

Mangelnde Vielfalt kann man der Oper Frankfurt wahrlich nicht vorwerfen. Allein die Premieren der laufenden Spielzeit reichen von Georg Friedrich Händels Partenope (UA 1730) über u. a. Giuseppe Verdis Macbeth (UA 1847) und Hans Werner Henzes Der Prinz von Homburg (UA 1960) bis hin zu Aribert Reimanns L’invisible (UA 2017). Den meist doch sehr ernsten Themen dieser Oper stellt das Opernhaus jetzt zwei Opern gegenüber, die es mit viel Humor einfach machen, einmal vom Alltag abzuschalten: Le postillon de Lonjumeau und Doktor und Apotheker (Premiere am 8. März im Bockenheimer Depot).
Le postillon de Lonjumeau komponierte der Franzose Adolphe Adam. Sie wurde 1836 in der Pariser Opéra-Comique uraufgeführt. Die Oper Frankfurt hat hierfür eine Produktion der Tiroler Festspiele Erl aus dem Jahr 2021 übernommen (Bernd Loebe, der Intendant der Oper Frankfurt, war von 2019 bis zum Ende der Sommersaison 2024 auch Intendant der Tiroler Festspiele Erl). Insgesamt sind 10 Aufführungen angesetzt, eine relativ hohe Anzahl.
Eine theaterwirksame Musikkomödie
Adolphe Adam war mit 53 Werken für Ballett (Giselle) und Oper ein sehr produktiver Komponist. Für ihn stand stets die Unterhaltung des Publikums im Mittelpunkt. Auf ihn geht auch der Narrhallamarsch zurück (Bezug zu seiner Oper Le Brasseur de Preston von 1838). Adam gründete ein eigenes Theater, die Opéra-National. Sie ging in Folge der Februarrevolution 1848 zugrunde und bescherte ihm hohe finanzielle Verluste.

Oper Frankfurt
v.l.n.r. Bourdon (Morgan-Andrew King), Saint-Phar (Francesco Demuro) und Alcindor (Joel Allison)
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de
Die theaterwirksame Musikkomödie Le postillon de Lonjumeau war seinerzeit sehr erfolgreich und stand viel länger im Spielplan der Opéra-Comique als üblich. Ihr Inhalt: Ein Postkutschenfahrer folgt noch in der Hochzeitsnacht dem Ruf der Pariser Oper, um dort eine steile Karriere hinzulegen. Zehn Jahre später folgt ihm seine inzwischen überaus wohlhabende Frau nach. Er erkennt sie zunächst nicht wieder. Er heiratet sie in der Annahme, sie sei eine andere, erneut. Dem Urteil der Todesstrafe für Bigamie entkommt er, schließlich handelt es sich bei beiden Ehefrauen ja um dieselbe Person.
Im Zentrum: Eine barocke Gassenbühne
Noch vor Beginn deutet ein heutzutage nur noch sehr selten eingesetzter roter Bühnenvorhang auf eine eher historisch verankerte Umsetzung hin. Und so kommt es dann auch. Die um das Jahr 1760 in Frankreich spielende Oper wurde von Regisseur Hans Walter Richter nicht in die Gegenwart geholt. Themen wie Karriere um jeden Preis, Geltungssucht und Liebestreue sind schließlich zeitlos und passen auch zu einer spätbarocken Theaterwelt, wie hier dargeboten. Es gibt viele heitere und mitunter poetische Momente, wie streikende Chorsänger, eine in den Himmel entschwebende Postkutsche oder einen vorbei ziehenden Schwan.

Oper Frankfurt
Madame de Latour (Monika Buczkowska-Ward) und Marquis de Corcy (Jarrett Porter)
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de
Bühnenbeherrschend ist eine sorgfältig und detailverliebt erstellte barocke Gassenbühne mitsamt Theatermaschinerie und Seilwinden. Sie kann für die beiden Handlungsorte, im Dorf Lonjumeau und im Schloss Fontainebleau, von zwei Seiten aus bespielt werden. Tipp: Wer einmal in Bayreuth ist, dem sei ein Besuch des Museums im Markgräflichen Opernhaus empfohlen. Dort gibt es eine tolle Nachbildung einer solchen Bühne.
Die bunten Kostüme aus der Barockzeit sind ein großer Augenschmaus (Bühnenbild, Kostüme: Kaspar Glarner). Sie unterstützen die zeitliche Verortung. Ein derartiges Setting gibt es heute an deutschen Opernhäusern nur noch selten, man fühlt sich ein wenig an Produktionen der Metropolitan Opera oder der Arena de Verona erinnert.
Das selten zu hörende hohe D
Adolphos Adams Musikstil entspricht der französischen Konversationsoper. Sie sprüht vor lebhaften und eingängigen Melodien. Am bekanntesten hieraus ist das Lied „Ah mes amis, qu’il était beau, le postillon de Lonjumeau!“ des Postillon. Richard Wagner soll die Musik vor dem Einschlafen gesummt haben. Gleichwohl können diese Arie nur wenige Sänger bewältigen. Denn sie verlangt Spitzentöne, deren Erreichen nur wenigen vergönnt sind. Francesco Demuro gehört dazu. Ihm zuzuhören ist ein besonderes und tolles Erlebnis, stehen solch tenorale Höhenflüge doch jenseits des aktuellen Zeitgeists. Doch es sind nicht nur die hohen D’s, die verzücken. Er nimmt generell mit seiner volltönenden und warmen Tenorstimme für sich ein und meistert die anspruchsvolle Partie des Postillon Chapelou, der sich zum Opernsänger Saint-Phar entwickelt, souverän.
An seiner Seite verzückt ebenso die Koloratursopranistin Monika Buczkowska-Ward, die hier als Wirtin Madeleine und spätere rachsüchtige Madame de Latour viele Gelegenheiten hat und nutzt, sich bravourös und virtuos zu präsentieren. Beide haben ihre Partien bereits in Erl verkörpert.
Bariton Jarrett Porter geht förmlich in der Partie des Marquis de Corcy auf. Dies gleich von Beginn an, wenn er im Prolog mit König Louis XV (Wolfgang Gerold) durch den Saal schreitet. Bass-Bariton Joel Allison gibt als lebhafter Schmied Bijou, der sich zum Chorist Alcindor wandelt, ein gelungenes Debüt an der Oper Frankfurt. Vom Opernstudio dabei ist Morgan-Andrew King als Bijous Kumpane Bourdon (bei der Soiree des Opernstudios im April wird mehr von ihm zu hören sein). Choreograf Gabriel Wanka sorgt für eine lebhafte Umsetzung und ist zugleich als tanzendes Dienstmädchen Rose zu erleben.
Eine große Spielfreude zeigen alle. In das freudige Spiel bringt sich der Chor der Oper Frankfurt in Hochform ein (Einstudierung: Álvaro Corral Matute). Am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters sorgt Beomseok Yi für eine sängerfreundliche und behutsame Umsetzung.
Nach viel Zwischenapplaus am Ende dann natürlich intensive Beifallsbekundungen (etwaigen anachronistischen Bezügen zum Trotz).
Markus Gründig, März 24
Le postillon de Lonjumeau
(Der Postillon von Lonjumeau)
Opéra comique in drei Akten
Von: Adolphe Adam (1803 – 1856)
Uraufführung: 13. Oktober 1836 (Paris, Opéra-Comique)
Premiere an der Oper Frankfurt: 2. März 25 (Opernhaus)
Übernahme einer Produktion der Tiroler Festspiele Erl
Besuchte Vorstellung: 6. März 25
Musikalische Leitung: Beomseok Yi / Takeshi Moriuchi (9., 12. April)
Inszenierung: Hans Walter Richter
Bühnenbild, Kostüme: Kaspar Glarner
Choreografie: Gabriel Wanka
Licht: Jakob Bogensperger
Chor: Álvaro Corral Matute
Dramaturgie: Mareike Wink
Besetzung:
Chapelou, Postillon / Saint-Phar, Opernsänger: Francesco Demuro
Madeleine, Wirtin / Madame de Latour: Monika Buczkowska-Ward / Ava Dodd (9., 12. April)
Bijou, Schmied / Alcindor, Chorist: Joel Allison / Barnaby Rea (23. März, 9., 12. April)
Marquis de Corcy: Jarrett Porter
Bourdon: Morgan-Andrew King°
Rose: Gabriel Wanka
Louis XV: Wolfgang Gerold
Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
°Mitglied des Opernstudios