Heiner Müllers Quartett ist ein ganz besonderes Theaterstück. Zynisch wird viel über Eroberungen und Niederlagen in Liebesdingen gesprochen. Emotionen spielen dabei keine Rolle, eine animalische Lust ist der einzige Antrieb. Dabei fehlen auch sadomasochistische Unterwerfungsfantasien nicht. Das Stück ist in seiner abstrakten Konkretheit in vielen Teilen ein Paradox und eine nihilistisches Manifest. Die Figuren Marquise de Merteuil und Valmont, übernommen aus Pierre Ambroise François Choderlos de Laclos´ Briefroman Les Liaisons dangereuses (Gefährliche Liebschaften) liefern sich einen unerbittlichen Kampf und schlüpfen dabei in die Rollen ihrer Opfer Madame Tourvel und Jungfrau Volange.
2006 war Quartett in den Kammerspielen des Schauspiel Frankfurt 2006 von Urs Troller inszeniert worden (mit Friederike Kammer und Oliver Kraushaar als Merteuil/Valmont). Für die jetzt erfolgte Neuinszenierung wählte der serbische Regisseur Miloš Lolić, 2018 stellte er sich hier mit Elfriede Jelineks Am Königsweg vor, einen anderen Ansatz. Er verdoppelte die Anzahl der beteiligten Schauspieler, die nunmehr ein reales Quartett bilden. Wobei Realität auch hier nicht immer das ist, was sie vorgibt. Stefan Graf, Sarah Grunert und Anna Kubin geben zunächst gemeinschaftlich die Merteuil und Sebastian Reiß den Valmont, um dann mehrfach die Rollen zu wechseln. Quartett von einem Quartett spielen zu lassen funktioniert hier hervorragend. Die Texte werden gut und langsam gesprochen, einzeln und chorisch.
Das Artifizielle ist durch die Kostüme von Jelena Miletić deutlich hervorgehoben. Dienten bei Am Königsweg kunterbunte Hollywoodfilmfiguren als Vorlage, ist es hier die adlige vorrevolutionäre französische Gesellschaft in schwarzen fetischhaften Barockreifkleidern (Merteuil) und Anzug (Valmont) als dekadente Untergangsgesellschaft. Mit hochgesteckten Haarperücken und weiß geschminkten Gesichtern, die gerne einmal nachgepudert werden, wirken sie erhaben und dämonisch.
Die doppeldeutige Regieanweisung „Zeitraum: Salon vor der Französischen Revolution / Bunker nach dem Dritten Weltkrieg“ hat Bühnenbildnerin Hyun Chu mit viel Schwarz gelöst. Gespielt wird in einem sich nach hinten verengenden angedeuteten großen Schacht. Eine Galerie aus Ventilatoren, die Luft in diesen Unort bringen sollen, hängt herab. Schon bald erweisen sich diese aber Illusion und aufleuchtende LED-Lämpchen weisen ins Heute. Wie dies auch die dezent wimmernden Töne tun, die im Hintergrund mitlaufen (Musik: »Jung An Tagen«).
Nachdem die dreifache Merteuil den Valmont wieder dahin zurückgebracht hat, wo er herkam, senkt sich die Deckenplatte auf sie herab und damit ist auch sie erledigt.
Sehr viel Applaus.
Markus Gründig, Januar 20
Quartett
Von: Heiner Müller
Uraufführung: 7. April 1982 (Bochum, Schauspielhaus)
Premiere am Schauspiel Frankfurt: 24. Januar 20 (Kammerspiele)
Regie: Miloš Lolić
Bühne: Hyun Chu
Kostüme: Jelena Miletić
Musik: »Jung An Tagen«
Dramaturgie: Katja Herlemann
Mit: Stefan Graf, Sarah Grunert, Anna Kubin, Sebastian Reiß
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