Die letzte Stunde mit »jedermann (stirbt)« am Schauspiel Frankfurt

jedermann (stirbt) ~ Schauspiel Frankfurt ~ tod (Mechthild Großmann), jedermann (Wolfram Koch) ~ © Arno Declair

Seit 1920 ist Hugo Hoffmannsthals Jedermann (Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes) als Publikumsmagnet untrennbar mit den Salzburger Festspielen verknüpft, auch wenn das Stück bereits 1912 in Berlin uraufgeführt wurde und auf mittelalterliche Mysterienspiele zurückgeht. Als Auftragswerk für das Wiener Burgtheater schrieb der österreichische Autor Ferdinand Schmalz (Ingeborg-Bachmann-Preisträger 2017; *1985) eine Neufassung in elf Szenen. Sie wurde dort vor zwei Jahren uraufgeführt. Das Schauspiel Frankfurt zeigt das Stück nun als deutsche Erstaufführung .

„Fickendes Geld“ und kein Verweis auf Gott und Religion

Schmalz ging es bei seiner Neufassung nicht darum, eine Parodie auf das zur Institution gewordene Stück zu schreiben. Seine „Adaption, Über- und Weiterschreibung dieses Stoffs und seiner Motive scheint weitaus irdischer, bzw. zeitgenössischer angesiedelt“. (Gabriella Bußacker). Auch bei ihm geht es um einen reichen Mann, aktualisiert ein Banker, der dem Tod ins Auge sehen muss und dem all sein Vermögen nicht vor dem Sterben hilft. Um Gott und Religion geht es dabei nicht, der schnöde Mammon regiert die Welt. Dabei kommen aktuelle Finanzthemen wie marode Banken, Sorgen der Kleinanleger, Zinseszins und „fickendes Geld“ zur Sprache.
In seinem Text, der gekonnt zeitgemäße Bezüge mit Versmaß mischt, vermeidet er weitestgehend religiöse Bezüge. Bekannte Figuren, wie Jedermanns Mutter, die Buhlschaft, Vettern, Nachbar, Mammon und den Tod, gibt es auch, wenn auch in etwas anderer Bezeichnung und Form. Es ist eine unprätentiöse Reflexion über die Endlichkeit jeden menschlichen Daseins, die kurzweilig zum Nachdenken über das richtige Verhalten im Hier und Heute anregt.


jedermann (stirbt)
Schauspiel Frankfurt
buhlschaft tod (Mechthild Großmann), gute werke (Katharina Bach), jedermann (Wolfram Koch)
© Arno Declair

Gutes Gespür der Regie und mondäne Bühnenoptik

Regisseur Jan Bosse inszenierte am Schauspiel Frankfurt zuletzt Shakespeares Richard III. Das war zum Auftakt der Intendanz von Anselm Weber in der Spielzeit 2017/18. Auch Bühnenbildner Stéphane Laimé ist kein Unbekannter, er entwarf für Marius von Mayenburgs Inszenierung von Shakespeares Romeo und Julia das Bühnenbild. Die Umsetzung von jedermann (stirbt) erfolgt mit großem Aufwand, was sich in der Besetzung, dem Bühnenbild und der Ergänzung mit einem über 30-köpfigen Chor widerspiegelt. Der Lustgarten im Haus von jedermann zeigt sich in mondäner Optik. Es ist eine weiß gehaltene Poollandschaft mit zahlreichen kugeligen Sitzgelegenheiten, einer Handvoll kleiner Kunststoffpflanzen und einer Art überdimensionalem Pokal (für jedermanns finanzielle Potenz), in weiten Teilen umrahmt von überdimensionalen schräg gebogenen Metallstäben. Der Garten ist von einer großen Betonmauer umgeben: Banker leben gefährlich und müssen sich schützen.


jedermann (stirbt)
Schauspiel Frankfurt
jedermann (Wolfram Koch), buhlschaft tod (Mechthild Großmann), jedermanns alter ego (Simon Schwan)
© Arno Declair

Prominente Besetzung

Bekannte Namen gehören mit zum Erfolg des Salzburger Jedermann. Dazu zählen u. a. Senta Berger, Klaus Maria Brandauer, Veronica Ferres, Christiane Hörbiger, Curd Jürgens, Tobias Moretti, Maximilian Schell, Peter Simonischek, E. Tissenaar, Valery Tscheplanowa, Ulrich Tukur und demnächst Caroline Peters. Und auch die Frankfurter Inszenierung weist mit Wolfram Koch und Mechthild Großmann Schauspielgrößen auf, die durch ihre TV-Rollen (Tatort) weithin bekannt sind (und auch schon bei Richard III. zusammen in Frankfurt zu erleben waren).

Der jedermann des Wolfram Koch ist ein gut gelaunter Banker mit Wohlstandsbauch, verspielt, siegessicher und gänzlich von sich überzeugt, dabei aber nicht eindimensional. Sein durch den Reichtum erzielten autonomen Status zeigt sich nicht zuletzt in seinem legeren Kleidungsstil: weiße Feinrippunterwäsche mit einem Gürtel mit goldenen Applikationen (Kostüme: Kathrin Plath). Mit Hornbrille und Hut wirkt er in seinen weißen Socken und schwarzen Halbschuhen durchaus freundlich. Coolness strahlt die jedermann frau aus (Manja Kuhl, erstmals am Schauspiel Frankfurt zu Gast).
In der Rolle buhlschaft tod fällt Mechthild Großmann diesmal weniger durch ihre Stimme, als durch ihre Glatze auf. Gleichwohl ist es etwas ganz Besonderes, wenn sie spricht und Worten Charakter verleiht. Am Ende hat sie einen 10-minütigen Monolog, bei dem sie dem jedermann nüchtern ins Gewissen redet.
Betont und charakterstark ist der arme nachbar gott des Peter Schröder. In Lumpen fordert er, dass sich die Verhältnisse auf Dauer ändern müssen. In beschmutzter Festkleidung resümiert er über das verantwortungsvolle Umgehen mit Geliehenem
Ambivalent ist die (teuflisch) gute gesellschaft des Heiko Raulin, ein lustvoller Verführer im Glitzeranzug (mit einem freien Bein). Hohen Unterhaltungswert bieten die beiden Kreditschuldner (dicker vetter: Isaak Dentler, dünner vetter: André Meyer). Als mammon und fast schon artistisch über die Bühne schwebende gute Werke (Charity) zeigt Katharina Bach einen hohen körperlichen Einsatz. Vom Studiojahr Schauspiel ist Simon Schwan beteiligt, zunächst als jedermanns esoterische mutter, am Ende als sein alter ego.
Der Chor kommt von seitlichen Publikumsplätzen mehrfach zum Einsatz. Zunächst laut skandierend („Wer, wenn nicht wir“), zum Ende hin andächtig Kirchenlieder singend (Leitung: Michael Weber). Die Musik von Arno Kraehahn vermittelt dezente Klangteppiche.

Nach 130 gespielten Minuten langer und intensiver Applaus für einen anregenden Abend.

Markus Gründig, Februar 20


jedermann (stirbt)

Von: Ferdinand Schmalz
Uraufführung: 28. Februar 2018 (Wien, Burgtheater)

Premiere/Deutsche Erstaufführung am Schauspiel Frankfurt: 31. Januar 20 (Schauspielhaus)

Regie: Jan Bosse
Bühne: Stéphane Laimé
Kostüme: Kathrin Plath
Musik: Arno Kraehahn
Licht: Johan Delaere
Dramaturgie: Gabriella Bußacker

Besetzung:

jedermann: Wolfram Koch
jedermanns frau: Manja Kuhl
buhlschaft tod: Mechthild Großmann
armer nachbar gott: Peter Schröder
die (teuflisch) gute gesellschaft: Heiko Raulin
dicker vetter: Isaak Dentler
dünner vetter: André Meyer
mammon, gute werke: Katharina Bach
jedermanns mutter / jedermanns alter ego: Simon Schwan (Studiojahr Schauspiel)
»Der Chor» Leitung: Michael Weber

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