Oper Frankfurt mit »Macbeth« zuverlässig außergewöhnlich

Macbeth ~ Oper Frankfurt ~ vorne sitzend v.l.n.r. König Duncan (Aslan Diasamidze), Macbeth (Nicholas Brownlee), Lady Macbeth (Tamara Wilson), Fleance (Anton Römer) und Banquo (Kihwan Sim; rechts stehend) sowie Damenchor der Oper Frankfurt (im Hintergrund) ~ © Monika Rittershaus

Knapp 20 Jahre ist es her, dass es an der Oper Frankfurt eine Neuinszenierung von Verdis Macbeth gegeben hat. In 2005 verortete der spanische Regisseur Calixto Bieito das Geschehen in die moderne Bankenwelt. Unter der musikalischen Leitung von Paolo Carignani gaben damals Caroline Whisnant und Zeljko Lucic das mörderische Paar der Macbeths (Besprechung). Für die aktuelle Neuinszenierung verpflichte die Oper Frankfurt den US-amerikanischen Regisseur und Dirigenten R. B. Schlather. Für ihn ist es nach Tamerlano, L´italana in Londra und Madama Butterfly bereits die vierte Inszenierung in Frankfurt.

Der Weg an die Macht ist mit Verbrechen gepflastert

So wie R. B. Schlather seine Butterfly von jeglicher Japanoiserie befreite, verzichtet er auch bei Macbeth auf im Libretto vorgegebene Bezüge und Verortungen. Dennoch ist Macbeth nicht so karg und reduziert umgesetzt wie die Butterfly, eher das Gegenteil ist der Fall. Schon optisch wird sehr viel geboten, ohne das es überladen wirkt. Die Handlung verlegte er vom Schottland des 11. Jahrhunderts in die Gegenwart. Unter dem Grundgedanken, dass der Weg an die Macht mit Verbrechen gepflastert ist, zeigt er das Macbeth-Paar als Vertreter der oberen Zehntausend. Mit welchen Geschäften sie zu Reichtum gekommen sind, spielt dabei keine Rolle.

Vorläufer von Bonnie und Clyde

Sie leben in einem zwar karg ausgestatteten, aber durchaus einen luxuriösen Lebensstil vermittelnden Zuhause. Laut Angabe von R. B. Schlather im Programmbuch, eine Inspiration durch Mies van der Rohes „durchsichtiges“ Farnsworth House in Illinois. Etienne Pluss ´ Bühne besteht aus hohen Räumen zwischen denen mittels der großen Drehbühne hin- und hergewechselt wird (wobei die Bühnenhöhe nur zur knapp der Hälfe ausgenutzt wird). So geben sich die Macbeths nach außen offen, als hätten sie nichts zu verbergen. Natürlich ist das Gegenteil der Fall, moralische Bedenken haben die Vorläufer von Bonnie und Clyde nicht.

Macbeth
Oper Frankfurt
Macbeth (Nicholas Brownlee)
© Monika Rittershaus

Das Mobiliar ist elegant und dezent. Im Hintergrund von Wohnzimmer und Küche, jeweils mit Fernsehgeräten ausgestattet, ist eine Hecke zu erkennen. Jeder Akt hat seine eigene zeitliche Prägung, die sich an großen Familientreffen orientiert. So spielt der 1. Akt während Halloween, der zweite um Weihnachten und der dritte um Ostern (mit der Hoffnung auf einen neuen König). Kinder nehmen in dieser Inszenierung eine besondere Rolle ein, auch wenn die Macbeth selbst kinderlos sind. Die Kinder der anderen stellen schließlich eine Gefahr für ihren eigenen Stand dar.

Macbeth
Oper Frankfurt
Lady Macbeth (Tamara Wilson)
© Monika Rittershaus

Das Programm auf den Bildschirmen wechselt in jedem Akt (zwischen Halloween-Comics, Kaminfeuer, gestörtem Bild und Nachrichtenbilder aus Kriegsgebieten; Video: Roland Horvath). Ausgesprochen bunt und vielseitig sind die Kostüme von Doey Lüthi. Dabei zeigen sich Banquo und Macbeth zu Beginn in kurzen Sportoutfits, später in schicken Anzügen. Bei der Lady zieht vor allem ein rotes Nikolaus-Kleid alle Blicke auf sich. Als „Luftgeister“ gibt es ein festlich weihnachtlich gekleidetes und fesches Tänzerinnentrio (Emma Ibáñez, Federica Faini und Madeline Ferricks-Rosevear; Choreografie: Gal Fefferman). Apropos „Luftgeister“. Bei den übersinnlichen Dingen und den Hexen interessiert vor allem, wie ihre Prophezeiungen auf Macbeth wirken und was sie bei ihm auslösen.

Großartige Stimmen

Passend zum mordlüsternen Geschehen sind die großartigen Stimmen. Ensemblemitglied Nicholas Brownlee fährt zu Höchstleistungen auf, ganz gleich ob gerade auf dem Boden liegend, sitzend oder stehend. Neben seiner darstellerischen Brillanz verleiht der Bassbariton Macbeths Konflikten auch stimmlich starkes Potential. Tamara Wilson gab bei der besuchten zweiten Vorstellung ihr Debüt als Lady Macbeth (bei der Premiere wurde sie krankheitsbedingt stimmlich von Signe Heiberg vertreten). Die vokalen Ausbrüche beherrscht sie scheinbar mühelos. Als schlafwandelnde „Erscheinung“ kann sie sich auch berührend verinnerlicht und zurückhaltend geben. Ihr Deutschlanddebüt gab sie 2011 in Frankfurt bei einer konzertanten Aufführung von Wagners Die Feen.

Beide gestalteten auch schon Liederabende an der Oper Frankfurt. Brownlee im März 2024, Wilson im Januar 2022.

Macbeth
Oper Frankfurt
Chor der Oper Frankfurt
© Monika Rittershaus

Von vielen Sänger:innen würde man gerne mehr hören, rollenbedingt sind deren Partien leider recht klein. Entweder werden sie schnurstracks abgemurkst oder sie erscheinen erst zum Ende hin. Die übliche Bezeichnung als Feldherr oder König hat sich bei dieser Interpretation erübrigt, die Figuren gleichen hier modernen Geschäftsleuten. Bassbariton Kihwan Sim ist ein gestandener Banquo, Bariton Matteo Lippi ein überzeugender Macduff und Kudaibergen Abildin ein cooler Malcolm. Dazu Karolina Bengtsson als Kammerfrau der Lady, Erik van Heyningen als Arzt, Pilgoo Kang als Diener, Mörder und Herold, sowie Aslan Diasamidze als König Duncan und 1. Erscheinung. Als Malsoms Sohn Fleance nimmt Juval Langheim-Halaf (Solist des Kinderchores) für sich ein. Der von Manuel Pujol einstudierte Chor der Oper Frankfurt zeigt sich von seiner starken Seite.
Macbeth ist eine frühe Oper von Verdi, bei der über viele Konventionen der damaligen Zeit hinausgegangen ist. GMD Thomas Guggeis, der in dieser Spielzeit bereits hier die Wiederaufnahme von Lady Macbeth von Mzensk und die Premierenserie von Lulu dirigierte, zeigt auch im klassischen Verdi-Fach am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters sein sicheres Gespür für dramatische und feinfühlige Momente.

Wenn die Oper Frankfurt jetzt im Zusammenhang mit der Dreifachauszeichnung durch das Fachmagazin Opernwelt („Opernhaus des Jahres“, „Chor des Jahres“ und „Orchester des Jahres“) mit dem Untertitel „zuverlässig außergewöhnlich“ wirbt, ist das auch in Bezug auf die Macbeth-Inszenierung nicht übertrieben. Nach knapp drei Stunden (inklusive einer Pause): Intensiver Beifall und teilweise stehende Ovationen.


Macbeth

Oper in vier Akten

Von: Giuseppe Verdi
Libretto: Francesco Maria Piave und Andrea Maffei nach William Shakespeare
Uraufführung: 14. März 1847 (Florenz, Teatro della Pergola)
Uraufführung der revidierten Fassung: 21. April 1865 (Paris, Théâtre-Lyrique)

Premiere: 1. Dezember 24 (Opernhaus)
Besuchte Vorstellung: 5. Dezember 24

Musikalische Leitung: Thomas Guggeis
Inszenierung: R.B. Schlather
Bühnenbild: Etienne Pluss
Kostüme: Doey Lüthi
Choreografie: Gal Fefferman
Video: Roland Horvath (rocafilm)
Licht: Olaf Winter
Chor: Manuel Pujol
Dramaturgie: Konrad Kuhn

Besetzung:

Macbeth: Nicholas Brownlee
Banquo: Kihwan Sim
Lady Macbeth: Tamara Wilson (01.12.24 nur szenisch) / Signe Heiberg (01.12.24)
Macduff: Matteo Lippi
Malcolm: Kudaibergen Abildin
Kammerfrau der Lady: Karolina Bengtsson
Arzt: Erik van Heyningen
Diener / Mörder / Herold: Pilgoo Kang
König Duncan / 1. Erscheinung: Aslan Diasamidze
Fleance / 3. Erscheinung: Juval Langheim-Halaf / Anton Römer / Niklas Grehl

Tänzer*innen: Emma Ibáñez / Federica Faini / Moe Gotoda / Madeline Ferricks-Rosevear

Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester


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