Verzogen: „Spiel des Schwebens“ am Schauspiel Frankfurt

Spiel des Schwebens ~ Schauspiel Frankfurt ~ Miko (Tanja Merlin Graf) ~ Foto: Felix Grünschloß

Aller guten Dinge sind drei. Nach Liberté oh no no no in 2022 und Mascha K. (Tourist Status) in 2023, wurde jetzt am Schauspiel Frankfurt zum dritten Mal ein Stück der Dramatikerin Anja Hilling uraufgeführt: Spiel des Schwebens. In allen diesen Stücken steht eine Frau im Zentrum der Handlung.

Anders als die Figur der R (in Liberté) oder Mascha Kaléko (in Mascha K.) steht in Spiel des Schwebens die Hauptfigur der Emila, genderneutral Mika genannt, jedoch in einem familiären Umfeld. Sie ist behütet und umsorgt von den Eltern. Diese sind natürlich nicht vollkommen („Die Scheiße der Eltern gehört dazu“). Genauso wenig wie es die menschliche Natur per se ist. Kann eine moderne und fehlerfreie Technik helfen, einen perfekten Menschen zu erziehen?

Hilfe von einer künstlichen Erziehungsberaterin

Die Eltern probieren es mit einer künstlichen Erziehungsberaterin (mit dem Rücken zum Publikum mit sanfter Stimme vom Bühnenrand sprechend: Rokhi Müller als Kali). Wenn der Vater (vielseitig: Stefan Graf) sagt, dass die Tochter gerade gehen gelernt hat, antwortet Kali: „Dabei muss sie nur schweben lernen.“ Schweben als eine Form, im und mit dem Leben klarzukommen. Die Eltern haben diesbezüglich ihre Probleme. Nicht zuletzt deshalb soll ihre Tochter es später einmal besser haben.

Kali „Ist es nicht eure Aufgabe, eurer Tochter zu ermöglichen, zu bestehen in dieser Welt, in der es nur ein Mittel gibt gegen die Macht des Künstlichen? Die Maximierung des menschlichen Potentials… Je leiser ihr werdet, desto stärker wird eure Tochter erscheinen.“

Spiel des Schwebens
Schauspiel Frankfurt
Nils (Stefan Graf), Vesna (Manja Kuhl)
Foto: Felix Grünschloß

Auf Kalis Frage „Wenn ihr euch eine Person vorstellt, durch deren Adern das größtmögliche Glück dieser Welt fließt, stellt ihr euch dann einen Abklatsch von euch selber vor?“ weiß die rotweinaffine, ängstliche und oftmals überforderte Mutter (subtil: Manja Kuhl) keine wirkliche Antwort.

Die Dienste der künstlichen Erziehungsberaterin kosten nichts, sie fordert aber Vertrauen ein („Ich will, dass ihr eurer Tochter vertraut, denn sie allein weiß, wo sie hin will“).

Kunstvolle Parabel auf das Leben

Das Stück gliedert sich in drei Teile auf. Zunächst die Eltern in schlaglichtartigen Rückblicken mit der virtuellen Assistentin (unterbrochen von kurzen Kommentaren der Tochter). Dann ein langer solistischer Teil der Mika (Freud und Leid intensiv zeigend: Merlin Graf) und etliche Jahre später ein zufälliges Aufeinandertreffen der Eltern, die sich zwischenzeitlich getrennt hatten.

Anja Hillings Text changiert zwischen Kunst- und Alltagssprache. Die Figuren wirken trotz einer gewissen Verfremdung nahbar, insbesondere die Eltern mit ihren menschlichen Schwächen. Das Stück ist eine kunstvolle Parabel auf das Leben. Von der schwierigen Geburt (mit Herzstillstand des Babys) bis zum durch Bauchspeicheldrüsenkrebs verursachten Tod des Vaters.

Eine szenisch virtuose Umsetzung

Für die österreichisch-bulgarische Regisseurin Christina Tscharyiski ist Spiel des Schwebens die sechste Arbeit am Schauspiel Frankfurt. Den aus vielen kurzen Szenen bestehenden Text setzt sie szenisch virtuos um. Das aufwendige Bühnenbild und die Kostüme (Bühne: Marlene Lockemann, Kostüme: Miriam Draxl, Mitarbeit Bühne und Kostüm: Nora Schreiber) helfen dabei. Dabei kann man an Oimaras Song „Wackelkontakt“ denken. Fast alles erscheint irgendwie verwackelt und verzogen.

Spiel des Schwebens
Schauspiel Frankfurt
Miko (Tanja Merlin Graf), Vesna (Manja Kuhl; dahinter)
Foto: Felix Grünschloß

Auch das Bühnenbild besteht aus drei Teilen: den Rückblicken vor einem Bühnenvorhang, in einer weiten Waldhöhle und einem kunstvollen Schattenspiel.

Eine geschwungene Form wie ein halbes „s“ zeigt schon der rote Bühnenvorhang. Selbst die Beleuchtungstraversen und die Stützsäulen sind ungleichmäßig verzerrt. Vor allem sticht die weit geschnittene Anzughose der Tochter hervor.

Nach vielen Jahren der Entfremdung und Trennung findet die Kleinfamilie erst am Ende von Nils Leben bei einem harmonischen Schlussbild wieder zueinander.

Viel Applaus nach pausenlosen 70 Minuten.

Markus Gründig, Oktober 25


Spiel des Schwebens

Von: Anja Hilling (* 1975)

Premiere / Uraufführung: 10. Oktober 25 (Kammerspiele)
Besuchte Vorstellung: 16. Oktober 25

Regie: Christina Tscharyiski
Bühne: Marlene Lockemann
Mitarbeit Bühne und Kostüm: Nora Schreiber
Kostüme: Miriam Draxl
Musik: Cornelia Pazmandi
Dramaturgie: Alexander Leiffheidt
Licht: Frank Kraus

Besetzung:

Emilia, genannt Miko: Tanja Merlin Graf
Vesna: Manja Kuhl
Nils: Stefan Graf
Kali: Rokhi Müller

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