Peter Eötvös´ „Tri Sestry“ an der Oper Frankfurt

TriSestry ~ Oper Frankfurt ~ v.l.n.r. Andrei (Mikołaj Trąbka), Mascha (David DQ Lee), Olga (Dmitry Egorov) und Irina (Ray Chenez) © Monika Rittershaus
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Als dritte Oper des gebürtigen Ungarn Peter Eötvös zeigt die Oper Frankfurt zu Beginn der Spielzeit sein bisher erfolgreichstes Werk: Tri Sestry (Drei Schwestern). Nachdem bereits zwei Opern von Eötvös (Angels in America und Der goldene Drache) jeweils im Bockenheimer Depot gespielt wurden, spielt Tri Sestry nun im Opernhaus. Die am 13. März 1998 an der Opéra de Lyon uraufgeführte zeitgenössische „Oper in drei Sequenzen“ beruht auf dem gleichnamigen vieraktigen Drama des russischen Schriftstellers Anton P. Tschechow. Zwar zeigt die Oper auch das eintönige Leben der drei Schwestern Olga, Mascha, Irina und ihres Bruders Andrej, ihre Sehnsüchte nach einem besseren, erfüllteren, glücklicheren Leben, sie folgt aber nicht Tschechows chronologischem Aufbau. Eötvös Oper, dessen Libretto er gemeinsam mit Claus C. Henneberg schrieb, ist in drei Sequenzen gegliedert, die jeweils Schwerpunkte auf die Figuren Irina (die jüngste), Andrej (dem Bruder) und Mascha (der mittleren) gewidmet sind und teilweise alle dieselben Vorkommnisse schildern. So gibt es in abgewandelter Form wiederkehrende Momente. Wie das Herumtragen einer Kerze, Bezüge zum Feuer in der Stadt oder das Zerschlagen einer Wanduhr (hier eine große Sanduhr).

Die Inszenierung der Oper Frankfurt unter der Regie von Dorothea Kirschbaum ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Sie folgt der Intension Eötvös, den universellen Charakter der Geschwister zu betonen und besetzte die vier Frauenrollen, neben den drei Schwestern gibt es noch die Schwägerin Natascha, mit Countertenören. Countertenor Alain Aubin, der die Rolle der Olga bei der Uraufführung verkörperte, merkte hierzu an: „Wir sind weder Männer noch Frauen, wir sind die Seele der drei Schwestern“.
Bemerkenswert ist zudem die Aufteilung des Frankfurter Opern- und Museumsorchester, wodurch es zwei Musikalische Leiter gibt. Der US-amerikanische Dirigent und Pianist Dennis Russell Davies leitet ein 18-köpfiges Kammerorchester im Graben, Kapellmeister Nikolai Petersen ein größeres Orchester, das im erhöhten Bühnenhintergrund spielt (hinter einem Gazevorhang, auf dem auch ab und an Comiczeichnungen das Geschehen zusätzlich untermauern; Video: Christina Becke). Während das Kammerorchester musikalisch die Figuren mit speziellen Klangfarben charakterisiert (Holzblasinstrumente für die Familie Prozorow, Blechblasinstrumente für die Militärs), sorgt das große Bühnenorchester für eine Ausdehnung des Klangraums (und weitet somit akustisch den Klangraum, ähnlich wie bei Tschechow durch Szenen im Garten eine Tür ins Freie öffnet). Insgesamt entsteht eine überaus reiche Klangwelt, die, typisch für Etövös, intensiv auf Sprache reagiert und außermusikalische Empfindungen und Handlungen vermittelt.

Ironie gibt es nicht nur in der Vorlage, im Libretto und der Musik, sondern auch im Bühnenbild von Ashley Martin-Davis. Zu Beginn sitzen die drei Schwestern auf einem etwas herunter gekommen wirkenden Kinderspielplatz ohne Grün (selbst der Sand ist verkommen) und sinnieren über die Lebendigkeit der Musik und warum sie leben, warum sie leiden. Da keine von Ihnen eigene Kinder hat, ist es der Spielplatz ihrer eigenen Kindheit. Weit sind sie bisher also nicht gekommen. In tiefster russischer Provinz lebend, ist das entfernte Moskau, ein projizierter Sehnsuchtsort für ein anderes, besseres Leben, unerreichbar. Der Wohnbereich gleicht einem zeitgenössischen Loft. Es ist ein großzügiger Wohnbereich mit großer Küche und einem großen Bücherregal (ganz im Stil eines schwedischen Einrichtungshauses), der aber trotz zwei Türen fast wie ein gefangener Raum wirkt.
Zeitgemäß sind die Kostüme von Michaela Barth, die insbesondere die Charaktere treffend reflektieren. Die Szenerie ist von LED-Röhren eingerahmt, also der Orchestergraben, die Bühne und das Bühnenorchester. Diese sind aber nur kurz temporär eingeschaltet und lassen dann quasi Bilder einer Ausstellung entstehen, da die eigentliche Bühnenbeleuchtung während dieser Momente abgedunkelt wird (bei Bezügen zum Feuer leuchten die LED-Röhren entsprechend in einem kräftigen Rot; Licht. Joachim Klein).

Regisseurin Dorothea Kirschbaum, die im Opernhaus bereits Tschaikowskis Eugen Onegin inszeniert hat, vermittelt die drei Sequenzen sehr lebhaft und mit so vielen Details, dass es kaum möglich ist, alle bei nur einem Besuch zu erfassen. Allein deshalb sind es kurzweilige zweieinhalb Stunden (inklusive einer Pause). Die bereits erwähnten Countertenöre sorgen für zusätzliche Kurzweil, auch wenn sie oftmals Melancholie auszudrücken haben.
Erstmals zu Gast an der Oper Frankfurt ist der junge US-amerikanische Countertenor Ray Chenez, der die stets missmutig gestimmte Irina ansprechend verkörpert. Countertenor David DQ Lee zeigt als Mascha, die mittlere Schwester, viel Ausdruck und Gefühl, letzteres vor allem für Werschinin (lebhaft: Opernstudiomitglied Iain MacNeil), den Vorgesetzten ihres Ehemannes Kulygin (hier gerne lachend: Bass Thomas Faukner) . Der in Sankt Petersburg geborene Countertenor Dmitry Egorov verkörpert mit viel Anmut die mütterlich wirkende älteste Schwester Olga.
Kraftvoll bringt sich der gerade vom Opernstudio ins Ensemble gewechselte Bariton Mikołaj Trąbka als Andrei ein. Als dessen Energie geladene Ehefrau Natascha zeigt Countertenor Eric Jurenas viel Komik und bringt eine gute Stimmung ein. Mark Milhofer gefällt als dauerbeschwipster Doktor, Krešimir Stražanac als Baron Tusenbach, Barnaby Rea als Soljony, Isaac Lee als Rodé und Michael McCown als Fedotik. Eine besondere Rolle hat der Bass Alfred Reiter, er gibt die stets in der Wohnung herumgeisternde alte Amme Anfisa.

Am Ende sehr viel Applaus für diese ernste und gleichzeitig lebhafte Umsetzung dieses nahezu schon modernen Klassikers.

Markus Gründig, September 18

Tri Sestry
Von: Peter Eötvös
Premiere an der Oper Frankfurt: 9. September 18
Besprochene Vorstellung: 14. September 18

Musikalische Leitung: Dennis Russell Davies und Nikolai Petersen
Inszenierung: Dorothea Kirschbaum
Bühnenbild: Ashley Martin Davis
Kostüme: Michaela Barth
Video: Christina Becker
Licht: Joachim Klein
Dramaturgie: Mareike Wink

Besetzung:
Irina: Ray Chenez 
Mascha: David DQ Lee 
Olga: Dmitry Egorov 
Andrei: Mikolaj Trabka 
Natascha: Eric Jurenas 
Doktor: Mark Milhofer 
Tusenbach: Krešimir Stražanac
Soljony: Barnaby Rea
Kulygin: Thomas Faulkner
Werschinin: Iain MacNeil
Anfisa: Alfred Reiter
Rodé: Isaac Lee
Fedotik: Michael McCown

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