Richard Wagners »Die Meistersinger von Nürnberg« großartig an der Oper Frankfurt

Die Meistersinger von Nürnberg ~ Oper Frankfurt ~ Walther von Stolzing (AJ Glueckert; links in weißem Anzug), sowie die Meister (auf den Stühlen) und die Lehrbuben (darunter) ~ © Monika Rittershaus

Mit Péter Eötvös´ Angels in Amerika stellte sich der Regisseur Johannes Erath 2009 erstmals in Frankfurt/M vor. Seitdem folgten viele herausragende Inszenierungen, wie die Uraufführung von Arnulf Herrmanns Der Mieter oder Karol Szymanowskis Krol Roger. Auch seine Neuinszenierung von Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg ist ihm ausgezeichnet gelungen. Dabei ist die mit einer reinen Spielzeit von 4 ¼ – Stunden dauernde Oper kein Selbstläufer. Seine Umsetzung sprudelt nur so vor Regieeinfällen und lässt die Zeit wie im Flug vergehen. Dazu begeistern die fantastischen Sänger:innen und das unter ihrem Generalmusikdirektor Sebastian Weigle spielende Frankfurter Opern- und Museumsorchester.

Indirekte Bezüge zu Nürnberg

Noch bevor sich der Vorhang (bzw. hier ein Prospekt) hebt, sind vor der Bühne ein paar edle Highheels ausgestellt (die Hauptfigur Hans Sachs ist Meister-Schuster) und auf der rechten Seite liegt ein großer („unschuldiger“) Hase, so wie von Albrecht Dürer einst gezeichnet. Der Hase hängt an einer langen Leine, die bis in den Schnürboden reicht (die Leine zeigt erst später ihre Bedeutung). Während der Ouvertüre kommt über eine Videoprojektion ein weiteres Werk Dürers zum Vorschein, seine betenden Hände. Beistand wird erfleht, er ist nötig, damals wie heute. Dürer wurde in Nürnberg geboren (1471) und ist dort auch gestorben (1528).

Kaspar Glarners Bühne zeigt ein aus mehreren Baukörpern bestehendes dunkles großes Halbrund mit unfertiger Empore. Es erinnert an die unvollendete Kongresshalle auf dem ehemaligen Nürnberger Reichsparteitagsgelände. Die Wände sind übersät mit Notizen und Zeichnungen, die aus den verschiedensten Handwerksbereichen stammen. Neben zwei eingeschobenen Stuben sind es vor allem die variabel eingesetzten Baukörper der halb-Rotunde, die für unterschiedliche Handlungsorte genutzt werden.

Die Meistersinger von Nürnberg
Oper Frankfurt
Hans Sachs (Nicholas Brownlee), Walther von Stolzing (AJ Glueckert) und Sixtus Beckmesser (Michael Nagy)
© Monika Rittershaus

Die in der Mitte des 16. Jahrhunderts spielende Handlung wurde nahezu in die Gegenwart verlegt, worauf vor allem die bunten, gemusterten Kostüme von Herbert Murauer hinweisen. Für einen außergewöhnlichen optischen Eindruck sorgen im ersten Akt während der Zunftberatung surreal anmutende hohe Stühle. Je nach Stand fallen sie unterschiedlich groß aus. Den höchsten Sitz hat der reiche Goldschmied Veit Pogner (prägnant: Anreas Bauer Kanabas).
Den hohen Unterhaltungswert der Inszenierung verstärkt auch die Statisterie, die sehr agil, fast wie ein Tanzensemble, integriert wurde. Dennoch schimmert auch das absurde Theater Samuel Becketts durch. Dramaturg Zsolt Horpácsy verweist in seinem Einführungstext auf eine Verbindung von Sachs und Beckmesser zu Vladimir und Estragon aus Warten auf Godot hin. Beide können nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander.

Sebastian Weigles letzte Spielzeit als GMD an der Oper Frankfurt

Für den international viel beschäftigten Generalmusikdirektor Sebastian Weigle ist die aktuelle Spielzeit die 15. und zugleich die letzte in dieser Position an der Oper Frankfurt. Mit den Meistersingern ist er bestens vertraut, hat er sie doch u. a. auch schon mehrfach bei den Bayreuther Festspielen dirigiert. Mit viel Respekt vor dem Werk und Sinn für Details und Feinheiten, leitet er das Frankfurter Opern- und Museumsorchester. Das hat die Tage drauf die Wiederaufnahme von Humperdincks Hänsel und Gretel und zwei Orchesterkonzerte auf dem Programm. Respekt, was da geleistet wird!

Die Meistersinger von Nürnberg
Oper Frankfurt
Hans Sachs (Nicholas Brownlee)
© Monika Rittershaus

Beeindruckender Nicholas Brownlee als Hans Sachs

Viel leisten auch die Sänger:innen, allen voran der US-amerikanische Bassbariton Nicholas Brownlee als Hans Sachs. Seit zwei Jahren ist er Ensemblemitglied und es ist allein schon beeindruckend mit welcher Präzission er die riesige Partie akzentfrei in deutscher Sprache singt. Schön ist das Wiedersehen mit Tenor Michael Nagy. Er war von 2006 bis 2011 Ensemblemitglied. Sein Sixtus Beckmesser ist ein prägnant gespielter vereinsamter, in sich gekehrter Charakter. Spielt er auf seiner Ukulele, kommt im Orchester eine Beckmesserharfe zum Einsatz (eine Harfe mit Stahlseiten für einen intensiveren Klang).
AJ Glueckert gibt den letztlich nach Freiheit strebenden Walther von Stolzing eindringlich. Erstmals an der Oper Frankfurt ist die Sopranistin Magdalena Hinterdobler in der Figur von Pogners Tochter Eva zu erleben. Sie wird ab der nächsten Spielzeit das Ensemble der Oper Frankfurt verstärken. Für die erkrankte Claudia Mahnke war bei der besuchten zweiten Vorstellung die Mezzosopranistin Annika Schlicht, Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin, als Magdalena eingesprungen. Tenor Michael Porter strahlt als Hans Sachs´ Lehrbub. Versiert präsentiert sich der von Tilman Michael einstudierte Chor und Extra-Chor.

Die Meistersinger von Nürnberg
Oper Frankfurt
v.l.n.r. David (Michael Porter), Magdalene (Claudia Mahnke), Hans Sachs (Nicholas Brownlee), Eva (Magdalena Hinterdobler) und Sixtus Beckmesser (Michael Nagy), sowie Ensemble
© Monika Rittershaus

Plädoyer für eine offene Gesellschaft, Diversität und Vielfalt

Zum Ende fährt Johannes Erath groß auf. Zur großen Finalszene erscheint das Volk als bunte Sängerschar, die zeitgemäß deutsche und internationale Pop- und Rockidole widerspiegelt. So finden sich u.a. Freddie Mercury, die Beatles, Kiss, Tina Turner, Cro, Beyoncé, Lady Gaga, Marlene Dietrich und Heino auf der „Festwiese“ ein. Damit wird ein deutliches Plädoyer für Vielfalt und Diversität gesetzt und nationalsozialistisches Gedankengut konterkariert (denn die Meistersinger wurden wie keine andere Oper von den Nationalsozialisten für sich vereinnahmt).
Dem das Deutschtum glorifizierende Schlusslied („Ehrt eure deutschen Meister“) wird der Schriftzug „GERMANIA“ gegenübergestellt, dem nach kurzem Flackern die ersten drei Buchstaben verlöschen. Das verbleibende „MANIA“ kann in vielerlei Hinsicht interpretiert werden.

Für diesen großen Opernabend gab es zu Recht lang anhaltenden und kräftigen Applaus.

Markus Gründig, November 22


Die Meistersinger von Nürnberg

Oper in drei Aufzügen

Von: Richard Wagner
Uraufführung: 21. Juni 1868 (München, Nationaltheater)

Premiere an der Oper Frankfurt: 6. November 22
Besuchte Vorstellung: 11. November 22

Musikalische Leitung: Sebastian Weigle
Inszenierung: Johannes Erath
Bühnenbild: Kaspar Glarner
Kostüme: Herbert Murauer
Licht: Joachim Klein
Videodesign: Bibi Abel
Chor, Extra-Chor: Tilman Michael
Dramaturgie: Zsolt Horpácsy

Besetzung:

Hans Sachs: Nicholas Brownlee
Veit Pogner: Andreas Bauer Kanabas
Sixtus Beckmesser: Michael Nagy
Eva: Magdalena Hinterdobler
Magdalene: Claudia Mahnke
Walther von Stolzing: AJ Glueckert
David: Michael Porter
Fritz Kothner: Thomas Faulkner
Kunz Vogelgesang: Samuel Levine
Konrad Nachtigall: Barnaby Rea
Balthasar Zorn: Jonathan Abernethy
Ulrich Eisslinger: Hans-Jürgen Lazar
Augustin Moser: Andrew Bidlack
Hermann Ortel: Sebastian Geyer
Hans Schwarz: Anthony Robin Schneider
Hans Foltz: Božidar Smiljanić
Ein Nachtwächter: Franz Mayer
Lehrbuben: Maren Favela / Chiara Bäuml / Helene Feldbauer° / Guenaelle Mörth / Tianji Lin / Carlos Andrés Cárdenas / Donát Havár / Istvan Balota / Kiduck Kwon / Johannes Lehner

Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester


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