Betulia Liberata ~ Eine Kirchenbegehung
Oper Frankfurt (im Bockenheimer Depot)
Besuchte Vorstellung: 23. Juni 17
Honeggers Jeanne d`Arc au bûcher in der Inszenierung von Àlex Ollé, das derzeit im Frankfurter Opernhaus gespielt wird, ist mit seiner offensiven Zurschaustellung von Gewalt innerhalb einer degenerierten Gesellschaft, die Andersartigkeit als große Gefahr sieht, dafür aber umso mehr männliche Gliedmaße zeigt, schon schwere Kost. Auch die Musik von Honegger kann dazu ziemlich aufwühlen. Das Werk steht im Mittelpunkt der diesjährigen Reihe Oper finale. Als eine Art Gegenentwurf dazu kann man W. A. Mozarts frühes Oratorium Betulia Liberata (Das befreite Bethulien), das auch als Azione Sacra, also heilige Handlung bezeichnet wird, sehen. Dieses Stück wird parallel im Bockenheimer Depot gespielt. Mozart komponierte es nach seiner Opera buffa La finta semplice und dem Singspiel Bastien und Bastienne, im Alter von 15 Jahren.
Auch hier steht eine außergewöhnliche Frau im Zentrum des Geschehens. Die Heldin Judith, die „friedfertige“ jüdische Witwe, die sich in das feindliche Lager der Assyrer begibt und dort dem betrunkenen und schlafenden Feldherrn Holofernes mit zwei Hieben eines Schwerts den Kopf abtrennt und somit ihrem Volk die Freiheit zurückbringt. Erzählt wird diese Geschichte im alttestamentarischen Buch Judith (das zu den Apokryphen zählt), Pietro Metastasio hat daraus ein Libretto gefertigt, das von zahlreichen Komponisten verwendet wurde, auch von Mozart. Die Geschichte fand ebenso in der Bildenden Kunst eine breite Rezeption (u. a. bei Giovanni Battista Piazzetta, auf dessen 1720 gemaltes Ölbild „Judith und Holofernes“ die Zuschauer den ganzen Abend über schauen).
In der Inszenierung von Jan Philipp Gloger kommt diese Geschichte zwar auch vor, spielt aber nur eine untergeordnete Rolle. Gloger war nicht nur während der Intendanz von Matthias Fontheim Leitender Regisseur am Staatstheater Mainz, er hat im Frankfurter Opernhaus bereits Mozarts Idomeneo (2013) und bei den Bayreuther Festspielen Wagners Der fliegende Holländer (2012) inszeniert. Ab der Spielzeit 2018/19 wird er die Position des Schauspieldirektors am Staatstheater Nürnberg übernehmen.
Aus der handlungsarmen AzioneSsacra hat er eine „Kirchenbegehung“ gemacht. Für eine Assoziation mit einer Kirche eignet sich das Bockenheimer Depot mit seinen Haupt- und Seitenschiffen schon architektonisch. Bühnenbildnerin Franziska Bornkamm, die bereits für Glogers Bühne von Idomeneo verantwortlich war, hat dafür das Publikum mit Blick auf den Eingang platziert. Die Bühne besteht aus zweimal acht Kirchenbänken, mit einem Mittelgang, zwei kleinen Christuskreuzen an den Seiten und einem Taufbecken im Hintergrund. Selbst katholische Opferlichttische und alte protestantische Gesangsbücher fehlen nicht. Und auch die Lampen über den Kirchenbänken wurden entsprechend angepasst.
Doch was ist eine “Kirchenbegehung”? Die Zuschauer bleiben die ganze Aufführung über auf ihren Plätzen. Die Kirchenbegehung findet allein mit Augen und Ohren statt. Losgelöst von der eigentlichen Geschichte wurden die Arien und Chorstellen von Betulia Liberata in einen vollkommen anderen Sinnzusammenhang gestellt (und die Rezitative nahezu vollständig ausgelassen). Innerhalb von 100 Minuten geht es auf eine Reise durch mehrere Jahrhunderte, von der Gegenwart zurück zu den Kreuzrittern. „Bitte anschnallen“ riet daher Dramaturg Zsolt Horpácsy den Zuschauern bei seiner Stückeinführung. Vermittelt werden Gefühle. Die Differenziertheit , Farbigkeit und Tiefe der Arien (Gloger) werden so transportiert. Denn Metastasios´ Text eignet sich dafür gut. So sind es sechzehn Gleichnisse (von denen die Judith-Geschichte nur eine davon ist), die hier von fünf Sänger, einem Schauspieler, mehreren Statisten (darunter drei Kinder) und von einem in die szenische Handlungen eingebundenem Vokalensemble (Einstudierung: Felice Venanzoni) gegeben werden (wodurch auch die ursprünglichen Rollenbezeichnungen obsolet geworden ist). Sie finden, um dem sakralen Charakter des Werkes treu zu bleiben, innerhalb einer Kirche statt, können aber auch allgemeingültig gesehen werden. Dabei haben die Darsteller zahlreiche Kostümwechsel zu vollziehen, von Gegenwartskleidung über mittelalterliche Gewänder bis zu den Trachten der Kreuzritter (Kostüme: Katharina Tasch). Begleitet werden sie vom Frankfurter Opern- und Museumsorchester, das fein nuanciert und lustvoll unter der Leitung von Titus Engel spielt. Er ist bekannt für seine Offenheit für ungewöhnliche Projekte und Konzertformate, quer durch alle musikalischen Epochen. 2014 war er hier bereits bei Telemanns Orpheus oder Die wunderbare Beständigkeit der Liebe zu erleben.
Die türkische Mezzosopranistin Ezgi Kutlu gibt bei dieser Produktion ihr Debüt an der Oper Frankfurt. Ihre große Arie als Giuditta (Judith) bewältigt sie mit Bravour und zeigt dabei große Innigkeit, begeistert aber auch als überzeugte und weise Religionslehrerin („Übermässige Hoffnung führt zu Anmaßung, und der Glaube stirbt, wo die Furcht überwiegt“), auch wenn ihr die Schüler mit einem Furzkissen und einem Zettel auf dem Rücken kleine Streiche spielen. Sopranistin Karen Vuong ist inzwischen bekannt für ihre überzeugende Verkörperung großer Frauengestalten. Hier gibt sie eine leidenschaftliche verliebte Frau („Glauben, Liebe und Hoffnung sind drei Fackeln, die gemeinsam scheinen, und keine gibt Licht ohne die andere“) und mit großer Gefühlstiefe eine Mutter, die ihre Familie verlässt (und später zu ihr zurück kommt). Sopranistin Sydney Mancasola betört als trauernde Mutter und angeklagte Hexe. Sehr stark eingebunden ist Tenor Theo Lebow, sei es zu Beginn als Priester, der die Gottesdienstbesucher verabschiedet, als flüchtender Liebhaber in spe oder als Pfarrer in Sorge um brisante Akten. Bass Brandon Cedel huldigt hier als Obdachloser einem ganz alltäglichen Gott: dem Alkohol. Mit großen Gesten untermauert der Schauspieler Marek Sarnowski das Spiel der Sänger.
Mit einer besonderen Pointe wartet die Regie am Schluss auf. Die bislang verdunkelten Fenster und Türen lassen nun Tageslicht ein bzw. werden geöffnet. Ein Luxuswagen fährt in die Kirche. Ein junges Paar, ohne Kinder, aber dafür mit einem Zierhund, hat die Kirche gekauft und will sie nun für ihre Zwecke umbauen. Einen Architekten mitsamt Assistentin haben sie schon mitgebracht, wobei die “Kirchenbegegung” ganz im hier und heute angekommen ist. Sehr viel Applaus für diese detailliert erarbeitete und ideenreiche Umsetzung.
Markus Gründig, Juni 17
La Damoiselle élue / Jeanne d`Arc au bûcher
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 15. Juni 17
Zum Saisonende geht es in der Oper Frankfurt heiß her. Nicht nur wegen der hohen Temperaturen im Foyer des 1. Obergeschosses, sondern auch bei der szenischen Produktion von Arthur Honeggers dramatischem Oratorium Jeanne d`Arc au bûcher (das auch Stilelemente von Oper und Schauspiel beinhaltet). Denn am Ende verbrennt Jeanne auf einem Scheiterhaufen in lichterlohen Flammen. Die Jungfrau von Orleans dient in diesem Jahr dabei als thematischer Ausgangspunkt für die Reihe Oper Finale (mit einem Begleitprogramm rund um diese Produktion).
Jeanne d`Arc au bûcher wird zusammen mit dem Poème lyrique La damoiselle élue von Claude Debussy gezeigt. Zwei Werke, bei denen sich auf den ersten Blick keine Verbindung herstellen lässt. Und doch gibt es zahlreiche Bezüge zwischen Ihnen, die über die gemeinsame französische Sprache hinausgehen, auch wenn sie musikalisch eher im Kontrast zueinander stehen. Beide handeln vom Leben im Himmel, vom Leben auf der Erde und dem Weg von der Erde in den Himmel.
Für die Inszenierung der Oper Frankfurt, die in Kooperation mit dem Treatro Real Madrid entstanden ist, konnte der Regisseur Àlex Ollé gewonnen werden. Er gehört zum Leitungskreis des katalanischen Künstlerkollektivs La Fura dels Baus, das sich weltweit durch außergewöhnliche Produktionen, die alle fünf Sinne anzusprechen versuchen, einen hervorragenden Ruf als kreative Kunst- und Performanceschmiede erworben hat und vielfach ausgezeichnet wurde. Àlex Ollé ist erstmals für die Oper Frankfurt tätig und er setzt alles daran, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Dabei ist seine Inszenierung, trotz aller drastisch überzeichneten Bilder, klassisch gehalten. Alles wird sehr konkret gezeigt, insbesondere die zahlreichen Schwanz-gesteuerten Männer in Honnegers Jeanne d`Arc au bûcher. Doch bis es dazu kommt dauert es ein klein wenig. Denn der Abend beginnt mit Debussys frühen Werk La damoiselle élue, bei dem ein gewisser Einfluss Richard Wagners unverkennbar ist, bei dem aber auch schon Debussys späterer Stil einer schwebenden, fast schon sphärischen, Melodik erkennbar wird. Das lyrische Gedicht beruht auf einer Dichtung des englischen Künstlers Dante Gabriel Rossetti. Debussy verwendete die französische Übersetzung von Gabriel Sarrazin, verzichtete dabei aber auf die Strophen des sehnsüchtig erwartenden Liebhabers, auf den die mystisch verklärte Auserwählte (Engelshaft, die Sopranistin Elizabeth Reiter) an der Himmelsbrüstung gelehnt, herabblickt. Dafür gibt es eine Erzählerin (geheimnisumwoben die Altistin Katharina Magiera). Die zwei Bereiche Himmel und Erde sind im Bühnenbild von Alfons Flores klar mittels Glasscheiben horizontal getrennt und über einen Aufzug an einer Traverse mit nur einer kleinen Plattform, miteinander verbunden. Bei nur geringer Ausleuchtung (Licht: Joachim Klein) werden für eine himmlische Atmosphäre vorüber ziehende Wolken projiziert (Video: Franc Aleu). Die Auserwählte sticht durch ihre mächtige goldene Robe und hellblonde Haarpracht optisch leuchtend hervor, während die Erzählerin am Boden kauernd eine nahezu leblose Frau in den Armen hält und tröstet.
Der Übergang zu den elf Szenen von Jeanne d`Arc au bûcher geschieht fließend, ohne Pause. Während eines unbestimmbaren Brummens und Dröhnens wird der Blick nun auf die Welt unter der Glasscheibe gelenkt. Aus dem Dunkeln tritt die Volksmasse in schmuddeliger und abgenutzter Kleidung hervor. Sie klagt Jeanne an und diese lässt vor ihrer Hinrichtung die Geschehnisse Revue passieren.
Der hier betriebene Aufwand ist immens. Neben Chor und Extrachor ist auch der Kinderchor beteiligt (Einstudierung Chor und Extrachor: Tilman Michael, Kinderchor: Markus Ehmann). Die Auftritte und ihre Umzüge gehen nicht nur schnell, sie sind vor allem optisch ob ihrer Masse schon beeindruckend. Und insbesondere der Kinderchor kann stark für sich einnehmen (Kind Solo: Sophia Seeling). Die Kostüme der vulgären und vielfach als Tiere bezeichneten Figuren sind heftig: oben hui, unten pfui. So tragen sie einfache Hemdchen, Trikots oder edel anmutende Pelzmäntel (die allerdings mit Blut verschmiert sind), aber untenrum, wenn überhaupt, nur eine Unterhose (doch keine Sorge, die offensiv zur Schau gestellten Gemächter sind nicht echt; Kostüme: Lluc Castells). Vier auf jeweils einem Schrottauto montierte Tribünen werden flugs zu einem großen Tribunal zusammengefügt, zwei dienen später als Folterstätte (bei dem u. a. einer Märtyrerin ein glühendes Eisen in den Unterleib gerammt wird).
Bei den Solisten ragen vor allem der Tenor Peter Marsh als imposant vorfahrender dem Prozess vorsitzender Porcus, Schauspieler Étienne Gillig als bepackter Esel, sowie die vom Opernstudio kommende Sopranistin Elizabeth Sutphen als die Heilige Jungfrau heraus. In erster Linie ist es aber der Abend der großartigen Schauspielerin Johanna Wokalek in der Titelrolle, an der Seite von Schauspieler Sébastien Dutrieux als Bruder Dominique (beides sind reine Sprechrollen). Die beiden tragen als einzige heutige Kleidung, wie Regisseur Àlex Ollé die Handlung, trotz mittelalterlicher Anspielungen, ohnehin in einer zeitlich nicht genau definierten modernen Zeit verortet (wovon neben den Schrottautos auch die Trikots der Hooligans zeugen). Johanna Wokalek verkörpert die rhetorisch geschickte 19-jährige Jeanne mit großer Authentizität und einer einmaligen Jugendlichkeit und Frische. Sie berührt nicht nur, ihr starker Ausdruck geht unter die Haut, selbst wenn man der französischen Sprache nicht so mächtig sein sollte.
Und auch musikalisch ist Honeggers vielseitiges Oratorium faszinierend, kommen darin doch sehr viele unterschiedliche Musikstile vor und es kommt sogar ein von Thomas Bloch gespieltes Ondes Martenot (ein frühes elektronisches Musikinstrument) zum Einsatz. Gastdirigent Marc Soustrot lässt mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester die volle Bandbreite von Honeggers Klangfarben (wie Folklore, gregorianische Choralmelodien, Jazzparodien) und -gewalten eindrucksvoll ertönen.
Starker und langer Applaus für diese bildgewaltige Inszenierung des außergewöhnlichen Musiktheaterdoppels.
Markus Gründig, Juni 17
A Midsummer Night´s Dream
Staatstheater Mainz
Besuchte Vorstellung: 12. Mai 17 (Premiere)
Die Oper Frankfurt beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Œuvre Benjamin Brittens. In den Häusern der Region ist das bisher noch nicht so sehr der Fall. Am Staatstheater Mainz wird jetzt, während der dritten Spielzeit von Intendant Markus Müller, die erste Britten Oper gegeben (wo zuletzt 2011 The Rape of Lucretia und 2006 Peter Grimes gezeigt wurden). Wobei das Staatstheater Mainz stets regelmäßig auch abseits des im Repertoire stehende Stücke im Spielplan hat (wie zuletzt Hindemiths Mathis der Maler).
A Midsummer Night’s Dream ist ein Stück, das auch für ein breites Publikum interessant ist. Schließlich ist nicht nur die Vorlage von William Shakespeare, auf dessen Komödie das Libretto von Benjamin Britten und Peter Pears beruht, bekannt und populär, sondern Britten hat für die im Juni 1960 in Aldeburgh uraufgeführte Oper in drei Akten eine zwar moderne, aber dennoch gut zugängliche Musik komponiert. Bezeichnend sind dabei die unterschiedlichen Klangfarben, mit denen er die märchenhafte Stimmung im Zauberwald gestaltete und Menschen wie Geister charakterisierte. Und auch die Inszenierung von Hausregisseur Nicolaus Helbling macht es dem Publikum leicht, einen Zugang zu diesem Werk zu finden. Gespielt wird im Kleinen Haus, wodurch eine größere Intimität besteht (gleichwohl hat die Produktion das Potential, auch das Große Haus zu füllen).
Hermann Bäumer, Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters Mainz und Generalmusikdirektor des Staatstheater Mainz, lässt diese zauberhaften, verspielt anmutenden Klangfarben hell und virtuos erstrahlen.
Britten und Pears haben die Vorlage stark gekürzt und dabei den ersten Akt im Palast des Theseus gestrichen. Die Handlung setzt direkt im Wald ein. Bei der Inszenierung des Staatstheater Mainz ist dies anders. Regisseur Helbling zeigt während der Ouvertüre ein königliches Gemach, an dem Theseus (erhaben: Ks. Hans-Otto Weiß) und Hippolyta (als Grande Dame: Catherine Garrido) an einem Tisch Platz nehmen und sich zuprosten (und Hippolyta dem Theseus beim Essen zusieht). Aus den Wänden vortretend, übernehmen die Feen Cobweb, Peaseblossom, Mustardseed und Moth (Solisten des Mainzer Domchors), die Szenerie, unterstützt von 30 weiteren singfreudigen Feen (Mitglieder des Mainzer Domchors, sowie des Mädchenchors am Dom und St. Quintin; Einstudierung: Karsten Storck). Und auch Puck bringt sich hier gleich groß ins Spiel. Die Schauspielerin Antonia Labs gibt ihn frech, vorlaut und mit sportlichem Einsatz (u.a. springt sie auf einen Tisch und schwingt sich an einem Lüster wie Tarzan an einer Liane).
Die Bühne ist schlicht und nüchtern, wirkt aber dank Videoprojektionen oftmals magisch. Zentrale Elemente sind vier mobile Wandteile, die teils wie Paravents aufgereiht werden, aber auch zu dreieckigen Gebilden zusammengeführt werden. Ihre Flächen sind mit Blumenmustern versehen. Sie dienen als Projektionsfläche für überwiegend abstrakte farbige Bilder (Video: Philipp Haupt). Auch ein sich langsam drehender Vollmond im Hintergrund leuchtet den Zauberwald aus (der zwischendurch durch den Querschnitt eines dicken Holzstammes und von kaleidoskopähnlichen Figuren ersetzt wird). Aufwendig hingegen die Kostüme, allen voran die von Oberon, Titania und der Feen (Ausstattung: Sabine Kohlstedt).
Der personelle Aufwand für diese Produktion ist immens. Denn neben den über 30 Feen und den acht Hauptfiguren, sind mit der Handwerkertruppe sechs weitere Sänger beteiligt.
Als Oberon ist der Altus Alin Deleanu zu erleben, der mit seiner dunkel gefärbten Stimme und seinem erhabenen Auftreten dem König der Elfen eine große Aura gibt. Mit fantastischer Haarpracht und hohen Spitzentönen gibt Marie-Christine Haase eine sympathisch wirkende Titania (Königin der Elfen), die gerne etwas mehr Biss zeigen dürfte. Mit seiner klangschönen und kräftigen Stimme fällt Tenor Tansel Akzeybek, Ensemblemitglied der Komischen Oper Berlin, sofort angenehm auf (er wird diese Partie nur noch am 2. Juni 17 geben, in allen anderen Vorstellungen gibt sie Steven Ebel). Auch darstellerisch bringt er sich stark ins Spiel. Als sein um die Frauenliebe mit werbender Gefährte gibt Brett Carter einen soliden Demetrius. Sehr erhaben bringen sich die beiden top gestylten Damen Hermia (Louise Fenbury) und Helena (Dorin Rahardja) ein. Von der Gruppe der lustigen Handwerker ragt Derrick Ballard stark heraus, nicht nur, weil er temporär in einen Esel verwandelt wird, sondern auch einen beherzten Pyramus gibt. Die Posse in der Posse ist Unterhaltung pur, bei der alle mit großer Spielfreude überzeugen. Stephan Bootz als tonangebender Quince, der Leiter der Truppe, Johannes Mayer als schüchterner Bälgeflicker Flute (und als selbstbewusste Thisbe), Georg Lickleder als Schreiner Snug (und wilder Löwe), Scott Ingham als Spengler Snout (und Mauer mit Loch) und vom Jungen Ensemble Kyung Jae Moon als Schneider Starveling (den Mond haltend).
Langer und starker Applaus, auch uneingeschränkt für das Kreativteam.
Markus Gründig, Mai 17
Einen Sommernachtstraum ohne Worte kann man derzeit beim Hessischen Staatsballett erleben (in Tim Plegges Inszenierung, mit der Musik von Felix Mendelssohn-Bartholdy (u. a.). Wer sich mehr über Benjamin Britten informieren will, sei Norbert Abels neustes profundes Buch „Benjamin Britten“ (Verlag Boosey & Hawkes) empfohlen.
Drei Opern: Der Diktator / Schwergewicht oder Die Ehre der Nation / Das geheime Königreich
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 5. Mai 17
Die Werke sind mehrheitlich genauso unbekannt, wie der Komponist selbst. Dennoch gelang der Oper Frankfurt mit der Ausgrabung von Ernst Kreneks drei Einaktern Der Diktator, Schwergewicht oder Die Ehre der Nation und Das geheime Königreich ein Coup sondergleichen. Großer Publikumszulauf und ein begeistertes Publikum ist bei Raritäten wahrlich keine Selbstverständlichkeit. Doch mit diesen drei Einaktern von Ernst Krenek gelang der Oper Frankfurt das, wovon andere Häuser nur träumen: Das Publikum für unbekannte Werke nicht nur zu interessieren, sondern sogar zu begeistern. Das liegt, neben der kurzweiligen und virtuosen Musik Kreneks und der großartigen Sängerleistung, dem lebhaften Orchesterspiel und der lustvollen Inszenierung von David Hermann, auch an den aufwändigen Bühnenbilder von Jo Schramm (wobei auch bei den Kostümen von Katharina Tasch nicht gegeizt wurde). Dieser seltene Triptychon kann durchaus im Repertoire bleiben. Denn als Triptychon können diese drei Einakter durchaus verstanden werden, schließlich hat sich Krenek von Puccinis „Il trittico“ inspirieren lassen. Krenek, 1900 in Wien geboren, war ein sehr produktiver Komponist, der sich erst später der Zwölftontechnik zuwandte. Die drei Opern komponierte er in den Jahren 1926-1927; sie wurden 1928 am Staatstheater Wiesbaden uraufgeführt (an dem er seinerzeit als Assistent von Intendant Paul Bekker arbeitete) und behandeln alle die menschliche Machtentfaltung. Sie folgen Kreneks Maxime, Kunst muss unterhaltsam, verständlich und gegenwartsbezogen sein. Er war geprägt von seinem Lehrer Franz Schreker, blieb bei diesen Werken tonal, entwickelt keinen neuen Stil. Neu war, wie Dirigent Lothar Zagrosek bei dem, der besprochenen Aufführung nachfolgenden Veranstaltung Oper im Dialog (Publikumsgespräch) hinwies, dass Krenek, den er selber kennengelernt hatte, erstmals damals angesagte musikalische Stile (wie Charleston, Foxtrott, Ragtime) integrierte.
Die Bühnenbilder steigern sich hinsichtlich Aufwand von Szene zu Szene, von Einakter zu Einakter. Ist im ersten Bild der tragischen Oper Der Diktator für die Außenansicht des schweizer Luxushotels nur eine leere, von Betonwänden umgebene Fläche zu sehen (mit lediglich Stühlen an den Seiten), befindet sich im zweiten Bild etwas mehr Interieur auf der Bühne. Eine vorüberziehende Schar erblindeter Soldaten in grauen Mäntel untermauert schlicht aber effektvoll die bedrohliche Atmosphäre.
Spektakulärer wird es für die burleske Operette Schwergewicht. Deutlich erhöht befindet sich der Boxsaal, vor dem als Zuschauer nicht nur zahlreiche uniformierte Soldaten sitzen, sondern auch der Diktator und seine Ehefrau (als weiteres verbindendes Element zwischen den Opern fungiert Sebastian Geier als illustrer Erzähler, der die kurzen szenischen Einweisungen im Libretto vorträgt).
Der Palast des Königs in der Märchenoper Das geheime Königreich ist eine verfallene Betonburg auf zwei Ebenen und der Wald ein wahrer Zauberwald, der einem Fantasyfilmset entsprungen sein könnte.
Krenek-Kenner Lothar Zagrosek lässt das Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit viel Elan Kreneks große Bandbreite an Klangfarben spielen, die sich besonders bei den Vorspielen und Zwischenmusiken genießen lassen (da man hier nicht durch das szenische Geschehen abgelenkt ist). Der von Markus Ehmann einstudierte Chor ist nur bei Das geheime Königreich beteiligt und dann noch aus dem Off. Und eigentlich gibt es auch keine großen, herausragenden Rollen, es ist ein Ensembleabend.
Der italienische Bariton Davide Damiani, mit halbseitiger Glatze und hellblonden langen Scheitelhaaren auf der anderen Seite, ist nicht nur ein gelangweilter Despot und ein interessierter Befehlshaber, sondern auch der König, der erst über ein Rätsel zu sich findet. Er überzeugt mit seiner kernigen Baritonstimme und seinem souveränen Spiel. Und Ambur Braid als die nach der Krone strebende Königin ist ein Erlebnis. Zum einen wegen ihrer Koloraturen, die sie wie selbstverständlich in die Höhe schießt, aber auch wegen ihres agilen Spiels.
Gleichwohl bietet die Oper neben den Gästen Davide Damiani, Ambur Braid, Simon Bailey (er war bis 2014/15 Ensemblemitglied) und Dogus Güney (Zweiter Revolutionär) ein Großaufgebot ihres tollen Ensembles und Mitglieder des Opernstudios. Juanita Lascarro ist eine herrlich vor Eifersucht echauffierte Frau des Diktators. Sara Jakubiak kann als Maria, die Frau des Offiziers, als Einzige einen Charakter vorführen, nicht nur einen Typ. Denn der Mann, den sie hier mehrfach versucht zu erschießen, gefällt ihr plötzlich und sie gibt sich ihm sogar hin. Als ihr erblindeter Offiziersgatte bringt sich klangschön Tenor Vincent Wolfsteiner ein.
Überdreht und zugespitzt sind die Figuren beim Einakter Schwergewicht. Hier bringt sich vor allem Simon Bailey groß raus, als vor Kraft strotzender Boxer Adam Ochsenschwanz. Kammersängerin Barbara Zechmeister gibt Ochsenschwanzs liebestolle Frau Evelyne. Gut in Form ist auch deren Liebhaber Gaston: Michael Porter legt gar mitten im Singen einen Handstand hin und kommt dadurch auch nicht außer Atem. Die ihre dunklen Lüsten nachgehende Professorentochter Anna Maria gibt Nina Tarandek, Ludwig Mittelhammer ihren besorgten Herrn Papa (Professor Himmelhuber). Michael McCown stellt dem Boxer als Journalist kniffelige Fragen (und überbringt als Regierungsrat „Die Ehre der Nation“). Anders als im Libretto vorgesehen, endet nicht Ochsenschwanz im neuen und unter Strom gesetzten Trainingsgerät, sondern der Diktator hängt vier Minuten im Sportgerät (einem modernen Spacecurl, das nach dem Prinzip eines Gyroskops funktioniert), fest und muss während der Rotationen zwölf Phrasen singen.
Sebastian Geyer nutzt ausgiebig in Das geheime Königsreich, um sich mit seiner starken Bühnenpräsenz als Narr zu zeigen. Der zwar weiser ist, als gedacht, beim Spiel mit den Karten aber doch alle guten Vorsätze vergisst (und die Königskrone verspielt). Und auch Peter Marsh als der Rebell glänzt prächtig mit seiner in der Höhe strahlenden Tenorstimme. Abgerundet wird das Ensemble von den drei singenden Damen Alison King, Julia Dawson und Judita Nagyová.
Sehr viel Applaus, für viel Spaß, große Unterhaltung und intelligentem Anspruch.
Markus Gründig, Mai 17
Götterdämmerung
Staatstheater Wiesbaden
Besuchte Vorstellung: 1. Mai 17
Fulminanter Höhepunkt des Wiesbadener-Rings
Festlich geht es zu, im Staatstheater Wiesbaden. Ein roter Teppich liegt in den Arkaden, umsäumt von sechs großen Pflanzkübeln (Buchsbaum und Hortensien). Zwei junge Herren, gekleidet wie Hotelpagen, helfen ankommenden Gästen aus dem Wagen. Und in der Eingangshalle und in den Gängen stehen festlich dekorierte Blumenschalen (u. a. mit weißen Orchideen). Die Internationalen Maifestspiele haben begonnen. Sie stehen unter der künstlerischen Leitung von Uwe Eric Laufenberg und haben dieses Jahr das Motto Die Welt in Bewegung. Sie bieten über 50 Veranstaltungen, u. a. die Barockoper Siroe, König von Persien, Faust – Eine Version des deutschen Klassikers aus Peking, Herbert Fritschs gefeierte Kultinszenierung der Volksbühne Berlin Murmel Murmel und einen Liederabend mit Bassbariton Gerald Finley und Julius Drake.
Ein besonderer Programmhöhepunkt ist die Aufführung von zwei Ring-Zyklen. Der neue Wiesbadener Ring, eine Fortentwicklung von Laufenbergs Linzer Ring-Produktion, wurde erst kurz vor Beginn der Festspiele vollendet. Die besuchte Vorstellung schien zunächst unter keinem guten Stern zu stehen. Denn noch bevor sich der Vorhang hob, begrüßte Intendant Uwe Eric Laufenberg die Gäste und gab bekannt, dass der angekündigte österreichische Bass Albert Pesendorfe leider kurzfristig krankheitsbedingt (Erkältung) absagen musste. Für ihn übernahm der gebürtige georgische Bass Shavleg Armasi (Ensemblemitglied der Oper Hannover) die Partie des Hagens, die er in Wiesbaden bereits eine Woche zuvor bei der Premiere gegeben hatte.
Die Götterdämmerung ist der dritte (und letzte) Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen. Die besuchte Aufführung war ein fulminanter Höhepunkt. Es gab langen, lautstarken und lang anhaltenden Applaus und Standing Ovations, auch für den Regisseur Uwe Eric Laufenberg. Das Publikum war ganz außer Rand und Band. Denn das Gesamtpaket stimmte. Neben der vermittelnden Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg und Alexander Joels differenziertem und farbenreichen Dirigat am Pult des Hessischen Staatsorchesters Wiesbaden (nebst den kraftvollen Chören, Einstudierung: Albert Horne), bildete die erstklassige Besetzung ein hervorragend rundes Ganzes.
Bildreicher Gang durch die Menschheitsgeschichte
Dabei folgt auch die Götterdämmerung dem heterogenen Stil der vorherigen Teile, dem bildreichen Gang durch die Menschheitsgeschichte (von den Anfängen bis zur Gegenwart). Der „rote Faden“ ist die Darstellung naturalistischer Bilder, schließlich ist Wagners Geschichte ja schon mystisch genug. Und wie Laufenberg im Gespräch mit Dramaturgin Regine Palmai (im Programmheft abgedruckt) sagt. „Wenn wir die Welt durch solche Kunstwerke betrachten, können wir sie vielleicht ein wenig besser erfühlen, erahnen, begreifen. Kunst setzt Gedanken und Emotionen in Gang – und Katharsis“. Und dafür bieten Laufenbergs vier Ring-Teile reichlich Gelegenheit.
Nach Siegfried, der schon nah zur Gegenwart angelegt war, spielt die Götterdämmerung ganz in der Gegenwart, teilweise sogar in der Zukunft. Denn die drei Nornen (souverän: Bernadett Fodor, Silvia Hauer und Sabina Cvilak) spinnen die Schicksalsfäden mittels Laserfingerhandschuhen. Das Felsengemach Siegfrieds und Brünnhildes ist ein mondäner Bungalow mit großen Glasfronten, so wie er auch in den nahen Villenvierteln der Landeshauptstadt zu finden ist. Die Halle der Gibichungen, wo finstere Pläne geschmiedet werden, ist ein großer Raum mit einem riesigen Rahmen, rotem Vorhang und einem imposant großen Tisch. Für das wilde Wald- und Felsental am Rhein wird lediglich ein Bühnentransparent mit Waldmotiv herabgelassen, zahlreiche ausgestopfte Wildtiere dienen davor als zusätzliche Dekoration. Siegfried stirbt in einem „Erinnerungsraum“, mit Requisiten aus den vorherigen Ring-Teilen ( Bühne: Gisbert Jäkel). Für die Zwischenmusiken werden auf einer schmalen, aber die Bühnenbreite einnehmenden, Projektionsfläche historische Bilder vom Rhein und industrieller Hafenanlagen gezeigt. Zum Ende gibt es auf einer großen Projektionsfläche apokalyptische Bilder (aus Hollywoodfilmen zusammengeschnitten; Video: Falko Sternberg).
Große Begeisterung für Evelyn Herlitzius und Andreas Schager
Die Begeisterung gilt vor allem der Wagner-erfahrenen Evelyn Herlitzius. Sie gibt eine bravouröse Brünnhilde! 2014/2015 war sie am Staatstheater Wiesbaden bereits als Färberin in Strauss´ Frau ohne Schatten zu sehen, bei den Bayreuther Festspielen sang sie 2015 die Isolde. Ihre Stimme ist stets kraftvoll, strahlend und dennoch kann sie auch betörend lyrisch intonieren. Und auch szenisch macht sie einen hervorragenden Eindruck. Sie zeigt sich sowohl von ihrer verführerischen Seite, wie sie auch im dritten Aufzug innig Brünnhildes Leid und Wahn darstellt. Sehr viel Zuspruch auch für Andreas Schager, der bei den Maifestspielen nicht nur als Siegfried in Götterdämmerung und Siegfried zu erleben ist, sondern auch als Siegmund in Die Walküre. Und er ist hier wieder ganz in seinem Element. Nur leicht gealtert, läuft er zunächst barfüßig und lässig im Trägershirt mit Elektrorasierer und Kaffeetasse durch den chic eingerichteten Bungalow, reckt und streckt sich und ist mit seiner Energie kaum zu bremsen, auch nicht vokal. Er liebt es, das Publikum mit der Wucht seiner Stimme in die Sessel zu drücken und dafür liebt ihn das Publikum (viel lyrische Momente im Pianissimo gibt es für diese Partie hier zum Glück nicht).
Und auch die weiteren Sänger kommen sehr gut an. Wie Shavleg Armasi als finsterer Intrigant Hagen, Bassbariton Samuel Youn als gar nicht so tumber Junggeselle Gunther (Youn wurde 2012 als Holländer-Enspringer bei den Bayreuther Festspielen bekannt) und erneut Thomas de Vries als gieriger Alberich. Viel Eleganz versprüht Sabina Cvilak als Gutrune (und Dritte Norn). Bernadett Fodor gibt eine erhabene Waltraute (und Erste Norn). Für das erneute Erscheinen der Rheintöchter (in heißen Lederoutfits an der „Bar zum Rheingold“: Gloria Rehm, Marta Wryk und Silvia Hauer (auch Zweite Norn); Kostüme: Antje Sternberg) kommt in abgewandelter Form das Auge aus Das Rheingold zum Einsatz.
Gleichwohl gibt es trotz aller Unvollkommenheit im Irdischen, stets die Hoffnung. Hier ist es am Ende der Blick Gutrunes durch ein Fernglas in die Ferne des Weltalls, ins eigene Ich und zu uns Menschen heute (ins Publikum, während der Saal erhellt wird ). Und, wie bereits ausgeführt: tosenden Applaus.
Markus Gründig, Mai 17
Tannhäuser
Staatstheater Darmstadt
Besuchte Vorstellung: 22. April 17 (Premiere)
Der Vorwurf, Richard Wagners Oper Tannhäuser verhandelt zu viel Deutschtümelei, kann bei der Neuinszenierung am Staatstheater Darmstadt getrost ausgeklammert werden. An dem Wochenende, an dem in Köln die rechtspopulistische AfD ihren Parteitag hält und in Frankreich Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National als Präsidentschaftskandidatin antritt, bekennt sich das Staatstheater Darmstadt zu unserer für alle Kulturen offenen und pluralistischen Gesellschaft und setzt damit ein wichtiges Statement. Denn für die Regie wurde der Iraner Amir Reza Koohestani (Jahrgang 1978) verpflichtet. Er gilt als einer der bedeutendsten und bekanntesten iranischen Theatermacher der neuen Generation. 2001 gründete er in Teheran die Mehr Theatre Group, mit der er regelmäßig international auf Tour ist.
Tannhäuser ist seine erste Operninszenierung (eine mutige Wahl für ein Debüt). Er transferiert das Stück aus dem christlichen Kontext in eine muslimische Gesellschaft, sieht Tannhäusers maßlose Gier nach Freiheit und Eros, aber auch dessen Streben nach Liebe und damit auch nach Grenzen, als allgemeingültig. Die Wartburg liegt also nicht in Thüringen, sondern in einem nicht näher bestimmten Ort in der arabischen Welt. Auch wenn dieser Transfer, durch die zum Teil sehr unterschiedlichen Auffassungen innerhalb dieser Religionen, nicht in allen Bereichen aufgehen kann, interessant ist er allemal. Denn er stellt dabei auch die Frage, wo Heimat liegt. Gerade die vielen Menschen, die als Flüchtlinge oder Gastarbeiter ihre Heimat verlassen haben, sind nirgends zu Hause. Davon kann auch Koohestani berichten, der sich in Heinrich Heines Zitat „ein Jude unter Deutschen, ein Deutscher unter Franzosen, ein Hellenist unter Juden, ein Rebell unter den Bürgerlichen und ein Konservativer unter den Revolutionären“ stark wiedergefunden hat.
Am Pult des Staatsorchesters Darmstadt sorgt Will Humburg, noch bis August 2018 Generalmusikdirektor des Staatstheaters Darmstadt, von Anbeginn für einen großartigen Wagnerklang. Und auch der von Thomas Eitler-de Lint einstudierte Chor (verstärkt vom Extrachor) bringt sich groß heraus. In der Mitte der langen Ouvertüre öffnet sich der Vorhang und gibt den Blick frei auf ein überdimensionales Bett (mit Baldachin) im ansonsten leeren Bühnenraum. Darin liegen mehrere Personen in Löffelstellung, aber nicht eng umschlungen. Aus der Höhe gemachte Aufnahmen der Liegefläche werden teilweise auf drei Leinwände an der Rückwand projiziert, schließlich gehen die meisten ab, nur Tannhäuser und Venus (verführerisch im Negligé, aber nicht frivol, stimmlich souverän und volltönend: Tuija Knihtilä) bleiben zurück und die große Szene von Tannhäusers Auszug vom Venusberg findet um das Bett herum statt (das später zu einem Karren umfunktioniert wird). Tannhäuser ist hier, davon zeugt schon das Ankündigungsfoto, ein gelangweilter Träumer. Tenor Deniz Yilmaz spielt ihn als Zauderer im Morgenrock (1. Aufzug) und gefällt mit seinem warmen Stimmtimbre (kommt bei dieser schweren und umfangreichen Partie aber stimmlich an seine Grenzen; es ist sein Tannhäuser-Debüt).
Wenn dann der junge Hirt erscheint (mit wunderbar heller Stimme, die Sopranistin Amelie Gorzellik), sind Kuhglocken aus dem Off zu hören und Rauchschwaden ziehen auf. Ein eindrucksvolles Bild gibt es beim Erscheinen der Jagdgesellschaft des Landgrafen, die mit vom hinteren Bühnenrand in den Zuschauerraum leuchtenden Strahlern, erhaben auftritt (Walther von der Vogelweide: Minseok Kim, Biterolf: Nicolas Legoux, Heinrich der Schreiber: Musa Nkuna, Reinmar von Zweter: Thomas Mehnert). Schon hier gefällt die kräftige und sonore Baßstimme von Martin Snell als Landgraf Hermann und die klar fokussierte Baritonstimme von David Pichlmaier (Wolfram von Eschenbach). Wolfram trägt eine schlichte schwarze Robe (und hat einen Koran in der Hand). Die Robe sieht fast wie ein Talar aus, allerdings hat sie auf ihrer vorderen Seite ein arabisch anmutendes Zeichen (welches sich nicht näher erschließt; Kostüme: Gabriele Rupprecht).
Noch multimedialer wird es im zweiten Aufzug. Im Vorfeld, also noch bevor das Orchestervorspiel einsetzt, übertragen Kameras Livebilder aus dem Foyer und dem Saaleingang auf Leinwände auf dem Bühnenhintergrund, wie dann auch den Einzug der Wettstreitgäste (die man wartend im Foyer beobachten konnte), der Sänger und der Bläser im Großformat zu sehen ist.
Die Wartburg ist im Bühnenbild von Mitra Nadjmabadi eine Fernsehshowbühne, die sich drehen kann und dabei Ruheräume im Backstagebereiche erkennen lässt. In bunten Farben leuchten die Stufen der Treppenanlage und auf einer Säule ist auch demonstrativ ein arabisch anmutendes Signet platziert. Und die Frauen tragen natürlich alle Kopftücher. Koohestani zeigt dabei aber auch, dass es beim Kopftuchtragen durchaus Unterschiede geben kann. Wie ein eher loses Tragen, um den gesetzlichen Mindestanforderungen Genüge zu tun (so wie es hier Elisabeth tut; modern, anrührend und mit fantastischer Stimme: Edith Haller) oder eng anliegend und alle Haare verdeckend, um den strengeren religiösen Gesetzen zu folgen. Zentrales Element ist hier jedoch ein orientalischer Säbel („Scimitar“), den die Wettsänger hochhalten. Ein Säbel als Symbol für das Wesen der Liebe, das erschließt sich nicht unmittelbar (im Islam steht es für die Unterscheidung von Wahrheit und Falschheit).
Im dritten Aufzug geht es besinnlicher, fast schon poetisch zu. Das TV-Studio wurde gewissermaßen auf die Grundmauern reduziert, das in seinen Kellerräumen als Versteck und/oder Behausung dient, und oben als Plateau. Eine deutlich positionierte Livekamera vermittelt Nahaufnahmen, die dezent eingebunden werden (Video: Philip Widmann). Eine sehr schöne Szene ist, wenn sich Wolfram an die darniederliegende Elisabeth anschmiegt (auch wenn diese ihn dann brüsk abweist). So viel Nähe zwischen den beiden gibt es selten zu sehen, erklärt die vorher gegebene Abendstern-Arie aber nur umso eindringlicher. Eine imposante Schlussszene beendet nach viereinhalb Stunden diesen ungewöhnlichen Blick auf Wagners autobiografisch geprägte Künstlerbiografie. Ein mittig platziertes Blumenarrangement, dass auch großflächig projiziert wird, verweist auf den ergrünenden Stab, umsäumt von der höfischen Gesellschaft und den Pilgern, bricht Tannhäuser davor zusammen.
Sehr starker Applaus und natürlich auch etwas Gegenwind. Wobei Koohestani sich diesbezüglich schon in der „Auftakt“-Veranstaltung vor der Premiere gelassen gab: „Wem die Bühne nicht gefällt, soll einfach die Augen schließen und die Musik genießen, die ist schließlich schon stark genug.“ Es wäre natürlich schade, sich dieser alternativen Sichtweise zu entziehen.
Markus Gründig, April 17
Siegfried
Staatstheater Wiesbaden
Besuchte Vorstellung: 9. April 17
Es ist nicht nur ein sonniger Tag, sondern auch einer der wärmsten des Jahres bisher: Sonntag, der 9. April 2017. In der Wiesbadener Innenstadt freuen sich die Cafés und Eisdielen über regen Zulauf und in den Parks und Plätzen spazieren Junge wie Alte. Zudem pilgert eine große Schar gut gekleideter Bürger schnurstracks auf das Hessische Staatstheater Wiesbaden zu und man kann sich an die Atmosphäre auf dem Grünen Hügel (Bayreuth) erinnert fühlen. Zumal Siegfried, der 2. Tag von Richard Wagners Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen, auf dem Programm steht (mit über fünf Stunden Spieldauer, inklusiver zwei Pausen a´ 20 Minuten).
Regisseur (und Intendant des Staatstheater Wiesbaden) Uwe Eric Laufenberg ist auch bei diesem Teil des Rings seiner collagenhaften Zeitreise treu geblieben. Die Bilder der drei Aufzüge sind wieder sehr heterogen und haben auf dem ersten Blick nichts gemein. Nach Stationen im Nahen Osten (Das Rheingold), in Hundings Hüttenbar im finstren deutschen Wald, in einem Zelt auf freiem Felde und in einem Reitsaal (Die Walküre), ist die Gegenwart für Siegfried noch näher gerückt. Die Felsenhöhle im Wald für den ersten Aufzug, das Heim des Mime, ist hier ein dunkler Industrieloft. Rechts vor einem Röhrenfernseher eine Couch, in der Mitte eine abgenutzte Küchenzeile und links eine historische Schmiedewerkstatt (mitsamt Amboss und großem Blasebalg). Im Hintergrund stapeln sich Berge von Altreifen. Eine, die ganze Bühnenbreite einnehmende, Videoprojektion zeigt oberhalb der Behausung eine aus zahlreichen kleinen Hütten bestehende Armenwohnsiedlung, wie man sie aus Süd- und Mittelamerika oder auch aus Asien kennt. Zwischen den Hütten sind Porträts von Augen eingefügt. Sie verdeutlichen, dass hier Menschen ihr Dasein fristen. In dieser ärmlichen Umgebung ist es kein Wunder, dass Mime nach dem großen Nibelungenschatz strebt und nur deshalb den kleinen Siegfried großgezogen hat.
Bei den drei Fragen Mimes an den Wanderer ändert sich die Videoprojektion. Eine Bilderflut nimmt die kapitalismuskritischen Gedanken Wagners auf. Die „bösen“ Reichen werden u. a. versinnbildlicht als großindustrielle Hafenanlage, mächtige Wolkenkratzersiedlungen oder als luxuriöser Privatflieger gezeigt.
Im zweiten Aufzug werden die Videoprojektionen fantastisch, denn der moderne Held Siegfried verschafft sich mittels eines Computerspiels Zugang zum Riesen Fafner (Video: Falko Sternberg). Dieser residiert in einem erhabenen Machtbau mit weißen Säulen, Sicherheitszaun und einer großen Mauer aus goldenen Steinen. Dahinter verbirgt sich, wie nach effektvollem Öffnen der riesigen Eingangsklappe zeigt, eine Geschäftsbank (Fasolt Fafners „FF-Bank“), in dem der Nibelungenschatz sicher verwahrt ist und der Inhaber weltmännisch an einem Schreibtisch sitzt.
Für den 3. Aufzug geht es zurück in die wilde Gegend am Fuße eines Felsenberges, hier in den Reitsaal, aus der Walküre. Die Skulptur, in der Brünhilde eingeschlossen ist, ist über die Jahre in Mitleidenschaft gezogen worden: ihr Kopf ist zur Hälfte abgeschlagen (Bühne: Gisbert Jäkel).
Mit Andreas Schager wurde für die Rolle des Siegfrieds einer der angesagtesten Wagnertenöre verpflichtet. Von seinem ersten „Hoiho! Hoiho!“ (zu dem er von einem Rockerfreund, anstelle eines Bären, begleitet erscheint) bis zum finalen Liebesgesang auf Brünhilde, präsentiert er sich, ausgestattet mit Rastalocken und einem Tablet (das er nahezu im Dauereinsatz hektisch bedient), als unbändiger Naturbursche mit schier endloser Energie und avanciert schnell zum Publikumsliebling. Sehr agil bewegt er sich über die Bühne und zeigt eine große Präsenz. Viel Kraft hat er auch stimmlich zu bieten, was in weiten Teilen passend und willkommen ist. Gleichwohl gibt es Wagnerfans, die ihn differenzierter sehen. Nicht ohne Grund, denn seine rudimentäre Piano-Kultur kann durchaus noch optimiert werden. Vier sehr unterschiedliche, aber allesamt sängerisch ganz hervorragende, Männer sind an seiner Seite zu erleben. Allen voran der Tenor Matthäus Schmidlechner (Ensemblemitglied am Landestheater Linz) als Ziehvater Mime, mit lebhaftem Spiel und farb- wie facettenreicher Stimme. In sich ruhend der Wanderer (Wotan) des Wagner-erfahrenen Bassbaritons Jukka Rasilainen, von der Regie klassisch mit Mantel, Hut und Speer ausgestattet (Kostüme: Antje Sternberg). Ganz hervorragend, wie bereits im Rheingold, gibt Kammersänger und Bariton Thomas de Vries mit dunkel funkelnder Energie Mimes Bruder Alberich. Und auch Young Doo Park nutzt seinen kurzen Auftritt als Fafner, um auf sich aufmerksam zu machen. Wie aus einer fernen Welt wirkt der Gesang des Punk-Waldvogels der Stella An. Passend geheimnisumwoben ist die Stimme von Bernadett Fodor als Erda. Funkelnd bezaubert die sich lange zierende Brünhilde der Sonja Gornik, ein wahrer Sonnenschein, für Siegfried wie für das Publikum.
Alexander Joel führt das Hessische Staatsorchester Wiesbaden mit ruhiger Hand durch Wagners Welt, setzt dann im 3. Aufzug aber auf große Effekte und steigert somit die Spannung auf die finale Götterdämmerung, die schon in Bälde folgen wird.
Am Ende stürmischer Applaus für die Sänger und das Orchester, aber auch für eine Inszenierung, die dem Zuschauer viele Assoziationspunkte bietet.
Markus Gründig, April 17
The Rake´s Progress
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 6. April 17
Eine enge Verbindung zwischen Bildender Kunst und Musik gibt es zwar nicht oft, aber manchmal schon. Wie im Fall der 1732/33 entstandenen acht Kupferstiche „The Rake’s Progress“ des britischen Malers und Kupferstechers William Hogarth. Die dezent gesellschaftskritische Kupferstichfolge über einen flatterhaften jungen Mann, der das Geld seines Vaters verprasst, inspirierten Igor Strawinsky zu seiner gleichnamigen Oper. Der englische Dichter Systan Hugh Auden und Chester Simon Kallman schrieben für ihn das Libretto. The Rake’s Progress wurde 2012 an der Oper Frankfurt unter der Regie von Axel Weidauer neu inszeniert (siehe hierzu auch die gesonderte Besprechung). Jetzt wurde diese Produktion zum ersten und gleichzeitig letzten Mal wiederaufgenommen.
Die Chance, dieses außergewöhnliche Werk des Neoklassizismus zu erleben, sollte man sich nicht entgehen lassen (die letzten Vorstellungen sind am 9., 15. und 21. April 17). Ein Grund ist das Dirigat des Italieners Tito Ceccherini am Pult des erhöht sitzenden Frankfurter Opern- und Museumorchesters. Er lässt ein klanglich sehr eindrucksvolles Hörerlebnis entstehen, bei dem insbesondere die Bläsersoli für zauberhafte Höreindrücke sorgen. Denn Strawinsky ist hier nicht der mit brutalen und heftigen Klängen Auftrumpfende, wie bei Le Sacre du Printems, hier herrschen ruhige, oftmals fast schon meditativ anmutende Klänge vor. Es sind kleine musikalische Kostbarkeiten, die immer wieder von schrofferen Tönen unterbrochen werden. Herausragend insbesondere In Sun Suh am Cembalo während der Kartenspiel-Szene.
Ein weiterer Grund ist die Inszenierung von Axel Weidauer, die einen Bogen von der Zeit Hogarths bis zur Gegenwart spannt. Dies wird insbesondere in den farbenfrohen Kostümen von Berit Mohr deutlich. Einen imposanten( Leucht- ) Rahmen bietet mitsamt den eingeblendeten Lichtern einer Großstadt die Bühne von Moritz Nitsche.
Und auch die Sängerbesetzung lässt keine Wünsche offen. Mit ihrem starken Ensemble kann die Oper Frankfurt auch bei Wiederaufnahmen trumpfen. Hier ist es vor allem der gebürtige US-amerikanische Tenor Theo Lebow in der Rolle des Tom Rakewell. Er zeigt bei dieser großen und schwierigen Rolle die Entwicklung Toms, seinen Weg vom Freudenhaus ins Irrenhaus, mit vielen Facetten und besticht mit seiner elegant geführten Stimme. Viel Charme und Herz versprüht Sopranistin Elizabeth Reiter als liebevolle Anne. Soliden Glanz in der Stimme bietet Alfred Reiter als treusorgender Vater Trulove. Mit mefistofelischer Manier glänzt souverän Bass Kihwan Sim. Mezzosopranistin Tanja Ariane Baumgartner ist hier in der eher heiteren Rolle des Zirkusmonstrum Baba zu erleben, bei der sie einen sehr guten Eindruck hinterlässt. Kammersängerin Barbara Zechmeister verleiht der Bordellchefin Mother Goose ein hohes Maß an Eleganz. Sie war, genauso wie Peter Marsh (als strahlender Auktionator Sellem) bereits 2012 mit dabei. Barnaby Rea rundet das Ensemble mit seinem kurzen aber kernigen Auftritt als Irrenhauswärter wunderbar ab. Recht viel zu singen hat auch der sich spielfreudig gebende und von Tilman Michael gut einstudierte Chor.
Viel Applaus.
Markus Gründig, April 17
Rigoletto
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 24. März 17
Am 29. November 1998 feierte die letzte Neuinszenierung von Verdis Opernhit Rigoletto Premiere an der Oper Frankfurt (Musikalische Leitung: Olaf Henzold: Inszenierung:Kurt Horres), das war bereits die fünfte Neuinszenierung nach 1945. Nun folgte die Sechste. Das Interesse an einer außergewöhnlich geglückten Verbindung von Tragik und schöner Musik, wie sie Verdi in Rigoletto gelungen ist, ist ungebrochen. Und dass die aktuelle Inszenierung ein großer Wurf und mit tollen Sängern besetzt ist, hat sich schnell herumgesprochen. Nachdem schon vor der Premiere die ersten Vorstellungen nahezu ausverkauft waren, gibt es inzwischen für die noch ausstehenden neun Aufführungen keinerlei Karten mehr zu kaufen. Da hilft Interessierten nur, auf die Wiederaufnahme in der nächsten Spielzeit zu warten.
Die Inszenierung von Hendrik Müller im beeindruckenden Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic ist nicht nur aufwendig, sondern auch sehr publikumsfreundlich und geeignet, über Jahre im Repertoire zu bleiben. Für beide ist es die zweite Produktion an der Oper Frankfurt. Hendrik Müller inszenierte 2013 im Bockenheimer Depot Cavalieris Rappresentatione di anima e di corpo (Das Spiel von Seele und Körper) und Rifail Ajdarpasic war bei der Hans Neuenfels Inszenierung von George Enescu lyrischer Tragödie Oedipe für das Bühnenbild verantwortlich.
Im nahen Staatstheater Darmstadt inszenierte Intendant Karsten Wiegand im Februar 2016 diese Oper (die letzte Vorstellung wird kommenden Donnerstag gespielt). Einen Monat zuvor kam es zudem am Staatstheater Mainz im Großen Haus auf die Bühne. Dort sorgte Regisseur Lorenzo Fioroni für einen finsteren, schonungslos brutalen Blick auf das Melodramma in drei Akten. Auch der Regisseur der Frankfurter Neuinszenierung, Hendrik Müller, folgt dieser Sichtweise, wenn auch nicht ganz so plakativ.
Während des Orchestervorspiels betritt, bei noch geschlossenem Vorhang, Rigoletto die Bühne. Er trägt einen an eine Mitra erinnernden schwarzen Hut, schwarzer Halskrause und einen ebensolchen Umhang (über einer weinroten Hose, denn auch er ist kein Unschuldslamm) und kniet vor einem kleinen Holzgestell nieder, auf dem neben zwei Grablichtern in einem runden goldenen Rahmen ein Bild steht. Auf dem Bild ist das Porträt einer Frau zu sehen, die ein kleines Kind trägt. Dies Bild nimmt Bezug zur Vorgeschichte, wonach Rigoletto seine Frau verloren hat. Nun ist er für seine inzwischen erwachsen gewordene Tochter allein verantwortlich und muss sie vor den Gefahren der Welt, insbesondere vor dem Wüstling Herzog von Mantua, beschützen. Nach seiner kurzen Andacht erhebt er sich, zieht das Bild aus dem Rahmen und verleibt es sich ein, als sei es eine Hostie. Ein deutlicher Hinweis auf seine traumatisierte, zerstörte Seele, auf seine Hybris.
Beim Öffnen des Vorhangs geht ein großes Staunen durch den Saal, zeigt die Bühne für das herzogliche Schloss von Mantua doch ein imposantes Konstrukt, das auch der Fantasie J.K. Rowling’s für ihre Harry Potter Reihe oder Batmans Gothams City entsprungen sein könnte. Vorne ein mit drei Lampen (aus dem 20. Jahrhundert stammend) ausgeleuchteter Platz, der von hohen, mehrgliedrigen und unterschiedlich ausgestalteten, holzartigen Baukörpern umsäumt ist, bei dem man sich durch zahlreiche gotische Bögen (Handlungszeit ist ja das 16. Jahrhundert) an eine Kathedrale erinnert fühlen kann. Allerdings gibt es weder komplette Kirchenschiffe, einen Altarraum, noch Kanzel oder ein Kreuz. Was es ist, ist nicht eindeutig auszumachen. Ein Labyrinth, ein Zauberschloss oder nur eine profane Lagerhalle? Auf dem Platz herrscht ein reges Treiben, das Fest spielt auf Dominanz- und Unterwerfungsrituale an (drei auf- und abfahrende große Käfige verstärken die dezente BDSM-Atmosphäre). Es ist ein großartiges Bild für die sittenlose Gesellschaft des Herzog von Mantua, die in passend schwarzer und eng anliegender Kleidung gekleidet ist (Kostüme: Katharina Weissenborn).
In dieses Bühnenbild werden die Bilder für die weiteren Szenen eingefügt, als offener Bruch der optischen Einheit. Denn hierfür schwebt beispielsweise ein moderner, weißer Container mit Faltglasfront und Wandventilator vom Bühnenhimmel herab. Ein klinisch weißer Gefängnisraum für die noch unschuldige Gilda und die sie bewachende Gouvernante Giovanna (mit großartiger Körpersprache: Mezzosopranistin Nina Tarandek). An der Wand zeugen zahlreiche Christuskreuze von Gildas Reinheit, doch lauert auch schon ein Apfel der Versuchung unter einer Glaskuppel. Famos ist das Bild vor der Pause, wenn sechs Schergen von Rigoletto an den Seiten von Gildas Behausung hängen und so ihre gefährliche Lage verdeutlicht wird. Im zweiten Akt bereichert eine Schar heiliger Märtyrer die Szenerie, ohne aktiv in das Geschehen einzugreifen. Als Wirtshaus am öden Ufer des Mincio (3. Akt) wird ein großer Planwagen hereingezogen und geschoben. Er besteht aus Wirtsstube und Schlafgemahl, dessen Planen mit Clownporträts auf die tragische Titelfigur anspielen.
Eine wahre Freude ist die sängerische und darstellerische Leistung, allen voran die des gebürtigen Hawaiianer Quinn Kelsey in der Titelrolle und der Sopranistin Brenda Rae als Rigolettos Tochter Gilda. Bariton Kensley beeindruckte hier schon 2013 als Guy de Montfort in Verdis Die sizilianische Vesper und auch sein Liederabend im Dezember 2015 war ein Highlight. Er gibt die tragische Figur des Rigoletto mit höchster Intensität und Gestaltung. Es ist eine Paraderolle für ihn, die er schon in Honolulu, London, Oslo, Paris, Santa Fe, Toronto und Zürich verkörperte (und demnächst in San Francisco und Chicago).
Brenda Rae kehrte nun nach ihrer Babypause zurück, sie wird allerdings das Ensemble der Oper Frankfurt zum Ende dieser Spielzeit verlassen (für Gastengagements wird die US-Amerikanerin mit dem charmanten Lächeln und der betörend schönen Stimme aber dem Haus verbunden bleiben). Im hochgeschlossenen roten Kleid sorgt sie mit ihren betörenden Höhen und feinstem Pianissimo, vor allem mit ihrem „Caro nome“, für bezaubernde Opernmomente. Der Herzog von Mantua ist von der Regie nicht als wilder Despot, sondern eher als sensibler junger Mann gezeichnet, der nur gelegentlich in Rage gerät. Tenor Mario Chang kann hier kräftig auftrumpfen (und nicht nur das legendäre „ La donna è mobile“ zum Besten geben).
Sein Debüt an der Oper Frankfurt gibt bei dieser Produktion der gebürtige türkische Bassist Önay Köse mit klarer und kräftiger Stimme als Auftragsmörder mit eigenen Moralvorstellungen, Sparafucile (nach seinem Abschluss an der New Yorker Juilliard School ist Köse seit der Spielzeit Saison 2016/17 Ensemblemitglied der Komische Oper Berlin). Als Sparafucile Schwester Maddalena, die auch ein Auge auf den Herzog geworfen hat und ihn vor dem Tod bewahrt, gefällt die Mezzosopranistin Ewa Płonka. Einen starken Eindruck hinterlässt auch Bass Magnús Baldvinsson als um seine Tochter trauernder und Rigoletto verfluchender Graf von Monterone. Ein elegantes Grafenpaar Ceprano geben der Bariton Mikołaj Trąbka und die Mezzosopranistin Julia Dawson (beide sind Mitglieder des Opernstudios der Oper Frankfurt). Mit Elan bringen sich zudem Tenor Michael McCown als Höfling Matteo Borsa und Bariton Iurii Samoilov als Edelmann Marullo ein, wie auch der von Markus Ehmann einstudierte Herrnchor sehr klangstark ist. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester untermalt unter der musikalischen Leitung des italienischen Dirigenten Carlo Montanaro mit differenziertem Spiel die düstere, geheimnisumwobene Sicht von Regisseur Hendrik Müller eindringlich.
Am Ende jubelnder Applaus und Standing Ovations.
Markus Gründig, März 17
Les Troyens (Die Trojaner)
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 26. Februar 17
Die Kriegslist der Griechen mit einem großen hölzernen Pferd (in dem ihre Soldaten versteckt waren) ist legendär und in abgewandelter Form auch heute noch aktuell. Selbst in unserem digitalen Zeitalter sind Trojaner allgegenwärtig: wenn beispielsweise vor eingeschleuste Computerviren gewarnt wird. Die Trojaner inspirierten auch den lateinischen Dichter und Epiker Vergil (70 – 19 v. Chr.) zu seinem 12 Bücher umfassenden Epos Aeneis, über den ruhmreichen Vorfahren des römischen Kaisergeschlechts der Julier. Es ist das größte lateinische Epos. Aus Teilen daraus schrieb Hector Berlioz (dessen La damnation de Faust in 2010 und 2011 an der Oper Frankfurt zu sehen war) das Libretto für seine Grand opéra Les Troyens. Sie zählt zu den großartigsten und gewaltigsten musikdramatischen Schöpfungen des 19. Jahrhunderts und kann als sein musikalisches und geistiges Testament angesehen werden. Gleichwohl galt die Oper lange Zeit als spröde, überdimensional und mithin nicht aufführbar. Das hat sich in der Vergangenheit jedoch schon mehrfach als Täuschung herausgestellt. Auch die jüngste Inszenierung an der Oper Frankfurt beweist, dass sie trotz Ihrer Länge und ihrer zwei Geschichten das Publikum fesseln kann.
Regisseurin Eva-Maria Höckmayr, deren Romeo und Julia auf dem Dorfe-Inszenierung an der Oper Frankfurt noch in guter Erinnerung ist, wurde für die anspruchsvolle Aufgabe einer Neuinszenierung von Les Troyens verpflichtet. Mit ruhiger Hand führt sie durch die ständig zwischen dramatischer Aktion, Berichten und lyrischer Meditation wechselnde Handlung, bringt dabei, unter Einsatz der großen Drehbühne, die großen Chormassen schnell und sinnvoll auf die Bühne. Und schafft dennoch kammermusikalische Intimität und Nähe. Zudem sorgen bei den vielen Zwischenmusiken Tänzer als maskierte Nymphen und Schatten der Unterwelt für Aktionen auf der Bühne. Sie bewegen sich dabei sehr agil und leicht (Choreografie: Martin Dvořák). So ist während der fünf Stunden Spieldauer (inklusive zwei Pausen von 30 bzw. 20 Minuten) stets eine dezente Aktion angesagt (ohne Hektik oder gar Unruhe).
Die Bühne von Jens Kilian zeigt einen großen, herrschaftlichen und holzgetäfelten Wohnraum mit Bordüren (die hellenistische Bilder zeigen) und hohen Fenstern. Im ersten Teil, der von der Belagerung und dem Angriff Trojas durch die Griechen handelt, sind die Fenster mit Backsteinen zugemauert. Im zweiten Teil, Jahre später in Karthago spielend, sind die Fenster offen und eine zarte Windbrise weht durch die nun vorhandenen Vorhänge. Die im Raum befindlichen Sitzgarnituren entsprechen dem Charme heutiger Hotelfoyers. Die Außenszenen spielen hingegen in einem eher unbestimmten Nichts, mit sandigem Boden und angedeuteten Ruinen. Eingeschobene Kulissenbilder für Meereswellen und Schiffe wirken etwas anachronistisch, zumal Meeresbrausen auch per Videoprojektionen sichtbar gemacht wird (Video: Bert Zander). Und, last but not least, ein großes Pferd fehlt natürlich auch nicht.
Farbenfroh und Stile von klassisch bis in die Moderne widerspiegelnd, sind die zahlreichen Kostüme von Saskia Rettig. Allein für die Ausstattung der außergewöhnlich vielen Chormitglieder hatte die Näherei viel zu tun. Neben den mal erdverbunden, mal im reinen Weiß gehaltenen Kleidern der Volksmassen an Trojaner, Griechen und Karthager, sind es klassische schlichte Roben für die Damen, ein an einen Militäranzug anspielender Hosenanzug für Königin Dido (die später aber dann doch noch auch ein Kleid tragen darf, dass sie lockerer und fraulicher zeigt). Auffallend sind die Knickerbocker für die Herren im Trojateil, da die Feldherren dadurch eher als Spaßgesellschaft denn als Kämpfernaturen wirken. Dies passt aber zur Erzählweise von Regisseurin Eva-Maria Höckmayr, die sich sehr stark auf den Blick von Cassandre und Didon fokussiert. Schon vor Beginn ist ein großes Portrait von Cassandre auf einem Gazevorhang zu sehen (per Videoprojektion), wie auch später eines von Didon,
Glänzend ist die musikalische Seite. Mit dem amerikanischen Dirigenten John Nelson wurde ein ausgewiesener Berlioz-Spezialist verpflichtet. Er ist erstmals am Frankfurter Opernhaus tätig und hält beim Frankfurter Opern- und Museumsorchester die ganze Zeit über bei den abwechslungsreichen und vielfältigen Tongemälden die Spannung aufrecht. Mit Tanja Ariane Baumgartner, die dieses Jahr als Fricka in Wagners Die Walküre ihr Debüt bei den Bayreuther Festspielen geben wird, als Cassandre und Claudia Mahnke als Didon glänzen hier zwei Ensemblemitglieder, die auch schon bei anderen Produktionen große Erfolge feiern konnten. Baumgartners Seherin Cassandre ist besonnen, geheimnisvoll und hat eine starke Ausstrahlung. Schon mit seinen Dreadlocks ragt Cassandres Verlobter Chorèbe, Bassbariton Gordon Bintner, heraus. In seinen kurzen Hosen macht er einen eher soften Eindruck, was seiner kernigen Stimme nicht entspricht.
Auch Mahnkes Königin Didon wirkt besonnen, gleichwohl steht sie, trotz allem Wehmut, mehr im Leben und kann als Liebende großen Ausdruck zeigen. Insbesondere im Duett mit ihrem Geliebten Enéé, den der amerikanische Tenor Bryan Register gibt (er ist der einzige Gast bei dieser Produktion; von einzelnen Chorsängern und von Gordon Bintner, der zur nächsten Zeit zum Ensemble gehören wird, abgesehen). Als Didons Schwester Anna gefällt die sich souverän einbringende Mezzosopranistin Judita Nagyová, wie auch Bass Alfred Reiter als Minister Narbal und Bass Daniel Miroslaw als Panthée (trojanischer Priester und Freund des Äneas).
Das auch kleinere Rollen große Wirkung zeigen können, belegen zwei Tenöre: Martin Mitterrutzner als Dichter Iopas (mit seinem Lied vom Land „Ô blonde Cérès“, bei dem ihm die Harfenistin Tatjana von Sybel auf der Bühne begleitet) und Michael Porter als phrygischer Matrose Hylas (der bei „Vallon sonore“ von seiner Heimat träumt, die er nie wieder sehen wird). Beide erhielten jeweils einen Zwischenapplaus (als Einzige). Famos sind die üppig besetzten Chöre (Chor, Extrachor; Tilman Michael; Kinderchor: Markus Ehmann), die auch großen Anteil am Erfolg dieser Produktion haben.
Lang anhaltender Applaus für diese klassische Rarität.
Markus Gründig, Februar 17
Die Walküre
Staatstheater Wiesbaden
Besuchte Vorstellung: 10. Februar 17
Einmal aus den Tiefen des Rheins entführt, entfaltet der sodann von Alberich verfluchte Ring seinen Einfluss auf die Götter und Menschen. Die Walküre führt seine Geschichte fort, auch wenn er beim „ersten Abend“ der Tetralogie nicht unmittelbar ins Spiel kommt. Uwe Eric Laufenbergs Rheingold-Inszenierung des mythisch angelegten „Vorabend“, spielte zu unbestimmter Zeit im für uns oftmals fremdartig empfundenen Nahen Osten. Nach ihrem Marsch gen Walhall sind uns die Protagonisten in Die Walküre nun einiges näher gekommen, geografisch und zeitlich. Eine genaue Verortung gibt es freilich auch hier nicht. Im Bühnenbild von Gisbert Jäkel spielt die Handlung irgendwo in deutschen Landen im 20. Jahrhundert. Hundings Hütte ist ein urban eingerichteter und in einem Wald gelegener Hof mit angeschlossener Bar. Sind im Rheingold für eine archaische anmutende Atmosphäre weiße Felle zu sehen, gibt es hier nun dunkelbraune, die eine gemütliche Stimmung vortäuschen. Sieglinde lebt hier nicht allein mit Hunding, es gibt zusätzlich auch ein kleines Mädchen und eine reife Frau als stumme Rollen, wodurch die Behausung nicht vereinsamt wirkt. Ein aufgeschlitzter Bär hängt an der nicht verkleideten Decke, ein Metzgerblock steht für den Bären schon bereit. Schon visuell wird deutlich, dass Hunding ein zupackender Mann ist.
Zentraler Punkt im detaillierten Bühnenbild ist ein mächtiger Stamm einer riesigen Esche (das in ihm steckende Schwert „Nothung“ ist zunächst verdeckt). Die Außenwelt ist nicht nur mit Bäumen im Hintergrund zu sehen, sondern auch durch Fenster aus dem Obergeschoss der Behausung.
Später kommt auch die große Statue eines Greifvogels (mit angelegten Flügeln) als Andeutung an den deutschen Reichsadler mit ins Spiel. Sie war bereits in der vierten Szene des Rheingold zu sehen. Nur kleine Details verbinden die beiden Teile. So ist auch im 2. Aufzug, der in einem wilden Felsengebirge spielt, ein Zelt zu sehen. Es ist zwar kein Beduinenzelt wie im Rheingold, sondern eher ein größeres Militärzelt. Denn in der Walküre geht es einiges militanter zu. Schon im ersten Aufzug wurde beim stürmischen Vorspiel der flüchtende Siegmund von Soldaten mit Gewehren gejagt. Von Krieg zeugt auch ein im Hintergrund eingeblendetes Bild einer zerstörten Stadt.
Der Gipfel des Felsenberges (des „Brünnhildensteines“) im dritten Aufzug ist ein Innenraum, allerdings ein recht großer: ein schmuckloser Reitsaal. Hier lagern die kühnen Walküren ihre Opfer (und werfen freudig mit deren Körperteilen um sich). Sie sind auch Krieger. Mit Fliegermützen, braunen Mänteln und ihren langen schwarzen Haaren, die aber nicht so lang sind wie die der Rheintöchter, machen sie schon optisch einen großen Eindruck (Kostüme: Antje Sternberg). Wobei während des legendären „Walkürenritts“ ein echtes Pferd auf der Bühne allen die Show stiehlt.
Die Bezüge zur deutschen Geschichte werden zum Schluss hin untermauert. Brünnhilde findet ihren Ruheplatz in einer großen Germaniaskulptur (Germania steht zwar für Befreiung und Aufbruch, ist aber auch mit nationalistischen Bezügen konnektiert). Sie ist nicht nur von einem Feuerring und Feuerschalen (vgl. Rheingold) umgeben, am Ende brennt die ganze Welt. Die Videoprojektionen von Feuer (Video Falko Sternberg) leiten kurz auch in eine moderne Metropole mit glitzernden Werbetransparenten. Es bleibt spannend, wie die Reise weitergeht…
Am Pult des Hessischen Staatsorchester Wiesbaden steht bei dieser RING-Serie der jüdischstämmige Dirigent Alexander Joel, Halbbruder des weltberühmten Billy Joel („We Didn’t Start the Fire“). Deren Großvater, der Versandhändler Karl Amson Joel, verließ 1938 Deutschland, nachdem er sein Unternehmen weit unter Wert an Josef Neckermann verkauft hatte. Eine Dokumentation über Alexander Joels RING-Arbeit für das Staatstheater Wiesbaden zeigt der Sender arte am Sonntag, den 26. März 2017 (16.45 Uhr) in der Sendung „Metropolis“.
Er lässt die Musiker mit starker Intensität spielen, mitunter bricht es gewaltig aus dem entfesselten Orchestergraben heraus. Zum Glück sind insbesondere die Herren diesen Klangfluten gewachsen. Seine Leidenschaft für die Musik Wagners wird besonders bei den betörend gespielten ruhigeren Passagen deutlich.
Eine dunkle Wolke schwebt über dieser Produktion. Gerd Grochowski sang bei der Premiere im Januar die Partie des Wotans (die er auch beim Rheingold schon innehatte). Einen Tag nach der Premiere verstarb er an Herzversagen. Ein schwerer Schlag für alle Beteiligten.
Bei der besuchten Vorstellung wurde diese Partie nun vom lettischen Bassbariton Egils Silins gegeben (wie demnächst auch am 14. und 27. April 27), ein Glücksfall! Er ist ein erfahrener Wagnersänger mit Engagements an allen großen Häusern, insbesondere ist er ein erfahrener Wotan (von 1990 bis 1993 war er Ensemblemitglied an der Oper Frankfurt). Mit großer Autorität in Stimme und Erscheinung verkörpert er die Figur perfekt. Als seine Lieblingswalküre Brünnhilde ist die Sopranistin Sonja Gornik zu erleben. Mit dem Charme einer bezaubernden Jeannie wacht sie von Anfang an über Siegmund, zeigt große Gefühle für das Liebespaar und öffnet auch Wotan die Augen. Sie verkörpert Jugend und Unschuld gleichermaßen. Dazu passt ihre helle Stimme, die sie souverän durch diese anspruchsvolle Partie führt.
Ein wundervoll harmonisierendes Paar bilden der gebürtige amerikanische Tenor Richard Furman (Siegmund) und die gebürtige slovenische lyrische Sopranistin Sabina Cvilak (Sieglinde). Wie sie sich zu Beginn zaghaft annähern, ist ob ihres intensiven und doch zurückhaltenden Spiels herzerwärmend. Fuhrmann überzeugt als Kämpfernatur Siegmund auf ganzer Linie. Sabina Cvilak verleiht der Sieglinde viel vokalen Glanz und Anmut. Als strenge Wächterin der Ordnung trumpft Margarete Joswig erhaben in der Rolle der Fricka auf (Joswig war lange Jahre mit Jonas Kaufmann verheiratet und hat mit ihm drei Kinder). Kraftvoll und mit viel Präsenz gibt Bass Young Doo Park den hintergangenen Hunding.
Am Ende großer Applaus für Uwe Eric Laufenbergs bildreiche und einfühlsame Inszenierung.
Markus Gründig, Februar 17
Ernani
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 20. Januar 17 (Premiere)
Es ist nicht das erste Mal, dass die Oper Frankfurt eine weniger bekannte Verdi Oper im Spielplan hat. Mit Opern wie Oberto, Graf von San Sonifazio (2016), Die Räuber (2008), Die sizilianische Vesper (2013), oder Stiffelio (2016) wurden schon oft Verdi-Raritäten gespielt. Auch Ernani gehört dazu. Ein „Dramma lirico“, das aus der früheren Schaffensphase Verdis stammt (es ist seine fünfte Oper). Sie markiert einen entscheidenden Umbruch in Verdis Entwicklung. Von der großen Historien- und Volksoper wandte er sich bei Ernani erstmals zum musikalischen Drama, zu einer psychologischen Charakterisierung der Figuren hin. Das Libretto von Francesco Maria Piave fußt auf dem Schauspiel Hermani des großen Victor Hugo. Figuren wie König Don Carlo (der Chancen auf den kaiserlichen Thron hat), Ernani (Bandit, gewissermaßen Don Juan von Aragon, eine Art spanischer Robin Hood) und Herzog Silva sind historisch belegt. Frei erfunden ist die Frau, um die sich diese drei Männer gleichermaßen reißen: Donna Elvira. Handlungszeit ist das Jahr 1519, Handlungsorte sind Aragon, Aachen und Saragossa.
Die Musik, die das pathetisch überzogene Libretto widerspiegelt, ist hochdramatisch und äußerst effektvoll, ganz so, wie es der Publikumsgeschmack zur Zeit der Uraufführung 1844 verlangte (und die auch heute noch gut ankommt). Die Sänger befinden sich in einem beispiellosen Gefühlsrausch, weshalb auch schon selbst viele Startenöre die Titelrolle gerne gesungen haben.
Die konzertante Aufführung dieses emotionsgeladenen Dramas an der Oper Frankfurt war ein wahres Sängerfest. Hierfür kamen zwei ehemalige Ensemblemitglieder als Gäste zurück: Tenor Alfred Kim und Sopranistin Elza van den Heever. Kim zeigt schon gleich zu Beginn seine kultivierte Stimme, mit schönem Schmelz, kräftigst strahlend und stets klar fokussiert. Und auch van den Heever zuzuhören, war Genuss pur. Ihr Sopran bot den um sie werbende Männer, wie dem Orchester, ordentlich Paroli. Sie überzeugte vor allem aber mit ihrer gefühlvollen Legatokultur, dem Glanz ihrer Stimme und ihrer gewinnenden Ausstrahlung. Im März wird sie an der New Yorker Met in Mozarts Idomeneo als Elletra und im April in Bellinis Norma an der Dallas Opera in der Titelrolle zu erleben sein.
Als Ersatz für den ursprünglich als König vorgesehenen Quinn Kelsey gab der italienische Bariton Franco Vassallo hier sein Hausdebüt, ein sehr geglücktes! Als Einziger war diese Aufführung für ihn kein Rollendebüt. Er verlieh dem König mit passender Echauffiertheit und dunklen Charakterzügen ein markantes vokales Profil.
Und auch Ensemblemitglieder der Oper Frankfurt waren mit von der Partie. Bassbariton Kihwan Sim ist stets ein zuverlässiger Fels in der Brandung, so auch hier als Don Ruy Gomez de Silva, dem Verlobten Elviras. Als deren Vertraute Giovanna nutzte Maria Pantiukhova bei ihren leider viel zu kurzen Auftritten die Gelegenheit, auf ihre klangschöne Mezzostimme hinzuweisen. Auch Bassbariton Thomas Faulkner als Waffenträger Jago und Tenor Ingyu Hwang (vom Opernstudio) als Waffenträger Don Riccardo fügten sich in das hohe Niveau dieser Aufführung bestens ein.
Und ist Ernani auch keine ausgesprochene Choroper, der von Tilman Michael einstudierte Chor (unterstützt vom Extrachor) brachte sich als Banditen, Ritter und Gefolgsmänner volltönend ein.
Ein weiteres Debüt gab es am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters. Dies wurde von der gebürtigen Australierin Simone Young geleitet (sie war von 2005 bis 2015 Intendantin der Hamburgischen Staatsoper sowie Hamburgische Generalmusikdirektorin, jetzt ist sie weltweit an allen großen Häusern als Gastdirigentin unterwegs). Verds Ernani erklang unter ihrem energiegeladenen Dirigierstil, der sich auf ihren ganzen Körper übertrug, famos aufspielend mit südländischer Leidenschaft.
Von der visuellen Seite wirkte diese konzertante Aufführung sehr konzentriert. Grund war vielleicht die Kombination aus Rollendebüt und gleichzeitiger Aufnahme für eine CD-Produktion (wovon zahlreiche aufgestellte und herabhängende Mikrofone zeugten, wie auch die Sänger mikrofoniert waren). Die Sänger blickten viel in die ausliegenden Noten, auch zum Publikum, aber kaum zueinander. Einzig Elza van den Heever bediente mit milden und verliebten Blicken auch optisch Emotionales.
Lang anhaltender und kräftiger Applaus.
Markus Gründig, Januar 17
Armide
Staatstheater Mainz
Besuchte Vorstellung: 14. Januar 17
Vor einer Woche hatte Georg Friedrich Händels im Jahr 1738 uraufgeführte Oper Xerxes in einer Inszenierung von Tilmann Köhler Premiere an der Oper Frankfurt. Christoph Willibald Glucks Oper Armide feierte nun, knapp eine Woche später, Premiere am Staatstheater Mainz, in einer Inszenierung von Lydia Steier. Armide wurde 1777, also 39 Jahre nach Xerxes, uraufgeführt. Dennoch unterscheiden sich die Werke nicht unerheblich. Und vor allem, die Inszenierungen zeigen zwei ganz unterschiedliche Welten. Wo man sich in Frankfurt eher akkurat und kühl gibt, wird in Mainz das pralle Leben in Überfülle gezeigt. Für Letzteres zeichnet Regisseurin Lydia Steier verantwortlich, die derzeit gut im Geschäft ist. Schon im März inszeniert sie Wagners Der fliegende Holländer in Heidelberg, gefolgt von Turandot in Köln (Mai) und Alcina in Basel (Juni). Am Staatstheater Mainz zeigte sie bereits Franz von Suppés Operette Fatinitza und als deutsche Erstaufführung Pascal Dusapins Oper Perelà – Uomo di fumo. Armide ist somit ihre dritte Arbeit am Staatstheater Mainz und, ob ihrer opulenten Ausstattung, die am grellsten.
Gluck griff bei seinem Drame héroique Armide auf ein zur damaligen Zeit populären Stoff zurück, als er das Libretto von Phillippe Quinault (nach einer Episode aus Torquato Tassos La Gerusalemme liberata) vertonte. Lully hatte 1686 das gleiche Thema erfolgreich vertont. Zauberin Armide verliebt sich ausgerechnet in den stärksten aller feindlicher Krieger, kann ihn dank ihrer Zauberkräfte auch für sich gewinnen, scheitert am Ende aber doch, weil es keine wahre Liebe ist. Kein Happy End, auch wenn keiner von beiden stirbt.
Der Abend beginnt zunächst bescheiden. Auf der leeren Bühne ist nur, imposant in Szene gesetzt, Armide zu sehen, die ein elegantes Abendkleid trägt. Noch während der Ouvertüre kommen Mitglieder ihres Hofstaates dazu und führen Gefangene in einem Käfig vor, mit denen sie alles andere als fein umgehen (die Oper spielt zur Zeit der Kreuzzüge um 1100). Dann fährt von hinten langsam ihr Zauberpalast vor. Ein mit weißen Vitrinen und Schränken aufgetürmtes Halbrund (nebst Sofa und Kutschenkarosserie), das wie ein überdimensioniertes Puppenhaus wirkt. Er steht auf einer Drehbühne und so zeigt sich später seine schäbige Rückseite aus verschmutzten Wänden und schlichten Baugerüsten (für das Reich der Feinde wie für das des Hasses; Bühne: Katrin Kersten). Trumpf der Inszenierung sind, neben Nadja Stefanoff in der Titelrolle, die herrlich überzogenen Gefolgsleute Armides. Von klassischen Kostümen lässt sich hier kaum noch sprechen. Es ist eine als Farce ausgestellte dekadente und kannibalistisch veranlagte Schlaraffenlandgesellschaft. Plötzlich wird einem als Zuschauer auch klar, warum in der Ansage vor der Vorstellung nicht nur gebeten wurde, das Handy auszuschalten, sondern auch nicht zu essen und zu trinken. Denn das tut die illustre Gesellschaft auf der Bühne mit größter Hingabe (und wenn sie nicht gerade essen oder schlafen, wird kopuliert).
Die kunstvoll angefertigten fettleibigen Körper mit exponiert zur Schau gestellten Geschlechtsteilen, barock anmutenden Kleidern und ausgefallenem Kopfschmuck wurden von Gianluca Falaschi entworfen (der für seine Arbeit Perelà am Staatstheater Mainz von der Zeitung Opernwelt als Kostümbildner des Jahres ausgezeichnet wurde). Dem Spaßfaktor dieser Gesellschaft wird als schockierender Abgrund deren Kannibalismus gegenübergestellt. So wird beispielsweise einem Gefangen mit gierigem Verlangen der Dünndarm aus dem geöffneten Leib gezogen. Als Volk bringt sich der von Sebastian Hernandez-Laverny einstudierte Chor vokal eindringlich und, wieder einmal, mit überdurchschnittlicher Spielfreude ein.
Höhepunkt dieser an Exaltiertheit nicht mangelnden Gesellschaft ist dann der verkörperte Hass. Geneviève King besticht in dieser Figur nicht nur mit ihren hohen Tönen, sondern auch mit ihren 18 Brüsten (an denen u. a. auch Armide saugt). Sehr gut kommen auch die beiden Freundinnen Armides, Phénice (Maren Schwier vom Opernstudio) und Sidone (Alexandra Samouilidou) an. Sie geben auch die vermeindlichen Freundinnen der Gefolgsleute Renauds, um sie im Liebesreich zu halten und zu verführen. Und wie schon erwähnt, ist die Mezzosopranistin Nadja Stefanoff als Armide der zentrale Augen- und Ohrenmerk. Trotz allem äußerlichen Trubels und ihrer Machtposition, charakterisiert Stefanoff differenziert die inneren Konflikte der Figur und findet immer wieder betörende Pianotöne. Sie beherrscht die Bühne szenisch und vokal. Die Rolle des kühnsten aller Kreuzritter, Renaud, wurde nicht aus dem Ensemble besetzt, sondern mit dem Gast Ferdinand von Bothmer, der mit dieser Rolle am Staatstheater Mainz sein Debüt gibt. Seine kräftige und warme Tenorstimme bildet einen schönen Kontrast zu Stefanoffs Mezzosopran. Leider war er bei der Premiere nicht in gleicher Hochform wie die Stefanoff. Da überzeugten die anderen Herren stärker: Peter Felix Bauer als Hidraot, Lockenkopf Johannes Mayer als Artémidore / Le Chevalier Danois, Heikki Kilpeläinen als Ubalde und Stephan Bootz als Aronte.
Armide am Staatstheater Mainz ist ein szenisch großer Spaß, sehr passend zur Fastnachtszeit. Ob des heftigen Bühnengeschehens droht einzig die schöne Musik Glucks etwas in den Hintergrund zu geraten, auch wenn Clemens Schuldt, der hier zuletzt Bellinis Norma dirigierte, das Philharmonische Staatsorchester Mainz mit ebensolcher Hingabe, wie die Darsteller auf der Bühne agieren, führt. Sehr viel Applaus.
Markus Gründig, Januar 17
Xerxes
Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 12. Januar 17
Opern von Georg Friedrich Händel sind seit jeher in den Spielplänen der Opernhäuser vertreten, so auch bei der Oper Frankfurt. Im Frühjahr 2016 standen gleich drei Werke von ihm auf dem Spielplan. Die Wiederaufnahme von Giulio Cesare, eine szenische Fassung seines Oratoriums Messiah und die Frankfurter Erstaufführung der Oper Radamisto. Letztere inszenierte im Bockenheimer Depot der aufstrebende Theater- und Opernregisseur Tilmann Köhler (* 1979). Im Depot hatte er zudem in 2013 eine weitere Oper von Händel inszeniert: Teseo. Jetzt, zum Jahresbeginn 2017, inszeniert er bei seiner dritten Arbeit für die Oper Frankfurt erstmals im Opernhaus.
Die Oper Xerxes, die auch unter „Serse“ geläufig ist, zählt zu den Spätwerken Händels. Unter der schlichten Gattungsbezeichnung Dramma per musica verbirgt sich jedoch eher eine frühe Form der Opera buffa. Neben sehr viel Liebesleid, das von jedem Protagonisten ausladend vermittelt wird, gibt es auch sehr viele heitere und komische Momente. Der ständige Wechsel zwischen Ernsten und Heiterem kam beim Publikum zunächst nicht gut an. Die Oper wurde im Jahr der Uraufführung (1738) nur fünf Mal gespielt, bevor sie für lange, lange Zeit von den Spielplänen verschwand. An der Oper Frankfurt ist sie jetzt übrigens zum ersten Mal zu erleben und um es vorwegzunehmen: Hier ist das Publikum vor Begeisterung total aus dem Häuschen.
Neben dem großartigen Sängerensemble und dem mit Barockmusik erfahrenen Frankfurter Opern und Museumsorchester (das hier erneut unter der Leitung von Constantinos Carydis spielt), liegt das natürlich auch an der gelungenen schwungvollen Inszenierung von Tilmann Köhler.
Dabei hat er sich zusammen mit dem Bühnenbildner Karoly Risz dem Opernhaus mit Respekt und Vorsicht genähert. Die große Bühne des Hauses wird nur zu einem kleinen Teil genutzt. Dafür ist das Geschehen wesentlich näher zum Publikum ausgerichtet, als es sonst hier üblich ist. Ein geschlossen wirkendes Halbrund spannt sich von den Seiten des Saals über die Bühne (in einem ähnlichen Blau, wie das Kleid von Medea in seiner Teseo-Inszenierung). Auf der relativ kleinen Bühnenfläche steht eine festlich dekorierte Festtafel mit mehreren Kerzenleuchtern. Entscheidender für seinen Inszenierungsansatz ist die Verlängerung der Bühne zu den Zuschauern hin. Hierfür wurden nicht nur seitlich des, hier deutlich erhöhten, Orchestergrabens Stege angebracht, die Brüstung des Orchestergrabens selbst wurde zu einem großzügigen Steg für die Sänger erweitert. Dadurch kommen sie, und damit das Geschehen, dem Publikum nah wie hier sonst nie (zumal zusätzlich auch noch viele Auf- und Abtritte durch den Saal erfolgen). Und ein weiteres Merkmal ist eine, auch im Vergleich zu sonst, stärkere Einbindung von Videoprojektionen (Video: Marlene Blumert), die großflächig gezeigt werden (so, wie sie schon öfter nebenan im Schauspiel Frankfurt zu sehen waren). Es sind teils aufgezeichnete Porträts der Sänger, teils aber auch Livebilder. Sie bringen die Geschichte wie eine Newsstory rüber, was hier schon passt, denn die Handlungszeit wurde von 480 vor Christus in die Gegenwart verlegt (wovon auch die Kostüme Susanne Uhl zeugen). Geografische Zuordnungen wie im Libretto vorgegeben, etwa nach Abydos im antiken kleinasiatischen Mysien, gibt es nicht.
Bekannt ist die Oper Xerxes durch das gleich zu Beginn stehende Larghetto „Ombra mai fù“, das gerne auch als Hochzeits- oder Trauermusik gespielt wird. Hier singt es König Xerxes vor dem noch geschlossenen Vorhang. Die besungene Platane wird auf den Vorhang projiziert. Im weiteren Verlauf ist dann eine Platane in einem kleinen Raum mit Glasfront, von dem auch das Geschehen immer wieder beobachtet wird, über der Bühne zu sehen (Hoffnung ausdrückend im ersten Teil mit, Resignation ausdrückend im zweiten Teil ohne Blätter). Wer denkt, dass mit dem populären Larghetto bereits das ganze Pulver verschossen ist, liegt falsch. Denn jetzt geht es erst richtig los! Ensembleszenen, Duette, Terzette oder Quartette haben hier keinen großen Stellenwert. Meist singt nur eine Person und reicht die Stimme einem Staffellauf gleich, an die nächste weiter. Dabei ist es Tilmann Köhler hervorragend gelungen, Langatmigkeit zu vermeiden und die Sänger sind alle mit großer Spielleidenschaft dabei. Sie zeigen ein funkelndes Feuerwerk an Leidenschaft, sei es in gröbster Betrübnis oder hellster Freude.
In der Titelfigur des Königs Xerxes ist die französische Mezzosopranistin Gaëlle Arquez zu erleben, die noch in bester Erinnerung von ihren vorherigen Zusammenarbeiten mit Tilman Köhler (Teseo, Radamisto) ist. Sie verkörpert den liebestollen und streitbaren König, der so nebenbei eine Brücke über den Hellespont (die heutigen Dardanellen) baut und Europa in drei Tagen erobern will, mit viel Anmut, Charisma und Glanz (szenisch wie stimmlich). Als ihr Bruder Arsamene begeistert der amerikanische Countertenor Lawrence Zazzo das Publikum ob seines authentisch wirkenden Spiels und seiner berührenden vokalen Gestaltung (Tipp: Am 28. Februar 17 wird er an der Oper Frankfurt einen Liederabend gestalten).
Dem hier ob seines bevorstehenden Aufstiegs Flügel wachsenden Schwiegervater in spe, Ariodate, gibt cool, lässig und kraftvoll der Bassbariton Brandon Cedel, der seit dieser Spielzeit neu im Ensemble ist. Bass Thomas Faulkner, vom Opernstudio ins Ensemble gewechselt, bespasst in der Rolle des Dieners und Rosenverteilers Elviro. Ein weiterer Glanzpunkt ist das unterschiedliche und sich nicht nur mit Worten streitenden Geschwisterpaars: Die pflichtbewusste junge Grand Dame Romilda (seit dieser Spielzeit neu im Opernstudio und schon jetzt mit großer Rolle dabei, die Koloratursopranistin Elizabeth Sutphen) und die crazy Nudel Atalanta (aus dem Ensemble, die Sopranistin: Louise Alder). Die famose Tanja Ariane Baumgartner gibt hier die von Xerxes verlassene Amastre, die ihn mit stoischer Liebe unbeirrt weiterliebt und dabei wahre Größe zeigt. Mit von der Partie ist zudem ein Vocalensemble, das allerdings nicht szenisch eingebunden ist, sondern vom seitlichen Orchestergraben aus singt.
Nicht enden wollender Applaus!
Markus Gründig, Januar 17