Der lyrische Tenor Benjamin Bernheim besticht mit seinem unverwechselbaren französisch silbrigen Timbre und „erweist sich technisch wie stilistisch als Meister“ (Konrad Kuhn). Geboren wurde er 1985 in Paris. Aufgewachsen ist er in der Schweiz. Schon mit 23 Jahren wurde er Mitglied des Opernstudios der Oper Zürich und zwei Jahre später Ensemblemitglied. Inzwischen ist er freischaffend tätig und weltweit an den bedeutendsten Opernhäusern gefragt.
Hinter ihm liegt ein ereignisreiches Jahr. Im Januar erschien sein zweites Soloalbum („Boulevard des Italiens“) beim Label Deutsche Grammophon, dessen Exklusivkünstler er ist. Es folgten Partien und Liederabende in Bordeaux (Opéra national de Bordeaux), Hamburg (Staatsoper), Paris (Amphithéâtre Bastille und Opéra national), Saarbrücken (Saarländisches Staatstheater), Straßburg (Opéra national du Rhin), Valencia (Palau de Les Arts Reina Sofia), Wien (Wiener Staatsoper) und Zürich (Opernhaus Zürich), zudem das Festivals Aix-en-Provence und die Salzburger Festspiele (bei denen er bereits 2012 debütierte). Als vorläufiger Höhepunkt seiner Kariere erfolgte im Oktober sein Debüt an der Metropolitan Opera in New York. Als letzten beruflichen Termin in 2022 gab er jetzt sein lang erwartetes Debüt an der Oper Frankfurt mit einem Liederabend.
Lieder der deutschen Romantik
Im ersten Programmteil standen ausgewählte Lieder von Johannes Brahms und Robert Schumann. Brahms „Die Mainacht“, ein Lied über unerfüllbare Sehnsucht nach einer idealen Geliebten, eröffnete den Abend. Dass Bernheim stark von der Oper geprägt ist und sich gar in der großen Metropolitan Oper in New York behaupten konnte, war insbesondere im ersten Programteil zu hören. Die expressiven Aufschwünge hatten bei ihm eine enorme Strahlkraft (wie beim Ende von „Immer leiser wird mein Schlummer“). Berühren konnte er mit seinem sanften Legato, insbesondere bei dem trübsinnigen „Auf dem Kirchhofe“.
Schumanns Liedzyklus Dichterliebe ist, wie Schuberts Winterreise, ein gern gewählter Zyklus. Bernheim präsentierte die sechzehn Lieder mit vielen unterschiedlichen Klangfarben und ausgesprochen nuancenreich. Dabei wirkte er sehr fokussiert und konzentriert. Sein Vortrag war wohl durchdacht und von großer Dynamik geprägt. Nichts schien dem Zufall überlassen worden zu sein. Zudem war seine Wortverständlichkeit sehr gut. Die gebürtige kanadische Pianistin Carrie-Ann Matheson am Klavier wirkte mit ihrem nachhaltigen, intensiven und dunkel gefärbten Spiel gewissermaßen wie ein Katalysator für die besungenen Gefühle einer unerfüllten Liebe. Herausragend hier ob der vehement ausbrechenden Gefühle „Ich grolle nicht“ und das sehr verinnerlicht dargebotene „Ich hab´ im Traum geweinet“.
Lieder der französischen Romantik
Im zweiten Teil präsentierte Benjamin Bernheim Lieder von Henri Duparc und Ernest Chausson. Sie zählen auch zur Romantik, haben aber eine ganz andere Grundstimmung. Dass sie so anders wirkten, lag nicht nur daran, dass Bernheim diese Lieder nun frei vortrug und sie insgesamt viel mehr verinnerlicht zu haben schien. Generell unterscheiden sich die französischen Kunstlieder von den deutschen Kunstliedern.
Duparcs durchaus schon impressionistisch gefärbten Lieder „L’invitation au voyage“ und „Phidylé“ bestechen durch ihre hohe Qualität. Für viele Ohren neu war der zweiteilige Zyklus „Poème de l’amour et de la mer“ von Ernest Chausson. Auch in ihm geht es um die Liebe, eine unglückliche. Bernheim gestaltete ihn mit großer Emphase. Matheson, die auch als Dirigentin und Pädagogin tätig ist (seit 2021 ist sie Künstlerische Leiterin der San Francisco Opera), wirkte auch hier nicht nur als dezente Begleiterin, sondern auch als aktive Mitgestalterin.
Am Ende gab es sehr viel Applaus. Kurze Worte an das Publikum vermied Bernheim an diesem Abend. Beide bedankten sich aber mit zwei populären Zugaben. Sehr einfühlsam gaben sie Richard Strauss´ Glücksvision „Morgen“ und nicht zuletzt im Hinblick auf die bevorstehenden Weihnachtsfeiertage den Operettenschlager „Dein ist mein ganzes Herz“ von Franz Lehar, der beim Publikum bestens ankam.
Markus Gründig, Dezember 22
Die Zugaben:
Richard Strauss (1864-1949): „Morgen!“ op. 27 no. 4 (1894)
Franz Lehár (1870-1948): Arie des Prinzen Sou-Chong „Dein ist mein ganzes Herz“ aus der Operette Das Land des Lächelns (1929)
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