

Das knapp 200 Sitzplätze fassende Urania Theater im Kölner Stadtteil Ehrenfeld hat eine wechselvolle Geschichte. Seit acht Jahren steht es unter der Leitung von Bettina Montazem, unterstützt von ihren Töchtern Lea-Johanna und Rosa-Halina. Das drittgrößte Privattheater von Köln bietet, ganz ohne staatliche Unterstützung, ein ausgefallenes und vielseitiges Programm. Als das einzige Varieté in Europa vereint es Musiktheater mit Artistik. Dabei geht es Bettina Montazem um mehr als um bloß gut gemachte Unterhaltung. Nicht ohne Grund wirbt das Haus mit dem Slogan „Was für die Seele“. Sie möchte bei allen Problemen in der Welt auch aufzeigen, wie schön das Leben ist.
Herzergreifende Arien und spektakuläre Varietékunst
Nach Broadway – Musicals meets Varieté im Frühjahr und der Wiederaufnahme von Piaf á Paris – Chansons meets Varieté feierte jetzt die neuste Eigenproduktion des Familienbetriebs Premiere: Maskenball in Venedig ~ Oper meets Varieté. Inspiriert vom Kölner Karneval (insbesondere der Kölsche Funke rut-wieß vun 1823 e. V.) geht es dabei nach Italien. Ein opulenter Maskenball in Venedig entführt das Publikum für zwei Stunden zu schwungvollen wie herzergreifenden Arien und zu spektakulärer Varietékunst. Dabei fängt das Spektakel schon im Foyer an. Denn die Mitglieder des neu gegründeten Chors der Fördermitglieder begrüßen dort bereits in ausgefallenen Kostümen und Masken das Publikum.
Gemeinschaftsarbeit aller Beteiligter
Maskenball in Venedig hat keine Geschichte die mit stringentem Handlungsablauf erzählt wird. Vielmehr sind es zahlreiche kleine Geschichten, die an den Arien und den artistischen Darbietungen orientiert sind. Das Schöne dabei ist die Gemeinschaftsarbeit aller Beteiligter. Denn die Szenen werden weitestgehend als Ensembleleistung gezeigt, auch die solistischen. Sänger, Artisten und der Chor sind stets, in unterschiedlicher Anzahl, auf der Bühne. So bringen sich die Artisten auch als Gäste des Maskenballs ein und die Sänger:innen ergänzen wiederum die Varietédarbietungen. Das in diesem Programm enorm viel Herzblut und Leidenschaft steckt, ist allgegenwärtig. Egal ob bei kleineren Nummern oder großen Ensembleszenen (wie beim Trinklied „Libiamo, ne‘ lieti calici“ aus Giuseppe Verdis Oper La Traviata; Konzept & Regie: Bettina Montazem).
Von Händel bis Morricone
Für die Sopranistin Lea-Johanna Montazem war die Premierenvorstellung zugleich die Bachelorprüfung für ihr Gesangsstudium an der HfMT Köln (ihre Prüfer:innen saßen im Publikum). Als Mondgöttin Luna umrahmt sie gewissermaßen den Abend. Sie eröffnete mit der Arie „Strahlender Mond“ (aus der Operette Der Vetter aus Dingsda von Eduard Künneke) und schloss mit im original tschechisch gesungenen „Lied an den Mond“ (aus Antonín Dvořák Oper Rusalka). Dazwischen legte sie nicht nur die meisten Kostümwechsel hin (es dürften rund zehn sein), sie betört vor allem mit ihrer kräftigen Sopranstimme, die, wie nicht zuletzt bei Dvořák, auch hohe lyrische Qualitäten aufweist.
Die Schweizer Mezzosopranistin Paula Meyer zeigt viele Facetten. Wie als Prinz Orlofsky mit „Ich lade gern mir Gäste ein“ (aus Johann Strauss´ Operette Die Fledermaus). Und sie berührt mit Georg Friedrich Händels Hit „Lascia ch’io pianga“ (die Klage der Jungfrau Almirena aus der Oper Rinaldo).
Erstmals zu Gast am Urania Theater ist der junge Bariton Claus Renzelmann. Seine profunde Stimme präsentiert er u. a. mit „Der Vogelfänger bin ich ja“ (aus Wolfgang Amadeus Mozarts Die Zauberflöte). Gefühlstiefe und balsamische Stimmqualitäten zeigt er mit Wolfram von Eschenbachs „O du, mein holder Abendstern“ (aus Richard Wagners Oper Tannhäuser). Als „entrückte“ Elisabeth ist währenddessen als eine wunderschöne optische Visualisierung Amelie Kamps an den Strapaten zu erleben.
Zum Abschluss erklingt im Terzett bewegend gesungen „Nella Fantasia“ (der Traum von einer besseren Welt, nach „Gabriels Oboe“ aus dem Film The Mission, Musik: Ennio Morricone).
Der gebürtige Engländer James Williams ist seit August am Urania Theater. Hier ist er als klangschöner Tenor, kostümierter Pianist und Musikalischer Leiter zu erleben.
Der Chor der Fördermitglieder ist bei alledem vor allem szenisch unterstützend eingebunden.
Frappierende Artistik
Die Übergänge zwischen Gesangs- und Artistikdarbietungen erfolgen ausgesprochen fließend. Bei Seifenblasen denkt man natürlich erst an Straßenkünstler in den Fußgängerzonen. Der Ukrainer Olekseij Sherbluk macht schnell deutlich, dass er sehr viel mehr kann. Er ist ein Zauberkünstler, so überraschend vielseitig und verblüffend sind seine kurzweiligen Seifenblasen. Aus einer einzigen schafft er eine Vielzahl weiterer, andere fügt er zusammen oder lässt aus Ihnen Rauch aufsteigen.
Kris Kremo und Harrison Kremo sind nicht nur Vater und Sohn, sondern ein außergewöhnliches Jonglage-Duo, sei es mit Hüten oder Blöcken.
Die bereits erwähnte Amelie Kamps zeigt mit Anmut und Eleganz ihr Können auch eindrucksvoll am Reif schwebend. Ihre Beweglichkeit wird vom 19-jährigen mexikanischen Contorsionist David Meraz noch getoppt. Bei seinen frappierenden Darbietungen fragt man sich schnell, wie Knochen und innere Organe eine derartige Flexibilität aushalten. Herausragend auch ein gemeinsame Performance mit Amelie Kamps, die von ihm gehalten wird, während er selber nur auf den Händen steht (bei verbogenem Körper).
Für viele heitere Momente sorgt Rosa-Halina Dahm als Dame, die sich verführerisch kokett und lasziv präsentiert.
Die vielen vom Karneval inspirierten Kostüme stammen aus dem Atelier Maria Lucas unter Leitung von Andre Lucas. Stimmungsvoll wirkt die Bühne mit ihren Blumenbouquets und Vorhängen mit Blumenmuster (Benedikt Wallisser). Natürlich fehlt für den Ausflug in die Lagunenstadt auch eine sich bewegende Gondel nicht.
Als Zugabe gibt es das wohl bekannteste Gondellied, die Barcarole aus der Oper Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach. Nach wenigen Takten leitet diese zum Kölner Karneval Klassiker von Willi Ostermann über: „Einmal am Rhein“ (bei der das Premierenpublikum nicht nur zum Walzertakt schunkelte, sondern auch mitsang). Am Ende hielt es das Publikum nicht lange auf den Sitzen. Standing Ovations und als Zugabe der besonderen Art der einmalige Urania-Abschluss durch Bettina Montazem mit einem gemeinschaftlichen Schwur zur Show-Promotion.
Maskenball in Venedig ~ Opera meets Varieté ist noch bis zum 26. Oktober 25 im Urania Varieté Köln zu erleben.
Markus Gründig, August 25
Maskenball in Venedig ~ Opera meets Varieté
Premiere im Urania Theater Köln: 29. August 25
Konzept & Regie: Bettina Montazem
Co-Regie Artistik: Alexander Mitin
Musikalische Leitung: James Williams
Chorleitung & Sängercoaching: Hartmut Singer
Tänze: Andreas Schmitz
Bühne: Benedikt Wallisser
Lichtdesign: Jens Günther
Kostümbild: Lea-Johanna Montazem
Kostüme: Atelier Maria Lucas
Artisten:
Kris & Harrison Kremo – Jonglage
Amelie Kamps – Luftartistik
David Meraz – Contersion
Olekseij Sherbluk – Seifenblasen
Sänger:
Lea-Johanna Montazem – Sopran
Paula Meyer – Mezzosopran
Claus Renzelmann – Bariton
Klavier: James Williams
Chor: Die neuen „Urania Voices“ mit jeweils 6 SängerInnen
Spielzeit bis zum 26. Oktober 25 (donnerstags und freitags um 20 Uhr, sonntags um 18 Uhr).