Größtmögliche Reduktion bei »Tristan und Isolde« an der Oper Frankfurter

Tristan und Isolde ~ Oper Frankfurt ~ Tristan (Vincent Wolfsteiner), Isolde (Rachel Nicholls) ~ © Barbara Aumüller (szenenfoto.de)
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Richard Wagners 1865 uraufgeführte „Handlung in drei Aufzügen“ Tristan und Isolde stellte eine musikalische Revolution dar. Hans-Christian Schmidt macht dies an drei kompositorischen Funden fest (abgedruckt im Programmheft der Neuinszenierung): am harmonischen und melodischen Fließen („hin zu einem tönenden Bild impressionistischer Farbenpracht und durchsichtiger Leichtigkeit“), an ständig wandernder und schweifender Chromatik („Wagners Musik wird zum Narkotikum) und dem „merkwürdigen Widerspruch zwischen konkretem Orchesterkommentar und rätselhafter Expression“. Die Musik ist so stark, dass die szenische Umsetzung einen anderen Stellenwert hat, als bei den meisten anderen Opern. Regisseurin Katharina Thoma, der diese Oper näher steht als alle anderen Wagner-Opern, spricht in diesem Zusammenhang von einer größtmöglichen Reduktion. Und diese zeichnet ihre Inszenierung im Bühnenbild von Johannes Leiacker (der an der Oper Frankfurt bereits die Bühnenbilder zu Król Roger, Capriccio, I puritani gestaltete) aus. Ein abstrakter, großer, trister weißer Einheitsraum mit zwölf Türen stellt den äußeren Rahmen dar. Die Handlungsorte (Schiff, Garten Schloss Cornwall und Burg in der Bretagne) werden mit einem schwarzen Boot, einem vertikal aufgestellten schwarzen Podest und einer Trümmerlandschaft aus schwarzen Felsplatten äußerst vage angedeutet. Effektvoll schweben zu Beginn Tristan und Isolde in ihrem „Gemach“ von der Decke herab. Effektvoll öffnet sich am Ende der weiße Raum, um Tristan in die unendlichen Weiten der Nacht zu entlassen. Das Spiel mit schwarz-weiß, also mit Tag/Nacht bzw. Leben/Tod unterstützt den musikalischen Höreindruck umso mehr, da keine Gefahr besteht, durch optische Bühnenopulenz unnötig abgelenkt zu werden. Farbakzente setzen die Kostüme von Irina Bartels (wie mit einem Daunenmantel in Altrosa für Isolde oder einem dunkeltürkisen Kleid nebst Umhang für Brangäne).


Tristan und Isolde
Oper Frankfurt
v.l.n.r. Brangäne (Claudia Mahnke), Isolde (Rachel Nicholls; sitzend), König Marke (Andreas Bauer Kanabas) und Melot (Iain MacNeil) sowie im Hintergrund Statisterie der Oper Frankfurt
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Die musikalische Seite ist umso überwältigender. Generalmusikdirektor Sebastian Weigle leitet das ungemein differenziert, feinfühlig und zart aufspielende Frankfurter Opern- und Museumsorchester zu einem erstklassigen Ohrenschmaus an. Als Besonderheit werden die melancholischen Klänge der Englischhorn-Solo-Sequenzen im dritten Aufzug von der Bühne aus gegeben (Romain Curt). Ebenso der kurze Einsatz der Holztrompete (Matthias Kowalczyk). Der von Tilman Michael einstudierte Herrenchor der Oper Frankfurt lugt immer wieder sangesfreudig aus einer der vielen Türen hervor.


Tristan und Isolde
Oper Frankfurt
Isolde (Rachel Nicholls), Tristan (Vincent Wolfsteiner)
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Das Spiel mit schwarzweiß passt auch auf das Verhältnis zwischen Tristan und Isolde. Deren „Liebe“ kennt keine Schattierungen, sie ist ganz oder gar nicht. Dabei zeigt Thoma abweichend vom Libretto, dass Isolde schon weit vor dem Liebestrank dem Tristan verfallen ist. Während der Ouvertüre, nachdem sie erwacht sind, will Isolde Tristan, den Mörder ihres früheren Verlobten, mit einem Messer töten, doch in dem Moment, in dem sie ihn anblickt, verfällt sie ihm. Allerdings ist dies eine besondere Liebe, denn wirklich nah kommen sich die beiden so gut wie gar nicht (im zweiten Aufzug wandelt sich die vertikale Wand kurz zu einem schräg gestellten Bett und die beiden berühren sich kurz mit ihren Händen).


Tristan und Isolde
Oper Frankfurt
Tristan (Vincent Wolfsteiner), Kurwenal (Christoph Pohl) und Musiker (Romain Curt mit Englischhorn)

© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Die von der Regie anders als üblich angelegte Isolde, rasend im ersten, nachdenklich im zweiten und introvertiert im dritten Aufzug, spiegelt Sopranistin Rachel Nicholls in ihrer Stimme wider. Die Britin ist bei dieser Produktion erstmals an der Oper Frankfurt zu erleben.
Ensemblemitglied Vincent Wolfsteiner setzt dazu als Pendant auf lyrische, warme Töne als Tristan. Eine Figur, die hier ein verschlossenes Innenleben führt, mit frühkindlichen Traumata und Angst vor Gefühlen. Für beide ist es eine kraftraubende Partitur, die sie gut bewältigen.
Souverän strahlt Claudia Mahnke als Isoldes Vertraute (Brangäne). Schon bei der Wiederaufnahme der vorherigen Inszenierung von Christof Nel in 2014 hatte sie diese Rolle inne. Prägnant lässt Bass Andreas Bauer Kanabas den König Marke erklingen, Bariton Christoph Pohl stellt Tristans Freund Kurwenal nuanciert dar. Vitalität strahlt Iain MacNeil als falscher Freund Melot aus, Michael Porter nimmt bei seinem kurzen Auftritt im ersten Aufzug als junger Seemann für sich ein (sowie Liviu Holender als Ein Steuermann und vom Opernstudio Tianji Lin als Ein Hirte).

Am Ende sehr viel Applaus für alle Beteiligte!

Markus Gründig, Januar 20


Tristan und Isolde

Handlung in drei Aufzügen

Von: Richard Wagner
Uraufführung: 10. Juni 1865 (München, Hoftheater)
Premiere an der Oper Frankfurt: 19. Januar 20
Besuchte Vorstellung: 25. Januar 20

Musikalische Leitung: Sebastian Weigle
Inszenierung: Katharina Thoma
Bühnenbild: Johannes Leiacker
Kostüme: Irina Bartels
Licht: Olaf Winter
Chor (Herren): Tilman Michael
Dramaturgie: Mareike Wink

Besetzung:

Tristan: Vincent Wolfsteiner
Isolde: Rachel Nicholls
König Marke: Andreas Bauer Kanabas
Brangäne: Claudia Mahnke
Kurwenal: Christoph Pohl
Melot: Iain MacNeil
Ein Hirte: Tianji Lin °
Ein junger Seemann: Michael Porter
Ein Steuermann: Liviu Holender

Englischhorn: Romain Curt
Holztrompete: Matthias Kowalczyk

Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester


° Mitglied des Opernstudios

oper-frankfurt.de