das Loslösen der Stimme vom Körper geht aber nur bedingt auf, eine Realitätsverschiebung, auf die der für die Musik zuständige Toibias Vethake im Programmheft hinweist, stellt sich nur bedingt ein, zu oft fühlt man sich an ein szenisch hinterlegtes Hörspiel erinnert.

Vielleicht mag dieses ungewöhnliche Regiekonzept am umfangreichen Text von Laura Naumann liegen. Ihr collagenhaft zusammengesetztes Das hässliche Universum, mit Zeitsprüngen und Perspektivwechsel, weist keinen dramaturgisch gestrickten Handlungsablauf auf, noch konkrete Figuren. Es ist eine ambitionierte, stark zum Nachdenken anregende Textfläche, die erschlossen werden will. Dabei reicht Naumann nicht die Welt, sie braucht das Universum, um von dort auf unsere Welt schauen zu können. Und diese hat viele Facetten. Was auch im Programmheft deutlich wird. Einerseits eine Aufzählung von Dingen, die „mir“ gehören („MEIN MEIN MEIN…“), andererseits Dinge, die in meine Welt nicht dazu gehören („KEIN GELD, KEINE ZEIT, KEINE ABSICHT, KEINE EINSICHT…). Das Stück, bei dem auch die Neuen Medien wie selbstverständlich eingebunden sind, verhandelt in einer ständigen Polarisierung Grundfragen des Lebens und begibt sich auf die Suche nach der imaginären Heldin Rosa und ihrer Utopie, die auch unsere Utopie sein könnte. Der ambitionierte Text wirkt vor allem im letzten Drittel stark.

Das hässliche Universum
Schauspiel Frankfurt
Sarah Grunert, Torsten Flassig, Katharina Linder, Uwe Zerwer, Luana Velis
© Jessica Schäfer

Im ersten 2/3-Teil kommentieren die fünf Darsteller (Torsten FlassigSarah GrunertKatharina LinderLuana VelisUwe Zerwer) Naumanns Text nur szenisch, ohne selbst kaum ein Wort zu sprechen. Zu Beginn, dem eigentlichen Schlussbild, scheint sich die Erde aufzulösen, denn bei einer Trauerfeier dringt Rauch aus dem Boden auf. Optisch ein bewegender Eindruck (Bühne: Paul Zoller). Ein Festbankett wird mit viel Wut in den Abgrund versenkt, Besitzstände aufgegeben, bis den Protagonisten nur noch die nackte Haut bleibt (Kostüme: Susanne Scheerer). Doch auch dann noch ist kein Zustand des Glücks, eine bessere Welt erreicht. Die Frage, wie gesellschaftliche Veränderungen bewirkt werden können, ist omnipräsent. Eine große Szene ist, wenn ein Mann (Uwe Zerwer) auf seinen Zustand aufmerksam macht: Er wurde brutal zusammengeschlagen und niemand hat ihm geholfen. Eine junge Frau (Sarah Grunert) hatte das zwar mitbekommen, aber war wohl zu sehr mit sich beschäftigt. Sie merkt, wie ihr Nichtstun die Gewalt gegen den Mann befeuert hat und entwickelt dann einen eindrucksvollen Monolog des langen Neinsagens. Ein erster Baustein der Selbsterkenntnis, der Platz macht für Veränderung, damit die Verhältnisse auch anders vorstellbar werden, als sie gegenwärtig sind. Trotz aller Zerstörung steht so am Ende ein Neuanfang, das Prinzip Hoffnung im Raum.
Sehr viel Applaus.

Markus Gründig, September 17


Richard III.

Schauspiel Frankfurt (Schauspielhaus)
Besuchte Vorstellung: 28. September 17 (Premiere)

kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Seit Wochen wurde hinter verschlossenen Türen eifrig geprobt und sich auf die neue Spielzeit vorbereitet, nun wurde sie mit Shakespeares blutrünstigem Drama Richard III. eröffnet. Die Entscheidung für dieses Stück, das den Aufstieg (und Fall) eines über Leichen gehenden Tyrannen und Herrschers zeigt, fiel bereits vor zwei Jahren. Im April 2015 entschied sich der Aufsichtsrat der Städtischen Bühnen für den gebürtigen Münchner Anselm Weber (der bereits 1992 erstmals für das Haus arbeitete und hier zuletzt Weinbergs Die Passagierin in der Oper Frankfurt inszenierte), als Nachfolger von Oliver Reese für die Leitung des Schauspiel Frankfurt. Schon kurz darauf begannen die Planungen für die Eröffnungspremieren, die die Themen Macht und Ohnmacht behandeln.
Für die Regie von Richard III. wurde Jan Bosse verpflichtet. Er hatte für die Oper Frankfurt im Dezember 2011 Francesco Cavalli Dramma per musica La Calisto (u. a. mit Valer Barna-Sabadus, Christiane Karg und Daniel Schmutzhard) vom Theater Basel ins Bockenheimer Depot gebracht und wirkte auch früher schon mehrfach für das Schauspiel Frankfurt.

Auffallendstes Merkmal seiner Richard III.– Inszenierung ist die Raumgestaltung durch Bühnenbildner Stéphane Laimé. Bühne und Zuschauerraum verschmelzen zu einer spektakulären Arena, die lose an Shakespears Globe Theatre anlehnt. Das Publikum sitzt von allen Seiten um ein quadratisches Podest, einem abstrahierten Grabhügel aus Asche (in dem Richards Opfer, und am Ende er selbst auch, begraben werden). Im Publikumssaal wurden zahlreiche Sitzplätze entfernt und so weist dieser einen breiten Mittelgang auf. An dessen Ende, in Reihe 21, befindet sich der Thron von England, den sich dann mit vielen Intrigen und Morden Richard aneignet. Bespielt wird die gesamte Fläche von Bühne und Publikumssaal. Noch während das Publikum Platz nimmt, mischen sich die Darsteller gekonnt darunter, begrüßen freundlich einzelne Zuschauer und nehmen dann auch selber verteilt im Raum, mitten im Publikum, Platz. Nicht nur, dass oftmals das Saallicht an ist, im Publikum sitzen, zunächst vollkommen unbemerkt, zudem zahlreiche Statisten. Dies ist ein weiterer Clou dieser Inszenierung, weil die sich dezent immer als Bürger Londons einbringen, mitsummen oder mitsingen oder begeistert applaudieren. So herrscht eine ganz besonders lebendige Atmosphäre (fern von traditioneller Guckkastenbühne), sodass die Aufführung trotz ihrer fast vierstündigen Dauer (inklusive einer Pause) immer spannend bleibt. Dabei hilft auch die verwendete Textfassung von Gabriella Bussacker und Jan Bosse. Diese harmoniert mit den heutigen Hörgewohnheiten. Sie wurde dezent um ein paar neudeutsche Wörter und englische Textpassagen erweitert.

Richard III.
Schauspiel Frankfurt
Richard von Gloucester, später König Richard III. (Wolfram Koch)
© Arno Declair

Für das Frankfurter Publikum erfreulich ist, dass nicht alle in den vergangenen Jahren lieb gewonnenen Darsteller mit Oliver Reese nach Berlin oder woanders hin gegangen, sondern weiterhin hier zu erleben sind (wie die hier mitwirkenden: Katharina BachIsaak DentlerPeter Schröder, aber auch Heidi Ecks und Christoph Pütthoff). Und manche sind wieder hier zu erleben, wie Claude de Demo (und demnächst Susanne Buchenberger, Paula Hans, Max Mayer und Mathias Redlhammer). Zurück ist auch Wolfram Koch, der ja nicht nur als Frankfurter Tatort-Ermittler bekannt ist, sondern auch durch seine Auftritte während der Intendanz Peter Eschberg und Dr. Elisabeth Schweeger Ensemblemitglied war. Er gibt die Titelrolle mit Bravour, wenn auch ganz anders, als üblich. Sein Richard hat zwar einen Buckel den er offen zeigt, doch ist er alles andere als eine unansehnliche Missgeburt. Und er weiß, dass es heutzutage leicht ist, dem Volk etwas vorzumachen, Menschen zu seinen Gunsten zu manipulieren, sei es auch ein noch so großer Verstoß gegen die Moral. Ironie und bitteren Zynismus versteckt er geschickt hinter einer gut gelaunten Fassade. Als noch kleiner Richard von Gloucester trägt er einen zu großen Anzug, weil er mehr sein will, als er ist (was er zudem mit Schattenspielen andeutet). Als König Richard III. trägt der narzisstisch Veranlagte einen Anzug und eine Haube aus einem Spiegelmosaik, der damit aber auch gleichzeitig dem Publikum einen Spiegel vorhält und darauf hinweist, dass es nicht viel anders ist, als er. Alle anderen Figuren tragen heutige Kleidung, wobei die Kostüme der Damen besonders mondän sind (Kostüme: Tabea Braun). Mit Mechthild Großmann ist ein weiteres Mitglied der Tatort-Reihe dabei. Sie gibt mit ihrer markanten Stimme eine für sich einnehmende verbitterte Königin Margret, huscht aber auch sehr lebendig als Geist durch die Reihen.
Katharina Bach zeigt Stärke als wandelbare Lady Anne, die erst den Tod ihres Manns Edward verkraften muss und sich dann König Richard III. hingibt. Eine große Aura umgibt mit ihrer blonden Mähne die Königin Elisabeth der Claude De DemoIsaak Dentler gibt einen beflissenen Lord Rivers, Peter Schröder den leicht zu beeindruckenden Bürgermeister. Neu im Ensemble sind Heiko Raulin (als der um eine Grafschaft zu erhaltende souverän für Richard als König werbende Buckingham), Sebastian Kuschmann als Stehaufmännchen Hastings, Sebastian Reiss als Herzog von Clarence und Samuel Simon als agiler Kommandant Brakenbury.
Am Ende, wenn der nächste Heilsbringer im bekannten Anzug erscheint: sehr viel Applaus.

Markus Gründig, September 17


Pygmalion

English Theatre Frankfurt
Besuchte Vorstellung:
1. September 17 (Premiere)

kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Die vergangene Spielzeit des English Theatre Frankfurt stand unter dem Motto „A Strictly British Season“ und schloss mit außergewöhnlich guten Auslastungszahlen. Das Theater ist fest in der Region verwurzelt, doch benötigt es auch künftig neben einem regen Publikumszuspruch finanzielle Unterstützung (nicht zuletzt durch den Wegfall des bisherigen Großsponsors, der Stadt Eschborn). Und so dankte Intendant Daniel Nicolai unmittelbar vor der Premiere von Pygmalion auch der Stadt Frankfurt/M und dem Land Hessen, die den gegenwärtigen Spielbetrieb mit großen Engagement ermöglichen.

Die neue Spielzeit verspricht mit einem abwechslungsreichen Programm aus Klassikern und zeitgemäßen Stücken (wie mit der Deutschlandpremiere von Robert Askins Hand to God im Frühjahr 2018) erneut viele Zuschauer in das größte englischsprachige Theater Kontinentaleuropas zu locken. Unter dem Motto „The Monster within us“ thematisiert sie von verschiedenen Perspektiven aus die Sünde, die menschliche Schwäche. Da scheint auf dem ersten Blick Georg Bernhard Shaws Pygmalion zunächst irgendwie nicht reinzupassen, ist es doch vor allem durch seine heitere Musicalversion von Frederick Loewe und Alan J. Lerner bekannt (My Fair Lady, auch verfilmt mit u. a. Audrey Hepburn und Rex Harrison). Doch es beruht auf Ovids Pygmalion-Legende, wonach sich der von Frauen enttäuschte zyprische König Pygmalion eine Statue (Galatea) schaffte, die Aphrodite für ihn zum Leben erweckte. In Shaws Stück ist diese Statue die ordinäre Blumenverkäuferin Eliza Doolitle, die der Sprachwissenschaftler Henry Higgens aufgrund einer Wette zu einer gesellschaftsfähigen Dame transformieren will und sie nur als Objekt, nicht aber als empfindsames menschliches Wesen betrachtet (nur in der Musicalversion schließt er am Ende Frieden mit ihr: „I’ve Grown Accustomed to Her Face“). Und auch sonst in der Kunst fand die Männerfantasie, sich eine Frau nach eigenen Wünschen zu schaffen, eine breite Rezeption, wie mit E. T. A. Hoffmans Erzählung Der Sandmann und Jacques Offenbachs Oper Hoffmanns Erzählungen.

Pygmalion
English Theatre Frankfurt
Eliza Doolittle (Jill McAusland), Henry Higgins (Michael Onslow)
© Martin Kaufhold

Mit Regisseur Tom Wright und Bühnen- und Kostümbildnerin Hannah Sibai zeichnet ein Team verantwortlich, dass im März dieses Jahres bereits erfolgreich Moira Buffini Handbagged im English Theatre inszenierte. Und es ist sich in mancher Hinsicht treu geblieben. So ähnelt die Bühne mit ihrer Zimmerfront in Hufeisenform an die von Handbagged, auch wenn sie eine andere Täfelung aufweist. Und sie hat sogar eine zweite Ebene, für die einfache Behausung von Eliza Doolittle, mitsamt historischem Münzgaszähler und für ein luxuriöses Badezimmer im Hause von Higgins. Durch schmale Flügeltüren werden Wohneinrichtungen herein geschoben und so zwischen Orte wie Higgins Wohnzimmer oder das seiner Mutter gewechselt. Nicht zuletzt durch die eleganten hochgeschlossenen Kleider der Damen rückt die Entstehungszeit des Stücks greifbar nahe.

Acht Darsteller sind bei dieser Produktion dabei, so viele sind im English Theatre Frankfurt sonst nur bei den Musicalproduktionen beteiligt. Bei Pygmalion steht unangefochten die großartige Eliza Doolittle der Jill McAusland im Mittelpunkt. Sie spricht nicht nur extrem schnell und im ordinären Dialekt, sondern zeigt sich facettenreich und sehr wandlungsfähig und bietet grandiose Unterhaltung, sei es wenn sie wild aufschreit oder liebevoll ihre Augen rollt.
Herrlich aufbrausen kann Michael Onslow als energischer Henry Higgins, dessen neuer Freund Colonel Pickering von Christopher Ettridge als einfühlsamer Mann der guten alten Schule gegeben wird. Eine starke Mutterfigur gibt Carmen Rodriguez als Mrs. Higgins. Großes Herz unter zunächst rauer Schale zeigt Eliza McClelland als Mrs. Pearce (und in anderen Rollen). Seinen Aufstieg Dank fünf Pfund und einem Legat durch einen amerikanischen Millionär schafft der umtriebige Alfred Doolittle des Charlie Carter. Als Gesellschaftsdame Clara Eynsford-Hill und Hostess verzaubert zudem Chloe Walshe, wie auch Joel Macey als Freddy Eynsford-Hill, Nepommuck und Sarcastic Bystander sich stark einbringt.

Am Ende macht Eliza deutlich, dass Higgins sie mehr braucht, als sie ihn, wobei es offen bleibt, ob sie sich nun tatsächlich für eine Ehe mit dem eher mittellosen aber sie aufrichtig liebenden Freddy einlässt und dafür ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit behält.  Viel freundlicher Applaus.

Markus Gründig, September 17


Caligula

Staatstheater Darmstadt (Kammerspiele)
Besuchte Vorstellung: 25. August 17 (Premiere)

kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Dass in Zeiten von weltweiten Despoten und umstrittenen Staatsmännern das Drama Caligula des französischen Schriftstellers und Philosophen Albert Camus mit seinem implizierten Aufruf zum Widerstand vermehrt in den Spielplänen auftaucht, ist kein Wunder. Am Schauspiel Frankfurt war es in der vergangenen Spielzeit unter der Regie von Dennis Krauß in der Spielstätte Box zu sehen und Intendant Oliver Reese wählte es auch als Eröffnungsstück an seinem neuen Wirkungsort, dem Berliner Ensemble. Dort findet am 21. September 17 unter der Regie von Antú Romero Nunes im Großen Haus die Premiere statt, mit Constanze Becker in der Titelrolle und Oliver Kraushaar als Caesonia. Und auch am Staatstheater Darmstadt eröffnete das Stück jetzt die neue Spielzeit, die unter dem Motto „Wer ist Wir?“ steht und damit das Dazugehören in all seinen Facetten hinterfragt. Dazu passt Camus‘ Drama um die maßlos überzogene Figur des Kaisers Caligula, der mit dem absurden Dasein hadert und es auf die Spitze treibt, sehr gut.

Caligula
Staatstheater Darmstadt
Caesonia (Gabriele Drechsel), Caligula (Christoph Bornmüller)
© Robert Schittko

In den Kammerspielen inszenierte Christoph Mehler das Drama. Bei der Frage nach dem „Wer ist Wir?“ bezieht er das Publikum explizit mit ein. Das sitzt sich, auf zwei Tribünen verteilt, gegenüber, inmitten befindet sich die Spielfläche. Von Caligulas Palast und Chereas Haus im 1. Jahrhundert n. Chr. ist nicht viel zu sehen. Auf der rechteckigen Spielfläche, die an den Seiten mit großen, grell leuchtenden Neonröhren umgeben ist, befindet sich einzig eine große Schaukel. Auf dieser nimmt Caligula (als geistreicher und gut gelaunter Allroundbespaßer, aber auch zu emotionalen Ausbrüchen fähig: Christoph Bornmüller) seinen Platz ein, während alle anderen Protagonisten stets auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Caligula ist fast immer stets erhöht, schwebt über den Dingen: Eine treffende Verbildlichung (Bühne und Kostüme: Jennifer Hörr).

Noch während das Publikum Platz nimmt, laufen die Darsteller auf der Spielfläche umher und reden direkt zum Publikum, wie „Immer noch nichts…“, „Wenn er nicht zurückkommt, muss er ersetzt werden, der Kaiser fehlt es nicht…“ oder „Leise meine Herren“ und „Uns fehlt es an Leuten mit Charakter…“, womit sie das Publikum unmittelbar in die erste Szene hineinziehen, in die Ungewissheit über Caligulas, der nach dem Tod seiner geliebten Schwester mehrere Tage unauffindbar war.
Auch im weiteren Verlauf bricht Mehler das Drama mehrfach auf. Vor allem legt er es freier an. Und das Publikum ist eingeladen, mit abzustimmen, wer das nächste Opfer sein soll oder es darf ein Witz beigesteuert werden, hier fühlt man sich schon fast wie in einer TV-Show.
Die einzelnen Rollen sind, außer bei dem Paar Caligula und Caesonia (im herrschaftlichen zugeknöpften Kleid und mondänen Irokesenfrisur, dabei sehr beherrscht und einfühlsam: Gabriele Drechsel), weitestgehend aufgelöst bzw. uniform. Sie sprechen überwiegend chorisch, also als eine Stimme. Und das sehr gut. Denn anders als bei Dennis Krauß´ Inszenierung am Schauspiel Frankfurt stehen sie nicht starr auf ihren Plätzen. Mehler fordert den Darstellern viel Körperarbeit (und sich zu entblößen) ab. So wird sich, gleichzeitig zum chorischen Sprechen, auf dem Boden gewälzt, es wird gerannt (auch auf die Zuschauertribünen) und getanzt. Diese Freiheit lockert ungemein auf, verallgemeinert die Positionen der Figuren, nimmt dem Stück aber auch einiges an Dramatik. Musik Richard Wagners (aus Tristan und Isolde) und moderne Klubsounds untermalen mit starker Emotionalität das Geschehen (Musik: David Rimsky-Korsakow).

Die Figur des Dichters Scipio, dessen Vater von Caligula getötet wurde, geben das Trio Katharina HintzenAlisa Kunina und Yana Robin la Baume. Ihre Brüste decken einzig die Hosenträger ihrer Armeehosen. Zusammen mit den schwarzen Stiefeln und mit Schirmmütze wirken sie beinahe wie Soldatinnen. Der frei gelassene Sklave Helicon (Jörg Zirnstein) und der Ankläger Cherea (Stefan Schuster) tragen zugeknöpfte schwarze Mäntel, während der verwundete Oberhofmeister Patricius (Robert Lang) nicht nur einzig eine Unterhose an hat, er ist auch am ganzen Körper geschminkt, als sei er ein Farbiger.

Mehelers Botschaft am Ende ist eindeutig. Während Caligula einfach stumm abgeht, hat sein Hofstaat die Chance für eine neue, bessere Gesellschaftsordnung vertan. Er mutiert zu einer Herde dumpf blökender Schafe, die nichts gelernt hat. Als Top und Epilog gibt es dazu noch einen eingespielten Auszug aus Heiner Müllers Hamletmaschine.
Vier Zuschauer verließen die Vorstellung vorzeitig, die Mehrheit spendete langen und freundlichen Applaus.

Markus Gründig, August 17