
In seiner letzten Schauspiel-Premiere der laufenden Saison nimmt das Staatstheater Augsburg ein zeitgeschichtliches Thema in den Fokus. Die Uraufführung von Tine Rahel Völckers »Gesänge vom Überleben« (Samstag, 5.7.25) beschäftigt sich mit der NS-Zwangsarbeit in Augsburg und Schwaben.
Das 80 Jahre nach Kriegsende und Befreiung als Auftragswerk verfasste Stück gibt den weithin ungehörten Opfern von Zwangsarbeit eine Stimme, zeichnet Kontinuitäten menschenverachtenden Denkens bis heute nach und hinterfragt, inwiefern die deutsche Wirtschaft Verantwortung für die Verbrechen während der NS-Zeit übernommen hat.
Dabei ist es Regisseurin Nicole Schneiderbauer wichtig, durch ihre Inszenierung die Geschichten der Menschen lebendig zu halten. Passive Betroffenheit soll ins aktive Tun überführt werden, womit auch an das Jahresthema der von Plan A am Staatstheater Augsburg ins Leben gerufenen Initiative »Gedenk_mal Box« angeknüpft wird: Wie kann zeitgemäßes Erinnern aussehen? Wie können wir Gedenken neu begreifen?
Diesen und weiteren Fragen geht die Regisseurin mit ihrem Inszenierungsteam um Miriam Busch (Bühne und Kostüm), Stefanie Sixt (Video), Gabriella Gilardi (Choreografie) und Fabian Löbhard (Musik) nach – am Beispiel des Zwangsarbeitssystems rund um das heute als Halle 116 bekannte KZ-Außenlager Augsburg-Pfersee und weiterer Außenlager des KZ Dachau in ganz Schwaben. Dabei wird deutlich, dass Zwangsarbeit zwar das öffentlichste Verbrechen der NS-Zeit war, dieses aber in der kollektiven Erinnerung praktisch nicht vorkommt.
Das Schauspiel-Ensemble um Elif Esmen, Jenny Langner, Kammerschauspieler Klaus Müller, Patrick Rupar und Mehdi Salim macht in dieser Inszenierung Geschichte(n) erfahr- und erlebbar. Die Darstellenden geben den unter der NS-Herrschaft ausgebeuteten Gefangenen und Zwangsarbeitenden Raum und ihren Geschichten eine Stimme. Zugleich entlarven sie die Täter auf absurd-groteske Weise.
Zu Beginn der Handlung von »Gesänge vom Überleben« steht die reale Geschichte von Ivan Hacker, einem Juristen aus Ungarn, der während der NS-Zeit Zwangsarbeit leisten musste und zwölf Jahre nach Kriegsende dorthin zurückkehrt. Doch wo früher das Konzentrationslager war, ist jetzt eine Kleingartenkolonie. Nichts erinnert hier an die Opfer des Nazi-Regimes, die mit ihrer Arbeit in Augsburger Rüstungsunternehmen die Kriegsfähigkeit der deutschen Wehrmacht am Laufen hielten. Und niemand hier will vom ehemaligen Lager gewusst haben.
Ausgehend von verschiedenen Figuren hat Tine Rahel Völcker einen vielstimmigen Chor der unzähligen nach Augsburg und Umgebung Deportierten erschaffen: Sie stammten aus Polen, der Ukraine, Italien und Ungarn, waren jüdisch oder Sinti, Kinder, jugendlich oder erwachsen. Mit ihren »Gesängen vom Überleben« kämpfen die im Stück gezeigten Personen gegen das Schweigen und Verdrängen der deutschen Nachkriegsgesellschaft an und schaffen einen emotional-kraftvollen, in die Tiefe gehenden Theaterabend.
Mit »Gesänge vom Überleben« setzt das Staatstheater Augsburg die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Autorin Tine Rahel Völcker fort, deren Werke »Frauen der Unterwelt« (UA 25.2.23) und »Die gefährlichste Frau Amerikas« (UA 17.2.24) ebenfalls in der brechtbühne uraufgeführt wurden.
Tickets für die fünf Vorstellungstermine im Juli 2025 und alle Infos auf der Homepage des Staatstheater Augsburg.
»Gesänge vom Überleben« | Uraufführung von Tine Rahel Völcker | Premiere Sa 5.7.25 19:30 Uhr | brechtbühne im Gaswerk