Mit einem wunderbaren Liederabend begann jetzt zum Jahresanfang der zweite Teil der Liederabendserie in der laufenden Spielzeit an der Oper Frankfurt. Zu Gast war die US-amerikanische Sopranistin Tamara Wilson, die dem Haus schon seit über zehn Jahren verbunden ist.
Im Mai 2011 gab sie in der Hauptrolle der Fee Ada bei der konzertanten Aufführung von Richard Wagners frühem Werk Die Feen ihr Debüt an der Oper Frankfurt, das zugleich ihr Deutschland-Debüt war. Die Aufführung wurde damals aufgezeichnet und ist bei Oehms-Classic, wie auch vor allen Vorstellungen und während der Pausen im Opernfoyer, erhältlich. Zudem beeindruckte sie an der Oper Frankfurt bereits als Kaiserin in Richard Strauss´ Die Frau ohne Schatten und als Elisabeth von Valois in Verdis Don Carlo. Ab Mitte Januar wird sie an der Bayerischen Staatsoper München als Primadonna / Ariadne in Strauss‘ Ariadne auf Naxos zu erleben sein.
Ihren gemeinsam mit der kanadischen Pianistin Anne Larlee gestalteten Liederabend an der Oper Frankfurt stellte sie unter den Titel „Turn of the Centuries: Then and Now“. Es war eine überaus respektable Auswahl von 27 seltenen Liedern von zehn europäischen und amerikanischen Komponisten:innen. Lieder, die um die Jahrhundertwenden entstanden oder die den Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit reflektieren. Einige Lieder wurden als europäische Erstaufführungen und eines gar als Uraufführung gegeben. Also ein in vielerlei Hinsicht außergewöhnliches und sehr ambitioniertes Liedprogramm. Das Erstaunliche dabei: Tamara Wilsons Freude am Singen stand stets unverkennbar im Vordergrund. Trotz aller Konzentriertheit strahlte sie von innen heraus. Ihre kleinen mimischen Bewegungen erzielten eine große Wirkung und sie unterstrich damit gekonnt die jeweilige Intension des gerade vorgetragenen Liedes. Ihre großvolumige Stimme dosierte sie den Abend über raffiniert und sanft.
Sehr gegensätzlich präsentierte Wilson zwei Wiegenlieder von Hugo Wolf. Bei „Wiegenlied im Winter“ konnte man sich ob der zurückhaltenden und liebevollen Art wie herzlich umarmt fühlen. Dagegen war bei „Die ihr schwebet“ förmlich ein bissiger, kalter Wind zu spüren. Die in Richard Strauss´ „Traum durch die Dämmerung“ enthaltene Liedzeile „Ich gehe nicht schnell, ich eile nicht“ nahm Wilson für den ganzen Abend wörtlich.
Eine erste Rarität bildeten Lieder der US-amerikanischen Komponistin Amy Beach (die erste amerikanische Frau, die 1894 eine Sinfonie schrieb). Wie der hymnische Auftakt mit „The Year´s at the spring“ oder das melancholische „Wind o´the westland“. Mit Liedern von Victor Herbert beendete Wilson den ersten Programmteil, mitsamt dem kräftigen Postulat „Tantara! Trara! Love cannot die…“ aus „The Legend Of The Castle“ und einem betörend hohen Spitzenton.
Noch mehr Raritäten beherrschten den Teil nach der Pause. Zunächst stellte Wilson die 1950 geborene US-amerikanische Komponistin Libby Larsen vor. Deren Charakterstücke „Cowboy Songs“ vermitteln weniger Wild-West-Romantik, als dass sie sich mit dem amerikanischen Slang auseinandersetzen. Behutsam interpretierte Wilson dabei „Lift me uibto heaven Sloely“ und umso vehementer die Charakterisierung des Revolverhelden „Billy The Kid“.
Jake Heggies Oper Dead man walking gilt als die erfolgreichste US-amerikanische Gegenwartsoper (ab 15. Januar 22 auch am Theater Koblenz). Sein kleiner Liedzyklus „These Strangers“ lenkt den Blick auf die Not von Einwanderern und war bei diesem Liederabend erstmals live in Europa zu hören. Zudem gab es ein weiteres Wiegenlied (sehr einfühlsam gesungen: „Moon`s Lullaby“ aus der Oper Three Decembers).
James Kallembachs Zyklus „Weightless Dreams“ konzipierte Tamara Wilson mit. Die fünf Lieder sind Zitate von Astronautinnen und reflektieren deren Eindrücke und Erinnerungen. Im Klang sind diese Lieder durchaus irdisch, auch wenn sie von Distanz und Schwerelosigkeit handeln.
Den Höhepunkt des Abends bildete die Uraufführung von „Thundercloud Over Half Dome“ von Griffin Candey (* 1988). Dieser Song ist, wie Wilson mitteilte, einer im vergangenen Oktober an Krebs gestorbenen Lehrerin gewidmet. Ein schwerer Gewittersturm über dem Berg im Yosemite-Nationalpark (US-Bundesstaat Kalifornien) sorgt für neue, klarere Einsichten und endet mit einem besinnlichen „Amen“. Eine auch auf den gesamten Abend passende Schlussbemerkung.
Klangstark akzentuiert begleitete Anne Larlee am Klavier. Sie arbeitet seit 2016 als Repetitorin und Coach an der Oper Frankfurt. Bei aller Komplexität der ungewöhnlichen Lieder war es erstaunlich, wie gut Larlee und Wilson harmonierten, obwohl sie so gut wie keinen Kontakt zueinander hielten.
Viel Applaus gab es, trotz derzeit eingeschränkter Besucherzahl, nicht nur nach den Liedgruppen und am Ende, sondern auch immer wieder spontan zwischendurch.
Die letzte Rarität folgte mit der Zugabe: „Beyond the Blue Horizon“ aus dem Filmmusical Monte Carlo, das wohl Alexander Courage für sein Star Trek Thema inspiriert hat.
Markus Gründig, Januar 22
Die Zugabe:
Richard A. Whiting (1891-1938) und William Franke Harling (1887-1958): „Beyond the Blue Horizon“ (Text: Leo Robin / 1900-1984) aus dem Filmmusical Monte Carlo (1930)