Im Rahmen der Liederabendreihe der Oper Frankfurt gab es jetzt, acht Tage nach dem 75. jährigen Gedenken an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, ein außergewöhnliches Gastspiel der Komischen Oper Berlin. Die in 2018 aus einer Notlage entstandene und von Barrie Kosky initiierte Produktion Jiddischen Operettenlieder wurde nicht nur bereits achtmal an der Komischen Oper Berlin gegeben, sie gastiert auch in unregelmäßigen Abständen außerhalb, so wie jetzt mit Station an der Oper Frankfurt. Hier wurde vergangene Woche Koskys umjubelte Carmen-Inszenierung aus 2016 wiederaufgenommen. Derzeit erarbeitet er in Frankfurt eine neue Salome, die am 1. März Premiere feiern wird.
Kosky ist nicht nur erfolgreicher Opernregisseur und Intendant der Komischen Oper Berlin, bei diesem Liederabend stellte er sich als Pianist, und mit einem Lied als Sänger vor. Das Liebeslied „Mädele“ dichtete er passend für sich in „Jingele“ um. Da sein 35-jähriger Freund an diesem Abend in Berlin weilte, widmete Kosky das Lied seinem Großonkel Oscar. Bei diesem Programm begleitete er schwungvoll die Sopranistin Alma Sadé und die Mezzosopranistin Helene Schneideman und klärte zwischen den Liedern charmant und pädagogisch geschickt, übe die Hintergründe auf.
In dem ohne Pause gegebenen 80-minütigen Programm präsentierten die drei Künstler mit Jiddischen Operettenlieder ein in Vergessenheit geratenes Genre der Musikwelt. Dabei stammten gut 90% der Lieder von US-amerikanischen Komponisten, die allesamt Wurzeln in Europa hatten. Schließlich sorgten im 19. und 20. Jahrhundert Pogrome in Russland und Deutschland dafür, dass Millionen von Juden in die USA auswanderten. Der Mix der Kulturen dieser Einwanderer spiegelt sich auch in den musikalischen Werken, die unverkennbar wichtige Vorläufer für die späteren großen Broadway- und Hollywoodkomponisten waren und die ihre größten Erfolge in den 1920er und 1930er Jahre feierten.
Kosky, Sadé und Schneideman boten Musik, die authentisch wirkend vom Herzen aus interpretiert wurde. Das Programm war gespickt mit geschichtlichen Informationen, die nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Dazu zählte eine Ermahnung an das reiche Deutschland der Ungerechtigkeit in der Welt, insbesondere auch gegenüber Kindern, entschieden entgegenzutreten.
Heitere und ergreifende Momente liegen bei den vorgestellten emotionalen Liedern, wie es sich für das jüdische Leben oftmals gehört, oft nebeneinander. Sadé, die Kosky vom Opernstudio der Deutschen Oper am Rhein (Düsseldorf) abgeworben hat, und Kammersängerin Helene Schneideman (seit 35 Jahren Ensemblemitglied der Stuttgarter Oper), sangen nicht nur abwechselnd, sie harmonierten auch ausgesprochen gut bei ihren Duetten. So bei der heiteren Nummer „Oyg´n“/„Augen“ von Abraham Ellstein/Molly Picon und beim ernsten und besonders bewegenden „Rozhinkes mit Mandeln“ / „Rosinen und Mandeln“ vom Begründer des modernen jiddischen Theaters, Abraham Goldfaden. Letzteres ist ein bekanntes Wiegenlied, das Berichten zufolge in den NS-Konzentrationslagern von Müttern zur Beruhigung ihrer Kinder gesungen wurde. Eindringlich auch Schneidemans Solo von Oscar Strocks „Via hin zol ikh geyn?/Wohin soll ich geh´n).
Nach viel Zwischenapplaus gab es am Ende einen lang anhaltenden intensiven Applaus in der für einen Liederabend außerordentlich gut gefüllten Oper Frankfurt.
Markus Gründig, Februar 20
Die Zugabe:
Sholom Secunda (1894-1974): „Zug Farvus?“ („Sag‘, wieso?“) nach einem Text von Jacob Jacobs (1890-1977)