Aischylos´ »Die Perser«: Ein großer Abend am Schauspiel Frankfurt

Die Perser ~ Schauspiel Frankfurt ~ Atossa (Patrycia Ziolkowska) und Chor des persischen Ältestenrats (Valery Tscheplanowa und Katja Bürkle), sowie hinten Boten (Toni Jessen, Max Koch, Yannik Stöbener) (Foto: Birgit Hupfeld)

Der griechische Dichter Aischylos ist der erste bekannte Dramatiker in der Theaterhistorie (noch vor Sophokles und Euripides). Er formte aus Chören und Sprechgesängen als Erster eine dramatische Handlung. Von seinen 90 Stücken sind sieben erhalten. Seine im Jahr 472 v. Chr. uraufgeführte ungewöhnliche Tragödie Die Perser gilt als das älteste erhaltene Drama der Welt. Ungewöhnlich ist die Tragödie in mehrfacher Hinsicht: Sie thematisiert keinen mythologischen Stoff, sondern verarbeitet Zeitgeschehen: Die Perserkriege mit der Schlacht bei Marathon (490 v. Chr.) und die Schlacht von Salamis (480 v. Chr.). An beiden hat Aischylos selbst teilgenommen.
Dabei schrieb er nicht aus der Sicht der siegreichen Griechen, sondern aus der Sicht der doppelten Verlierer, der Perser. Sie verloren bereits die Schlacht bei Marathon unter ihrem König Dareios (dessen Name „das Gute aufrechterhaltend“ bedeutet) und dann wegen Dareios machtbesessenen Sohn Xerxes („herrschend über Helden“) auch die Schlacht von Salamis, die zentrales Thema des Stückes ist.

Regisseur Ulrich Rasche hat am Schauspiel Frankfurt schon einige große Inszenierungen geboten (2010: Wilhelm Meister. Eine theatralische Sendung; 2015: Dantons Tod; 2017: Sieben gegen Theben/Antigone) und auch überregional sorgt er mit seinem ganz eigenen Überwältigungsstil für Furore (wie 2016 mit Die Räuber am Residenztheater München, 2017 mit Woyzeck am Theater Basel und zuletzt 2018 mit Das große Heft am Staatsschauspiel Dresden. Die Inszenierung von Die Perser entstand, nicht zuletzt wegen ihres enormen Aufwands, in Koproduktion mit den Salzburger Festspielen, bei denen sie bereits im August 2018 zu sehen war. Neben 15 Darstellern und drei Darstellerinnen sind allein auf der Bühne noch zwei Sänger, fünf Musiker und ein Kameramann anwesend. Sie ist ein Gesamtkunstwerk aus Rede, Musik und Optik und natürlich kann man, wie in der Kunst üblich, unterschiedlich darüber urteilen. So gab es bei der Frankfurter Premierenvorstellung zwar nach der Pause ein paar leere Sitzplätze und beim Schlussapplaus einen einzelnen Buhrufer, ansonsten aber lautstarken, intensiven Zuspruch des lange durchhaltenden Publikums (Spieldauer laut Angabe 3,5 Stunden, am Ende waren es aber dann doch vier).

Statt überdimensionale sich ständig drehende Rollen wie bei Dantons Tod, sind es bei Die Perser zwei Drehscheiben, die die Bühne, die Welt, darstellen und in ständiger Bewegung sind (keiner kommt wirklich weiter, alle strampeln sich ab und geben dennoch nicht auf; Bühne: Ulrich Rasche). Sie stehen hintereinander, wobei die hintere Scheibe nicht nur einen wesentlich größeren Durchmesser hat, sie ist auch stark in die Vertikale kippbar. In Verbindung mit einer ausgefeilten Lichttechnik (Licht: Johan Delaere) entstehen außerordentliche Bilder, die die Berichte von der Schlacht und den Überlebenskampf der persischen Krieger geheimnisvoll und spektakulär flankieren.

Die vordere Drehscheibe steht für den Vorplatz vom Palast in der persischen Hauptstadt Susa. Der Chor des persischen Ältestenrates und Atossa, die Königsmutter (famos: Patrycia Ziolkowska), bewegen sich hier unentwegt. Hier hoffen, bangen und lamentieren sie. Wobei Chor für die Bezeichnung irreführend ist, sind es doch nur zwei Frauen, die auch nur einzeln und nicht chorisch sprechen: Katja Bürkle (geheimnisvoll und bedächtig) und Valery Tscheplanowa (anmutig, wandlungsfähig und mit einer einmaligen Körperspannung; sie war während der Intendanz von Oliver Reese Ensembelmitglied des Schauspiel Frankfurt). Für Aischylos Sprache, die hier in einer neuen Übersetzung von Durs Grünbein gesprochen wird, passen sich die drei Schauspielerinnen, wie auch der Chor der Männer, dem Takt der Musik an. Jedes gesprochene Wort wird zelebriert und durch die Mikroportverstärkung auch klar gehört, selbst wenn es nur leise gehaucht wird. Die drei Frauen verkörpern die Hoffnung, dass die bisher erreichten gesellschaftlichen Werte auch künftig geachtet und gewürdigt werden.

Die größere hintere Drehscheibe steht für den Raum des Krieges, des Tods, der Hybris. Hier marschieren (stets in wechselnder Anzahl) die Soldaten, in kurzen Schürzen und Brustgeschirr, zum Teil Pech verschmiert (Kostüme: Sara Schwartz), im Gleichschritt, lautstark proklamierend, bis sie ertrinken, verhungern, sterben. Es ist ein überaus physisches Theater, was hier vorgeführt wird. Einen großen Teil nimmt die Schilderung der Schlacht von Salamis ein, bei der die Perser, trotz deutlicher Überlegenheit an Soldaten, gnadenlos scheiterten, schließlich hatte ihr hochmütiger und narzisstischer Anführer Yerxes göttliches Gebot gebrochen. Als Ausdruck, dass die Schuld jedoch nicht nur beim uneinsichtigen Xerxes, sondern auch bei der ihm folgenden liegt, gibt es drei Xerxese, die zum Schluss hin in Erscheinung treten: Max Bretschneider, Torsten Flassig und Johannes Nussbaum.
Die einzigartige Valery Tscheplanowa verkörpert hier auch die Rolle des Königsvater Deiros, der als Geist erscheint. Dies aber nicht, indem sie sich Männerkleidung anzieht. Im Gegenteil, nun ist sie oben ohne und mit weißer Lackfarbe überschüttet, verkörpert sie Deiros guten Geist und setzt sich in sein Wesen hinein.

Neben den ständig rotierenden Drehscheiben hat die Musik hier eine treibende Kraft und entfaltet oftmals einen nahezu orgiastischen Sog (Komposition: Ari Benjamin Meyers; Musikalische Leitung: Nico van Wersch).

Aischylos Mahnung an seine Landsleute, wohin Hochmut führen kann, gilt auch Ulrich Rasche als Aufruf zur Eigeninitiative, erreichte gesellschaftliche Werte zu würdigen und zu erhalten. Auch wenn phasenweise etwas langatmig, ist diese „Gesamtkomposition aus Spracharbeit, Musik und Bewegung“ (Marion Tiedke) sehr sehens- und hörenswert.

Markus Gründig, September 18

Aischylos: Die Perser
Premiere am Schauspiel Frankfurt: 28. September 18 (Schauspielhaus)
Besprochene Aufführung: 28. September 18

Regie und Bühne: Ulrich Rasche
Komposition: Ari Benjamin Meyers
Bühnenmitarbeit: Sabine Mäder
Kostüme: Sara Schwartz
Licht: Johan Delaere
Musikalische Leitung: Nico van Wersch
Chorleitung: Toni Jessen, Jürgen Lehmann
Video: Philip Bussmann
Dramaturgie: Marion Tiedtke

Besetzung:

Chor des persischen Ältestenrat: Katja Bürkle, Valery Tscheplanowa
Atossa, Königsmutter: Patrycia Ziolkowska
Boten / Armee des Xerxes: Max Bretschneider, David Campling, Torsten Flassig, Pascal Gross, Harald Horváth, Toni Jessen, Max Koch, Julian Benedikt Melcher, Sam Michelson, Johannes Nussbaum, Justus Pfankuch, Samuel Simon,Yannik Stöbener, Alexander Vaassen, Andreas Vögler
Dareiros´ Geist: Valery Tscheplanowa
Xerxes: Max Bretschneider, Torsten Flassig, Johannes Nussbaum

Sänger: Francois Guillaume, Arturas Miknaitis

Marimba, Viraphone: Katelyn Rose King
Bass: Thomsen Merkel
Percussion: Spela Mastnak
Bratsche: Maria del Mar Mendivil Colom
Elektronik: Nico van Wersch
Live-Video: Benjamin Lütke

www.schauspielfrankfurt.de