Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot mit der Videooper „Lost Highway“

Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot: Lost Highway ~ Renee (Elizabeth Reiter) und Fred (Jeff Burrell; oben und unten) (© Monika Rittershaus)
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Die Filme Blue Velvet und Twin Peaks machten den Regisseur David Lynch weltberühmt. Sein Markenzeichen sind surreale Bilder, die auf das Unbekannte und Unbewusste anspielen, die Albträume, Metamorphosen und Gewalt enthalten und oftmals den Zuschauer im Ungewissen belassen. Dazu zählt auch sein 1997 in die Kinos gekommener Film Lost Highway über den Saxophonspieler Pete, der in einer irren und skurrilen Story mehrere Menschen umbringt und es dabei bis heute offen ist, ob er es war, sein Alter Ego oder alles nur eine wahnsinniger Albtraum.
Der Film enthält sehr viel stimmungsreiche Musik, u. a. von Angelo Badalamenti, David Bowie, Marilyn Manson, Lou Reed, Rammstein und The Smashing Pumpkins. Die österreichische Komponistin Olga Neuwirth, die über diesen Film eine Oper komponierte, ließ sich von der Filmmusik nur bedingt beeinflussen. Sie schuf ein ganz eigenes Klanguniversum mit viel elektronischer Verfremdung und Überlagerung. Klänge, sei es Sprache oder Alltagsgeräusche, werden bei ihr dekonstruiert und/oder elektronisch verändert. Ihre Musik setzt sich so aus live gespielten, elektronisch veränderten und zugespielten Klängen zusammen, wobei es kaum feststellbar ist, wie ein Ton dann tatsächlich entstanden ist. Für diesen dreidimensionalen Klangraum wurden im Zuschauerraum des Bockenheimer Depots zahlreiche Lautsprecher aufgestellt, die ein Auseinanderfallen von auditiver und visueller Wahrnehmung ermöglichen (Live-Elektronik: Markus Noisternig, Gilbert Nouno; Klangregie: Norbert Ommer).
Das Libretto verfasste Olga Neuwirth gemeinsam mit der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Die Oper wurde beim Festival Steirischen Herbst 2003 in Graz uraufgeführt und ist nun erstmals in Deutschland zu erleben.

Die Oper Frankfurt zeigt Lost Highway in einer aufwändigen Inszenierung im Bockenheimer Depot und konnte hierfür den US-amerikanischen Regisseur Yuval Sharon gewinnen, der sich diesen Sommer bei den Bayreuther Festspielen mit einer Neuinszenierung des Lohengrin vorgestellt hat. Bestimmte dort die Farbe Blau die Szenerie, ist es bei Lost Highway zunächst Grün. Aber nicht als gestaltendes Element, sondern lediglich als Greenscreen-Technik. Dieses Filmverfahren, das Einbinden einer Person oder eines Gegenstandes zu einem vorgefertigten Film oder Hintergrund, wird hier zu Beginn beeindruckend vorgeführt. Wie generell filmische Elemente für diese außergewöhnliche Inszenierung dominierend sind. Selbst die Musiker des Ensemble Modern (erstmals unter der musikalischen Leitung von Karsten Januschke spielend) werden nur per Projektion sichtbar (Bühnenbild, Video, Licht: Jason H. Thompson und Kaitlyn Pietras).

Die Präzision, mit der die unterschiedlichen Stilmittel zu einem großen Ganzen zusammengefügt werden, ist außerordentlich und bedurfte sicher einer langen und intensiven Vorbereitung. Die zugespielten Bilder entsprechen denen vom Film, sind zugleich aber ganz eigene. Wer den Film gesehen hat, wird sich deshalb sehr gut zurechtfinden. Auf die brutalen Filmszenen, wie der blutrünstige frontale Sturz von Andy in eine Glastischplatte, wurden hier weitestgehend verzichtet. Denn auch so entfacht diese Videooper einen starken Sog, was neben der Filmtechnik in erster Linie Olga Neuwirths vielschichtiger Klangwelt geschuldet ist.

Die Oper zeichnet sich zusätzlich durch eine ungewöhnliche Besetzung aus, weist sie doch auch Countertenöre und Schauspieler aus. So ist die Rolle von Pete einem Schauspiel zugeordnet. John Brancy ,an Ulrich Matthes erinnernd, zeigt Pete mit starker Präsenz cool und nachdenklich. Den transformierten und zunehmend verstörten, aber potenten, Automechaniker Fred verkörpert der Bariton Jeff Burrell. Die Doppelrolle der virtuellen Renee / Alice gibt sinnlich verführerisch Ensemblemitglied Elizabeth Reiter. Die Sopranistin wird von den oftmals grellen Tönen des Mr. Eddy/Dick Laurent überboten (David Moss, für dessen Stimme Neuwirth extra komponiert hatte). Stimmlich herausragend ist vor allem der Mystery Man des Countertenors Rupert Enticknap, im goldenen Westernanzug (Kostüme: Doey Lüthi) kein diabolischer Geist, sondern fast schon Wesen aus einer anderen Welt, einer anderen Sphäre, der durch seinen Gesang eher besänftigend und beruhigend wirkt.

Nach neunzig Minuten bleiben zwar manche Fragen offen, dafür gibt es aber einen wahren Rausch an klanglichen und visuellen Eindrücken. Starker und langer Applaus.

Markus Gründig, September 18


Lost Highway
Premiere an der Oper Frankfurt: 12. September 18 (Bockenheimer Depot)
Besuchte Vorstellung: 16. September 18

Musikalische Leitung: Karsten Januschke
Regie: Yuval Sharon
Bühnenbild, Video, Licht: Jason H. Thompson, Kaitlyn Pietras
Kostüme: Doey Lüthi
Live-Elektronik: Markus Noisternig, Gilbert Nouno
Klangregie: Norbert Ommer
Dramaturgie: Stephanie Schulze Besetzung:

Besetzung:

Pete: John Brancy
Fred: Jeff Burrell
Mr. Eddy / Dick Laurent: David Moss
Mystery Man: Rupert Enticknap
Andy / Wärter: / Arnie Samuel Levine
Mutter von Pete: Juanita Lascarro
Vater von Pete: Jörg Schäfer
Ed / Detective Hank: Nicholas Bruder
Al / Detective Lou / Gefängnisdirektor: Jim Phetterplace jr.
Raucher / Erzähler: Jeff Hallman

Ensemble Modern


www.oper-frankfurt.de